Der Traum vom Landleben

Begonnen von Kuddel, 17:00:59 Fr. 09.Februar 2024

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Kuddel

Weg vom Fließband und raus aus der Fabrik. Flucht vor Lärm und Hektik.

In den 70ern gab es diverse Zurück-zur-Natur Bewegungen. Es gründeten sich die Grünen.

Es gab die hippieeske Landfreakszene. Man konnte leerstehende Bauernhöfe billig erstehen. Selbst Ton Steine Scherben bildeten eine Land-WG in Nordfriesland. Lange Haare, Wallekleider, Kiffi-Kiffi und Ideen vom ökologischen Anbau. Die Landfreaks waren Fremdkörper in den erzkonservativen Dörfern. Aber letztendlich waren sie auch ein Kern für neue Ideen und einen Wandel auf dem Land.

Heute gibt es auch eine Sehnsucht nach dem Landleben. Es ist auch ein Lifestylethema für die Mittelschicht. Hochglanzzeitschriften wie "Landlust" oder "Landleben" gehen weg wie geschitten Brot.

In der deutschen Literatur gibt es vergleichbare Tendenzen. In der FAZ findet sich eine bisweilen lustige Beschäftigung mit dem Phänomen.

ZitatSeit Neuestem spielen deutsche Romane am liebsten auf dem Land. Wo Autorinnen wie Juli Zeh oder Judith Hermann leben. Was suchen sie dort? Und was findet man, wenn man ihre Bestseller liest?

Erstmal der soziologische Hintergrund dieses Trends:

ZitatGroßstädte seien kein Sehnsuchtsort mehr, nicht in und auch nicht nach der Pandemie, hieß es. Doch hatten die großen Städte auch schon vor der Pandemie längst aufgehört, Sehnsuchtsorte zu sein. Der neue Sehnsuchtsort ist das Dorf. Am liebsten, so kommt es einem vor, würden inzwischen die allermeisten Städter aufs Dorf ziehen. Weil es billiger ist. Weil es ruhiger ist. Im Fall des gehobenen Mittelstands: weil eine Wohnung in der Stadt zu profan erscheint, also einfach nicht reicht.

Wenn die Städter es doch nicht aufs Land schaffen, spielen sie ständig mit dem Gedanken, vielleicht nächstes Jahr rauszuziehen, machen Pläne, die sie verwerfen, suchen rastlos nach Immobilien im Umland der Großstädte, in denen sie leben. Sie zeigen sich berauscht von dem Gedanken, das Ideal des einfachen Lebens mit einer zweckmäßigen oder ungeheuer vielversprechenden Geldanlage zu verbinden. Oder sie lesen Bücher, die von ihrer Sehnsucht handeln und von denen, die schon da sind, wo sie hinwollen; Dorfmärchen, Dorfträume, Dorfkrimis: die ganze neue deutsche Dorfliteratur.

Denn dieser Dorfliteratur entkommt man überhaupt nicht mehr.
https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/juli-zeh-judith-hermann-angelika-kluessendorf-und-die-literatur-auf-dem-land-17515000.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2

Das Fazit ist etwas knapp.

ZitatEs ist offenbar sehr angenehm, von den Erschütterungen der großen Konflikte nicht viel mitzubekommen. Wozu auch? Es ist doch so schrecklich schön und wunderbar übersichtlich

Die Besserbetuchten suchen Inseln, die nicht nach modernem Kapitalismus aussehen, wo man kein schlechtes Gewissen haben muß. Man glaubt dabei an eine heile Welt aus vergangenen Zeiten. Alles ist retro und rückwärtsgewandt. Die Kleider und Schürzen. Die Möbel und das Porcellangedöns.

Hinter allem liegt der Glaube, es war mal besser und da möchte man wieder hin. Welch Schwachsinn! Will man zurück in Zeiten, in denen schwuler Sex verboten war, Vergewaltigung in der Ehe aber legal? Körperliche Züchtigung gehörte zu den Erziehungsmethoden und Lehrer verprügelten Schüler und Meister ihre Lehrlinge. Die glorifizierte Großfamilie war für viele der pure Horror.

Ja, auch über die Landfreaks machten sich einige Linke lustig und kritisierten sie, aber es waren immerhin Verrückte, die Traditionen und moralische Normen sprengten.

Dieser heutige Dorfkitsch sind spießige bis reaktionäre Träume der Mittelschicht. Schwer zu ertragen.

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