Ich muß gestehen, daß es mir echt auf den Sack geht, wie leicht man es sich macht, wenn man sein persönliches Unwohlsein in den Verhältnissen formuliert. Die Vereinfachung und die Reduzierung auf den Begriiff "Deutschland" unterscheidet sich nur wenig von der Argumentation von Faschos. Wenn hier im Forum bis zum Erbrechen wiederholt wird, "da hilft nur noch Auswandern", dann ist es im Grunde nur die Fortsetzung der Pegida-Parole ""Wer Deutschland nicht liebt, soll Deutschland verlassen".
Ich bin für die Durchlässigkeit von Grenzen und jedEr soll dort leben können, wo sie/er möchte. Das sind dann aber persönliche Entscheidungen. Das Auswandern zu einer politischen Forderung zu machen, halte ich für falsch. Was würde dabei rauskommen? Ganze Regionen/Staaten ohne kritische Geister, politischer und kultureller Rückschritt, Gleichschaltung der der absolute Horror.
Ich halte diese Vereinfachungen, daß alles Böse mit einem Land verbunden wird und mit einem anderen alles Gute, für bekloppt und politisch falsch. Mich kotzen alle Nationalisten an, genauso die fröhlichen Partypatrioten des Sports und die heimlich stolzen mag ich auch nicht. Aber genauso zuwider sind mir die Antideutschen, die jegliches Übel in dem Kennzeichen D sehen, die das Phantom der Nation zum Gegner machen, statt eine reale Ungerechtigkeit zu bekämpfen.
Ich hasse die deutsche Biederkeit, das Duckmäusertum, das öde und bedrückende Lebensgefühl. Logo. Aber das kann man nicht unbedingt an der Nationalität festmachen. Und wohin sollte man denn gehen? Ich finde nichts wirklich attraktiv.
Spanische Freunde von mir meinen, sie können bei ihren Deutschlandbesuchen richtig durchatmen, weil sie das reaktionäre erzkatholische Klima Spaniens nicht ertragen. In Spanien hören sie deshalb lieber deutschen Punk. Zum Glück sind im Forum die Stimmen verstummt, die sich "französische Verhältnisse" wünschen. Wie sehen die auch aus? Gegen die französische Sozialistische Partei erscheint die CSU noch als links. Es ist nicht ausgeschlossen, daß bei der nächsten Wahl die Faschisten die Mehrheit kriegen (jedenfalls erschreckend hohe Ergebnisse). In dem 70ern war Griechenland das Traumland vieler Linksalternativer. Heute ist es eine Kolonie mit 3.Welt Lebensbedingungen. Ich bin auch heilfroh nicht in dem alpenländischen Biedermannfaschismus Österreichs oder der Schweiz leben zu müssen. Ich war öfter in Polen. Ich find es dort unerträglich. Neoliberales Musterland. Arbeiten bis zum Umfallen gegen kleines Geld. Erzkatholisches bis rechtsradikales gesellschaftliches Klima. In den neuen baltischen Ländern ist's noch heftiger. Neben dem wachsenden ökonomischen Druck, gibt es einen (staatlich und aus dem Ausland geförderten) aggressiven Neofaschismus, daß man sich über Entwicklungen, wie in der Ukraine, in näherer Zukunft nicht wundern sollte. Und unsere schnuckelig alternativ daherkommenden Nachbarländer Holland und Dänemark? Das war mal. Die sind stramm nach rechts gerückt, Christiania aufgemischt, Coffeeshopbesuche nur nach Ausweiskontrolle, starke Rechtspopulisten in den Parlamenten. Soweit ich mich erinnern kann, hat in Deutschland auch noch nie ein aufgebrachter Mob versucht Drogenkonsumenten und Protituierte zu vertreiben, wie es in Holland mehrfach passiert ist. Und Schweden ist viel cleaner und spießiger als Deutschland, dafür doppelt so faschistisch. Ich muß auch nicht mit "Wahren Finnen" in der Sauna sitzen.
Ich habe mehrere Jahre im Ausland gelebt. Nach Rückkehr konnte ich Dinge hierzulande schätzen, die ich zuvor nie wahrgenommen habe. Es ist auch kein Zufall, daß viele Flüchtlinge nach Deutschland wollen. Es hier teilweise sogar interessantere politische Diskussionen, als anderswo. Chefduzen beispielsweise.
Letztendlich sehe ich keine andere Möglichkeit, als gegen Dummkultur und Ungerechtigkeit dort zu kämpfen, wo man ist. Ich glaube nicht an einen antinationalen, sondern an einen grenzüberschreitenden Kampf.