Daimler und die Minen - Der Streit des Weltkonzerns mit UNICEF

Begonnen von Wilddieb Stuelpner, 22:49:29 Mi. 18.Mai 2005

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Wilddieb Stuelpner

SWR, Sendung "Report aus Mainz": Daimler und die Minen - Der Streit des Weltkonzerns mit UNICEF

Report Mainz vom 18. April 2005

Moderation Fritz Frey:

Einst stand der Daimler-Stern für Made in Germany, gleichbedeutend mit deutscher Wertarbeit. Das war früher. Guten Abend zu REPORT MAINZ. Heute hat der Stern dunkle Flecken und nicht nur weil eine peinliche Rückrufaktion bei mehr als einer Million Autos alles andere ist als ein Ausweis für Qualität. Es gibt noch mehr Faktoren, die das einstmals gute Image des Konzerns in Mitleidenschaft ziehen.

Wieder gibt es Vorwürfe, dass der Weltkonzern in die Produktion von Minen verstrickt ist. Kriegsgerät also, dass zum Tode oder zu bestialischen Verstümmelungen führt. Thomas Reutter ist den Vorwürfen gegen DaimlerChrysler nachgegangen.

Bericht:

Alle zwanzig Minuten wird ein Mensch durch eine Mine verstümmelt. Seit Jahren sind Landminen weltweit geächtet. In Deutschland engagieren sich Prominente für eine Plakataktion der Kampagne gegen Landminen, einer internationalen Initiative, ausgezeichnet mit dem Friedensnobelpreis. Tatortkommissarin Ulrike Folkerts war bei Minenopfern im Kosovo.

O-Ton, Ulrike Folkerts, Schauspielerin:
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»Kinder, alte Menschen, Frauen die da losziehen und Holz sammeln, weil sie es den Winter warm haben wollen. Die geraten dann auf diese Minen und verletzen sich oder sterben eben. Es gibt alles, es passiert permanent was. Und das ist eben einfach wirklich richtig gruselig, was ich da gesehen habe.«

Die Plakataktion wird mitgetragen von UNICEF, dem Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen. UNICEF unterstützt weltweit Kinder, die Opfer von Minen wurden. Ein Prinzip bei UNICEF: Keine Geschäfte mit Firmen, die Landminen herstellen oder verkaufen.

Deshalb gab es jahrelang Konflikte mit DaimlerChrysler. Denn der Weltkonzern war indirekt beteiligt an der Produktion von Landminen. Sie haben die deutsche Bezeichnung MUSPA, englisch PAAS und MIFF beziehungsweise PATS.
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Deshalb strich UNICEF den Konzern damals von der Lieferliste. Nicht ein Lastwagen durfte mehr gekauft werden. Ein enormer Imageschaden für das Unternehmen.

Hauptversammlung der Aktionäre von DaimlerChrysler 2004. Für Hilmar Kopper, den Aufsichtsratsvorsitzenden, soll der Konflikt mit UNICEF der Vergangenheit angehören. Mit den geächteten Minen will das Unternehmen nun nichts mehr zu tun haben.

O-Ton, Hilmar Kopper, Aufsichtsratsvorsitzender DaimlerChrysler:

»DaimlerChrysler konnte jedoch UNICEF gegenüber belegen, dass die Produktion der beanstandeten Submunitionen MUSPA und MIFF, die zu keiner Zeit als Landminen eingestuft waren, bereits 1994 eingestellt worden ist.«

Auf Grund solcher Beteuerungen hatte UNICEF DaimlerChrysler wieder als Lieferant akzeptiert. Doch stimmen die Beteuerungen wirklich? DaimlerChrysler ist zu 33 Prozent beteiligt am Rüstungskonzern EADS. Der wiederum zu 50 Prozent an der RTG-Euromunition. Merkwürdig. In diesem Fachmagazin eine Anzeige der RTG-Euromunition. Im Angebot auch die beiden Minen, von denen Hilmar Kopper behauptet, sie würden längst nicht mehr produziert. Und auch im Internet wirbt die Firma nach wie vor offensiv für die geächteten Minen.

Wir erinnern uns, Hilmar Kopper wollte nichts mehr mit Landminen zu tun haben.

O-Ton, Hilmar Kopper, Aufsichtsratsvorsitzender DaimlerChrysler:

»Die von verschiedenen Organisationen und auch unseren kritischen Aktionären immer wieder präsentierte Behauptung, DaimlerChrysler habe irgendwie mit der Produktion von Landminen zu tun, ist nun endgültig widerlegt.«

Diese Aussage zeigen wir dem Minenexperten Thomas Küchenmeister vom Aktionsbündnis gegen Landminen.

O-Ton, Thomas Küchenmeister, Aktionsbündnis gegen Landminen:
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»Also, als Aktionär von DaimlerChrysler würde ich mir Sorgen machen, weil offensichtlich weiß Herr Kopper nicht, was in seinem Unternehmen vor sich geht, beziehungsweise an welchen Firmen DaimlerChrysler beteiligt ist.«

Die Sache ist auch deshalb so brisant für DaimlerChrysler, weil die Minen, um die es hier geht, als besonders heimtückisch gelten.

O-Ton, Thomas Küchenmeister, Aktionsbündnis gegen Landminen:

»Unserer Erkenntnis nach haben beide Minen eine Splitterwirkung, beziehungsweise eine dieser Minen hat eine sogenannte Aufhebesperre, was bedeutet, wenn jemand diese Mine berührt, explodiert sie. Das macht sie zur Antipersonenmine.«
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Auch das US-Verteidigungsministerium im Pentagon stuft die beiden Minen klar als Antipersonenminen ein. Diese sind nicht nur geächtet, ihr Einsatz ist sogar international verboten. Für DaimlerChrysler ein Imageproblem. Denn der Konzern stellt sich selbst ganz anders dar.

O-Ton, Jürgen Schrempp, Vorstandsvorsitzender DaimlerChrysler:

»Als weltweit tätiges Unternehmen sind wir in über zweihundert Ländern zu Hause. Wir verstehen uns dabei als verantwortlichen Teil der Gesellschaft. Wir wollen uns als Unternehmen aktiv zum Wohl der Gesellschaft einbringen.«

Ein Interview zu Minen und Streumunition verweigert uns DaimlerChrysler. Die Beteiligung an solchen Rüstungsgeschäften sei für den Konzern kein Thema, so die Pressestelle telefonisch.
Die Hauptversammlung der Aktionäre vor kurzem in Berlin. Vor dem Eingang, einsamer Protest gegen den Konzern. UNICEF ist sauer und will nun seine Geschäftsbeziehungen zu dem Unternehmen intensiv überprüfen.

O-Ton, Christian Schneider, UNICEF:
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»Auf Grund der jetzt vorliegenden Informationen fordert UNICEF DaimlerChrysler auf, seine Rüstungsgeschäfte offen zu legen, damit UNICEF überprüfen kann, ob diese Geschäfte den Statuten von UNICEF entsprechen.«

O-Ton, Holger Rothbauer, Kritische Aktionäre von DaimlerChrysler:
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»Für DaimlerChrysler ist das ein riesiger Imageschaden. Es ist eine peinliche Darstellung in der Öffentlichkeit. Und kann an Summe kaum mehr überboten werden und ein weiterer Rückschlag für die Produkte, die DaimlerChrysler eigentlich original anbietet.«

Aber DaimlerChrysler ist nicht nur in das Geschäft mit Minen, sondern auch mit Streumunition verwickelt. Das belegen heimlich gedrehte Aufnahmen auf einer internationalen Rüstungsmesse in Paris im vergangenen Jahr. Am Stand der DaimlerChrysler-Beteiligungsfirma EADS dieses Plakat. Es kündigt für 2005 die Massenproduktion von Raketen an, die ihre Submunition über quadratkilometergroße Flächen verstreuen.

O-Ton, Thomas Küchenmeister, Aktionsbündnis gegen Landminen:

»Ein solches System kann mit einer Salve bis zu 8000 Bombletmunitionen auf einem Gebiet bis zu einem Quadratkilomenter verteilen. Das heißt also, ein solches System verstößt unserer Auffassung nach klar gegen die Genfer Konvention, die wahllose Angriffe verbietet.«
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Streumunition im Einsatz. Wie im Kosovo wird fast immer auch die Zivilbevölkerung getroffen. Heute Vormittag sind wir bei Heinz Bierbaum, Professor für Betriebswirtschaft an der Hochschule des Saarlandes. Wir fragen ihn nach der Verantwortung von DaimlerChrysler für die Rüstungsgeschäfte von EADS.

O-Ton, Prof. Heinz Bierbaum, Hochschule des Saarlandes:
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»Der Einfluss von DaimlerChrysler auf die EADS ist groß. Das ist bekannt, das heißt, die Politik von EADS wird von Daimler mit verantwortet.«

Auch Tagesthemen-Moderatorin Anne Will macht bei der Plakataktion mit und setzt sich aktiv gegen Landminen und Streumunition ein.

O-Ton, Anne Will, Tagesthemen Moderatorin:
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»Es muss verboten werden, dass Streubomben überhaupt hergestellt werden. Nur so kann man sicher stellen, dass sie nie wieder abgeworfen werden. Und dafür, finde ich, muss man sich unbedingt einsetzen, dass sie verboten werden.«

Doch DaimlerChrysler beteiligt sich über EADS weiter an der Vermarktung von Streumunition. Und über die RTG-Euromunition auch von Landminen. Und das obwohl der Konzern vorgibt, mit all dem nichts mehr zu tun zu haben.

Ulrike Folkerts hat dafür kein Verständnis.

O-Ton, Ulrike Folkerts, Schauspielerin:

»Natürlich ist der Appell an so einen Konzern, aufhören mit der Produktion von solchen Teilen für, um so eine Munition zu produzieren. Und solange er das macht, werde ich nicht bereit sein, einen Mercedes zu fahren geschweige denn einen zu kaufen. Eher umgekehrt, wenn ihr mir darlegt, wir hören auf mit der Produktion, bin ich bereit auch bei Mercedes wieder Kunde zu werden.«

Abmoderation Fritz Frey:

Warum nicht mal eine Rückrufaktion für Minen? Das wäre nicht nur gut für das ramponierte Image.

Links:

Globalplayer DaimlerCrysler

Unicef

Aktionsbündnis Landmine.de

Kritische Aktionäre von Daimler Crysler

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»Kapital«, sagt der »Quarterly Reviewer«, »flieht Tumult und Streit und ist ängstlicher Natur. Das ist sehr wahr, aber doch nicht die ganze Wahrheit. Das Kapital hat einen Horror vor Abwesenheit von Profit oder sehr kleinem Profit, wie die Natur vor der Leere. Mit entsprechendem Profit wird Kapital kühn. Zehn Prozent sicher, und man kann es überall anwenden; 20 Prozent, es wird lebhaft; 50 Prozent, positiv waghalsig; für 100 Prozent stampft es alle menschlichen Gesetze unter seinen Fuß; 300 Prozent, und es gibt kein Verbrechen, das es nicht riskiert, selbst auf die Gefahr des Galgens. Wenn Tumult und Streit Profit bringen, wird es sie beide encouragieren.«

Karl Marx, Das Kapital, 1. Band, 2. Auflage. Note S. 250.

Oder hat jemand nach dem Nürnberger Tribunal die Herren Abs, Flick, Krupp und Thyssen auf der Richtstätte erblickt?

Wilddieb Stuelpner

ZitatAbmoderation Fritz Frey:

Warum nicht mal eine Rückrufaktion für Minen? Das wäre nicht nur gut für das ramponierte Image.

Die Lieferung der Landminen aus der Rückrufaktion sollte im Büro des heutigen deutschen Firmenchefs von DamlerCrysler oder beim Bundesverteidigungsminister abgeladen werden.

Kann das sein?

Sah ich auch. Minen - ein globales Thema, wobei die UNICEF und andere Organisationen nur begrenzt vorgehen können.

Damals (Nürnberg) und auch heute tut man sich schwer gegen Hersteller dieser meistens Antipersonenminen und Fahrzeugminen vorzugehen. Die großindustriellen Herrscherfamilien haben sich schon immer freizukaufen gewusst. Und sei es mit "einzusparenden Arbeitskräften" im Falle gerichtlicher oder staatlicher Sanktionen.

Rückrufaktion für Minen?
Schöner Gedanke. Sollte man allerdings auch mal in China, Vietnam, Nordkorea, den Ländern der EX-Sowjetunion, Indien, Pakistan Ex-Jugoslawien und Albanien vorsprechen: Hier werden für 2-5 Euro die meisten dieser Minen millionenfach auch heute noch hergestellt - in Albanien und Ex-Jugoslawien kann sie ein jeder für diesen Preis kaufen, nach dem Wofür-Warum? wird hier nicht gefragt.

Und deswegen bleibt dies Thema auch ungeahndet. Wo will man den Hebel ansetzen? China, Nordkorea, Rußland aburteilen? Das wird nie passieren - wirtschaftliche und finanzielle Verstrickungen erlauben das nicht.

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