DLF-Magazin: Alles was Recht ist - Schlechte Zeiten für Arbeitnehmer?

Begonnen von Kater, 11:36:41 Do. 10.Dezember 2009

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Kater

Deutschlandfunk DLF-Magazin, 10.12.2009 19:15 Uhr

ZitatSchwerpunkt: Alles was Recht ist - Schlechte Zeiten für Arbeitnehmer?

Frikadellen und andere Bagatellen - Wofür Menschen in Deutschland entlassen werden

Überleben mit 400 Euro - Der Alltag mit Minijob

Recht auf Gleichheit - Das Anti-Diskriminierungsgesetz in der Praxis

Nachgefragt: Länger lernen - Wie steht es um die Ganztagsschule?

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Kater

ZitatFrikadellen und andere Bagatellen
Wofür Menschen in Deutschland entlassen werden
Von Ilka Platzek

Einem Mitarbeiter wird gekündigt, weil er sein Handy am Arbeitsplatz aufgeladen hat; eine Mitarbeiterin entlassen, weil sie Pfandbons für 1,30 Euro eingesteckt haben soll. Das Betriebsklima ist frostig geworden in Deutschland. Schikanen am Arbeitsplatz gehören zum Alltag.

Die Wirtschaftskrise wird täglich beschworen und in den Betrieben geht die Angst um: Wer Arbeit hat, auch wenn es nur ein Minijob ist, will sie nicht verlieren. Deswegen schweigen die meisten Betroffenen, wenn sie vom Chef unter Druck gesetzt werden. Auch Maria Gonzales mag nur unter falschem Namen reden: Sie ist zurzeit auf 400 Euro Basis in einem Schnellimbiss beschäftigt. Dort passierte ihr kürzlich ein kleines Missgeschick: Beim Essenzubereiten rutschte ihr das Schneidebrett weg und beschädigte ein teures Küchengerät. Ihr Chef reagierte sofort.

"Der hat mich gefragt, ob ich Haftpflichtversicherung habe, und ich habe gesagt: Ja - und dann er hat mir gesagt: Wir sehen weiter, wie das ist."

Als sie am nächsten Tag zur Arbeit kam, hatte der Chef bereits gehandelt.

"Der Handwerker war schon da und dann, als die Rechnung ausgestellt war: Es kostet über 200 Euro."

Maria Gonzales ist alarmiert. Bisher hat ihr Chef sie noch nicht aufgefordert, den Schaden zu übernehmen, aber sie weiß aus eigener Erfahrung, dass er seine Mitarbeiter gerne zur Kasse bittet.

"In unserer Firma, wenn Geld fehlt, zum Beispiel 20, 30 Euro, dann wir müssen alles bezahlen. Wenn wir drei Leute da sind, dann müssen wir das alles teilen."

Manfred Sträter weiß, dass das kein Einzelfall ist. Er ist Geschäftsführer der Gewerkschaft Nahrung/Genuss/Gaststätten NGG in Dortmund und seit über 20 Jahren ehrenamtlicher Richter am Landesarbeitsgericht in Hamm.

"Häufig versuchen Arbeitgeber, ihr Risiko auf die Arbeitnehmer abzuwälzen. Das ist im Arbeitsrecht so nicht vorgesehen. Eine Haftung erfolgt immer dann, wenn ich etwas grob fahrlässig oder vorsätzlich kaputtmache. Welcher Arbeitnehmer aber macht das schon - und in einem Restaurant erfolgt so etwas eher nicht."

Grob fahrlässig sei es, wenn ein Berufskraftfahrer betrunken Auto fährt oder die rote Ampel ignoriert. Wenn aber Maria Gonzales während der Arbeit unabsichtlich etwas zu Bruch geht, haftet der Chef beziehungsweise dessen Versicherung. Auch wenn Geld in der Kasse fehlt, kann der Arbeitgeber den Fehlbetrag nicht einfach vom Lohn abziehen, erklärt Sträter.

"Er kann nicht einfach behaupten: Ihr fünf wart das, sondern es muss tatsächlich bewiesen werden, und dann kommen wir wieder zu dem Bereich fahrlässiges Handeln - und erst dann käme man in den Bereich, in dem man möglicherweise mitbezahlen müsste."

Grundsätzlich gilt: Je niedriger das Einkommen des Arbeitnehmers ist, desto geringer fällt seine Beteiligung am entstandenen Schaden aus. Fakt ist aber auch, dass viele Arbeitnehmer das nicht wissen und lieber zähneknirschend zahlen. Hauptsache, man behält den Job. Da kann es dann schnell passieren, dass ein Minijobber mit einem Einkommen von 400 Euro einen Schaden von 200 Euro bezahlt, also faktisch einen halben Monat umsonst arbeitet. Manfred Sträter räumt ein:

"Die Dunkelziffer für uns ist relativ groß. Diejenigen, die auf diese Weise bestraft werden, melden sich nicht in jedem Fall."

Als langjähriger Rechtsberater der Gewerkschaft NGG weiß Sträter, dass es noch diverse andere Schikanen gibt. So müssen immer mehr Menschen scheinbar selbstverständlich unbezahlte Arbeit leisten. Schon dem Minijob-Anwärter im Imbiss kann es passieren, dass er eine Woche lang zur unbezahlten Probearbeit herangezogen wird. Insbesondere Verkäuferinnen und Verkäufer seien betroffen.

"Viele Verkäuferinnen im Bäckerhandwerk von denen wird verlangt, das sie vor Beginn der Ladenöffnung natürlich schon die Brötchen aufbacken, damit der Kunde dann ein frisches Brötchen hat. Das bedeutet, schon eine Dreiviertelstunde vorher im Betrieb zu sein und mit dem Arbeiten zu beginnen. Die bezahlen aber erst mit Ladenöffnung."

Wer jetzt glaubt, das passiere nur in kleinen Betrieben, irrt sich. Eine bis vor kurzem bei Aldi Nord beschäftigte angehende Filialleiterin erzählt im Oktober 2009 dem Wochenmagazin "Der Spiegel", sie hätte statt der tariflich festgelegten 37,5-Stunden-Woche regelmäßig 50 bis 55 Stunden arbeiten müssen - ohne zusätzliche Bezahlung.

In wirtschaftlich schwierigen Zeiten sparen die schwarzen Schafe unter den Arbeitgebern besonders gerne am Lohn ihrer Angestellten. Und häufig haben sie damit Erfolg. Der ehrenamtliche Arbeitsrichter Manfred Sträter erzählt:

"Wir haben Schwierigkeiten mit Feiertagsentlohnung, mit bezahltem Urlaub, mit Lohnfortzahlung im Krankheitsfall."

Der Dortmunder Anwalt Ulrich Karthaus kann das mit einem Fall aus seiner Praxis belegen. Er hat gerade einen Mandanten vertreten, der in einem ehemaligen Staatsunternehmen, wie er süffisant anmerkt, auf Abruf beschäftigt wird. Der Mann hat trotz regelmäßiger Beschäftigung einen sogenannten Rahmenarbeitsvertrag, befristet auf einzelne Arbeitstage. Sein Arbeitgeber zahlt ihm weder Kranken- noch Urlaubsgeld. Als der Betroffene vor Gericht zieht, lenkt der Betrieb sofort ein. Man vergleicht sich und das vorenthaltene Geld wird gezahlt. Urich Karthaus:

"Das heißt, der Arbeitgeber enthält dem Arbeitnehmer bewusst Leistungen vor, in der Erwartung, dass der Arbeitnehmer keine Klage erhebt. Es gibt mehrere Fälle, aber nur vereinzelt wird geklagt: Das heißt, dass die Strategie des Arbeitgebers aufgeht. Für ihn rechnet es sich: Wenn einer klagt und der bekommt dann was, ist das immer noch weniger, als wenn einer Mehrzahl von Mitarbeitern die gleiche Leistung zugebilligt werden müsste."

Eine andere Variante, viel Geld zu sparen sei es, Beschäftigte mit Psychoterror aus der Firma herauszuekeln. Entweder werden sie mit Abmahnungen überhäuft, sodass sie sich ständig rechtfertigen müssen, bis die Nerven blank liegen. Oder: Man legt einem missliebigen Mitarbeiter nahe, selbst zu kündigen und lockt gleichzeitig mit einer Abfindung. Wenn das alles nichts hilft, greifen immer mehr Arbeitgeber zu fristlosen Kündigungen aus nichtigen Anlässen.

"Eine Abfallentsorgungsfirma in Mannheim kündigt einem Mitarbeiter fristlos, weil er ein Reisekinderbett aus dem Müll mit nach Hause genommen hatte."

"Wegen angeblich gestohlenem Brotaufstrich kündigt eine Bergkamener Bäckereikette zwei Bäckern fristlos."

"Wegen sechs Maultaschen im Wert von drei bis vier Euro verliert eine 58-jährige Altenpflegerin nach 17 Jahren Betriebszugehörigkeit ihren Job."

"Eine 59-jährige Sekretärin verliert ihren Job, weil sie eine Frikadelle vom Konferenz-Imbiss verspeist hat. Die Frau war 34 Jahre lang in Dortmund beim Bauverband Westfalen beschäftigt. Arbeitgeber und Angestellte einigen sich auf eine Abfindung."

Wolfgang Pinkepank heißt der Anwalt, der die Sekretärin vor Gericht vertreten hat. Er sitzt in der gleichen Kanzlei wie Ulrich Karthaus und glaubt,

"dass Arbeitgeber nach solchen Kündigungsgründen suchen, wenn sie sich von langjährig Beschäftigten trennen wollen, dies aber rechtlich ansonsten nicht möglich ist."

Das Betriebsklima ist frostig geworden in Deutschland. Auch Maria Gonzales, die Zugewanderte, merkt das gerade. Wenn früher beim Jobben im Hotel der Staubsauger oder ein Kaffeeautomat kaputt ging, ...

"Unser Chef hat nicht verlangt unsere Haftpflichtversicherung oder so. Der hat sofort gesagt: Kein Problem."

Ihr jetziger Chef ist da ganz anders. Zum Glück hat er noch nicht wieder nach der Haftpflichtversicherung gefragt oder ihr Geld vom Lohn abgezogen.

http://www.dradio.de/dlf/sendungen/dlfmagazin/1085621/

ZitatÜberleben mit 400 Euro - Der Alltag mit Minijob
Von Jens Rosbach

Im Jahre 2003 wurden die Vorschriften für Minijobs gelockert - um mehr Arbeitsplätze zu schaffen. Heute haben in Deutschland mehr als sieben Millionen Beschäftigte einen sogenannten 400-Euro-Job. Doch hinter der beeindruckenden Statistik verbergen sich allerhand Probleme.

Nadin Heise hat einen Minijob in Göttingen bei einem Mittagstisch für sozial Bedürftige. Die Langzeitarbeitslose schält dort Kartoffeln, kocht und putzt: für acht Euro die Stunde, insgesamt 320 Euro im Monat.

"Ich finde, davon kann man nicht leben und nicht sterben. Man ist zwar beschäftigt, aber in einem derart geringen Maße, dass man das auch als Hobby bezeichnen kann."

Heise ist 34 Jahre alt und findet keine Stelle in ihrem Beruf als Agrarlaborantin. So hangelt sie sich von Job zu Job, arbeitet in Callcentern, bei McDonalds - und seit eineinhalb Jahren - bei einem kirchlichen Träger. Die Küchenarbeit sei okay, sagt sie, bis auf den Hungerlohn. Ohne zusätzliches Wohngeld und ohne Krankenkassenzahlung vom Jobcenter käme sie nicht über die Runden.

"Das Gute ist, man kann die Essensreste halt mitnehmen, wenn man daran Interesse hat. Also finde ich, das ist halt etwas, wo ich mein Sparpotenzial entdeckt habe, dass ich mir halt immer Essensreste mitnehme und die dann halt esse. Oder ich kaufe halt billiger, wenn jetzt Lidl nach 18 Uhr das Brot reduziert hat, dann shoppe ich halt dann, wenn es 30 oder 50 Prozent billiger ist."

"Das ist wirklich nur ein Job für ja, so Hausfrauen, die was dazuverdienen wollen, die halt einen Ernährer haben. Aber so für alleinstehende Leute ist das überhaupt nichts."

Heise kann ihrem Minijob nur einen positiven Aspekt abgewinnen: Sie braucht nichts ans Finanzamt zu zahlen und auch nichts in die Rentenkasse - solange sie nicht mehr als 400 Euro im Monat verdient.

"Der einzige Vorteil von diesen 400-Eurojobs ist, dass man keine Abgaben zahlen muss und brutto gleich netto ist."

Gemischte Gefühle auch bei den Arbeitgebern: Sie loben zum einen, bei Minijobs gebe es weniger Bürokratie als bei Normaljobs. Zum anderen schimpfen sie über die finanzielle Seite. Wie der Berliner Taxiunternehmer Richard Leipold.

"Für den Unternehmer ist es, meiner Auffassung nach, gar kein Vorteil für den 400-Euro-Job vorhanden. Die Kosten, die Lohnnebenkosten, sind deutlich höher im Vergleich zu dem ganz normalen Festangestellten."

Arbeitgeber Leipold zahlt bei einem Normaljob rund 20 Prozent Lohnnebenkosten, bei einem Minijob dagegen 30 Prozent. Nach den Erfahrungen des Mittelständlers werden die 400-Euro-Stellen deshalb vor allem dort geschaffen, wo Arbeitskräfte gesucht werden: im Einzelhandel, in der Gastronomie, im Reinigungs- und im Taxigewerbe.

"Die 400-Euro-Jobs werden angeboten, weil die Fahrer das wünschen, weil sie brutto für netto bezahlt werden wollen."

Brutto für netto. Am besten bezahlt nach BAT, bar auf Tatze, wie es in der Szene heißt. Und viele 400-Euro-Jobber leben dann auch von der Hand in den Mund. Da das Gehalt gering ist und nur der Arbeitgeber eine Sozialpauschale zahlt, kann es dann Probleme ab 65 geben. Der Duisburger Sozialwissenschaftler Gerhard Bäcker warnt:

"Der Knackpunkt liegt darin, dass auf der Basis von 400 Euro im Monat insgesamt nur äußerst geringe Rentenansprüche erworben werden."

Nach Auskunft der Deutschen Rentenversicherung erwirbt ein Minijobber pro Jahr einen Anspruch von 3,11 Euro Monatsrente; bezogen auf das Höchstgehalt von 400 Euro. Zahlt der Minijobber einen freiwilligen Zusatzbeitrag in die Rentenkasse, bekommt er pro Arbeitsjahr maximal 4,45 Euro Monatsrente. Sozialwissenschaftler Bäcker spricht von "garantierter Altersarmut". Der Professor verweist auf einen weiteren prekären Aspekt: das Arbeitsrecht. Theoretisch stünden auch Minijobbern Urlaubsgeld, Weihnachtsgeld und Lohnfortzahlung bei Krankheit zu.

"Wenn wir uns aber die Praxis anschauen, dann werden diese Rechte zu einem großen Teil nicht wahrgenommen. Die Beschäftigten wissen nicht davon oder die Beschäftigten stehen unter erheblichen Druck; oder die Arbeitgeber gehen schlichtweg davon aus, dass diese Arbeitsrechte für diese Jobs nicht gegeben seien und verhalten sich gewissermaßen rechtswidrig."

Rechtswidrig geht es offenbar auch in anderer Hinsicht zu: Insider berichten von weit verbreiteter Schwarzarbeit. Taxi-Unternehmer Richard Leipold erklärt, die 400-Euro-Verträge seien häufig nur Fassade. Leipold hat den Überblick, denn er engagiert sich in der Berliner Taxi Vereinigung.

"Das ist uns in vielen Fällen zu Ohren gekommen, die Konstruktion, dass die Fahrer auf 400-Euro-Basis angemeldet werden, aber tatsächlich sehr, sehr viel mehr Geld verdienen, auch sehr viel länger fahren. Die Kontrollbehörden sind überfordert, weil sie ja immer nur eine Stichprobenprüfung im Regelfall machen. Das heißt, sie sehen jemanden auf der Taxe, der sagt: Ich bin ein 400-Euro-Jobber - und woher sollen die jetzt wissen, dass er tatsächlich sechs Tage in der Woche fährt."

Nach außen hin: ein regulärer 400-Euro-Vertrag. Tatsächlich aber: ein Schein-Vertrag, um Abgaben und Steuern zu sparen.

"Letztlich ist es vorsätzlicher Betrug, bei dem der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer zu gleichen Teilen beteiligt sind; zu Lasten der Sozialgemeinschaft."

Wenig Rente, Probleme bei Krankheit und Urlaub, illegale Zusatzeinkommen - Arbeitsmarktexperten sehen weitere Minijob-Schwierigkeiten; etwa, dass die Zahl der Arbeitsstunden nicht begrenzt ist - dass es also keinen Mindestlohn gibt. Gestritten wird auch über die Frage, ob 400-Euro-Stellen nicht zum Abbau regulärer Arbeitsplätze führen. Arbeitgeberverbände und Rentenversicherer streiten dies ab, die Gewerkschaften sprechen hingegen von einer Stellen-Verdrängung - zumindest im Handel und im Gastgewerbe.

Die Göttinger Küchenhilfe Nadin Heise, die übrigens aus Angst vor Schikane nur unter Pseudonym auftritt, sieht nur einen Ausweg: So schnell wie möglich eine ordentliche Stelle finden, um wegzukommen vom Minijob mit den Megaproblemen.

"Ich finde es eigentlich eher so nur so was wie eine Beschäftigungsmaßnahme, ist das für mich. Damit ich mir nicht ganz so unnütz vorkomme."
http://www.dradio.de/dlf/sendungen/dlfmagazin/1085626/

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