Die Überhöhung der Mittelklasse

Begonnen von ManOfConstantSorrow, 16:58:27 So. 14.Oktober 2012

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Kuddel

Diese falsche Bewertung der Mittelklasse ist in meinen Augen ein schwerwiegendes Problem.

Zum Einen gibt es die Verachtung der linken Szene der Unterschichten. Es wurde teilweise in dem Thread ,,Den Prolls die Fresse polieren" https://forum.chefduzen.de/index.php/topic,26179.0.html diskutiert.



Owen Jones, britischer Journalist und Aktivist setzt sich in «Prolls. Die Dämonisierung der Arbeiterklasse» damit auseinader, wie ,,Salz der Erde" zum ,,Abschaum der Welt" degradiert wird.
ZitatDiese Verachtung der arbeitenden Klasse beschränkt sich nicht auf die Oxford-Elite, das Königshaus oder Rupert Murdochs Medien. Auch Liberale und Linke haben sich von der Stimmung anstecken lassen, argumentiert Jones – etwa dann, wenn sie allein unter ethnischen Gesichtspunkten auf den Rassismus der weissen Arbeiterklasse herabsehen, ohne die gewaltsamen sozialen Bedingungen zu berücksichtigen, unter denen dieser entstanden ist.
https://www.pit-wuhrer.de/buch/bk_13_10_15_Prolls-Klassenhass-von-oben.html

Die linke Szene ist inzwischen größtenteils selbst ökonomisch unten angekommen. Selbst Akademiker sehen sich heutzutage oft gezwungen, unter prekären Bedingungen zu arbeiten. Doch das links-Sein definiert man vom politischen Bewußtsein her und von kulturellen Gemeinsamkeiten. Man ist zumeist besser gebildet und erkennt die eigene Blase an Mode, Sprache oder auch Musikgeschmack. Für diejenigen, die bei diesen Themen nicht mithalten können, empfindet man Verachtung. Migrantische Kids sind da "sexistisch" und deutsche Unterschichtler in geschmacklosen Klamotten macht man zu "Faschos", wenn sie den Mist aus den Mainstreammedien nachquatschen.

Ein weiteres Buch zum Thema: Christian Baron – Proleten Pöbel Parasiten – Warum die Linken die Arbeiter verachten
https://gewerkschaftslinke.hamburg/2017/01/15/neuerscheinung-christian-baron-proleten-poebel-parasiten-warum-die-linken-die-arbeiter-verachten/

Das anderes Problem ist der Mythos, daß es junger, urbaner und gut gebildeter Menschen bedarf, um die Gesellschaft zu krisieren und sie zu ändern. Dieser Schwachsinn wird insbesondere von den bürgerlichen Medien verbreitet.

Kuddel

Es ist ätzend, die Rechten wissen von der Wichtigkeit der Unterschichten und von Bewegungen.
Die Kochbrüder https://de.wikipedia.org/wiki/Koch_Industries finanzierten als Milliardäre den Aufbau der Tea Party Bewegung, im Grunde eine Fake Bewegung von oben aufgebaut, doch viele Menschen marschierten mit.


"Save Capitalism! Stop Obammunism", Tea-Party in Washington, D.C., 12. September 2009.

Ähnlich sehe ich Pegida. Die ländliche, abgehängte Bevölkerung wurde von der Linken ignoriert, doch Pegida bot ihnen ein Ventil und eine Bühne, ihren Unmut kundzutun. Hinter Pegida stehen ein paar rechte Strategen, finanzielle Unterstützung aus der Wirtschaft und ich bin überzeugt davon, daß auch der Verfassungsschutz seine Finger im Spiel hat.

Aus dieser abgehängten ländlichen Bevölkerung speist sich ein Großteil der Unterstützung für Trump. Er spricht ihre Sprache. Er gibt ihnen das Gefühl, wichtig zu sein. Sie wurden Jahrzehntelang ignoriert, von der Politik, von den Medien und von den Linken. Und jetzt sind alle aufgeschreckt und fürchten den Pro-Trump Mob.

Es muß nicht in diese Richtung gehen. Es waren genauso die abgehängten Menschen auf dem Land, die In Frankreich die Kreisverkehre besetzten. Sie waren wütend, verzweifelt und unpolitisch. Sie diskutierten und lernten während des Kampfes. Dabei verloren die Rechten ihren Einfluß in der Bewegung.

Die Mittelklasse

Die Güllepresse umgarnt die ominöse Mittelklasse. Aber je näher man sie sich ansieht, desto gruseliger wird sie. Die Medienberichterstattung hinterläßt gern die Eindruck, die Abgehängten würden meist die AfD wählen. Aber diese Leute wählen meist gar nicht. Untersuchungen ergaben, das Gros der AfD Wähler stammt aus der Mittelschicht und ist bisher nicht vom Sozialen Absturz betroffen, doch man fürchtet ihn.

Bei den Querdenken Demos scheint die Mittelklasse auch eine führende Rolle zu spielen.

ZitatSo gibt es ein Video https://www.frischesicht.de/dabei-schweigemarsch-wir-muessen-reden-stuttgart-22-11-2020/
über einen Stuttgarter Schweigemarsch am 22. November dieses Jahres von Gegnern der Coronamaßnahmen. Interessant ist, dass dort durchaus ein Querschnitt der Bevölkerung zu sehen ist, Menschen allen Alters, eher dem Mittelstand zugehörig.

Aufschlussreich sind auch die Kurzinterviews, die dort mit einzelnen Teilnehmern des Schweigemarsches geführt wurden. Die Frage nach den eigenen Wünschen gehört dazu. Wenn man die Antworten der Menschen hört, die sich interviewen ließen, könnte man kurz zusammengefasst sagen, es handele sich um einen grünenwählenden Mittelstand, der sehr individualistisch ist und für den "Klassenkampf" eher ein Fremdwort ist.

Es ist nicht verwunderlich, dass ein solches eher mittelständisch geprägtes Klientel auch nach rechts offen ist. Eine solche Rechtsentwicklung wird oft durch besondere gesellschaftliche Einschnitte verstärkt.
https://www.heise.de/tp/features/Mit-dem-Verfassungsschutz-gegen-Querdenker-4987673.html

Kuddel

Ein lustiger Text über die Mittelklasse in Zeiten von Corona:

ZitatCorona und die Mittelschicht: Heulsusen unter sich
https://lowerclassmag.com/2020/12/26/corona-und-die-mittelschicht-heulsusen-unter-sich/

BGS

Persönlich geniesse ich es, dass die Zeit (seit Virus), in der angeblich alle überall auf der Welt "gezwungen sind, Masken zu tragen", sich als sehr entlarvend erweist.

Endlich erkenne ich, mit wem ich es wirklich zu tun habe.

Lieber unter Wölfen, Bären und Luchsen leben.

MfG

BGS
"Ceterum censeo, Berolinensis esse delendam"

https://forum.chefduzen.de/index.php/topic,21713.1020.html#lastPost
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Troll

Zitat"Rechtsextreme Einstellungen sind tief verwurzelt"

Rechtsextreme Einstellungen sind die größte Gefahr für die liberale und plurale Demokratie. Zu diesem Schluss kommen Elmar Brähler und Oliver Decker auch in ihrer neuen Leipziger Studie zu autoritären und rechtsextremen Einstellungen in Deutschland. An ihren durchaus erschreckenden Ergebnissen gibt es aber auch Kritik.
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Warum ist weiterhin eigentlich von einer Mitte-Studie die Rede? Ihre erhobenen Daten zeigen doch in ziemlich erschreckender Weise, wie sehr das, was als gemäßigte Mitte gilt, für rechtsextreme Einstellung anfällig ist.

Wir sprechen seit einiger Zeit nicht mehr von einer Mitte-Studie. Wir hatten 2006 das erste Mal den Begriff Mitte-Studie verwendet unter dem Titel "Vom Rand zur Mitte", weil wir darauf aufmerksam machen wollten, dass rechtsextreme und antidemokratische Einstellungen nicht nur unter den Nichtwählern sehr verbreitet waren und unter den Wählern rechter Parteien, sondern auch unter den Wähler der anderen Parteien, vor allem von CDU/CSU und SPD.

Viele Wähler, auch der politischen Parteien der Mitte, sind für rechtsextreme und antidemokratische Einstellung anfällig. Die Mehrzahl der rechtsextrem Eingestellten hatte keine extremen Parteien gewählt. Dies hat sich in den letzten Jahren mit dem Erstarken der AfD gewandelt. Viele Rechtsextreme haben dort eine neue Heimat gefunden. Das ist aber sicherlich nicht mehr als ein Drittel. Die Übrigen gehen nicht zur Wahl oder wählen weiterhin die anderen Parteien. Meist wird die Mitte mit etwas Gutem assoziiert, das sich abhebt von extremistischen Rändern, die verurteilenswert sind. Wir wollen mit unserem neuen Begriff Autoritarismus-Studie darauf aufmerksam machen, dass autoritäre Einstellungen sehr stark mit rechtsextremen und antidemokratischen Einstellungen verbunden sind.
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Quelle: Gegenblende via NDS
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Dieter Hildebrandt
Es ist kein Zeichen geistiger Gesundheit, gut angepasst an eine kranke Gesellschaft zu sein.
Jiddu Krishnamurti

Kuddel

Will ich mir jetzt ausgerechnet von der Zeit erklären lassen, wer "revolutionäres Potenzial" hat?

ZitatWer gehört zur Mittelklasse? Es sind nicht allein Bildung oder Vermögen, die darüber entscheiden. Klar ist allerdings: Diese Schicht hat großes revolutionäres Potenzial.
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Bis vor nicht allzu langer Zeit galt hierzulande gar noch das Narrativ der allumfassenden Mittelschicht. Klassen kamen buchstäblich nicht vor. Tippe ich das Wort "Mittelklasse" in die Suchmaschine, erfahre ich noch immer mehr über schnittige Automodelle als über meine soziale Position.

"Mittelschicht" erscheint auf den ersten Blick auch deshalb angemessener, weil die Mittelklasse nach Karl Marx eine Klasse ohne Bewusstsein von sich ist.
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Marx hielt sie für ein unbedeutendes Übergangsphänomen, das durch den sich verschärfenden Gegensatz von Bourgeoisie und Proletariat verschwinden würde. Er ordnete sie zwar eher dem Proletariat zu, schätzte sie jedoch als einflussschwach und neutral im Klassenkampf ein.
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Das dunkelste Kapitel des deutschen Kleinbürgertums ist die NS-Zeit. Forschungen zur Mentalitätsgeschichte belegen, dass erst Neid, Missgunst und Denunziationen aus dem Volk das Regime groß machten. Eine künstlerische Arbeit der vergangenen Berlin Biennale führte das mit umstrittenen künstlerischen Mitteln vor Augen. Und Hitler, der Emporkömmling, war der Kleinbürger par excellence.
Im Nachkriegsdeutschland wiederum waren bürgerliche Werte, bürgerliche Bildung, eine bürgerliche Kultur leitend, die aber vor allem durch das Kleinbürgertum verkörpert wurden.
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Als Künstlerin gehöre ich der sogenannten creative class an. Ich bin Teil einer Maschinerie, die unablässig Distinktionen erzeugt und die Gesellschaft mit ästhetischen und moralischen Abgrenzungen durchzieht. Bisweilen bereiten wir mit unserer Kunst und den dazugehörigen Lebensformen unwillentlich Investoren den Weg und helfen, ganze Stadtteile aufzuwerten (die sogenannte Gentrifizierung erster Ordnung).
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Die relative Sicherheit, in der die Mittelklasse gegenwärtig lebt, ist nicht nur unsolidarisch, sie ist auch illusorisch. Zwar teilt die Mittelklasse nicht die unmittelbaren existenziellen Nöte der Armutsklasse. Doch auch die relative ökonomische Sicherheit, die in westdeutschen Ohren das Wort Mittelklasse hervorruft, ist irreführend.
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Ihr revolutionäres Potenzial bestünde darin, sich radikal mit den Angehörigen der Armutsklasse zu solidarisieren.
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https://www.zeit.de/kultur/2021-02/mittelschicht-klassengesellschaft-marx-norm-reichtum-armut-corona-pandemie-10nach8/komplettansicht

Da hat sich jemand Gedanken gemacht. Immerhin.

Kuddel

Die ZEIT und der Mittelstand können mich mal am Arsch lecken!

ZitatIn Krisenzeiten erweist sich der Mittelstand als Stütze der Gesellschaft, beklagt aber Bürokratie und fehlenden Respekt. Auftakt der großen Mittelstandsstudie von ZEIT für Unternehmer und der Stiftung "In guter Gesellschaft"
https://www.zeit.de/zeit-fuer-unternehmer/2022/01/mittelstand-studie-buerokratie-krisen-respekt

BGS

Im Jammern scheint die sich etwas reduzierende "Mittelklasse" Weltmeister zu sein. Persönlich fällt mir nichts -absolut nichts- ein, warum den Mitläufern irgendwelcher Respekt entgegengebracht werden sollte. Sie und die "obere Klasse" verantworten die Situation in der die Welt inzwischen ist zu grossen Teilen. Und glauben, so wie bisher ungestraft weitermachen zu können - daher geben sie sich optimistisch.

Gebetsmühlenartig und länderübergreifend werden diese Leute ununterbrochen hochgelobt für ihre ach so tollen "Leistungen", dabei sind es oft schlicht Erben. Die meisten Medien lügen tagein, tagaus in ihrem Sinne , betonen "Fachkräftemangel", "Leistungsträger, "Rückgrat der Wirtschaft" etc. während es sich in der Regel schlicht um gnadenlose Ausbeuter handelt. Die sich auszeichnen durch Arroganz und ein überhöhtes  Selbstbild, welches jeder Beschreibung spottet. Ihren Wohlstand verdanken sie und ihre Vorfahren der rücksichtslosen Ausbeutung von Mensch und Natur auf dem gesamten Planeten.

Heutzutage wird von "New Work", "Wissensmanagement" und was auch immer schwadroniert: Alter Wein in neuen Schläuchen. Ach ja, man wähnt sich "in bester Gesellschaft" ;D

MfG

BGS

"Ceterum censeo, Berolinensis esse delendam"

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Kuddel

Das, was in den Medien so gern wiederholt wird, geistert auch durch die Köpfe vieler Menschen. Es wird so getan, als sei die "Mittelschicht" die einzige Opposition zur Regierung und die wirkungsvollste Kraft gegen den Rechtspopulismus.

Ich halte das für Quatsch. Ich halte die Mittelschicht für feige, mit Radfahrerhaltung (nach oben buckeln, nach unten treten) und Rechtsdrall.

Diese Überhöhung der Mittelklasse erwächst aus der Vorstellung, daß der Proll einfach zu blöd ist, Politik zu verstehen und zu ändern.

Schwachsinn! Die Faschos wissen, warum sie den Proll umwerben und auch versuchen, ihn auch in Betrieben zu organisieren. Dort liegt die Macht.

Es ist schon einige Jahre her, da haben rund 1000 (meist migrantische) Trucker den kanadischen Hafen Vancouver mit einem Wilden Streik und Sabotageaktionen lahmgelegt. Der wichtigste Exporthafen stand still. Damit hatten sie die kanadische Regierung in die Knie gezwungen, eine Generalamnestie für alle Trucker und die Rücknahme der Anti-Streik-Gesetze erwirkt und eine 30%ige Lohnerhöhung erzielt.

Jetzt geht der französische Pöbel auf die Barrikaden. Er will nicht nur die Rücknahme der Rentengesetze, sondern den Sturz der Regierung.

Und in Deutschland sind es nun osteuropäische Trucker, die die deutsche Normalität aus dem Takt bringen. Sie beweisen die Macht der Solidarität und haben LKW, teilweise mit Ladung, als Faustpfand, die Verweigerung der Arbeit ist ihre Waffe, Streikrecht hin oder her.

Und die Mittelschicht? Sie bibbert zuhaus und wählt rechts (oder grün, kaum ein Unterschied). 

BGS

Sehe ich genauso, muss zur Schicht... .

MfG

BGS
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ManOfConstantSorrow

Ich finde es ziemlich irre, daß die Medien lang und breit behaupten, die riesigen Antifaproteste kämen "aus der Mitte der Gesellschaft". Woher wissen sie das?

Weil die Demonstranten normal gekleidet und nicht in Lumpen gehüllt sind!?! Die Demonstranten dürften stinknormale Leute sein mit stinknormalen Jobs und viele von ihnen werden unter prekären Bedingungen leiden, egal ob als Malocher, Erwerbsloser oder Rentner.

Eine "Mitte der Gesellschaft" würde ich weit höher ansetzen und diese "Mitte" demonstriert vielleicht gar nicht, sondern wählt lieber AfD.
Arbeitsscheu und chronisch schlecht gelaunt!

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