RBB, Sendung "Klartext": Sanierungsfall BVGKLARTEXT vom 11.05.2005
Sie können zusammen nicht kommen: die Busfahrer der BVG, vertreten durch die Gewerkschaft ver.di, und Berlins Finanzsenator Sarrazin. Die einen beharren auf ihrem durchschnittlichen Einkommen von brutto 3.300 bis 3.500 Euro, wollen allenfalls kleine Einbußen hinnehmen – der andere findet, das sei viel zu viel fürs Busfahren – vor allem aber für das Unternehmen. Was kaum einer weiß: Bis Ende 2007 muss die BVG ein rentables Unternehmen werden – sonst drohen Ausschreibung und Privatisierung. So sieht es die EU in Brüssel vor.
Viele arbeiten hart, nicht immer für üppiges Geld. Eine Kassiererin verdient durchschnittlich rund 1.600 Euro, eine Berliner Krankenschwester im Schichtdienst maximal rund 2.200 Euro Brutto. Und viele Hausärzte haben nach langem Studium weniger als 2.250 Euro Brutto im Monat. In den Chefetagen wird derweil abgesahnt. Der Ex-Vorstandschef der BVG bekam zum Beispiel rund 300.000 Euro im Jahr, KLARTEXT berichtete darüber. Bis 2007 muss das Unternehmen laut einer Richtlinie der EU rentabel werden, auf eigenen Füssen stehen. Die Kürzung der Vorstandsgehälter alleine würde nicht reichen, es muss umfassend gespart werden. Nur wo? „Nicht bei uns“, sagen die Mitarbeiter. Zu Recht? Ulrich Kraetzer.So richtig zufrieden sind die Kunden nicht – nicht mit den neuen Metro-Linien und nicht mit ihrer BVG. Aber das Unternehmen hat das Monopol, die Fahrgäste keine Alternative. Die Fahrpreise steigen regelmäßig, die BVG macht dennoch regelmäßig Millionen-Verluste, die der Berliner Steuerzahler dann ausgleichen muss.
Christian Grünbaum ist seit 36 Jahren bei der BVG. Er hat einen sicheren Arbeitsplatz und verdient inklusive aller Schichtzulagen und mit Urlaubs- und Weihnachtsgeld pro Monat umgerechnet mehr als 3.000 Euro brutto. Ein angemessenes Gehalt, sagt er, schließlich sei sein Job mit Nacht-, Sonn- und Feiertagsarbeit außergewöhnlich anstrengend.
Christian Grünbaum, BVG-Busfahrer„Ich bin im 36. Jahr bei der BVG. Ich habe mein Leben danach aufgebaut. Ich sehe: Das und das verdiene ich, habe mein Leben dementsprechend aufgebaut. Und ich kann auch nicht in nen Laden reingehen zum Bäcker, was weiß ich und sagen: ich hab jetzt gerade 30 Prozent verzichtet, jetzt will ich auch 30 Prozent die Schrippen billiger. Das geht nicht, das ist nicht machbar. Es ist einfach nicht machbar.“Es muss aber machbar sein, meint der Senat, denn die Personalkosten der BVG seien zu hoch. Trotz Stellenabbaus beschäftigt das Unternehmen immer noch 12.000 Mitarbeiter, 3.000 weniger wären ausreichend. Der Senatszuschuss liegt bei 400 Millionen Euro, das Defizit bei 100 Millionen Euro. So kann es nicht weiter gehen, findet der Berliner Finanzsenator und Aufsichtsratsvorsitzende der BVG, Thilo Sarrazin.
Thilo Sarrazin (SPD), Berliner Finanzsenator„Der einzelne Mitarbeiter leistet ordentliche Arbeit, an dem Platz wo er steht und er bekommt dafür ein Gehalt, was er mal vereinbart hat. Das ist seine Sicht und die will ich auch gar nicht hinterfragen. Das andere ist, dass ein BVG-Busfahrer das Unternehmen 48.000 Euro im Jahr kostet gegenüber einem marktgerechten Preis von etwa 30.000 Euro.“Um rund 30 Prozent will der Senat die Kosten für Busfahrer senken. Christian Grünbaum meint: Solche Kürzungen wären nicht hinnehmbar.
Christian Grünbaum, BVG-Busfahrer„Diese Hetzkampagnen, die jetzt hier so getrieben werden, wir verdienen zuviel Geld: kann ich nicht nachvollziehen, also wirklich absolut nicht nachvollziehen.“Immerhin: Kleinere Kürzungen hat auch der Berliner Landesverband der Gewerkschaft ver.di angeboten. Und so werben gewerkschaftlich organisierte BVG-Mitarbeiter für einen Tarifvertrag, der ihnen Gehaltseinbußen bringen würde. Vorgesehen sind: Streichung des Urlausbgeldes und Streichung der Lohnerhöhungen bis 2007.
Außerdem soll die wöchentliche Arbeitszeit auf 36 Stunden sinken - bei entsprechendem Gehaltsverzicht.
Frank Bäsler, ver.di Landesverband Berlin„Das sind für die Beschäftigten harte Einschnitte. Sehr wohl sind sie bereit, diese zu tragen, wenn sie dafür vom Eigentümer, vom Land Berlin, die Sicherheit ihrer Arbeitsplätze garantiert bekommen.“Den Tarifvertrag beschlossen ver.di und der Kommunale Arbeitgeberverband, ein Zusammenschluss städtischer Betriebe. Das Absurde: Die BVG oder das Land Berlin waren keine direkten Verhandlungspartner. Die Konsequenz: Der BVG-Aufsichtsratsvorsitzende verweigert die Unterschrift unter den Tarifvertrag.
Thilo Sarrazin (SPD), Berliner Finanzsenator„Er ist in der Summe unzureichend. Er senkt die Gehälter der BVG, oder die Gehaltskosten der BVG um gut 3 bis 4 % - weitaus weniger als bei Vivantes oder als beim Land, obwohl die Probleme bei der BVG weitaus größer sind.“Das größte Problem: Die BVG muss fit gemacht werden für den Wettbewerb mit privaten Unternehmen. Denn der Vertrag zwischen dem Land Berlin und der BVG endet 2008. Und das könnte das Ende für den Monopolisten bedeuten. Denn öffentliche Aufträge müssen nach EU-Recht grundsätzlich ausgeschrieben werden. Das gelte auch für den Berliner Nahverkehr, sagt Stefan Forester, der Vertreter der Europäischen Kommission in Berlin.
Stefan Forester, Vertretung der Europäischen Kommission„Leistungen von diesem Umfang sind ausschreibungspflichtig. Es können sich auch private Unternehmen an der Ausschreibung beteiligen. Es ist der günstigste Anbieter zu nehmen, das heißt bei identischer Leistung der mit dem besseren Preis. Falls es zu keiner Ausschreibung kommt, sondern zu einer Direktvergabe, haben andere Marktteilnehmer das Recht, Klage einzubringen.“Von mehr Wettbewerb würden die Kunden und das Land Berlin profitieren, meint der Ökonom und Jurist Christian Kirchner. Die Anbieter müssten gute Qualität für einen günstigen Preis anbieten. Eine solche Ausschreibung könnte allerdings das Ende der BVG bedeuten.
Christian Kirchner, Humboldt-Universität„Wenn heute ausgeschrieben würde, könnte sie bei der jetzigen Kostenstruktur nicht mit Erfolg antreten. Die Lohnstrukturen müssen einmal vereinfacht werden, es müssen Altlasten beseitigt werden, die noch aus der Zeit eines hoch subventionierten West-Berlin kommen und es werden auch Zugeständnisse notwendig sein von Seiten der Gewerkschaften in Fragen Stundenlohn.“Denn Konkurrenten zahlen deutlich weniger als die BVG. Beim privaten Transportunternehmen Connex etwa erhält ein Fahrer brutto rund 1.900 Euro, das sind rund 1.400 weniger als die BVG zahlt. Connex betreibt europaweit Regional- und Fernzüge, in Stockholm ein ganzes U-Bahn-Netz und im Nahverkehr zum Beispiel in Stuttgart oder Görlitz Busnetze. Bei einer Ausschreibung würde sich Connex auch für den Berliner Nahverkehr interessieren.
Andreas Winter, Connex Verkehr GmbH„Im Falle einer Ausschreibung würden wir uns sicherlich die Sachen anschauen. Ich denke schon, dass es da Potenzial gibt, wirtschaftlicher und unter Umständen auch ein besseres Angebot zu machen.“Die BVG würde im Vergleich mit Connex schlecht aussehen. Aber: Sind staatliche Anbieter im Kampf gegen Private grundsätzlich unterlegen?
Ein Blick nach Hamburg zeigt: Es geht auch anders. Der städtische Betrieb „Hamburger Hochbahn“ hatte ähnliche Probleme wie die BVG. Dann einigten sich die Tarifparteien auf rund elf Prozent Gehaltsverzicht und längere Arbeitszeiten. Ein Hamburger Busfahrer verdient jetzt 2.200 Euro brutto, das Unternehmen ist wettbewerbsfähig.
Die Busfahrer der BVG würden sich mit 2.200 Euro wie in Hamburg nicht zufrieden geben. So harte Einschnitte seien nicht zumutbar, meint Christian Grünbaum. Andererseits: Sorgen um die Wettbewerbsfähigkeit seiner BVG macht auch er sich.
Christian Grünbaum, BVG-Busfahrer„Ganz klar, die Angst ist ganz groß. Die Kollegen sind alle dermaßen verunsichert, auch meine Wenigkeit, weil: Wie geht’s weiter? Irgendwie muss man ja planen. Und von daher ist natürlich ganz große Angst da.“Beitrag von Ulrich Kraetzer