ARD/BR, Sendung "Report aus München vom 03.10.2007: Schuften unter Hungerlohn – Deutsche in der SchweizAutorin : Sabina Wolf
Ein Schweizer kämpft gegen Lohndumping. In Bern unterwegs mit Robert Schwitter von der Arbeitsmarktkontrolle. Wir begleiten ihn vergangene Woche bei einer unangemeldeten Kontrolle. Wir staunen, als wir erfahren, woher die Billiglöhner kommen.
„Aus Deutschland. Aus Berlin genau…“Auf jeder Baustelle, Arbeiter aus Deutschland. Sie schuften fern von daheim, schlafen in billigen Absteigen, dürfen nur am Wochenende nach Hause. Die Männer haben keine andere Wahl.
Ein Arbeiter erzählt:
„Das fing so an in den 90er Jahren da, kamen dann die Polen für ein Apfel und ein Ei und die Tschechen. Deswegen sind wir dann gegangen bei uns. Wir wurden halt ausgetauscht.“report MÜNCHEN:
„Warum sind Sie da?“Antwort:
„Nu, weil es bei uns nichts gibt an Arbeit.“„In den Neuen Bundesländern, es ist halt wenig Arbeit so.“„Wie soll man sagen, zu wenig Arbeit in Deutschland.“Von vier Baustellen, deren Überprüfung wir vergangene Woche filmen, stellt Robert Schwitter bei dreien Lohndumping fest, auch hier werden nur 60 Prozent des Schweizer Mindestlohns an die Mitarbeiter aus Deutschland ausbezahlt. Rund 1.500 Verleihfirmen haben den Markt für billige Bauarbeiter aus Deutschland entdeckt. Vieles läuft illegal.
„Das ist ein riesiges Geschäft. Das ist wirklich ein Milliardengeschäft.“„Es gibt auch Druck von verschiedenen Firmen. Von Verleihfirmen oder Unternehmungen.“report MÜNCHEN:
„Werden Sie bedroht?“Antwort:
„Verbal ja.“Die Schweizer Mindestlöhne zu unterschreiten ist natürlich verboten, doch es gibt eine Reihe von schmutzigen Tricks:
„Die Verleihfirmen stellen die guten, qualifizierten Leute aus Deutschland schlechter an.“Auch bei diesem gelernten Straßenbauer aus Deutschland ist das so. Die Berufserfahrung wird einfach nicht anerkannt. So wird die Mindestlohnunterschreitung kaschiert. Die wenigsten kennen die Tarife und erfahren meist erst, wenn die Arbeitsmarktkontrolleure aufkreuzen, dass sie um Lohn betrogen werden. Auch der gelernte Facharbeiter Henry Reese hat deshalb zu wenig bekommen. Der miese Trick der Arbeitsvermittler ist immer der gleiche: Niedrigere Einstufung, das bedeutet weniger Lohn.
„Das Temporärbüro schuldet mir 3.000 Schweizer Franken. Das geht weiter, das geht vors Arbeitsgericht.“Doch die Kontrolleure enttarnen noch ganz andere Praktiken: Oftmals werden deutschen Arbeitern allein schon für die Vermittlung in die Schweiz bis zu 1.500 Euro abgeknöpft. Die private Vermittlung von Arbeitskräften in die Schweiz ist verboten. Trotzdem passiert es am laufenden Band, sagen uns die Kontrolleure. Und auch das ist illegal: Manche Unternehmen kassieren gleich die Vermittlungsprovisionen des deutschen Arbeitsamtes ab. Sogar anscheinend Firmen, die bei der Bundesagentur in der Jobvermittlung auftauchen. Was passiert eigentlich mit Firmen, die bei der Kontrolle auffallen, wollen wir von Robert Schwitter wissen.
Beat Studer:
„Ich melde das weiter dem Berner Wirtschaftsamt und den paritätischen Kommissionen und die bearbeiten das und schauen, ob sich der Verdacht bestätigt.“Bei der Sanierung dieser Schule hatte er vergangenes Jahr ein Unternehmen erwischt, das 10 Arbeitskräfte aus Sachsen-Anhalt zu Hungerlöhnen eingesetzt hat. Nach Abgleich der Löhne stellte Roland Sidler von der Kontrollkommission fest: die Firma aus Sachsen-Anhalt schuldet ihren Mitarbeitern 27.100 Schweizer Franken, das sind umgerechnet rund 16.500 Euro. Seit dem 1. April 2006 mussten sage und schreibe 1.500 Arbeitgeber Bußgelder zahlen, weil sie ihren Leuten zu wenig gezahlt haben. Doch was ist mit den betrogenen Mitarbeitern? Aus den Unterlagen im Fall Schulsanierung erfahren wir den Namen von einem der betrogenen Arbeiter, Heiko Ebert, und fahren zu ihm nach Wolfen bei Bitterfeld. Er ist auf Arbeitssuche, erklären Mutter und Schwester. Dass ihr Heiko bei seiner Arbeit in der Schweiz Anspruch auf den dortigen Mindestlohn hatte, erfahren sie erst durch
report MÜNCHEN. Laut Gehaltsabrechnung mogelte sich der Arbeitgeber kräftig um die rechtmäßige Bezahlung herum. Für einen Monat Arbeit erhielt Heiko Ebert nur 550 statt rund 2.000 Euro.
Die Mutter von Heiko Ebert erzählt:
„Nein, wir hatten keine Ahnung, dass mein Sohn noch Geld kriegt.“Natürlich hat sie den Sohn gleich informiert. Doch viele Tausende Arbeiter wissen noch nicht, dass deutsche Bau- oder Vermittlerfirmen ihnen noch viel Geld schulden.
Gewerkschaftler Peter Schulze, den wir vergangenen Freitag in Halle treffen, ist sauer, dass sogar deutsche Behörden über diese Missstände schweigen.
Peter Schulze, IG Bau:
„Die Arbeitsämter, die wissen das sehr genau. Weil wir haben mehrere Fälle gehabt und ich habe dann das Arbeitsamt angerufen und habe gesagt, hier sind Leute, die sind von Ihnen vermittelt worden, zu tarifwidrigen Bedingungen. Ader das interessiert dort niemanden.“report MÜNCHEN:
„Warum?“Peter Schulze, IG Bau:„Ja, ich schätze mal, für sie ist es wichtig, die Leute sind vermittelt, die sind aus der Statistik raus. Die sind vermittelt. Und alles was danach kommt, das ist dann nicht mehr ihr Problem.“
Unerhörtes tut sich in der Schweiz: Vor wenigen Tagen demonstrieren 17.000 Bauarbeiter in Zürich gegen Billiglöhne am Bau. Ihre Arbeitgeber haben den Tarifvertrag gekündigt. Seit zwei Tagen sind die Mindestlöhne abgeschafft. Von nun an, so ihre Befürchtung, werden noch mehr Billiglöhner ins Land drücken. Gastredner Dietmar Schäfers von der deutschen IG Bau macht Front gegen diese Praktiken.
Dietmar Schäfers, IG Bau:
„…und was es heißt, dem Lohndumping Tür und Tor zu öffnen.“Und auch Robert Schwitter befürchtet, dass jetzt wegen dieser Regelung alles noch viel schlimmer wird. Deutsche Arbeitslose, abgeschoben und abgezockt, weil osteuropäische Wanderarbeiter für noch weniger Geld in Deutschland schaffen. Arbeitssklaven in Europa. Dass sich in ihren jeweiligen Heimatländern niemand für sie zuständig fühlt, ist ein Skandal.
Ein Arbeiter berichtet:
„Die Preise sind so kaputt, dass ich seit einem halben Jahr keine Krankenversicherung habe. Wenn was passiert, kann ich auf den Friedhof gehen. Was soll ich denn machen? Das geht nicht.“