Krank+in ungeeigneten Job gepresst?

Begonnen von Alan Smithee, 08:39:39 Di. 17.November 2009

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Alan Smithee

Mich würde mal interessieren, ob es mittlerweile gang und gäbe ist, Leute mit einer nachgewiesenen Erkrankung und/oder Behinderung in einen unpassenden Job / Massnahme zu pressen.

In meinem Bekanntenkreis gibt es einige Leute, die obwohl sie Atteste von ihren Ärzten dem medizinischen Dienst zur Verfügung gestellt haben, und der med. Dienst auch ein entsprechendes Gutachten verfasst hat, trotzdem in für sie ungeeignete Jobs / Massnahmen gepresst worden sind. Um aus der Sache sanktionsfrei zu kommen, mussten sie wieder zu Ärzten rennen. Die SB ignorieren (wissentlich oder unwissentlich??) einfach das vom med. Dienst erstellte Leistungsbild :o

Das Ganze ist für Menschen, die eh schon genug Probleme haben eine wahre Tortur. Wehe dem, der die Kraft und Energie dazu nicht mehr hat! X(


...still dreaming of electric sheep...

Alan Smithee

Damit keine Missverständnisse aufkommen: ein kleiner Nachtrag zur Definition "Krank" : Hier sind chronische Erkrankungen gemeint, also keine Arbeitsunfähigkeit im eigentlichen Sinne.

Die Leute haben durch eine chronische Erkrankung gewisse Einschränkungen in ihrem Leistungsbild. Dieses wird dann einfach bei der Voraussetzung und Zuteilung bzw. Stellenvorschlag für eine Arbeit / Massnahme  ignoriert.

Was die Maßnahmen betrifft: es mag wohl sein, dass die schwammigen Erklärungen über die Maßnahmeinhalte dazu führen, dass die SB auch nicht genau bescheid wissen, was dort eigentlich von den Leuten verlangt wird. Allerdings habe ich den Eindruck, dass die Maßnahmeträger auch nie im Vorfeld  so genau wissen, wie und wo sie ihre "Probanden" unterkriegen.  8o 

-Daher wohl auch das allgemeine BlaBla, was die Maßnahmeinhalte betrifft.

Und was die Stellenbeschreibungen für die Vermittlungsvorschläge betrifft, verhält es sich in den meisten Fällen leider ähnlich...

Was die Sache aber keinesfalls entschuldigt!  X( Leidtragender ist immer der so durch Sanktionen und Mitwirkungspflicht genötigte "Proband"
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Mundstuhler

Genau das selbe ist mir auch widerfahren.

Chronische Knochengeschichte, dem Amt seit 15 Jahren bekannt + hinreichend attestiert. Auf Attest folgt Einladung zum Amtsarzt, danach irgendeine schwachsinnige `Maßnahme` mit der Begründung "Wir müssen doch sehen was sie noch leisten können", anschließend eine Einladung zum Geplapper und dann meint dieses Stück Scheißdreck:

"Ja, haben Sie denn ein ärztliches Attest?"

"Gehts noch? Ist hionreichend bekannt!"

"Attest ist schon fast 2 Jahre alt!"

"Das ist ja wohl ihre Schuld und nicht meine!"

"Werden Sie mal nicht frech!"

"WAS IST LOS?"

usw. usf.

Einspruchsmöglichkeiten? Ja, selbstverständlich. Auf dem Verwaltungsweg. Ha Ha.


Drecks Politiker Gesindel interessiert das sowieso einen Dreck, als Krüppel ist man eben nicht mehr wert als ein zerbrochenes, bepisstes Schaukelpferd.



Um auf die Eingangs gestellte Frage zurückzukommen:

Ja, das ist allgemeine Praxis. GFA Mitarbeiter führen sich auf wie KZ (bzw. Internierungslager-) Aufseher.

Eine verständliche Reaktion hierauf wäre wohl dem Schreibtischgegenüber eine (oder zwei oder drei oder zehn) zwischen die Augen zu verpassen.



Alan Smithee

Hallo, @ Mundstuhler

vielen Dank für deine Antwort. Finde ich richtig Sch..... , was bei dir passiert ist. Aber das bestätigt meinen Verdacht, dass sich die entsprechenden Sachbearbeiter nicht im Geringsten um ärtzliche Gutachten /  Leistungsbilder scheren. >:( >:( >:(

Da frage ich mich, warum überhaupt dieser Daten-Striptease, wenn trotzdem gegen das Leistungsbild verstossen wird??? :o :o :o

Und dass Maßnahmeträger durch die Maßnahme an sich an Diagnosen /  Krankheitsverläufe kommen, ist sowieso rechtlich nicht nachvollziehbar.

Das muß man weiterverfolgen!!!!
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Crazy_Jules

Jo das ist mir auch schon passiert..... ich bin schon seit 10 jahren krank, seit ich kind gewesen bin und kämpfe gegen meine chronische erkrankung an. Im Septermber wurde ich krank geschrieben, weil es körperlich einfach nicht mehr ging und was macht die blöde Plschkuh von SB steckt mich in ne Maßnahme die Körperlich zu anstrengend für mich war und mich noch weiter innen burn out getrieben hat, obwohl mein neurologe nen ausführliches Attest hingeschickt hat. Die meisten SB´s haben erstens keinen Plan davon, was es heißt chronisch krank zu sein und immer auf medikamente und nen Arbeitsplatz angewiesen zu sein, der einen so eben am Leben erhält und man sich trotzdem abquält.
Fallen ist menschlich, liegen bleiben ist feige....

Morgaine

Also, meine Ärtzin hat mir ein ausführliches Attest geschrieben, weswegen ich nicht an meinen alten Arbeitsplatz zurückkehren muss, sollten die mich im Frühjahr wieder anfordern (bin zum 1.12. entlassen worden). Diesen habe ich auch zum ersten Gespräch bei meiner SB mitgenommen. Die las sich das kurz durch und meinte dann "Ich bin kein Arzt". Wollte damit wohl sagen, dass sie nichts von dem, was meine Ärztin geschrieben hat, verstanden hat, obwohl es eigentlich recht verständlich formuliert war. Traurig!

LG, Morgaine

Carpe Noctem

Zitat von: Morgaine am 16:46:44 Di. 15.Dezember 2009
"Ich bin kein Arzt". Wollte damit wohl sagen, dass sie nichts von dem, was meine Ärztin geschrieben hat, verstanden hat

Ich glaube eher, die SB wollte damit sagen "Ich kann das nicht beurteilen", was eine Beschönigung des Vorwurfes darstellt, es handele sich um ein Gefälligkeitsattest. Im schlimmsten Fall führt dies zu einer Überprüfung deines Gesundheitszustandes durch einen Amtsarzt nach Weisung durch die AfA. D.h. es kann dir passieren, dass du eine Vorladung zum Gesundheitsamt bekommst. Da musst du dann auch hingehen.

Grüsse - CN
Art. 1 GG: "Die Menschenwürde steht unter Finanzierungsvorbehalt"

Morgaine

ZitatIm schlimmsten Fall führt dies zu einer Überprüfung deines Gesundheitszustandes durch einen Amtsarzt nach Weisung durch die AfA. D.h. es kann dir passieren, dass du eine Vorladung zum Gesundheitsamt bekommst. Da musst du dann auch hingehen.

Ja, sowas hat sie schon angedeutet...  :(

Alan Smithee

Normalerweise geht ein Attest den Sachbearbeiter gar nichts an. Ob du Depressionen hast oder sonst eine Erkrankung. Manche wollen auch gar nicht das Attest lesen, sei denn aus Sensationsgeilheit. Aber mittlerweile werden die immer neugieriger.. Genügt, wenn du sagst, du bist in ärztlicher Behandlung und hast ein Attest, deine Leistungsfähigkeit ist durch eine Erkrankung eingeschränkt. Ein SB hat mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit  keine medizinische Ausbildung, kann also echt kein Urteil darüber bilden, was bei dir geht und was nicht.  Ausschlaggebend ist, dass der SB dich beim Medizinischen Dienst anmeldet. Keine Angst; sowas dauert in der Regel ne Zeit bis du einen Termin bekommst, die sind komplett überlastet - wohl genug Leute, die erst in oder durch Arbeitslosigkeit richtig malade werden ;(

Dann gehst du also zum Termin, mit deinem Attest. Kann sein, dass der Arzt dort noch weitere Unterlagen von deiner Ärztin möchte; allerdings steht der Arzt gegenüber der A-Amt oder Arge gegenüber in der Schweigepflicht. D.H. er erstellt ein Leistungsbild, wo lediglich drinsteht: darf soundsoviel Stunden arbeiten, nur soundsoviel Kilo heben, das und das geht nicht. Warum und weshalb geht den SB nix an. Ich bin aber schon an ein Exemplar von Sachbearbeiterin gelangt, die wollte mir unbedingt die Diagnosen aus der Nase ziehen. Habe gesagt: ärtzliche Schweigepflicht, schauen sie sich das Leistungsbild an, das ist alles, was sie brauchen.

Weil: eine Bekannte von mir hat auch was psychisches: Angststörungen mit sozialen Phobien. Das ist zum Teil so schlimm, dass sie nicht aus dem Hause unter Leute kann. Das wusste ihr SB. Und was macht er? Schickt die arme in eine Maßnahme in einem Sozialunternehmen, wo sie vor vielen Mitteilnehmern Vorträge halten musste und "freies Reden" geübt wurde! Sie hat das 2 Tage ausgehalten, dann hat sie das total in ihre Krankheit zurückgeworfen. Auch z.B Drogen- oder Alkoholabhängige werden in so genannte Sozialunternehmen geschickt, Maßnahmen explizit für diese Erkrankungen.

Das mag für manche ja hilfreich sein (siehe Anonyme Alkoholiker o.ä.) aber manche wollen dazu nicht gezwungen werden, sich zu "outen" schon mal gar nicht vom ARGE oder A-Amt; sowas muss auf freiwilliger Basis geschehen, sonst bringts bestenfalls gar nix; schlimmstenfalls fühlt sich der Kranke ausgenutzt und vergewaltigt, und fängt erst recht wieder mit Drogen oder Alk an. Und dass dann auch noch der Maßnahmeträger von der Erkrankung schon mal durch die Zuteilung durch das Amt erfährt, ist mehr als grenzwertig.

Leider Gottes fühlt sich das A-Amt oder ARGE mittlerweile für befugt, "soziale oder gesundheitliche Vermittlungshemmnisse" durch diese Maßnahmen zu "kurieren". Deshalb vorsichtig mit Diagnosen oder Krankheitsbilder mitteilen. Das macht viele Leute erst recht kaputt  :o

...still dreaming of electric sheep...

schwarzrot

ZitatDas mag für manche ja hilfreich sein (siehe Anonyme Alkoholiker o.ä.) aber manche wollen dazu nicht gezwungen werden
Bei suchttherapie ist es gerade wichtig, dass die betroffenen wirklich aus eigenen stücken eine besserung anstreben. Ansonsten kannst du die therapie gleich vergessen.

Leider haben das viele bürgerliche noch immer nicht kapiert.
Meiner meinung nach kommt das daher, weil die meissten die meinen zwang würde heilend wirken, selbst in ihrem leben zwangserfahrungen machen mussten und diesen dann rückwirkend und in ermangelung anderer, positiver erlebnisse, als vergangenheitsverdrängung verklären.
"In der bürgerlichen Gesellschaft kriegen manche Gruppen dick in die Fresse. Damit aber nicht genug, man wirft ihnen auch noch vor, dass ihr Gesicht hässlich sei." aus: Mizu no Oto

Wieder aktuell: Bertolt Brecht

Alan Smithee

...und der Clou an der ganzen Geschichte ist: es wird auch noch zwischen "guten Kranken" und "selbstverschuldeten Kranken" differenziert. Genauso, wie man zwischen Arbeitslosen, die "ihr Leben lang gearbeitet haben" und solchen, "die bis jetzt noch gar nix geleistet haben" in den Medien hervorhebt. Dass letztendlich alle im gleichen Topf landen, interessiert bis jetzt keinen, der die Medien für voll nimmt.

Bei Kranken / Schwerbehinderten ist es so: ich habe z.B. das "Glück", schon mit einer Behinderung geboren zu sein, und die daraus resultierenden Folgeerkrankungen sind auch "nachvollziehbar". So konnte der Med. Dienst auch nix anderes feststellen, als all meine Ärzte mir schon attestiert haben.

Allerdings bin auch ich schon in Maßnahmen gelandet, die absolut kontraproduktiv für mich waren, weil die "Sozialunternehmen", wo das stattgefunden hat, absolut unqualifiziertes Personal hatten, angefangen von den "Dozenten" bis hin zu irgendwelchen 20-jährigen Sozialpädagogen, die gut meine Kinder sein könnten, und die kloppen einen dann mit ihrem frisch gelehrten Bachelor-Quatsch zu...null Erfahrung im eigenen Leben, meist verklärt, da aus besserem Elternhaus...und dann wird man auch noch in Praktikas (unbezahlt) gedrückt, egal wo und egal, ob man das überhaupt kann, hauptsache der Maßnahmeträger definiert das der ARGE als Erfolg..

Richtig übel geht es den "selbstverschuldeten Kranken" z.B. Suchterkrankte, Diabetiker aufgrund Übergewicht (was eigentlich auch eine Sucht ist) e.t.c.

Da wird dann auf Deubel komm raus in diesen Maßnahmen "therapiert". Nach dem Motto: euch machen wir Beine, wir beschäftigen euch mit irgendeinem Lall, dann habt ihr erst gar keine Zeit für euren Blödsinn. Und macht ihr nicht mit: Sanktion. Dann habt ihr auch kein Geld für euren Blödsinn. (Sie wollen doch nur helfen.. :baby:)

Übel geht es auch so manchen psychisch Kranken. Die meisten sind erst aufgrund der Arbeitsmarktsituation (mobbing, Druck, Kündigung) in solch eine Situation geraten. Aber da wird dann schnell unterstellt, dass man nur deshalb zum Psychater rennt, um den bösen Ämtern zu entkommen...

Wie man es dreht oder wendet: echte Hilfe kriegt man von staatlicher Seite bestimmt nicht. Und vor allem ist nix, aber auch gar nix dahingegen von A-Amt oder ARGE zu erwarten. Wenn schon junge, gesunde Menschen mit guter Ausbildung keine Jobs finden, wie soll dann bitteschön ein Kranker / Behinderter unterkommen. Und die Unternehmen, die dazu bereit sind, sind auch nur so lange "sozial", wie dass die Gelder vom Staat als ordentlicher Lohnzuschuss fließen. Danach: tschüss.
...still dreaming of electric sheep...

Carpe Noctem

Hallo Alan,

mit der grössten Genugtuung lese ich deine Beiträge hier. Besser kann man das was du sagst wirklich nicht ausdrücken. So klar und deutlich muss man das sehen, die ARGE schwingt sich quasi zum Rehaunternehmen auf. Die Erwerbslosenindustrie verdient sich dumm und dämlich an Menschen mit Beeinträchtigungen.

So rechtssicher es ist dass die Diagnosen die ARGE nichts angehen, so riskant kann das aber unter Umständen auch sein, leider. Merkt der SB nämlich dass man irgendwie "deviant" oder "pathologisch" wirkt (in den Sozialbehörden wird das gerne als "psychisch auffällig" deklariert, weil man keine Diagnosen stellen darf und seine klammen Eindrücke irgendwie in dürre Worte fassen will), kann es zu einem Termin in der Zwangsberatung des Sozialpsychiatrischen Dienstes kommen. Dieser Termin findet bei einem psychiatrisch fortgebildeten Sozialarbeiter statt, der dann der ARGE berichtet. Ich habe den Eindruck gewonnen, das könnte die Vorstufe zu einer Untersuchung beim MD sein, zwecks Kaputtschreibung in die GruSi gem. SGB XII. Ganz genau konnte ich das aber nicht herausfinden. Exakt auf dem selben Wege, nämlich per Zwangsberatung, werden offnekundig substanzkonsumierende Leistungsbezieher auch zur kommunalen Suchtberatungsstelle geschickt. Dass Zwang - abgesehen vielleicht von Massnahmen gem. §§ 35, 36 BtMG - bei Sucht nicht helfen, steht ausser Frage. Was nicht ausser Frage steht ist die kommunale Finanzierung dieser Stellen, woraus sich deren Kooperationsbereitschaft mit der ARGE ergibt.

Es kann Menschen mit Beeiträchtigungen nur geraten werden, sich stets der Unterstützung fachkundiger Stellen (Arbeitsloseninitiative u.ä.) zu versichern, damit nervtötende, sinnlose und diskriminierende Massnahmen in der Erwerbslosenindustrie gar nicht erst erfolgen. Diese basieren ausnahmslos auf den Inhalten der eGV, welche von daher strikt abgelehnt werden müssen!

Das freiwillige Aufsuchen fachlicher Hilfen muss hingegen möglich sein, hier ist das System gefragt. Ich kenne viele Menschen, die im standardisierten Hilfesystem durch die Lücken fallen. Man sollte sich künftig stärker darauf konzentrieren diese Lücken zu schliessen, als die Probleme derjenigen zu vermarkten, die mit dem bestehenden System nicht zurecht kommen oder damit gar nichts anfangen können.

Grüsse - CN
Art. 1 GG: "Die Menschenwürde steht unter Finanzierungsvorbehalt"

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