Portugal: Mit dem Internet gegen Scheinselbständigkeit

Begonnen von Kater, 15:44:48 Do. 24.Juli 2008

⏪ vorheriges - nächstes ⏩

Kater

ZitatGesetzgeber aus der Blogosphäre
Der Portugiese André Soares zettelte im Internet einen Aufstand gegen die Scheinselbstständigkeit an - mit enormem Erfolg
Daniel Schmidt

LISSABON. Ungezählte revolutionäre Schübe hat das Internet in seiner kurzen Geschichte schon ausgelöst; portugiesische Blogger haben eine weitere Premiere hinzugefügt. Als das Parlament Portugals am 30. April 2008 über ein neues, von der Regierung vorgelegtes Arbeitsgesetz debattierte, war das der Höhepunkt einer Geschichte, die ein Jahr zuvor in einer Nische im Netz begonnen hatte. Man kann es als "politische Akupunktur" bezeichnen, was André Soares mit seinem Blog namens "Ferve" erreicht hat - eine Gesetzesinitiative, die von den Bürgern angestoßen wurde, direkt und ohne den Umweg über die politischen Instanzen. "Wir haben diese Debatte mit unserer Initiative ins Parlament getragen, ohne Unterstützung einer Partei oder irgendeiner Organisation. Ohne unsere Initiative hätte es das neue Arbeitsgesetz so nicht gegeben." Was war passiert?

Es kocht

Im März 2007 eröffnete der André Soares gemeinsam mit einer Bekannten den Blog "Ferve". Das Kürzel steht für "Farto d'Estes Recibos Verdes", auf Deutsch etwa: "Ich habe diese grünen Quittungen satt". Ferve heißt auf Portugiesisch aber auch "es kocht" - und in André Soares kochte es seit einiger Zeit. Die berüchtigten "Recibos Verdes" muss in Portugal jeder Freiberufler ausfüllen, wenn er eine Rechnung ausstellt. Sie sind nach dem Arbeitsgesetz ausdrücklich freien Berufen vorbehalten, also jenen unabhängig Arbeitenden, die für ihre Tätigkeit Honorar erhalten. Mit der Zeit sind sie aber zu einem beliebten Instrument für Arbeitgeber geworden, um Arbeitskräfte ohne Arbeitsvertrag zu beschäftigen. "Vom Kellner, der nur während der Saison arbeitet, über den Produktionsassistenten, der keinen Zeitvertrag bekommt, bis zu Angestellten im öffentlichen Dienst, die nach einem Praktikum auf diese Weise hingehalten werden, haben wir Zuschriften bekommen", erklärt André, "wir wollten ein öffentliches Forum schaffen, in dem die Betroffenen ihre Geschichte erzählen können, aber auch die Arbeitgeber namentlich nennen, die mit falschen grünen Quittungen arbeiten."

Neben ungelernten und Facharbeitern ist diese, nach dem Gesetz illegale Beschäftigung oft die einzige Möglichkeit für Hochschulabsolventen, ins Berufsleben einzutreten. "Ich habe nichts gegen die grünen Quittungen, aber sie sollten nur von denen verwendet werden, für die sie geschaffen wurden. Die große Mehrheit sind nach dem Gesetz falsche Recibos Verdes", erklärt André.

Würde das Arbeitsgesetzbuch in Portugal rigoros angewandt, dann gäbe es die Problematik gar nicht. Nach dem Gesetz gilt nämlich bereits dann ein Arbeitsvertrag gegenseitig einvernehmlich, wenn ein Arbeiter regelmäßig und mit festen Arbeitszeiten für einen Arbeitgeber tätig ist. Kaum jemand traut sich jedoch, seinen Arbeitgeber wegen illegaler Beschäftigung mit grünen Quittungen zu verklagen. "Mit dem Blog haben wir die Möglichkeit geschaffen, Firmen und Institutionen zu denunzieren, die illegal mit Recibos Verdes arbeiten und den Betroffenen trotzdem Anonymität zu garantieren", sagt André, "wir haben es den Kommentatoren unseres Blogs freigestellt, ihren Namen zu nennen."

Nach drei Monaten stellte André fest, dass es bereits über eine Million Zugriffe auf die Website gab - weit mehr als er sich vorgestellt hatte. Eine Million Zugriffe - das entspricht etwa zehn Prozent der portugiesischen Bevölkerung. Auch wenn man berücksichtigt, dass diese Zahl nicht die Zahl der tatsächlichen User wiedergibt, ein erstaunliches Ergebnis. Für André war klar, dass er ein Thema aufgegriffen hatte, das bis dahin in den portugiesischen Medien nicht vorgekommen war. "Wir haben allerdings nicht bei Null angefangen. Ferve ist aus einer früheren Initiative hervorgegangen, die aber völlig unbeachtet geblieben war. Cristina Andrade und ich waren von der Mailänder Bewegung des Prekariats beeinflusst. Wir haben in unserem Blog zum ersten Mal überhaupt in Portugal den Begriff des Prekariats aufgeworfen, der bis dahin in den Medien und der Politik gar nicht vorkam."

Für André, von beruf Journalist, gehört es zum staatsbürgerlichen Selbstverständnis, seine Meinung öffentlich zu machen, Probleme zu benennen und Druck zu erzeugen: "Das ist Demokratie. Journalisten haben einerseits die Verpflichtung zur objektiven Berichterstattung, aber wir sind Staatsbürger wie jeder andere und sollten uns politisch engagieren ohne einer Partei anzugehören." Bereits vor vier Jahren war André einer der Initiatoren des Protestes gegen den Ministerpräsidenten Santana Lopes. 2002, als Stipendiat in Berlin, engagierte er sich in Initiativen zur Integration von Ausländern. "Berlin war ein Schlüsselerlebnis für mich. Ich habe dort eine Protestkultur kennen gelernt, die es in Portugal nicht in dem Maß gab."

Mit "Ferve" hat sich das geändert. Dem Erfolg im Internet folgten Aktionen auf der Straße - und auch die Medien griffen das Thema auf. So entschlossen sich André und seine Mitstreiter - inzwischen hatten sich auch prominente Unterstützer wie der Schriftsteller José Luís Peixoto zur Initiative bekannt - zum nächsten Schritt, einer Petition im portugiesischen Parlament. "Um die notwendigen Unterschriften zu sammeln und zu überprüfen, brauchten wir von diesem Moment an auch finanzielle Unterstützung. Und wir haben es geschafft, das Medieninteresse zu wecken." Am 31. Januar wurde eine Petition mit 5 200 Unterschriften übergeben - und an diesem Tag war "Ferve" zum ersten Mal in den Abendnachrichten.

Die Petition zwang das Parlament, sich mit dem Thema zu beschäftigen. André suchte aber auch den direkten Kontakt zu Abgeordneten aller Parteien: "Wir wollten keine Geisterdebatte im Parlament, deshalb haben wir von dem Zeitpunkt an, als es die Petition gab, mit Politikern aller Parteien gesprochen." Anfangs unterstützte vor allem die sozialistische Regierungspartei PS die Initiative, in der späteren Debatte hat dann vor allem das links-alternative Bündnis BE unseren Standpunkt vertreten."

Ein Ablasshandel

Einige Abgeordnete, darunter der Parlamentspräsident hätten die Initiative anfangs belächelt, erinnert sich André: "Die haben gedacht: Was verstehen diese jungen Leute schon von Politik." Diese Haltung nahm auch die Regierung ein. In einer Fernsehdebatte zum Thema erklärte der Minister für Arbeit und Soziales: "Die Politik wird ihre Aufgaben erfüllen." Wie, das verriet er nicht. Im Parlament lieferten sich Ministerpräsident José Sócrates und der Fraktionsvorsitzende des Linksbündnisses, Francisco Louçã, eine scharfe Debatte, in der der Regierungschef vor allem durch Arroganz glänzte.

Als die Regierung Ende April ein neues Arbeitsgesetz vorstellte, war es einerseits ein schöner Erfolg. Das neue Gesetze ist in Andrés Augen jedoch mangelhaft. So erkennt der vorgelegte Entwurf die Realität der falschen grünen Quittungen nur indirekt an: "Die Regierung führt eine Art Ablasshandel für Arbeitgeber ein, eine Strafsteuer auf die Recibos Verdes und ein Abschlag für Arbeitsverträge. Damit wird das Problem der falschen grünen Qittungen nicht beseitigt, es soll lediglich ein Anreiz geschaffen werden, Arbeitnehmer mit einem ordentlichen Arbeitsvertrag zu beschäftigen."

Für André ist die Initiative noch lange nicht am Ziel.

------------------------------

Neue Regeln

Maßnahmen: Am 27. Juni kündigte Finanzminister Teixeira dos Santos in einer Budgetdebatte an, dass der Staatshaushalt 2009 Maßnahmen und Mittel gegen die Scheinselbständigkeit im öffentlichen Dienst enthalten werde.

Bußgeld: Es werde Anhörungen geben und Fall für Fall untersucht, ob Arbeitsverhältnisse mit falschen Quittungen bestehen, und diese würden in Arbeitsverträge nach dem neuen Gesetz umgewandelt. Ebenfalls wird über "erdrückende" Bußgelder für falsche Quittungen nachgedacht.

http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/archiv/.bin/dump.fcgi/2008/0724/horizonte/0004/index.html

Woki

Ist hier doch gar nicht möglich. Nicht das sich kein Denunziant finden würde (den negativen Beigeschmack ausnahmsweise mal wegdenken).

Zitat"wir wollten ein öffentliches Forum schaffen, in dem die Betroffenen ihre Geschichte erzählen können, aber auch die Arbeitgeber namentlich nennen, die mit falschen grünen Quittungen arbeiten."

Hier würden doch eher kostenpflichtige Abmahnungen hageln...

Zitat"Mit dem Blog haben wir die Möglichkeit geschaffen, Firmen und Institutionen zu denunzieren, die illegal mit Recibos Verdes arbeiten und den Betroffenen trotzdem Anonymität zu garantieren"

...und hier würde dann vermutlich die Störerhaftung greifen, wenn ein anonymer "Denunziant" nicht zu ermitteln ist.
Fullquote ist ganz schlechter Stil...  :P

  • Chefduzen Spendenbutton