Die Hoffnungen auf die 1-Euro-Jobs

Begonnen von Wilddieb Stuelpner, 22:25:42 Di. 04.Januar 2005

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Wilddieb Stuelpner

MDR, Sendung "exakt": Die Hoffnungen auf die 1-Euro-Jobs

exakt extra vom 04.01.2005

Manuskript des Beitrages von Sascha Adamek, Andrea Besser, Kristina Ehrlich

Rund eine halbe Million ALG II-Empfänger sollen zukünftig ihr Einkommen durch 1-Euro-Jobs aufbessern können. Doch dabei soll es nicht nur um ein Zubrot für Betroffene gehen.

Noch ist Zeit zum frühstücken, um 10 muss Ute Paul zum Bewerbertermin. Es geht um einen Ein-Euro-Job bei einem gemeinnützigen Verein, viel mehr weiß sie noch nicht. Seit der Wende hat die gelernte Bürokauffrau auf dem Arbeitsmarkt nie wieder richtig Fuß gefasst. Die Aussicht auf einen Job, wenn auch nur für einen Euro, ist da schon ein Lichtblick.

O-Ton: Ute Paul

"Ich denke mal, dass ich es machen werde, schon um raus zu kommen. Denn in den Wintermonaten ist es dunkel, die Sonne fehlt. Man ist sowieso etwas depressiver, sag ich mal, als normal."

Unter Leute kommen - der eine Grund, aber auch Geldsorgen hat die 47jährige. Denn laut ihrem Hartz IV-Bescheid muss Ute Paul nun mit 120 Euro weniger im Monat auskommen. Die Rentenversicherung hat sie bereits gekürzt. Die Zeitung wird sie abbestellen. Trotzdem drücken Rechnungen

O-Ton: Ute Paul

"Ich brauch ja das Geld, ich muss ja meinen Bedarf decken. Ich hab ja sonst immer ein Minus auf dem Konto."

10 Uhr, die Infoveranstaltung bei der Augsburger Gesellschaft. Der Bildungsträger hat 24 Interessenten eingeladen. Sie erfahren zunächst: Die Maßnahme heißt "Textiles Gestalten". Sozialpädagogin Ina Kasper versucht zu erklären, was sich dahinter verbirgt: Puppenkleider nähen für Kindergärten, Faschingskostüme basteln. Besondere Fertigkeiten werden dafür offensichtlich nicht erwartet.

O-Ton: Ina Kasper

"Gibt's irgend jemand, der sagt, das kann ich überhaupt nicht, das will ich nicht. Ich guck mal den Herrn an. Sind sie nähbegabt?"

"Ich hab das schon mal was zu tun gehabt, aber..."

"Also sie wären nicht der einzige Mann..."

Ihre Arbeitszeit von 20 Stunden pro Woche können sich die Bewerber flexibel einteilen. Pro Stunde gibt es einen Euro, macht 80 Euro Zuverdienst im Monat. Die will sich keiner entgehen lassen. Jetzt sind alle gespannt, was in der Praxis auf sie zukommt.

O-Ton: Ina Kasper

"Gibt's jetzt irgend jemand, der gar kein Interesse hat? Der das gar nicht machen möchte? - Niemand! Das ist doch super. Dann gilt für sie alle der dritte Januar als ihr erster Tag in dieser Arbeitsgelegenheit."

Manuela Zimmermann ist schon seit November als Ein-Euro-Jobberin in einer Fahrradwerkstatt der Diakonie beschäftigt.

O-Ton: Manuela Zimmermann

"Ein Euro ist zwar nicht viel, aber es ist besser als gar kein Geld, weil ich brauch immer Geld. Und dann hab ich mir ja mit Absicht ja das ausgesucht, weil ich Interesse daran habe, weil das mir das Spaß macht. Von daher hab ich gesagt, das mach ich."

Die 24jährige hat eine abgeschlossene Ausbildung zur Verkäuferin in einem Baumarkt. Doch in den letzten vier Jahren konnte sie keine feste Arbeit finden. Durchgeschlagen hat sie sich mit Nebenjobs, zum Beispiel als Zeitungsausträgerin. Ihr neuer Chef Matthias Gosse sorgt jetzt für die angestrebte Qualifizierung. Die Idee, dass durch Hartz IV Jugendliche besonders gefördert werden sollen, findet er gut.

O-Ton: Matthias Gosse

"Da die ja doch was lernen, und sehen, also ich kann mir auch über den Ein-Euro-Job vielleicht doch noch eine andere Perspektive aufbauen, weil eben irgendwas nicht geklappt hat, oder, oder. Oder bzw. wie es bei Manuela ist, weil die im Baumarkt gearbeitet hat, dass die sich im Prinzip auch noch ein bisschen Fachwissen angeeignet hat."

Dass aus Manuela Zimmermanns Ein-Euro-Job tatsächlich eine Tätigkeit auf dem ersten Arbeitsmarkt wird, ist fraglich. Doch die 24jährige ist fest entschlossen.

O-Ton: Manuela Zimmermann

"Ich wünsche mir auf jeden Fall einen festen Job, keine Nebenjobs mehr, was ich halt mit Fahrrädern oder Motorrädern zusammenbauen kann. Dass ich halt in den Verkauf komme, zu Fahrrädern. Muss aber halt ein fester Job sein, und ich glaube auch, dass ich das schaffe."

Bei Veronika Scilingo hat es nicht so gut geklappt - ihr erster Ein-Euro-Job war schnell vorbei. In einer ehemaligen Wartungshalle für Lokomotiven in Berlin sollte sie bei Aufräumarbeiten mitmachen. Doch gleich am zweiten Tag tritt sie sich auf einem Schutthaufen einen Nagel ein.

O-Ton: Veronika Scilingo

"Sicherheitsschuhe hatte ich also gar keine. Denn die waren für mich noch nicht da. Sie seien wohl bestellt, aber für so kleine Füße ein Problem."

Mit ihrem immer noch geschwollenen Fuß holt Veronika Scilingo jetzt nur noch ihre Sachen. Das ehemalige Bahngelände soll in einen Natur- und Industriepark verwandelt werden. Somit wird die Baustelle zum gemeinnützigen Projekt und der Einsatz von Ein-Euro-Kräften begründbar. Als Veronika Scilingo den Bescheid von der Arbeitsagentur bekam, ging sie eigentlich noch von einer harmlosen Tätigkeit aus. Die Rede war unter anderem von Laubbeseitigung und leichten Holzarbeiten. Dann jedoch der Schock.

O-Ton: Veronika Scilingo

"Ich hab eigentlich gedacht, mich trifft der Schlag. Mich trifft wirklich der Schlag. Bauschutt, Müll, Gestank, nach abgestandenem Rauch und Dampfwolken, und alles so schwarz und schmutzig."

An ihrem ersten Tag stellt sich außerdem heraus – unter dem Schutt liegen giftige Teerpappen, und auch Asbestreste werden vermutet. Schutzkleidung für die Ein-Euro-Beschäftigten gibt es nicht.

Eingesetzt wurde Veronika Scilingo von der Beschäftigungsgesellschaft Inab, einem Tochterunternehmen des Deutschen Gewerkschaftsbundes.

(Meine Anmerkungt: Gewerkschaftsableger und schlechte Arbeitsbedingungen - wie verträgt sich das? Gehts nur ums Geschäft wie bei der Verteilung des Bildungskuchens der Bundesagentur für Arbeit hinsichtlich der Fortildungs- und Umschulungsmaßnahmen?)

Inab ist zuständig für die Arbeitsbedingungen auf der Baustelle. Wir konfrontieren den Leiter des Beschäftigungsträgers mit den Vorwürfen.

O-Ton:

"Wir werden zum jetzigen Zeitpunkt noch kein Interview geben dazu."

Frage: "Auch dazu nicht, dass sie die Leute mit Asbest haben hantieren lassen?"

"Ich kann Ihnen zu der ganzen Sache gar nichts sagen zurzeit."

Das für Veronika Scilingo verantwortliche Unternehmen schweigt. Und kassiert auch weiterhin Pauschalen für die Ein-Euro-Beschäftigten, pro Kopf satte 300 Euro im Monat. Immerhin – jetzt geht die zuständige Arbeitsagentur der Sache nach. Sie teilte Veronika Scilingo auch mit, dass sie nicht mehr bei Inab arbeiten muss. Sie sucht jetzt eine neue Stelle.

Gestern früh, 8 Uhr. Ute Paul startet in ihren Ein-Euro-Job "Textiles Gestalten".

O-Ton:

"Guten Morgen! Gesundes Neues, gesundes Neues!"

Heute geht es um eine erste Einweisung. An diesen Nähmaschinen sollen sie künftig arbeiten. Doch noch gibt es nichts Konkretes zu tun. Ab morgen sollen die Teilnehmer erst mal improvisieren – mit Altkleidern.

O-Ton: Ines Kasper

"Und das ist zum Beispiel so was, was wir auch morgen machen können. Uns diese ganzen Sachen vornehmen, was kann man noch damit machen, kann man das waschen, kann man das raus geben in den Kramladen, der ist hier nebenan, dass sich die Leute das dort mitnehmen oder zerschneiden wir's und machen ein schickes Kostüm draus, wenn man mal Wiese spielen will oder so."

Herr Kobelt, der einzige Mann in der Gruppe, hat schon recht praktische Vorstellungen.

O-Ton: Ines Kasper

"Sonst noch Fragen? Herr Kobelt?"

O-Ton: Maßnahme-Teilnehmer

"Kann man sich auch selbst so 'ne Hose zusammen nähen?"

O-Ton: Ines Kaspar

"Wenn sie das dann können, machen wir das. Sicherlich!"

Also alles ist möglich. Immerhin 2 Euro haben Ute Paul und ihre Mitstreiter an ihrem ersten Tag verdient.

O-Ton: Ute Paul

"Also die Erwartungen waren vielleicht etwas größer für heute denk ich mal, aber das ist sicher am Anfang so. Ich nehme an, wenn jetzt das dann diese Woche läuft, dass dann ein Rhythmus rein kommt, wenn man dann weiß, was man zu tun hat. Und dann denk ich, Ist das ok."

zuletzt aktualisiert: 04. Januar 2005 | 21:37

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