Wohlfahrtsverband: Arbeitslosengeld II schützt nicht vor Armut

Begonnen von Wilddieb Stuelpner, 22:45:54 Di. 21.Dezember 2004

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Wilddieb Stuelpner

Reuters Deutschland: Wohlfahrtsverband: Arbeitslosengeld II schützt nicht vor Armut

Montag 20 Dezember, 2004 13:48 CE

Berlin (Reuters) - Das Arbeitslosengeld II und die Sozialhilfe sind nach Einschätzung des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes zu niedrig und können ein Leben der Betroffenen in Armut und Ausgrenzung nicht verhindern.

Der Bundesregierung warf der Verband am Montag zudem vor, den Bedarf der Betroffenen nach Kassenlage klein gerechnet zu haben.

Die gegenwärtige Höhe sei "nicht annähernd geeignet, bittere Armut und Ausgrenzung zu verhindern", sagte die Verbandsvorsitzende Barbara Stolterfoht. Der von Januar 2005 an geltende Regelsatz von 345 Euro im Monat müsse um 19 Prozent auf 412 Euro steigen und im Osten und Westen Deutschlands gleich hoch sein. Das Bundeswirtschaftsministerium wies diese Forderung zurück. Die Bundesregierung beharrte auf ihrer Darstellung, dass der neue Regelsatz die Situation der Betroffenen verbessere.

VERBAND: MANIPULATIVER UMGANG MIT DATENLAGE

Ab Jahresanfang 2005 erhalten im Zuge der Hartz-IV-Reform etwa zwei Millionen bisherige Arbeitslosenhilfeempfänger und rund eine Million erwerbsfähige Sozialhilfeempfänger das neue Arbeitslosengeld II. Die Sozialhilfe für nicht Erwerbsfähige wird neu geregelt und wie das Arbeitslosengeld II auf monatlich 345 Euro im Westen und 331 Euro im Osten festgelegt.

Als "schlicht falsch" wies der Verband die Darstellung der Bundesregierung zurück, wonach sich Sozialhilfebezieher durch die Neuregelung zumeist finanziell besser stellten. In der Summe ändere sich für den Erwachsenen so gut wie nichts, erklärte der Verband. Aber sie müssten nun Zuzahlungen wie die Praxisgebühr leisten. Verlierer seien ältere Kinder, die mit deutlich weniger auskommen müssten. Das Regelsatzniveau für Kinder zwischen acht und 14 Jahren werde um 10,6 Prozent gesenkt. Jugendliche ab 14 Jahren müssten mit 12,5 Prozent weniger auskommen.
Der Verband warf der Bundesregierung einen unseriösen und manipulativen Umgang mit den statistischen Grundlagen vor. Der Bedarf der Betroffenen sei willkürlich kleingerechnet worden. "Dies ist eine Regelsatzbemessung nach Kassenlage", sagte Stolterfoht. Finanziert werden könne eine Anhebung durch Abbau von Steuervorteilen wie Ehegattensplitting und Eigenheimzulage.

MEHR KINDER FALLEN UNTER ARMUTSSCHWELLE

Verbands-Hauptgeschäftsführer Ulrich Schneider sprach von einem gezielten Kleinrechnen. Als Beispiel nannte er die Ausgaben für Bekleidung. Die zu Grunde gelegte Einkommens- und Verbrauchsstatistik für untere Einkommensschichten weise hierfür einen Monatsbedarf von 25,70 Euro aus. Die Bundesregierung habe diese Position um zehn Prozent gekürzt mit der Begründung, dass darin theoretisch auch Maßkleidung und Pelzmäntel enthalten sein könnten, die einem Sozialhilfebezieher nicht zustünden. Mit dem gleichen Argument seien die monatlichen Ausgaben für Schuhe von 7,61 auf 6,09 Euro gekürzt worden. Für Schreibwaren und Zeichenmaterial für Schulkinder sehe der Regelsatz 1,33 Euro monatlich vor, sagte Schneider. Für Zoo, Theater, Schwimmbad, Kino oder Kinderzirkus stünden 2,78 Euro im Monat zur Verfügung.

Mit dem Wegfall der Arbeitslosenhilfe könnte die Zahl der Kinder unterhalb der Armutsschwelle drastisch steigen, warnte Schneider. Bereits heute lebten 1,1 Millionen Kinder auf Sozialhilfeniveau. Diese Zahl könne um 460.000 steigen, wenn es nicht zügig gelinge, eine beträchtliche Zahl der betroffenen Haushalte in Arbeit und Gelderwerb zu bringen. "Jedes zehnte Kind würde dann auf diesem kümmerlichen Niveau leben müssen, das ihm der Regelsatz-Verordner gerade noch zugesteht", erklärte Schneider. Der neue Kinderzuschlag stelle die betroffenen Familien kaum besser als die Bezieher von Arbeitslosengeld II.

counselor

ZitatIM NACHTRAB - »Fern der Lebensrealität«

Geplante Hartz-IV-Erhöhung: Soziales Bündnis wirft Bundesregierung fortgesetzte Ignoranz vor

Miete, Strom, Lebensmittel, Telefon, Nahverkehr, ein Mindestmaß an politischer und kultureller Teilhabe: Das soll die sogenannte Grundsicherung jedem gewähren. Soll, denn die Regierenden scheinen weiter wenig daran interessiert zu sein, dass die Bezüge mit den realen Lebenshaltungskosten übereinstimmen. Nun hat Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) einen Gesetzentwurf für die Ermittlung der Regelsätze vorgelegt. Dieser wirft erneut viele Fragen auf. Als »völlig unzureichend« und weiterhin sanktionsbewehrt kritisierten am Dienstag der Paritätische Wohlfahrtsverband und der Verein »Sanktionsfrei« in einer Pressekonferenz zum Start ihrer gemeinsamen Kampagne »Hartz-Facts«.

Quelle: https://www.jungewelt.de/artikel/381760.im-nachtrab-fern-der-lebensrealit%C3%A4t.html
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