Danke für diesen treffenden Beitrag. Ein Bekannter von mir war zu DDR Zeiten noch in der Hochseeschiffahrt tätig. Er erlebte genau das, was du beschreibst. Die Ausflaggung der Schiffe gehörte zur allgemeinen Entwicklung. Mit den "Billigflaggen" kamen die Billiglöhner, oftmals Philippinos. Mein Kumpel sah sich gezwungen umzuschulen und wurde Berufskraftfahrer. Dort konnte er mit zeitlicher Verzögerung genau das beobachten, was er zuvor in der Seefahrt erlebt hat.
Du beschreibst 1:1 das, was ich zuvor gehört habe. Die EU treibt diese Entwicklungen voran. Es geht um Deregulierung, das neoliberale Mantra. Dumpingwettbewerb und freier Fall der Sozialstandards. Es wird irgendwelcher Unsinn über die EU geredet mit Bürokratie und Überregulierung, in der die Krümmung von Bananen nachgemessen wird. Das Gegenteil ist jedoch Alltag: Die gesetzlichen Schutzbestimmungen für die Branche sind weitgehend aufgeweicht und aufgehoben worden. Damit nicht genug: Es gibt kaum noch Kontrollen im Gütertransport. Es herrscht Wild West, es werden die Lenk- und Ruhezeiten nicht eingehalten, das Arbeitsmaterial ist oft heruntergewirtschaftet, defekt und gefährlich. Und richtig, viele Papiere sind gefälscht. Das sind nicht nur unhaltbare Zustände für die Berufskraftfahrer, es sorgt für mörderische Zustände auf den Straßen. In diesen Krisenzeiten werden auch osteuropäische Billiglöhner um ihren mickrigen Lohn betrogen. Ottonormalverbraucher hat wirklich keine Ahnung unter welchen Umständen die Waren ins Supermarktregal kommen.
Das große Problem ist die Einzelkämpferhaltung der Fahrer selbst. Verdi hat ja schon vor Jahrzehnten die Schmuddelbranche aufgegeben. Man kümmert sich bestenfalls hin und wieder um Beschäftigte der Post. Ansonsten sind die Fahrer zu verstreut, zu schwer erreichbar, zu unorganisierbar. Es mag zwar verallgemeinernd klingen, aber Fahrer zeichnen sich gern durch ihre große Klappe aus. Sind Einzelkämpfer, Cowboys und alles Helden. Keiner braucht eine Gewerkschaft oder Solidarität. "Das kann ich auch allein aushandeln!" Man schimpft nicht auf die Transportbranche, auf die Spediteure, sondern auf die eigenen Kollegen, die schlecht bezahlt werden. Die bezeichnet man sogar als Lohndrücker, statt zu erkennen, daß es Opfer der Lohndrückerei sind. Der Druck in der Branche ist enorm, er kommt von oben, zumeist von der Autoindustrie, aber auch von den großen Supermarktketten. Diesem Druck auf die sozialen Bedingungen kann sich niemand entziehen, auch die Kleinspediteure nicht, die versuchen, sich noch irgendwie menschlich und sozial zu verhalten.
Die einzige Möglichkeit sich gegen diese Entwicklung zu stellen, wäre ein solidarischer Gegendruck von unten. Es gibt aber die rassistischen Spaltungen, das Einzelkämpfertum und die Realitätsverweigerung der Fahrer. Sie behaupten gern, es gäbe keinen Fahrermangel. "Es läuft doch." Man will nichts hören von den Arbeitskämpfen der Kollegen in anderen Ländern. Es gab im vergangen Jahrzehnt so manchen Versuch, die Fahrer zu einer gemeinsamen Gegenwehr zu bewegen. Es gab Druck von oben, die Polizei hat einen größeren Fahrerprotest in Berlin aufgelöst. Aber diese Selbstorganisierungsversuche und Protestbewegungen wurden nicht durch den Druck von oben zerschlagen, sondern durch die Uneinigkeit der Fahrer selbst. Jeder Protest war ihnen zu klein und sie erklärten ihn stets für "lächerlich" und jeder kleine Fehler von Veranstaltern wurde mit einem Shitstorm beantwortet. Die besten Fahreraktivisten haben irgendwann die Flinte ins Korn geworfen.