Alte Apotheke in Bottrop

Begonnen von dagobert, 18:53:19 Sa. 19.August 2017

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dagobert

ZitatWie zwei Menschen dafür sorgten, dass ein Apotheker keine Krebsmedikamente mehr panscht.

Marie Klein und Martin Porwoll aus Bottrop waren die Whistleblower in einem der größten Medizinskandale Deutschlands. Sie machten bekannt, dass der Apotheker aus der Stadt im Ruhrgebiet über Jahre teure Krebsmedikament streckte und die Patienten betrog.


Am  25. Oktober 2016 zieht Marie Klein unter dem Vordach einer Bottroper Buchhandlung ihre Handtasche von der Schulter. Ihr gegenüber steht ihr Kollege Martin Porwoll. Klein öffnet die Tasche, nur ein bisschen, sodass Porwoll sehen kann, was darin liegt. Nach ein paar Sekunden schaut er wieder weg, denn er will nicht auffallen. Es soll aussehen, als würden die beiden sich zufällig begegnen. Aber beide wissen, dass dieser Moment kein Zufall ist.  Und beide ahnen jetzt, dass sie ihre Jobs verlieren werden.

Der Infusionsbeutel in der Tasche

In Marie Kleins Tasche liegt ein Infusionsbeutel. Etwa so groß wie ein Taschenbuch, gefüllt mit einer durchsichtigen Flüssigkeit. Zwei Löcher sind darin, ein Eingang und ein Ausgang. Durch den Eingang füllt man Medikamente ein. Durch den Ausgang fließen die Medikamente in die Blutbahn eines Patienten. Auf dem Beutel ist ein Aufkleber: ,,Cyramza" steht da, der Name eines Medikaments gegen Krebs. Dazu der Name einer Patientin, die Cyramza braucht, um den Krebs zu bekämpfen. Dieser Infusionsbeutel hätte Hoffnung für diese Patientin sein können. Heilung vielleicht. Aber in der durchsichtigen Flüssigkeit ist kein Cyramza, es ist nur Kochsalzlösung. Das macht den Plastikbeutel zum Beweisstück. Marie Klein hat den Beutel aus der Apotheke genommen, in der sie arbeitet. Um zu beweisen, dass an ihrem Arbeitsplatz Medikamente gepanscht werden.
[...]
Das Schlimmste sei, dass Peter S. Krebs-Medikamente unterdosiere. Bei manchen Wirkstoffen sei in jeder zweiten Dosis nur Kochsalzlösung, sagen die Frauen laut Prowoll. In der Apotheke war das bekannt. Aber sonst hat es niemand mitbekommen. Weil in Deutschland keine Behörde kontrolliert, ob die Zyto-Apotheken die Infusionsbeutel wirklich mit Medikamenten befüllen. Hygiene-Kontrollen gibt es, aber nur alle paar Jahre, meist mit Ankündigung.
[...]
An einem Abend im Januar 2016 sitzt Martin Porwoll noch kurz vor Mitternacht in der Apotheke. Als alle Feierabend gemacht haben, ist er geblieben, weil noch Handwerker in der Apotheke waren, nach denen er sehen musste. Porwoll sucht aus den Unterlagen alle Rezepte für das Medikament Opdivo aus den letzten Monaten. Er rechnet zusammen, wie viel Opdivo Peter S. in dieser Zeit abgerechnet hat. Er kommt auf 52.000 Milligramm. So viel Opdivo müsste in den Infusionsbeuteln gewesen sein. Für so viel Opdivo hat Peter S. Geld bekommen. Dann rechnet Porwoll nach, wie viel Opdivo eingekauft wurde – wie viel des Medikaments sich überhaupt in der Apotheke befunden haben kann. Porwoll weiß nicht, was er finden will. Am liebsten wäre ihm Erlösung gewesen, der Gegenbeweis, der das Gerücht zum Gerücht macht und damit unwahr. Er addiert die Einkaufsrechnungen: 16.000 Milligramm.

Es fehlen 36.000 Milligramm

Das sind 36.000 Milligramm zu wenig. 36.000 Milligramm, für die Peter S. Geld bekommen hat.  36.000 Milligramm, die nicht nur auf der Einkaufsrechnung fehlen, sondern in den Blutkreisläufen von Patienten. In einer Stunde, mithilfe einer einfachen Excel-Tabelle, wird das Gerücht zur Tatsache.
[...]
Er sammelt noch mehr Beweise, macht die gleiche Rechnung für andere Medikamente als Opdivo. Immer wieder kommt heraus, dass viel mehr Wirkstoff abgerechnet wird als eingekauft. Mit seinem Anwalt zusammen schreibt Porwoll an einer Strafanzeige wegen gewerbsmäßigen Betrugs.
[...]
Im Juli 2016 reicht Porwolls Anwalt die Anzeige gegen Peter S. bei der Staatsanwaltschaft für Wirtschaftskriminalität in Bochum ein. Sie wird weitergereicht zur Staatsanwaltschaft in Essen. Porwoll hat sich vorgestellt, dass eine Kavallerie nach Bottrop kommen würde, den Apotheker festnehmen, die Mitarbeiter nach Hause schicken, die Tür des Hauses versiegeln.

Anzeige ohne Folge

Stattdessen wartet er. Wochenlang.

Porwoll wird vernommen, die Polizei hat viele Fragen, er kann die meisten beantworten. Die Polizei erklärt ihm, dass sie nicht einfach einen renommierten Laden schließen können – nur wegen seines Verdachts. Sie brauchen mehr Beweise.
[...]
Einen Monat später, am 29. November 2016 bekommen Marie Klein und Martin Porwoll eine Nachricht von einer Kollegin aus der Apotheke: ,,Der Terrier hat zugeschlagen" steht darin. Der Kommissar mit dem Bart war da. Seitdem sitzt Peter S. in Untersuchungshaft. Und dann geht alles ganz schnell: Innerhalb von 24 Stunden bekommen Porwoll und Klein eine Kündigung aus der Apotheke. Klein klagt vorm Arbeitsgericht, sie bekommt eine Abfindung zugesprochen – ein Monatsgehalt.
https://correctiv.org/blog/ruhr/artikel/2017/08/16/wie-zwei-menschen-dafuer-sorgten-dass-ein-apotheker-keine-krebsmedikamente-mehr-panscht/
"Sie haben die unglaubwürdige Kühnheit, sich mit Deutschland zu verwechseln! Wo doch vielleicht der Augenblick nicht fern ist, da dem deutschen Volke das Letzte daran gelegen sein wird, nicht mit ihnen verwechselt zu werden."
Thomas Mann, 1936

dagobert

"Sie haben die unglaubwürdige Kühnheit, sich mit Deutschland zu verwechseln! Wo doch vielleicht der Augenblick nicht fern ist, da dem deutschen Volke das Letzte daran gelegen sein wird, nicht mit ihnen verwechselt zu werden."
Thomas Mann, 1936

dagobert

ZitatDer Fall der Alten Apotheke: Die Geschichte der Onko-Mädels
Bei der Chemotherapie findet Heike Benedetti neun Freundinnen. Sie alle werden von einem Apotheker um ihre Medikamente betrogen. Fünf sterben. Die anderen fünf können nicht einfach so weiterleben.


Als Heike Benedetti vor drei Jahren pünktlich um 9 Uhr morgens die Arztpraxis betritt, ist der Betrug längst geschehen. Sie sieht zum ersten Mal den Ort, an dem sie geheilt werden soll. Das Chemo-Zimmer am Bottroper Marienhospital, in dem zehn blaue Sessel stehen, fünf links an der Wand, fünf rechts. In diesem Raum wird Benedetti neun andere Frauen treffen. Für drei Stunden in der Woche werden sie eine Schicksalsgemeinschaft bilden. Zehn Fremde, die ab diesem Tag gemeinsam gegen den Krebs kämpfen. Zehn Fremde, aus denen Freundinnen werden: die Onko-Mädels. Fünf von ihnen werden im Verlauf dieser Geschichte sterben. Doch Heike Benedetti überlebt, und wird zur Anführerin einer Bewegung.
weiterlesen:
https://correctiv.org/blog/ruhr/artikel/2017/11/04/alte-apotheke-krebspatienten-onko-maedels/
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Thomas Mann, 1936

MalakiKennedy

Auch ich war manchmal gezwungen, alle Apotheken der Stadt aufzusuchen, um bestimmte Medikamente zu finden. Und ich hoffe, dass es mit Taltz nicht so sein wird wie mit anderen Generika. Man weiß wirklich nicht, woher bestimmte Medikamente kommen. Obwohl ich Medikamente mit Rezept auch online kaufe. Es gibt richtige Apotheken, die ihre eigene Website haben. Nur das. Es ist klar, dass man z. B.  Werbepause online kaufen kann...von z.B. einer asiatischen Website , und das wird schon riskant sein. Aber wenn ich Aspirin auf der offiziellen Website einer echten Apotheke in Deutschland kaufe, ist das kein Problem.

Ursprünglich stand hier ein Text ohne Spamlink.
Vorsichtig anpirschen?
Wieviel Arbeit macht man sich für einen blöden Werbelink?

-Admin-



dagobert

Und du glaubst, der Werbelink verschafft dir zusätzliche Umsätze?
Da kennst du aber die Admins hier im Forum schlecht.
"Sie haben die unglaubwürdige Kühnheit, sich mit Deutschland zu verwechseln! Wo doch vielleicht der Augenblick nicht fern ist, da dem deutschen Volke das Letzte daran gelegen sein wird, nicht mit ihnen verwechselt zu werden."
Thomas Mann, 1936

admin


dagobert

ZitatErfolglose Verfassungsbeschwerde gegen strafrechtliche Verurteilung im sogenannten ,,Apotheker"-Verfahren

Mit heute veröffentlichtem Beschluss hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts eine Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen, mit der sich der Beschwerdeführer gegen seine Verurteilung durch das Landgericht Essen unter anderem wegen Verstoßes gegen das Arzneimittelgesetz in 14.564 Fällen sowie gegen die Verwerfung seiner Revision durch den Bundesgerichtshof wendet. Die Verurteilung des Beschwerdeführers stellt keinen Verstoß gegen den Schuldgrundsatz dar. Auch eine anderweitige Grundrechtsverletzung ist nicht dargetan oder ersichtlich.

Sachverhalt:

Der Beschwerdeführer war Inhaber einer Apotheke, die patientenindividuelle Arzneimittelzubereitungen für die Krebstherapie herstellte und an onkologische Arztpraxen und Krankenhäuser lieferte. Zwischen Januar 2012 und November 2016 stellte er in 14.564 Fällen unterdosierte Arzneimittel her, die er auslieferte und unter anderem bei den gesetzlichen Krankenkassen monatsweise unter Vorgabe einer ordnungsgemäßen Dosierung abrechnete. Dabei nahm er die unterdosierten Zubereitungen ganz überwiegend eigenhändig vor. In Einzelfällen wurden die unterdosierten Arzneimittel aber auch durch ausgewählte Mitarbeiter ,,auf Veranlassung oder Anweisung und mit zumindest generellem Wissen und Billigung" des Beschwerdeführers hergestellt. Durch das verordnungswidrige und heimliche Einsparen von Wirkstoffen wollte er den Gewinn der Apotheke steigern, um seinen privaten Finanzbedarf zu decken.

Mit angegriffenem Urteil vom 6. Juli 2018 verurteilte das Landgericht den Beschwerdeführer unter anderem wegen vorsätzlichen Verstoßes gegen das Arzneimittelgesetz in 14.564 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 12 Jahren. Zugleich ordnete die Kammer ein lebenslanges Berufsverbot und die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 17 Millionen Euro an. In Hinblick auf 14.498 ausgelieferte Zubereitungen vermochte das Landgericht die Unterdosierung nur rechenweise festzustellen. So stellte es 25 Wirkstoffe fest, bei denen die eingekaufte Wirkstoffmenge nicht für die im Tatzeitraum hergestellten Zubereitungen ausreichen konnte. Insgesamt bereitete der Beschwerdeführer im Tatzeitraum 28.285 Arzneimittel – mit (mindestens) einem dieser Wirkstoffe – zu. Hiervon enthielten 14.498 Arzneimittelzubereitungen überhaupt keinen Wirkstoff. Das Landgericht verurteilte den Beschwerdeführer in allen nachgewiesenen Fällen als Täter. In Hinblick auf 14.498 Fälle ging das Landgericht dabei von einer gleichartigen Wahlfeststellung aus. Die dagegen gerichtete Revision verwarf der Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 10. Juni 2020.

Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer insbesondere eine Verletzung des Schuldgrundsatzes sowie des ,,Grundrechts auf Wahrung der Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Grundgesetz (GG)".

Wesentliche Erwägungen der Kammer:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) nicht erfüllt sind. Die Verurteilung des Beschwerdeführers stellt keinen Verstoß gegen den Schuldgrundsatz dar, und auch eine anderweitige Grundrechtsverletzung ist nicht dargetan oder ersichtlich.

1. a) Das Strafrecht beruht auf dem im Verfassungsrang stehenden Schuldgrundsatz. Art. 1 Abs. 1 GG bestimmt auf dem Gebiet der Strafrechtspflege die Auffassung vom Wesen der Strafe und dem Verhältnis von Schuld und Sühne. Daraus folgt der Grundsatz, dass jede Strafe Schuld voraussetzt. Der Schuldgrundsatz ist zugleich im Rechtsstaatsprinzip als eines der elementaren Prinzipien des Grundgesetzes verankert. Es sichert den Gebrauch der Freiheitsrechte, indem es Rechtssicherheit gewährt, die Staatsgewalt an das Gesetz bindet und Vertrauen schützt. Das Rechtsstaatsprinzip umfasst als eine der Leitideen des Grundgesetzes auch die Forderung nach materieller Gerechtigkeit und schließt den Grundsatz der Rechtsgleichheit als ein grundlegendes Gerechtigkeitspostulat ein. Für den Bereich des Strafrechts werden diese rechtsstaatlichen Anliegen in dem Grundsatz aufgenommen, dass keine Strafe ohne Schuld verwirkt wird. Dem ist durch verfahrensrechtliche Vorkehrungen Rechnung zu tragen; Tat und Schuld müssen dem Täter prozessordnungsgemäß nachgewiesen werden. Dabei sind die Feststellungen strafrechtlicher Schuld und die Auslegung der in Betracht kommenden Vorschriften in erster Linie Sache der Strafgerichte.

b) Der Beschwerdeführer zeigt eine sich an diesen Maßstäben orientierende Verletzung des Schuldgrundsatzes nicht auf.

aa) Die richterrechtlichen Grundsätze zur gleichartigen Wahlfeststellung sind mit dem Schuldgrundsatz vereinbar. Die aus dem Rechtsstaatsprinzip folgende Idee materieller Gerechtigkeit verlangt die Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs zur Sicherung einer am Rechtsgüterschutz orientierten Strafrechtspflege, wenn die Schuld des Angeklagten mit Gewissheit feststeht und sich die Zweifel allein auf Tatsachenfragen beziehen.

Die vom Landgericht vorgenommene gleichartige Wahlfeststellung ist nicht zu beanstanden. Die Strafkammer konnte auch nach Ausschöpfung der Aufklärungsmöglichkeiten nicht sicher feststellen, bei welchen 14.498 der insgesamt 28.285 hergestellten Arzneimittelzubereitungen eine Unterdosierung erfolgte. So steht nur fest, dass und wie viele Unterdosierungen es bei den Zubereitungen mit dem jeweiligen Wirkstoff mindestens gegeben hatte. Zu den 28.285 Arzneimittelzubereitungen hat das Landgericht hinreichende Feststellungen getroffen, um die abgeurteilten Fälle ohne Schwierigkeiten von anderen Lebenssachverhalten abzugrenzen, sodass die Gefahr einer Mehrfachverfolgung ausgeschlossen ist.

bb) Die Verurteilung des Beschwerdeführers als Täter auch in den Fällen, in denen die Medikamente nicht durch ihn selbst, sondern nach seinen Vorgaben durch Mitarbeiter hergestellt wurden, begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.

Die Strafkammer hat die zur Begründung der mittelbaren Täterschaft in Gestalt der Organisationsherrschaft erforderlichen Tatsachen festgestellt. Dass sie keine weitergehenden Feststellungen zu der konkreten Veranlassung oder Anweisung getroffen hat, begegnet in Hinblick auf den Schuldgrundsatz keinen Bedenken. Denn das Landgericht hat ausreichende Feststellungen zur organisatorischen Hoheit und dem Motiv des Beschwerdeführers getroffen; beides lässt in hinreichendem Maße auf eine vom Täterwillen getragene Tatherrschaft schließen.

[...]
https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2023/bvg23-073.html

BVerfG, Beschluss vom 09. August 2023, 2 BvR 1373/20
https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2023/08/rk20230809_2bvr137320.html
"Sie haben die unglaubwürdige Kühnheit, sich mit Deutschland zu verwechseln! Wo doch vielleicht der Augenblick nicht fern ist, da dem deutschen Volke das Letzte daran gelegen sein wird, nicht mit ihnen verwechselt zu werden."
Thomas Mann, 1936

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