Studie von Ernst & Young erwartet Kliniksterben und Boom privater Zusatzversicherungen

Begonnen von Wilddieb Stuelpner, 21:29:13 Fr. 25.Februar 2005

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Wilddieb Stuelpner

Neues Deutschland: Teilkasko im Gesundheitswesen

Studie von Ernst & Young erwartet Kliniksterben und Boom privater Zusatzversicherungen

Von Daniel Rühmkorff

Eine aktuelle Studie zeigt, wie sich Neoliberale das Gesundheitssystem der Zukunft vorstellen. Für Patienten bietet sie ein Schreckensszenario.

Ein Gutachten der Wirtschaftsberatung Ernst & Young zeichnet ein erschreckendes Bild der Krankenversorgung im Jahr 2020. Bis zu diesem Zeitpunkt werden 500 der etwa 2000 Akutkliniken verschwunden sein. »Der Zwang zur wirtschaftlichen Arbeitsweise wird bei den Krankenhäusern drastisch zunehmen«, erwartet Stefan Viering, Leiter des Bereichs Health Care bei Ernst & Young.

Grund für diese Entwicklung: Die Studie geht davon aus, dass die eingeleiteten Reformschritte der Bundesregierung greifen und von den Folgeregierungen fortgesetzt werden. Auf Grund der seit diesem Jahr gültigen diagnosebezogenen Fallpauschalen sinkt die Verweildauer der Patienten in den Krankenhäusern auf durchschnittlich vier Tage; die Weiterbehandlung erfolgt verstärkt in medizinischen Versorgungszentren. Die Kliniken sind deshalb nicht mehr ausgelastet.

Eine Verschlechterung der Versorgung sehen die Wirtschaftsprüfer dadurch aber nicht. Die verbleibenden Kliniken treten als »360-Grad-Anbieter« auf: »Von der Schönheits-Operation bis zum betreuten Sterben bieten diese Einrichtungen alles an«, beschreibt Viering. Gewinner dieser Umstrukturierungen sind laut Studie die privaten Krankenhausgesellschaften sein, die sich bis 2020 fast 50 Prozent Marktanteil erobern werden, während drei von vier öffentlich-rechtlichen Häusern ihre Türen schließen oder verkauft werden.

Trotz des Kliniksterbens prophezeien die Prüfer einen boomenden Gesundheitsmarkt. Dieser wird seinen Umsatz von heute 234 Milliarden Euro auf 500 Milliarden Euro pro Jahr mehr als verdoppeln. Dass diese Summen nicht mehr von der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) aufgebracht werden können, steht für Ernst & Young außer Frage. In die Lücke springen müssen die Kranken, deren Eigenleistungen von heute 28 Milliarden auf 150 Milliarden Euro ansteigen werden. »In Zukunft wird nur noch eine Grundversorgung durch die Krankenversicherung abgedeckt sein«, erwartet Rudolf Böhlke, Senior Manager bei Ernst & Young. Wie viel Im heutigen GKV-Katalog sind weitestgehend noch alle Leistungen abgedeckt. Bis 2020 wird dieser Katalog eingedampft sein. Zusätzlich zur Pflichtversicherung, die dann nur noch eine »Sockelversorgung« abdeckt, werden Zusatzversicherungen mit Teil- und Vollkaskofunktion angeboten, die individuell nach Alter, Geschlecht und Gesundheitszustand berechnet werden. Wer also im gleichen Umfang wie heute versichert sein möchte, muss private Policen abschließen. Die Versicherungsanbieter könnten aber chronisch Kranke ablehnen. Ein Kontrahierungszwang, also die Pflicht einer Krankenkasse, jeden Patienten aufzunehmen, bestünde nur noch für die Sockelversorgung.

Ein weiterer, in der Vergangenheit äußerst heftig umkämpfter Streitpunkt wird laut der Studie gelöst: Die versicherungsfremden Leistungen, die der Staat nach Berechnungen des Kieler Beske-Instituts jährlich in Milliardenhöhe auf die Krankenkassen verlagert, werden künftig wieder aus einem steuerfinanzierten Transfersystem getragen. Ansonsten zieht sich der Staat weiter aus der Gesundheitsversorgung heraus und gibt nur noch einen langfristigen Rahmen vor, innerhalb dessen ein weitgehend marktwirtschaftlich organisiertes System entsteht. Ernst & Young erwartet zudem, dass die kurzatmigen Reformbemühungen bis 2012 zu einem Kollaps des Systems führen werden. Anschließend sollen sich alle darin einig sein, dass eine Rationierung von Leistungen vonnöten ist, die paritätische Beitragszahlung aufgehoben wird und sich lediglich eine Grundversicherung für alle mittels Kopfprämien finanzieren lässt. Die Gesetzliche Krankenversicherung wird dann nur noch als »Markenname« existieren.

(ND 25.02.05)

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