Ich-AG : niemand weiß nix genaues

Begonnen von DeppVomDienst, 10:40:27 Di. 29.April 2003

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DeppVomDienst

Es ist schon erstaunlich, wie schlecht die Bürokratie auf die seit Anfang des Jahres existierenden "Ich-Ags" vorbereitet ist.

Beispiel: Man ist als Bezieher des maximal drei Jahre ausbezahlten Existenzgründungszuschusses (Ich-AG) rentenversicherungspflichtig. Es gibt auf dem Fragebogen der Bundesversicherungsanstalt die Option, daß sich die Beitragshöhe einkommensgerecht bemessen läßt, was natürlich gerade bei Existenzgründern, die sich ersteinmal einen "Kundenstamm" aufbauen müssen und wahrscheinlich am Anfang kaum Gewinne haben, sehr von Vorteil ist. Auf Nachfrage bei der Bundesversicherungsanstalt konnte man mir dort nicht sagen, ob die 600 Euro (1.jahr) vom Arbeitsamt auch als "Arbeitseinkommen" gewertet werden.

Nächstes Beispiel: Auf dem selben Fragebogen steht, daß man bei "einkommensgerechter" Bemessung eine Bescheinigung des Steuerberaters mit einer Schätzung des vorraussichtlichen Einkommens beifügen soll. Wie? Wo? Man soll also noch von dem mickrigen Anfangsgewinn einen Steuerberater durchfüttern? In der Erklärung zum Fragebogen steht dann noch, daß dies auch eine Bescheinigung vom Finanzamt sein könne. Habe mir noch nicht den Spaß erlaubt, dort einen unvorbereiteten Sachbearbeiter mit solch einem Ansinnen zu konfrontieren. Kommentar von einer Sachbearbeiterin bei der Bundesversicherungsanstalt: "Lassen Sie uns das ruhig angehen, schicken Sie uns einfach eine eigene Schätzung und falls dann eine Durchführungsbestimmung vorliegt, wie das eigentlich amtsintern gehandhabt werden soll, schreiben wir Sie gegebenenfalls an." Ein sarkastischer Unterton war nicht zu überhören ...

Spannend ist auch der Gang zur Krankenkasse (man kann sich freiwillig in der gesetzlichen Krankenversicherung versichern): Sachbearbeiterin 1 wußte noch garnicht, was es überhaupt mit den Ich-Ags auf sich hat; Sachbearbeiterin 2 konnte immerhin das wiedergeben, was man auch selbst im Internet recherchieren kann.
Dazu: Es gibt bei der Krankenkasse keine Möglichkeit, den Beitrag für Selbständige "einkommensgerecht" nach unten zu drücken; für Ich-Ags gilt aber zunächst ein reduzierter Pauschalsatz, der aber immer noch mit rund 190 Euro monatlich zu Buche schlägt ...

Thema Wohngeldamt: Dort war man bis dato am ehesten auf die Lage vorbereitet. Die Sachbearbeiterin gab mir einen Antragsvordruck mit, um eine ERHÖHUNG des Wohngeldes zu beantragen (was eine recht realistische Einschätzung ist). Witzig ist nur, daß ich bis Ende Mai diesen Antrag mitsamt Bescheinigungen der Bundesversicherungsanstalt und Krankenkasse wieder abgeben muß. Im Falle der BfA kann das lustig werden ("ruhig angehen lassen ...", s.o.).

Kurzum: Bei den Behörden weiß niemand nichts genaues, das Ganze ist eine echte Durchwurschtelei und Improvisation. Wer lieber genau wissen möchte, was mit schöner Regelmäßigkeit am Monatsende auf dem Konto landet, sollte sich lieber weiter das Arbeitslosengeld überweisen lassen und zusehen, dann irgendwann wieder einen vernünftigen Job anzunehmen (falls es irgendwann mal wieder vernünftige Jobs zu fairen Bedingungen geben sollte!).

DeppVomDienst

ZitatIn der Erklärung zum Fragebogen steht dann noch, daß dies auch eine Bescheinigung vom Finanzamt sein könne. Habe mir noch nicht den Spaß erlaubt, dort einen unvorbereiteten Sachbearbeiter mit solch einem Ansinnen zu konfrontieren.

Tja, noch eine Ergänzung: War heute beim Finanzamt Kiel-Süd, um meine Steueranmeldung abzugeben. Habe dort der (ziemlich netten) Sachbearbeiterin die Story erzählt mit dem Fragebogen der Bundesversicherungsanstalt. Die Dame war recht amüsiert darüber und meinte, daß sie allenfalls bei Bedarf eine Fotokopie meiner gerade eingereichten Steueranmeldung (die ich ja komplett auf meinen Angaben beruht) hätte machen können.
Naja, habe vorhin noch mal mit der Bundesversicherungsanstalt telefoniert und erfuhr dort, dass man mittlerweile etwas schlauer wäre: Die 600 Euro vom Arbeitsamt werden NICHT als Einkommen gewertet (ebenso wie beim Finanzamt), dementsprechend sollte also der Rentenversicherungsbeitrag also gemäß des niedrigen prognostizierten Einkommens nach unten hin angepaßt sein. Bin gespannt, was dabei rauskommt ... ; immerhin hat man mir dort auch zugesagt, in Hinblick auf meinen Wohngeldantrag die Bescheinigungg schnell rauszuschicken ..

DeppVomDienst

Aaalso: Habe heute endlich den Schrieb von der Rentenversicherung bekommen; Auf Grundlage von 5000 Euro Jahresgewinn ist mir ein monatlicher Satz von gut 81 Euro berechnet worden.
Insofern ist der Ich-Ag-Zuschuß für mich persönlich fast ein Nullsummenspiel gegenüber dem vorherigen Arbeitslosengeld (ganze 400 Euros), d.h. von 600 Euro Zuschuß monatlich im ersten Jahr, gehen für Krankenversicherung, Pflegeversicherung und Rente 270 Euros ab, bleiben also 330 übrig ... wobei ich natürlich immer noch wohngeldberechtigt bin und ich vielleicht eines Tages  tatsächlich auch mal richtige Umsätze/Gewinne haben werde ;-)

Was das Arbeitsamt angeht, habe ich jedenfalls (erst einmal) Ruhe ...

XHess

Hehe das spiel kenne ich! Denn auch ich bin ein Ich - AG mann. Aber ich kann dich beruhigen. Die erste Zeit ist Steuerlich und auch alles andere ein Nullspiel wie du schon sagtest. Die wirklichen Erfolge lassen auf sich warten.
Aber immerhin ist das doch ein schritt in die richtige Richtung. Ich finde die Ich - AG gut und letzendlich ist es nichts anderes wie ne Gbr.
Warum die Bürokratie der Ämter so schlecht vorbereitet ist,  kann ich mir nur damit erklären das sie eben nichts verdienen an uns und somit sind wir völlig uninteressant.

Bleib dran und viel Glück.

greet XHess

ToTo

Die Ich-AG taugt nur für Leute, die auch schon vorher nicht das hohe Risiko der  Selbständigkeit geschreckt hat.

Ich gehe davon aus das ca. 80% der Ich-AGler scheitern werden. Von diesen 80% werden mindestens 50% hoch verschuldet, und somit wirtschaftlich, wie auch sozial am  Ende sein.
Gruß ToTo

DeppVomDienst

ZitatDie Ich-AG taugt nur für Leute, die auch schon vorher nicht das hohe Risiko der Selbständigkeit geschreckt hat.
Hi ToTo,
volle Zustimmung meinerseits. In meinem speziellen Fall war es auch so, dass ich bereits vorher schon einmal 2 Jahre nebenbei selbständig war und seit über 10 Jahren auch gewohnt bin, mal Durststrecken zu haben bzw. "auf Vorrat" zu arbeiten.
Ich werde natürlich ab und an im Bekanntenkreis nach meinen Erfahrungen gefragt. In den meisten Fällen rate ich definitiv davon ab. Darüber hinaus ist natürlich auch die "Ich-AG" ein Instrument der Lohndrückerei, da der Staat zumindest in den ersten drei Jahren niedrige Preise (der Ich-AG-Dienstleistungen) quasi subventioniert, die "normale" Dienstleister mit abhängig Beschäftigten so nicht haben.
Ich habe bereits des öfteren Kunden von mir darauf hingewiesen, dass ich bestimmte Dienstleistungen im IT-Bereich so nicht leisten kann und auch dementsprechend dann an die  "Profis" verwiesen, wo dann eine professionelle Dienstleistung halt seinen Preis hat.
Haarig wird allerdings die Geschichte, wenn wirklich hochqualifizierte Leute als Ich-AGs mit Preisdumping den Markt kaputtmachen.

Längerfristig denke ich daran, dass solche "Mini-Selbständigen" wie ich auch ihre sozialen/ökonomischen Netzwerke bilden sollten, da das "alle gegen alle" zu nichts anderem führt als dass man sich selbst die Existenzgrundlage entzieht.

Gruß aus Kiel
DvD

ToTo

Die Idee von einem solchen Netzwerk ist nicht schlecht, wird aber daran scheitern das unsere Gesellschaft immer asozialer wird.

Die Ich-AG wäre nur dann von Vorteil, wenn die Agentur für Arbeit für einen Zeitraum von fünf Jahren alle Sozialversicherungen trägt, und den Ich-AG'ler zusätzlich mit € 500,00 im Monat unterstützt.

So bleibt es nur ein weiteres Projekt zur kurzfristigen Senkung der Arbeitslosenzahlen, ebenso wie PSA und Mini-Job.
Gruß ToTo

ManOfConstantSorrow

ZitatOriginal von rf-news.de

15.04.04
Ich-AG's gehen massenhaft pleite
Von den 127.000 seit dem Inkrafttreten der ersten "Hartz-Reform" im Januar 2003 gegründeten "Ich-AG's" haben bereits 12.000 aufgegeben, das sind 9 Prozent. Angeblich sollten die Ich-AG's dazu dienen, dass sich Arbeitslose eine neue Existenz als Selbständige aufbauen. Tatsächlich handelt es sich dabei um Scheinselbständigkeit verbunden mit extremer Selbstausbeutung oder Ausbeutung durch die jeweiligen Auftraggeber. Überschuldung ist bei Trägern von Ich-AG´s an der Tagesordnung.
Arbeitsscheu und chronisch schlecht gelaunt!


ManOfConstantSorrow

Zahl der Pleiten steigt auch 2004 - keine Besserung in Sicht

Hamburg (dpa) - Die Pleitewelle in Deutschland rollt weiter. Nach Einschätzung des führenden Kreditversicherers Euler Hermes werden in diesem Jahr rund 40 500 Unternehmen den Gang zum Insolvenzrichter antreten, das wären nochmals gut drei Prozent mehr als im Jahr 2003.


dpa/regioline vom 27.04.2004
Arbeitsscheu und chronisch schlecht gelaunt!

Berliner

Ich-AG? Dass ich nicht laut lache!!!

Auch mir wollte hier eine Berliner Arbeitsagentur mehrmals, und das nicht nur mir, auf die Schnelle eine Ich-AG aufbrummen, um ja die Leute so schnell wie möglich aus ihrer besch....... Statistik rauszukriegen!

Nur: ich hab da jeweils immer nur geschmunzelt!
Denn:
ich habe die Leute dort mehrmals gebeten, und auch höflich aufgefordert, mir doch mal bitte ein Konzept und einen Weg zu zeigen, mit was für einer Idee ich denn bitte eine Ich-AG starten soll. Und auch wenn dies klappen sollte, von was ich dann bitte leben soll?! (Natürlich konnten die mir keinen genauen Weg zeigen, hatten nicht mal Bock einen genau zu beraten!)

Ich habe 2mal so einen Infotag zum Thema Ich-AG mitgemacht, da kommt ein Dozent (natürlich von der AA bestellt!), ca. 20-30 Zuhörer (angebliche Ich-AG-Angänger!) sitzen dann vor ihm in einem Raum, und dann versucht dieser Dozent mit allen Mitteln, den Leuten die Ich-AG geschmackhaft zu machen!
Da fiel auch mehrmals der Satz "Machen Sie doch ihr Hobby zu Geld und Beruf"! Naja, so nebenbei bin ich ein kleiner Verkäufer bei Internet-Auktionen, Antiquitäten, Schallplatten etc. etc.
Nur, was ich da so im Monat grade mal verkaufen und umsetzen kann, wenn überhaupt, da liegt der Umsatz grade mal so zwischen 10 und 30 Euro!
So, auch wenn die AA einem monatlich ein "Startkapital" von ca. 600 Euro auszahlt (für's erste Jahr!), wie soll man denn bitte davon seine Existenz absichern?
Man bedenke: der Mensch braucht was zum Essen (Grundnahrung!), zu Trinken, ab und zu mal billige Klamotten (auch die billigsten kosten was!), dann braucht der Mensch ein Telefon, Handy hab ich schon lange nicht mehr, einen Internet-Anschluß für Jobsuche (auch wenn man da den billigsten Surf-Tarif hat, auch der kostet was!), von Miete, Strom- und Gasrechnung mal ganz zu schweigen!

So, wenn das wenigstens alle Abgaben bzw. Abzüge wären, nee, dann kommen noch hinzu: Steuern, Krankenversicherung, Rentenversicherung etc. etc.!
Ich hab das alles mal in aller Ruhe nachgerechnet:
auch wenn ich als Verkäufer bei Internet-Auktionen oder auch mit anderen Diensten und Tätigkeiten im Monat so "ziemlich gut" verdienen würde, man bleibt immer noch auf seinen eigenen Kosten sitzen! Und wenn man auf Dauer dann so ziemliches Pech hat, dann rutscht man in ein paar Monaten in einen saftigen Schuldenhaufen! (daher evtl. auch die vielen Ich-AG-Pleiten in den letzten 1,2 Jahren, weil sich manche das alles von einer AA auf die Schnelle haben aufbrummen lassen, ohne es mal genau durchgerechnet zu haben). Und so ging es 2 meiner Bekannten in den letzten 6 Monaten!

Ich hab hier mal einen guten Freund zu einer AA in Berlin begleitet, der Arbeitslosengeld beantragen musste, und da hat der dortige Sachbearbeiter sofort versucht, meinen Kumpel direkt in die Ich-AG zu stecken, hat dem dort das Blaue vom Himmel erzählt, wie toll doch diese Ich-AG sei. Ich hab dann meinem Kumpel noch paar mal auf den Fuß getreten, so mit dem Motto: "nicht gleich zusagen, erst mal zu Hause das Ganze ein paar mal ausrechnen und sich durch den Kopf gehen lassen"!

Lange Rede kurzer Sinn:
eine Ich-AG ist wahrhaftig nicht jedermanns Sache, nur die Wenigsten können sowas umsetzen, und davon leben - und überleben!

Deshalb: bevor man sowas von einer AA annimmt, immer erst genau überlegen - und erstmal alles genauestens ausrechnen und mit Freunden und Bekannten ausführlich darüber diskutieren!

Gruß
vom Berliner
Wehrt euch alle gegen jede und jegliche Bürokratie! Wer ewig schweigt, kommt nie voran!

mousekiller

"Die Ich-AG ist der größte Beschiß, die wo gibt." So hats mein Ex mal auf den Punkt gebracht...  :roll:
Wenn man keine Ahnung hat - einfach mal die Fresse halten.

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