Rosa Luxemburg: Neunzig Jahre am falschen Ort?

Begonnen von Kater, 16:05:20 Do. 04.Juni 2009

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Kater

ZitatNeunzig Jahre am falschen Ort

In der Charité wurde ein Leichnam gefunden, der nach Ansicht zweier Wissenschaftler möglicherweise der von Rosa Luxemburg ist. Eine DNA-Analyse als Beweis steht noch aus
Lutz Schnedelbach, Thorkit Treichel

BERLIN. Frische rote Nelken liegen an der Grabstätte von Rosa Luxemburg auf dem Berliner Zentralfriedhof Friedrichsfelde. Doch die im Jahr 1919 von rechtsradikalen Freikorpssoldaten ermordete KPD-Führerin ist möglicherweise dort gar nicht begraben. Wahrscheinlich ist sie nie bestattet worden. Ihre sterblichen Überreste befinden sich seit neunzig Jahren in der Charité - das vermuten zumindest der Chef der Rechtsmedizin des Universitätsklinikums, Michael Tsokos, und der Berliner Historiker Jörn Schütrumpf .

Tsokos, ein renommierter Wissenschaftler, war zu Beginn des Jahres 2007 von Hamburg an die Charité gekommen. Im Keller des Instituts stieß er auf eine Jahrzehnte alte Wasserleiche, der Kopf, Füße und Hände fehlten. "Sie wies Ähnlichkeiten mit Rosa Luxemburg auf. Die Größe stimmte. Sie hatte ein verkürztes Bein und einen Hüftschaden", sagt er am Freitag. Dass die Hände und Füße der Toten fehlen, könne daran liegen, dass sie mit einschneidenden Metallschlingen an Gewichten gefesselt worden war.

Untersuchungen mit einem Computertomographen ergaben, dass die Frau 40 bis 50 Jahre alt war, als sie starb. Das Leibnitz-Institut für Altersbestimmung in Kiel stellte schließlich mit der sogenannten C4-Altersbestimmungsmethode fest, dass sie vor 90 Jahren gestorben sein könnte. "Diese beiden Ergebnisse sprechen durchaus dafür, dass es sich bei der Toten tatsächlich um Rosa Luxemburg handeln könnte", so Tsokos.

Unbekannte im Grab

Die beiden KPD-Führer Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht waren am 15. Januar 1919 von Soldaten der Garde-Kavallerie-Schützen-Division ermordet worden. Die Mitbegründerin der Kommunistischen Partei wurde zunächst in einem Hotel niedergeschlagen und dann auf einem Lkw erschossen. Ihre Leiche warfen die Soldaten in den Landwehrkanal.

Der 42-jährige Wissenschaftler Tsokos ist sich zudem "zu 100 Prozent sicher", dass die Frau, die in dem Grab auf dem Zentralfriedhof liegt, nicht Rosa Luxemburg ist. Denn in seinem Institut fand er vor kurzem das Obduktionsprotokoll von 1919, in dem sich kein Hinweis auf die anatomischen Merkmale der Kommunistin finden lässt. Außerdem fehlen Spuren von Gewehrkolbenschlägen und des Kopfschusses.

Nachdem der Rechtsmediziner auf das historische Protokoll gestoßen war, setzte er sich vor etwa sechs Wochen mit dem Rosa-Luxemburg-Experten und Geschäftsführer des Karl-Dietz-Verlags, Jörn Schütrumpf, in Verbindung. "Dann haben wir uns gemeinsam mit dem Spiegel-Redakteur Frank Thadeusz an die Recherche gemacht", sagt Schütrumpf.

Diese ergab, dass am 30. Mai 1919, also gut vier Monate nach dem Attentat auf Rosa Luxemburg, am Landwehrkanal eine Frauenleiche angetrieben wurde. "Man ging davon aus, dass es sich um Rosa Luxemburg handelt", berichtet Schütrumpf. Sie wurde nach seinen Angaben zum Oberkommando des Heeres nach Zossen in Brandenburg geschafft - "zu ihren Mördern". Die Charité-Pathologen Fritz Strassmann und Paul Fraenckel wurden einbestellt, um sie zu obduzieren. "Strassmann war eine international bekannte Koryphäe. Er und Fraenckel begriffen sofort, dass das niemals Rosa Luxemburg sein kann, wurden aber von den Militärs gezwungen, die Leiche als die der Kommunistenführerin auszuweisen", sagt Schütrumpf. "Militär, Gerichtsmedizin und Staatsanwaltschaft haben dieses Spiel mitgespielt."

Die wahre Rosa Luxemburg wurde wahrscheinlich wenige Jahre später in der Charité obduziert. Zwischen 1919 und 1922 seien zehn Frauenleichen aus den Berliner Gewässern gefischt worden. Neun hätte man identifiziert und begraben. "Bei einer war die Identität schon vergeben", so der 53-jährige Historiker. Strassmann und Fraenckel hätten gewusst, dass es sich um Rosa Luxemburg handelt. "Wie es damals bei bekannten Persönlichkeiten üblich war, haben sie den Kopf des Leichnams abgetrennt und ihn in Formalin aufbewahrt." Der Rumpf sei zu Lehrzwecken benötigt worden.

Tsokos und Schütrumpf glauben, dass sich auch der Kopf noch im Keller des medizinhistorischen Museums der Charité befindet. "In der Pathologie wurde von Generation zu Generation weitergegeben, dass die sterblichen Überreste von Rosa Luxemburg in der Charité aufbewahrt werden. Der letzte Pathologe, der davon wusste, starb im Jahr 2006", sagt Schütrumpf.

Der endgültige Beweis steht jedoch noch aus. Tsokos hat der Toten eine DNA-Probe entnommen und hofft nun auf einen Abgleich. Ein Haar oder eine Hautschuppe würden genügen, um die Sensation perfekt zu machen. Weltweit suchen die beiden nun nach Menschen, die Kleidungsstücke von Rosa Luxemburg besitzen. In Warschau soll eine Nichte der Arbeiterführerin leben, in den USA eine Locke von ihr existieren. Diese habe dem KPD-Führer Paul Levi gehört, der eine Zeit lang mit Rosa Luxemburg liiert gewesen und 1930 in die Vereinigten Staaten emigriert sei. "Er hat die Locke bis zu seinem Tod im Portemonnaie getragen." Schütrumpf fordert nun die Bundesregierung auf, alles dranzusetzen, um die Identität der Leiche zu bestimmen, die im Keller der Charité liegt.

Dies verlangen auch die Spitzen von Linkspartei und -fraktion, Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Lothar Bisky. "Sollte eine andere Frau als Rosa Luxemburg an ihrer Stelle beerdigt worden sein, würde es sich um ein zusätzliches verruchtes und verbrecherisches Vorgehen von Reichswehr, Gerichtsmedizin, Staatsanwaltschaft unter Verantwortung des sozialdemokratischen Reichswehrministers Noske handeln", erklären sie.

Wenn sich die Leiche in der Charité als die der Arbeiterführerin herausstellt, dann könnte Rosa Luxemburg nach neunzig Jahren endlich ihre letzte Ruhe finden.

http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/archiv/.bin/dump.fcgi/2009/0530/seite3/0019/index.html

Pinnswin

Zitat...Diese ergab, dass am 30. Mai 1919, also gut vier Monate nach dem Attentat auf Rosa Luxemburg, am Landwehrkanal eine Frauenleiche angetrieben wurde....

Attentat? ...na-so-was- Ich dachte immer, die sin´n standesrechtlich exekutiert worden? Tzs-tzs
Das Ende Der Welt brach Anno Domini 1420 doch nicht herein.
Obwohl vieles darauf hin deutete, das es kaeme... A. Sapkowski

Kater

Zitat von: Pinnswin am 08:18:51 Mi. 10.Juni 2009
Attentat? ...na-so-was- Ich dachte immer, die sin´n standesrechtlich exekutiert worden? Tzs-tzs

Der Mordfall Liebknecht/Luxemburg: Eine Exkursion zu den Tatorten in Berlin.

http://www.zeit.de/zeit-geschichte/2008/03/mordfall-liebknecht-luxemburg?page=all

Kater

ZitatDer große Verrat
Waldemar Pabst, der Kopf des Mordkommandos an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht
Volker Saupe

Warum trägt die Friedrich-Ebert-Stiftung der SPD, gegründet im Jahre 1925 noch heute diesen Namen? Wie konnte es dazu kommen, dass die hegemonialen Institutionen der Arbeiterklasse terroristisch gegen ihre eigene Basis vorgingen und die massenhaft artikulierten Bedürfnisse nach Demokratie, Gleichheit und Abrüstung zerstörte? Liegt hier nicht eine der tödlichen Keimzellen der Weimarer Republik? Und, können derartige Konfrontationen zwischen Bürokratie und Klasse heute etwa wiederkehren? Das scheinen die treibenden Fragen von Klaus Gietingers Biografie über den Konterrevolutionär Waldemar Pabst zu sein.

Im Winter 1918/1919 gab es einen Aufstand der Massen. Ein singuläres Phänomen in der deutschen Geschichte. Die Polarisierung der Gesellschaft und eine neue Unübersichtlichkeit charakterisierte die Situation. Die Machtfrage wurde gestellt und war, nach der Abdankung von Wilhelm dem Zweiten, für kurze Zeit offen. Am Ende des Ersten Weltkriegs gab es eine Eruption angesichts des existenziellen Elends, das auch den bislang getreuen Untertan mobilisierte. Von den Opfern und Tätern des Bürgerkriegs sind nur wenige Namen im öffentlichen Gedächtnis geblieben. Reichskanzler ist Friedrich Ebert (SPD), für den "Sozialismus . Organisation, Ordnung und Solidarität", ist.

Die Angst vor den eigenen Massen und eine Bolschewismuspsychose erzeugten eine völkische und terroristische Allianz. Die Ermordung von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg vor 90 Jahren ist dabei eine Zäsur. "Und dafür sollten diese Idioten Noske und mir auf den Knien danken, uns Denkmäler setzen und nach uns Straßen und Plätze genannt haben! Der Noske war damals vorbildlich, und die Partei (bis auf den halbkommunistischen linken Flügel) hat sich in dieser Affäre damals tadellos benommen", schreibt Waldemar Pabst 1969. Noske hatte Pabst in einem Telefonat freie Hand gegeben. Zuvor hatte eine Abstimmung zwischen Ebert und Pabst stattgefunden.

Am 9. März 1919 titelte die B.Z. am Mittag mit einer lancierten Falschmeldung über die angebliche Erstürmung des Polizeipräsidiums in Berlin-Lichtenberg durch Aufständische mit zahlreichen Toten. Hauptmann Waldemar Pabst, von der Garde-Kavallerie-Schützendivision, formulierte einen folgenreichen und völkerrechtswidrigen Befehl, der vom Reichswehrminister Gustav Noske (SPD) unterschrieben wurde: "Jede Person, die mit Waffen in der Hand gegen Regierungstruppen kämpfend angetroffen wird, ist sofort zu erschießen". Die Lizenz zum Morden kostete, nach regierungsamtlichen Angaben, 1 200 Menschen das Leben. Darunter auch Jugendliche, Frauen und Kinder, wegen Bagatellen, die gar nichts mit dem Befehl zu tun hatten.

Wer war Ernst Julius Waldemar Pabst, der 1880 in Berlin-Charlottenburg geboren wurde? Der Sozialwissenschaftler und Regisseur Klaus Gietinger nimmt in seiner Biografie die Spuren auf, gestützt auf zahlreiche, bisher unveröffentlichte Dokumente.

Zweifellos ist Pabst eine historische Figur, dessen Einfluss auf die deutsche und europäische Politik im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts bislang unterschätzt wurde. Aus dem aufstrebenden Bürgertum des Kaiserreichs kommend, strebt er die Karriere eines preußisch-protestantischen Militärs an. Bevor er zur Schlüsselfigur der deutschen Konterrevolution avancierte, diente er im Ersten Weltkrieg als Stabsoffizier einer Elitedivision in Frankreich. Der kleine Mann mit seiner "nicht starken Körperkonstitution" zeichnete sich durch Organisationstalent aus und beendete den Krieg, hoch dekoriert mit diversen Eisernen Kreuzen.

Das Hotel "Eden" ist seine Residenz. Die Ermordung von Luxemburg und Liebknecht werden von ihm befohlen. Die Verstrickungen des Militärs mit der SPD hat bereits Sebastian Haffner 1968 in der Stern-Serie mit dem Titel "Der große Verrat" umfänglich beschrieben. "Ein Arbeiter stand an der Spitze der republikanischen Truppen", und Pabst führte ihn wie einen "Bären am Nasenring", wie es seinerzeit Harry Graf Kessler formulierte.

Und spätestens hier beginnt der Autor eine neue Erzählung: die Rolle der Sozialdemokratie im und nach dem Ersten Weltkrieg. Es müssten eigentlich zwei Bücher sein. Gietingers Abrechnung mit der SPD fällt dann leider doch sehr polemisch aus. Das wäre nicht nötig gewesen. Die historischen Fakten sprechen für sich.

Waldemar Pabst wirkte unentwegt als militanter Netzwerker - vom Großkapital gesponsert. Nach dem Kapp-Putsch ist das Spiel in Deutschland zunächst aus, er flüchtet nach Österreich. Pabst ist Geheimagent des Außenministers Stresemann. Er arbeitet am Aufbau einer faschistischen, der sogenannten Weißen Internationale, die Achse Österreich - Ungarn - Italien. Als Heimatwehrführer in Tirol baut er eine faschistische Organisation auf. Der Österreicher Hitler ist von seiner Organisationsarbeit beeindruckt und bietet ihm das Amt eines "Reichsbeauftragten des Parteiführers" an. Daraus wird nichts, möglicherweise war Pabst Hitler zu internationalistisch. Pabst wechselt in die Wirtschaft und macht im Zentrum der deutschen Rüstungsindustrie Karriere. 1931 wird er Direktor bei Rheinmetall, 1938 Wehrwirtschaftsführer. Pabst wickelt Außenhandelsgeschäfte über die Schweiz ab und kann dort auch das Ende des Krieges unbeschadet überleben. Ein Auslieferungsbegehren Frankreichs übersteht er. Nach dem Krieg wird Pabst Waffenschieber für Billigraketen, Tretminen und Napalmbomben für rechte Diktaturen in der ganzen Welt. Als Neunzigjähriger stirbt er friedlich in Düsseldorf.

Das Amtsgericht Berlin-Tiergarten verurteilte im Oktober 2008 einen NPD-Abgeordneten der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Lichtenberg zu einer Strafe von 4 500 Euro, weil er in einer Rede die Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht öffentlich gebilligt hatte. Zuvor hatte die BVV Lichtenberg am 13. 12. 2007 den Antrag der NPD auf Umbenennung des Anton-Saefkow-Platzes in Wal- demar-Pabst-Platz mit großer Mehrheit angelehnt.

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Der Konterrevolutionär. Waldemar Pabst - eine deutsche Karriere. Edition Nautilus, Hamburg 2009. 544 S., 39,90 Euro.


http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/archiv/.bin/dump.fcgi/2009/0611/bcher/0008/index.html

Kuddel

ZitatVor 100 Jahren
Die Berliner Märzkämpfe enden

Im März 1919 erließ SPD-Politiker Gustav Noske in Berlin einen Schießbefehl, den er noch im selben Monat aufhob. Keiner weiß es genau – aber am Ende der Gewaltorgie waren fast 2.000 Menschen tot – und die Spaltung der deutschen Arbeiterklasse zu einem unüberbrückbaren Graben geworden



Straßenkampf im März 1919 unter dem Brandenburger Tor in Berlin

,,Nach ihrem Misserfolg in Berlin besetzten die Spartakisten gestern Abend Lichtenberg und unternahmen einen Rachezug gegen die Polizeiwache des Ersten Reviers. Die Spartakisten ermordeten sämtliche Offiziere, Wachtmeister und Soldaten."

Die kurze Meldung im Nachrichtendienst ,,Wolffs Telegraphisches Bureau" am 9. März 1919 erschien bereits am nächsten Tag in allen Berliner Zeitungen, sensationsgierig aufgebauscht und um keine Lüge verlegen. So auch im sozialdemokratischen ,,Vorwärts":

,,Was am Sonnabend in Lichtenberg geschehen ist, das ist ein gemeiner Massen- und Meuchelmord. Die Feder sträubt sich, wenn sie die grauenerregenden Handlungen beschreiben soll, die von spartakistischen Haufen an wehrlosen Gefangenen verübt worden sind. Sechzig Polizeibeamte und einige Dutzend Regierungssoldaten sind wie Tiere abgeschlachtet worden."

Solche Berichte über die ,,spartakistischen Bestialitäten" in Lichtenberg – es war dort zu Plünderungen und zu Übergriffen auf Polizisten gekommen – markierten den Beginn der ,,Märzkämpfe" und dienten als Begründung für einen Schießbefehl. Er wurde von dem kurz zuvor ernannten sozialdemokratischen Reichswehrminister Gustav Noske unterzeichnet und am 10. März wirksam. Drei Tage später führte er in einer Rede aus:

,,Ich freue mich feststellen zu können, dass Lichtenberg gestern abend kampflos von den Truppen besetzt worden ist. Dazu hat beträchtlich ein Erlass beigetragen, den ich schweren Herzens am 9. abends unterzeichnet habe. Er lautet: Jede Person, die mit den Waffen in der Hand gegen Regierungstruppen kämpfend angetroffen wird, ist sofort zu erschießen. In höchster Not habe ich mich zu dieser Anordnung entschlossen. Aber ich durfte die Abschlachtung von einzelnen Soldaten nicht weiter dauern lassen."

Arbeiter- und Soldatenräte sollten beseitigt werden

Auch die radikale Linke verübte Gewalttaten. Vor allem aber war sie in jenen Tagen immer wieder Gewalt-Opfer. Die Niederschlagung des Januaraufstands und die Ermordung Rosa Luxemburgs und Karl Liebknechts am 15. Januar 1919 wirkten nach. Dennoch herrschte in einem Punkt Einigkeit mit vielen Arbeitern: Die Revolution vom November 1918 sollte durch die SPD unter Friedrich Ebert annulliert und die Arbeiter- und Soldatenräte beseitigt werden. Eben deshalb war am 3. März der Generalstreik für Groß-Berlin beschlossen worden – ein hilfloser Versuch, das Rätesystem und damit die Revolution zu retten. 

Genau das wollte Noske mit allen Mitteln verhindern. Generalmajor Georg Maercker, Kommandeur einer jener Freikorpseinheiten, die Noske in Richtung Berlin und Lichtenberg ab dem 4. März in Bewegung gesetzt hatte, brachte es auf den Punkt:

,,Im Kampf der Reichsregierung gegen die Linksradikalen handelte es sich ausschließlich um die Erhaltung der politischen Macht. Die Regierung aber fürchtete sich, Farbe zu bekennen und zu erklären, daß die Freiwilligentruppe dazu diene, die Räteherrschaft zu beseitigen, wo sie noch bestand."

Der Generalstreik wurde bereits am 8. März abgebrochen. Doch die von Seiten der rechten Freikorps mit den Waffen des Ersten Weltkriegs, darunter mit Minenwerfern und  Bombenangriffen geführten Kämpfe gingen weiter, vornehmlich in den östlichen Bezirken Berlins – in ihrer Brutalität angestachelt durch die angeblichen Lichtenberger Morde.

Aufhebung des Schießbefehls


Am 16. März hob ein Erlass Noskes den Schießbefehl endlich auf. Zu diesem Zeitpunkt war längst klar, dass die Gräuelmeldungen reine Erfindung waren. Beachtung fand das kaum. Noske sprach nun von einem ,,Aufstand", den er gemeinsam mit den Freikorps niedergeschlagen hatte:

,,In Berlin hat eine Woche lang eine Schlacht mit allen ihren Schrecken getobt. Ich kann mitteilen, dass der Aufstand niedergeschlagen ist. Nur eine Säuberungsaktion ist in einigen Vororten noch vorzunehmen."

Die ,,Säuberungsaktion" zog sich trotz Aufhebung des Schießbefehls noch wochenlang hin, mit willkürlichen Verhaftungen und Misshandlungen. Der unabhängige Sozialdemokrat Richard Müller, zugleich Anführer der ,,Revolutionären Obleute" – einer im Weltkrieg gegründeten Gruppe unabhängiger Gewerkschafter – hatte sich gleichermaßen als Gegner der SPD wie der radikalen Linken und Rechten einen klaren Blick bewahrt:

,,Der Militarismus entfaltete eine Herrschaft wie nie zuvor. Was im kaiserlichen Deutschland unmöglich war, das konnte geschehen und wurde gedeckt von Männern, die mit sozialistischer Phraseologie im Blute ihrer Klassengenossen wateten."

Keiner weiß es genau – aber am Ende der Gewaltorgie waren fast 2.000 Menschen tot – und die Spaltung der deutschen Arbeiterklasse zu einem unüberbrückbaren Graben geworden.
https://www.deutschlandfunk.de/vor-100-jahren-die-berliner-maerzkaempfe-enden.871.de.html?dram:article_id=443763

Kuddel

Diesmal vom SWR2

ZitatMärz 1919
Gustav Noske lässt Aufständische erschießen
Berliner Märzkämpfe: SPD-Reichswehrminister erteilt Schießbefehl

Nach der Novemberrevolution bekriegen sich die Sozialdemokraten untereinander. Der Machtkampf eskaliert zunächst im Spartakusaufstand vom Januar, in dessen Folge auch Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht ermordet wurden. Noch blutiger endeten die Berliner Märzkämpfe, bei denen 1.200 Menschen starben


Sozialdemokratie in Deutschland ist gespalten

Ein brutaler Machtkampf tobt in Deutschland nach dem Ende des Ersten Weltkriegs und der Monarchie. Sozialdemokraten und Kommunisten hatten zwar den Kaiser zum Abdanken gebracht, aber die Sozialdemokratie war tief gespalten. Auf der einen Seite: Die etablierten SPDler der "MSPD" unter Friedrich Ebert, Philipp Scheidemann und Gustav Noske. Sie strebten nach der Abdankung des Kaisers Neuwahlen an, um rasch wieder geordnete Verhältnisse herzustellen.


Gustav Noske (1868 - 1946), Reichswehrminister (SPD); 13.2.1919 bis 22.3.1920

Diesen "Mehrheitssozialdemokraten" stand die Unabhängige Sozialdemokratische Partei (USPD) gegenüber, die sich von der SPD abgespalten hatte. Sie wollte grundlegend andere Verhältnisse. Hinter ihr versammelte sich die Arbeiterschaft und die Revolutionäre. Sie wollten mehr Verstaatlichung und eine Entmachtung des Militärs. Auch der links-marxistische Spartakusbund gehörte dazu.

Spartakusaufstand wird im Januar 1919 niedergeschlagen


Die Auseinandersetzung zwischen MSDP und USDP eskalierte zunächst in einem Generalstreik im Januar 1919, dem sogenannten Spartakusaufstand. Am 6. Januar übergab Friedrich Ebert das Kommando über die Berliner Truppen an Gustav Noske. Der konnte gemeinsam mit den sogenannten Freikorps den Januaraufstand beenden.

Mehrere hundert Aufständische wurden bei erschossen. In den darauffolgenden Tagen begann die Verfolgung der Beteiligten. Im Zuge dieser Verfolgungen wurden schließlich auch Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht am 15. Januar ermordet. Weitere vier Tage später, am 19. Januar fanden die Wahlen zur Nationalversammlung statt – auch die Frauen durften zum ersten Mal wählen.

Neue Unruhen im März 1919

Im März brachen die Unruhen wieder los – diesmal gingen sie auch über Berlin hinaus. Am 9. März erließ Noske einen Schießbefehl gegen die Spartakisten – was er in der Tonaufnahme begründet. 1.200 Menschen starben in den Kämpfen.

Am 13. März 1919 hielt Gustav Noske eine Rede vor der Nationalversammlung, in der er den Sieg über die Aufständischen verkündete und sein Vorgehen verteidigte.

Transkript der Ansprache von Gustav Noske

"Ich kann mitteilen, dass der Aufstand niedergeschlagen ist! Dazu hat beträchtlich ein Erlass beigetragen, den ich schweren Herzens am 9. abends unterzeichnet habe. Er lautet:

Jede Person, die mit den Waffen in der Hand gegen Regierungstruppen kämpfend angetroffen wird, ist sofort zu erschießen.

In höchster Not habe ich mich zu dieser Anordnung entschlossen. Aber ich durfte die Abschlachtung von einzelnen Soldaten nicht weiter dauern lassen. Ich gedenke tief erschüttert und ehrend der wackeren Männer, die in diesen Schreckenstagen für die Ruhe und die Sicherheit im Lande ihr Leben gelassen haben. Grausen muss jeden fühlenden Menschen packen bei der Erinnerung an eine viehische Bestialität, mit der eine Anzahl von Soldaten dahingemordet worden sind. Es steht fest, dass Bestien in Menschengestalt sich ausgerast haben wie Amokläufer. Ich musste den Versuch machen, dieser Bestialität Einhalt zu tun durch die Androhung härtester Abschreckungsmittel.

Die Ansichten der Juristen über die rechtliche Zulässigkeit der Verfügung gehen auseinander. Ich lasse mich auf juristische Zipfeleien nicht aus. Wenn in den Straßen Berlins Tausende Menschen die Waffen gegen die Regierung führen, Mörder und Plünderer Orgien feiern besteht ein Zustand außerhalb jedes Rechts. Die Staatsnotwendigkeit gebot so zu handeln, dass so rasch wie möglich wieder Ordnung und Sicherheit hergestellt wurden. Getan habe ich, was gegenüber dem Reiche und dem Volke für meine Pflicht gehalten wurde."
https://www.swr.de/swr2/wissen/archivradio/gustav-noske-erteilt-schiessbefehl-berliner-maerzkaempfe-1919/-/id=2847740/did=23182792/nid=2847740/zh72ee/index.html

Kuddel


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