Konsumverzicht

Begonnen von Kuddel, 11:46:39 Mo. 09.März 2020

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Kuddel

Ich hasse die Diskussion um einen "Komsumverzicht"!

Es gibt sie seit Jahrzehnten. In Zeiten von Massenverarmung ist dieses Argument absolut zum Kotzen. Mich deprimieren die Menschen, die sich halbwegs erträgliche Löhne und Sozialleistungen nehmen ließen und dann darüber quatschen, daß sie ja gar nicht so viel bräuchten und so ja viel glücklicher sind.

Sicherlich, Leute kaufen viel sinnloses Zeug und absoluten Plunder. Aber dieser Konsum ist auch eine Ersatzhandlung und es geht um Konkurrenz und Statussymbole.

Es bleibt das Problem, daß der Reichtum einiger weniger mehr und mehr anwächst und dagegen hilft es nichts, wenn man selbst immer weniger haben möchte (und haben wird).

Einfluß auf das zu nehmen, was, wie produziert wird und daß Produkte auf Haltbarkeit und Reparierbarkeit hergestellt werden, wären wichtige Themen und das Gegenteil von individuellem "Konsumverzicht".

Troll

Es werden viele Nebenkriegsschauplätze gebraucht und das ist "nur" einer davon, damit sind die besorgten Bürger beschäftigt.
Der gleiche Mist läuft extrem auf der Ernährung bzw. Gesundheitsschiene, es gibt massen an Klugscheißerthemen, wie gemacht für uns um dem Nachbarn die dumme Fresse zu polieren.
Politik ist der Spielraum, den die Wirtschaft ihr lässt.
Dieter Hildebrandt
Es ist kein Zeichen geistiger Gesundheit, gut angepasst an eine kranke Gesellschaft zu sein.
Jiddu Krishnamurti

BGS

Zitat von: Troll am 12:11:07 Mo. 09.März 2020
... .
Der gleiche Mist läuft extrem auf der Ernährung bzw. Gesundheitsschiene, es gibt massen an Klugscheißerthemen, wie gemacht für uns um dem Nachbarn die dumme Fresse zu polieren.

Verstehe nur Bahnhof.

MfG

BGS
"Ceterum censeo, Berolinensis esse delendam"

https://forum.chefduzen.de/index.php/topic,21713.1020.html#lastPost
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Troll

Bei einem Thema wirst du mit gut aufbereiteten Infos überschüttet, gut aufbereitet meine ich im Sinn eines greifbaren Pügelknaben (ungewollter Stellvertreter) zum Thema, einem Schuldigen.
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BGS

Zitat von: Troll am 09:23:33 Di. 10.März 2020
Bei einem Thema wirst du mit gut aufbereiteten Infos überschüttet, gut aufbereitet meine ich im Sinn eines greifbaren Pügelknaben (ungewollter Stellvertreter) zum Thema, einem Schuldigen.

Sind z. B. die Agrarindustrie, "Weltkonzerne" und ihresgleichen gemeint?

Verzichte heute auf Mittagessen und gehe skilaufen ;D

MfG

BGS
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Troll

Ich bin mir bewußt das es in meinen Kopf nicht gerade lustig zu geht, außer für verquere Gedanken immer weniger zu gebrauchen.

Dennoch, wo liest/interpretierst du Agrarindustrie oder Weltkonzerne heraus/hinein? Agrarindustrie und Weltkonzerne sind m.M.n. nicht so einfach greifbare Feinde, der Nachbar, Asylant, .... eher.
Die besorgten Bürger gehen gegeneinander los und nicht gegen die Ursache, so sind die medialen Erklärungen aufbereitet.

Ich hab nicht verzichtet, es gab Spinat mit Kartöffelchen und ein Spiegelei.
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BGS

Verstehe, die Ausgebeuteten werden tagtäglich aufeinander gehetzt, systematisch und in böser Absicht.

Es wird wohl angenommen, dass so die wahren Schurken in Ruhe ungehindert weiter ihr verderbliches Spiel auf Kosten von uns weiter werden treiben können, ungestört.

Die Vereinzelung und der ständige Raub an Lebenszeit (z. B. durch Sinnlosmassnahmen, schwachsinnige "Qualitätsmedien" etc.) lässt wohl auch viele Menschen verzweifeln und nimmt ihnen die Energie, sich gemeinsam zu wehren bzw. sich mit Konsum auseinanderzusetzen.

Einfluß auf die Herstellung im Sinne von Haltbarkeit und Reparierbarkeit nehmen zu können, das wäre in der Tat mehr als wichtig.

MfG

BGS
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Kuddel

Wenn etwas grausam an den heutigen Verhältnissen ist, dann ist es nicht nur die systematische Ungerechtigkeit, sondern die auf Selbstzerstörung programmierten gesellschaftliche Verhältnisse. Es wäre ja eine positive Sache, wenn die gesellschaftliche Ordnung sich nur selbst zerstören würde, es wird jedoch ein unbewohnbarer Planet am Ende dieser Entwicklung stehen.

Es klingt irgendwie plump und ideologisch, wenn ich sage, daß wir entweder den Kapitalismus beerdigen müssen oder er uns beerdigt.

Die beschissenste Propagandalüge lautet, man könne die Welt ein kleines bißchen besser machen. Das kommt in jedem Hollywoodfilm mindestens fünfmal vor.

Entweder man verändert die gesellschaftlichen Verhältnisse (alles ist der Profitmaximierung unterworfen) grundlegend, oder die Zerstörung der Lebensgrundlagen geht weiter. Das heißt, die Menschen müssen den Umgang miteinander und die gesellschaftlichen Regeln völlig neu regeln. Das geht nur kollektiv und im Kampf.

Um das zu verhindern, wird die Ideologie des Individualismus verbreitet. Jeder soll in sich hineinhorchen, an sich arbeiten, sich als Teil des Problems sehen und sich ändern. So bleibt alles beim Alten. Wir können uns auf den Kopf stellen, wir können asketisch wie ein Möch leben, wir können ausschließlich "Bio" fressen und von morgens bis abends Sport treiben, es wird nichts ändern. Die Zerstörung der Böden, der Meere und der Athmosphäre wird weitergehen, so lange die Autoindustrie, die Agrarindustrie, die Pharemaindustrie etc. ihr Unwesen treiben und die Machtverhältnisse bleiben wie sie sind.

Ich halte es für falsch und kontraproduktiv, im Individuum die Lösung der globalen Probleme zu suchen. Wir bleiben so vereinzelt und wehrlos gegen die Machtverhältnisse. Es ist noch schlimmer: wir fangen an, unseren Nachbarn zu verachten, weil er nicht so "bewußt" lebt und wir beginnen einander zu hassen. Man hat uns da, wo man uns haben möchte. Ein wehrloser und zerstrittener Haufen von Individualisten.

Mit "Konzumverzicht" gegen Massenverarmung zu kämpfen, halte ich etwa für so sinnvoll, wie mit einem Hungerstreik auf eine Hungersnot zu reagieren.


Troll

Konsumverzicht entledigt uns nicht den Kapitalismus, man merkt es daran wie "sensibel" Kapital auf Armut reagiert, es wird mit billiger, billiger, billiger reagiert, der Kapitalismus möchte jeden Cent besitzen, also macht er das was er kann, er beutet Ärmere für (gegen) Arme aus, ein beschissener endloser Abgrund. Konsumverzicht sehe ich als Teil gegen die krassen Auswüchse (Dekadenz) etwas zu tun, selig machen wird es nicht.
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Frauenpower

@Troll: etwas Ähnliches habe ich auch schon gedacht, also, dass der Kapitalismus jeden noch so erdenklichen Cent haben will, egal wie. Deshalb gibt es tedi und ein Euro shops. Oder all diese Coupons und Rabattgutscheine.

Die EU plant derzeit das Recht auf Reparatur im Kampf gegen die Müllberge. Prompt kräht der Wirtschaftshahn von seinem Misthaufen:
https://www.onlinehaendler-news.de/e-recht/gesetze/132598-eu-recht-reparatur-kritik-wirtschaft

Eine Bekannte apropos Geld aus der Tasche ziehen, erzählte mir folgende Geschichte:
in einem großen Kaufhaus gab es einen Münzzähler, den sie benutzte. Sie erhielt dann einen Bon, mit dem sie zur Kasse gehen sollte für eine Auszahlung. Für das Münzen zählen, berechnete ihr der Automat bzw. dessen Anbieter eine Gebühr. Als sie mit dem Bon zur Kasse ging, hieß es dort, dass sie erst was kaufen müsse, was ihr zuvor nicht klar war. Entsprechend kaufte sie dann notgedrurngen was.  :-\

Troll

ZitatBundesgerichtshof
Deutscher Wetterdienst darf keine kostenlosen Wetterberichte per App anbieten

Eher wolkig als heiter fiel ein Urteil des Bundesgerichtshofs für den Deutschen Wetterdienst aus: Er darf auch weiterhin nur noch Wetterwarnungen kostenfrei in einer App zur Verfügung stellen. Für alles andere muss die Behörde Geld verlangen – oder Werbung schalten.
...
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Quelle: netzpolitik.org

Wir bezahlen Steuern für diesen Dienst und der BGH erzwingt ggf. eine doppelte Bezahlung, ruf mal einer das BVG an, vielleicht können wir uns verbieten lassen wenn wir wettbewerbsverzerrend staatlichen, von uns bezahlten Krempel nutzen und kein Privater daran verdient/verdienen kann? Zwangskonsum!  :o
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Dieter Hildebrandt
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Kuddel

Für mich ist es ein Alptraum, daß die Menschen Klassenverhältnisse nicht mehr sehen und sich nur noch als Konsumenten verstehen. Den "bewußten Konsumenten" und den "Konsumverzicht" sehen sie als ihren einzigen Handlungsspielraum.

Auch wenn ihr euch zu Tode hungert, werdet ihr an den herrschenden Verhältnissen nix ändern!



Was für ein Dreck!!!

Nikita

Sein Konsumverhalten zu beachten ist zweifellos wichtig, aber es ist keine Religion und sollte nicht von wichtigen Dingen ablenken. Der Konsument ist im Kapitalismus an allem schuld. Jede Sauerei, die Unternehmen begehen ist in Ordnung, weil der Verbraucher die Firma nutzt, die sich unmoralisch verhält. Dabei gibt es in vielen Bereichen nur scheinbar eine oder keine Auswahl an Alternativen.

Ein Beispiel:
Beim Trennen von Müll wird jedes Fitzelchen sortiert und wer es nicht zu 100 % so macht, wird schräg angesehen. Mehr als 3/4 von dem, was dann sorgsam sortiert wird, wird verbrannt. Ein Großteil ist nicht recycelbar, aber die Müllverwerter jammern über jeden "Fehlwurf" des Verbrauchers. Tatsächlich sind Verpackungen so konstruiert, dass sie nur selten recycelbar sind, weil sie aus zu vielen verschiedenen Stoffen bestehen. Eine Folie besteht mittlerweile aus 15 Plastiksorten, die alle separat sortiert werden müssten, was absurd ist. Als Verbraucher kann man an einer Folie nichts sortieren. Ich kann sie in eine Mülltonne werfen. Das war es. Wer etwas in die Restmülltonne wirft und nicht in den Gelben Sack, entscheidet, wo es verbrannt wird, nicht ob es recycelt wird. Trotzdem ist Mülltrennung eine Religion geworden. Man muss an der Konstruktion von Verpackungen etwas ändern und Müllexporte verbieten. Export von Müll gilt als Recycling, nur so kann Deutschland seine hohen Recyclingquoten ausweisen.

Beim Einkaufen kann ich selten entscheiden, ob das, was ich kaufe, schädlich für irgendwen oder irgendetwas ist. Steht Bio drauf? Super! Das bedeutet erst mal nichts.
Nichts dort kaufen, wo skandalöse Zustände veröffentlicht wurden? Wer sagt mir, dass es beim nächsten Händler anders ist?
Ich versuche einiges im Alltag, um nicht ungeprüft zum Nachteil von etwas oder jemanden zu handeln. Der Effekt ist sicher trotz großem Aufwand winzig. Ich kenne wenige Unternehmen, die sich ebenso viel Mühe geben. Es gibt sie. Aber die decken einen kleinen Teil meines Bedarfs ab.
Organisationen oder Unternehmen, die moralisch agieren, entstehen dort, wo Menschen sich engagieren, um Strukturen aufzubrechen oder zumindest eine nutzbare Alternative zu finanzoptimierten Kartellen zu schaffen. So greift man in bestehende Verhältnisse an.

Kuddel

ZitatDie Strategien der Untätigen

Der US-Klimaforscher Michael E. Mann hat sich bereits heftige Debatten mit Klimawandel-Leugnern geliefert und bekam sogar Morddrohungen. In seinem neuen Buch beschreibt er, dass es mittlerweile aber andere Akteure sind, die wirkungsvollen Klimaschutz verhindern: Dazu zählt er sogar Klimaaktivisten.


(...) ,,(E)s gibt heute eine scheinbar grenzenlose und sehr lebhafte Gemeinschaft von veganen Aktivisten, die davon überzeugt sind, dass ,,Fleisch-Scham" die Lösung für den Klimawandel ist. (...) Tierschützer greifen oft Klimawissenschaftler an, nur weil diese darauf hinweisen, dass der Beitrag des Fleischessens im Vergleich zur Verbrennung fossiler Brennstoffe gering ist. Eine solche Feindseligkeit von vermeintlich linker Seite gegenüber faktenbasierten Diskursen hat ironischerweise viel gemeinsam mit den Angriffen von klimawandelverweigernden Rechten auf Klimawissenschaftler." (...)

Die Bremser haben jetzt einfach ihre Taktik geändert. Sie leugnen nicht mehr, sie lenken ab. Sie tun alles, um nichts tun zu müssen. Mann nennt sie deshalb: die Tatenlosen. Ihren Einfluss spielten sie aus über konservative Politiker und Medien, aber auch über offene oder verdeckte Social-Media-Kampagnen. (...)

Das große Ziel der tatenlosen Akteure: verhindern, dass Gesetze kommen, die die Wirtschaft entschieden dekarbonisieren (...).

Und hier ist die Wahl der Mittel extrem interessant. Taktik Nummer eins: Verantwortung individualisieren. Dieser Strategie zufolge soll der Einzelne das Gefühl bekommen: Er muss erstmal bei sich selbst anfangen. Indem er kein Fleisch mehr isst, sein Auto verschrottet, selten fliegt. (...)

Dieses Konzept sei vor allem vom Energiekonzern BP vermittelt worden. Im Resultat gingen nun Klimaschützer ständig mit erhobenem Zeigefinger aufeinander los. 

,,Wenn sich der Klimadiskurs in ein Gezeter über Ernährungs- und Reiseentscheidungen verwandelt und sich um persönliche Reinheit, Bloßstellen von Menschen aufgrund ihres Verhaltens und um Tugendhaftigkeit dreht, werden wir nicht in der Lage sein, mit einer gemeinsamen Stimme zu sprechen. Dann (...) werden sich die Interessen der fossilen Brennstoffwirtschaft durchsetzen."

Weniger Fleisch essen, weniger fliegen, keine Plastiktüten mehr – aber das ist doch sinnvoll, oder? Schon, entgegnet der Autor. Aber der Einfluss des Individuums sei vergleichsweise klein und reiche allein eben nicht aus.

Zur Illustration: Rindfleisch-Essen trage weltweit etwa sechs Prozent zu den globalen Treibhausemissionen bei. Der Flugverkehr nur drei Prozent. Aber 70 Prozent, also mehr als zwei Drittel der Kohlendioxidemissionen weltweit, gehen auf das Konto von etwa hundert Unternehmen: Kohle-, Öl-, und Gaskonzernen.
https://www.deutschlandfunk.de/us-klimaforscher-michael-e-mann-die-strategien-der.1310.de.html?dram:article_id=499337

Kuddel

P.S.: Ich bin ja nicht dagegen, sich über den eigenen Konsum Gedanken zu machen.
Man profitert davon, wenn man gesündere Lebensmittel kauft. Man muß weniger malochen, wenn man sich nur das kauft, was man wirklich braucht. Daß man keine Lust hat, die Produkte eines Unternehmens zu kaufen, über das man schon viel schlechtes gehört hat, verstehe ich auch. Das dient alles dem eigenen Wohlbefinden und ist auch nicht verkehrt. Es sollte nur nicht mit einer politischen Auseindersetzung verwechselt werden.

Boykott halte ich dann für sinnvoll, wenn er organisiert stattfindet und zur Unterstützung eines Kampfes von Beschäftigten eines Unternehmens dient.

Kuddel

Leo Fischer war Chefredakteur der Titanic.
Was er schreibt, ist nicht immer satirisch oder lustig. Er setzt sich auch mit ökonomischen und politischen Themen auseinander. Hier etwas zum Thema Konsum:

ZitatLeo Fischer über einen grünen Minister und klassenförmigen Konsum

(...) Die Kritik, die Özdemir von linker Seite erhielt, blieb ebenfalls an der Oberfläche. Die einen forderten günstiges Fleisch für alle, die anderen verlangten Lohnerhöhungen, um die Preise zu rechtfertigen. Dabei ist es verfehlt, die Kritik allein an Preisen festzumachen. Tatsache ist, dass sich im Zuge des neoliberalen rot-grünen Projekts eine neue Form klassenförmigen Konsums ausgebildet hat, in der niedrige Preise niedrige Löhne rechtfertigen und umgekehrt. Alle Modelle des Existenzminimums, der Sozialfürsorge, der Hartz-IV-Sätze basieren auf den Dumpingpreisen, die ausschließlich durch die ruinöse Maximalausbeutung von Mensch und Umwelt erreicht werden können. Die Dumpingpreise und ihre Entwicklung modellieren wiederum die Löhne - wer sie sich leisten kann, kann nicht arm sein. So wird eine ganze Klasse durch Konsum strukturiert, eine postindustrielle Reservearmee aus Hartz-IV-Empfängern, Minijobbern und Scheinselbstständigen, die die Angebotsprospekte der Discounter sonntäglich studieren müssen wie die heilige Schrift. Die Existenz dieser Lebensform, dieser Konsumklasse ist Voraussetzung dafür, dass sich die Discounter rentieren, dass sich die widerwärtigen menschenschinderischen Fleischfabriken rentieren, dass sich die Agrarmonopole rentieren.

Der einzelne Preis, von Ware oder Arbeitsstunde, ist dabei vergleichsweise irrelevant; die Fortexistenz dieser Konsumklasse ist es jedoch nicht. Sie ist Teil des Systems Hartz IV, in der es eine Strafe sein soll, arm zu sein, nicht zu funktionieren; dass diese Klasse nur Ramsch konsumieren und Ramsch herstellen soll, wird als gerechter Teil dieser Strafarmut verstanden. (...)
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1160241.lebensmittel-die-heilige-schrift-der-hartzer.html

ZitatHauptsache, Bambuszahnbürste
Die Klimakatastrophe wird nicht von einkommensschwachen Verbrauchern verursacht


»Weil es nicht für alle reicht, springen die Armen ein.« Dieser schöne Satz von Ernst Bloch erfährt dieser Tage eine Aktualisierung: »Weil nicht alle ökologisch leben können, springen die Armen ein.« Alles sollen sie stemmen, denn an allem sind sie schuld: Sie konsumieren falsch und ungesund, sie essen zu viel Fleisch, sie verbrauchen zu viel CO2 und zu viel Benzin, sie heizen im Winter und essen im Sommer. Waren es vor wenigen Wochen die Lebensmittelpreise, die zu niedrig waren, sind es jetzt die Energiepreise, die unbedingt steigen müssen, gleichsam naturgesetzhaft. Sofort geben Journalist*innen wohlmeinend-paternalistische Tipps: Auch mal einen Pullover tragen! Muss denn immer in allen Zimmern geheizt werden? Achtet auf Stand-by-Geräte!

Die Menschen, die die ökologische Krise als erste und am härtesten trifft, sollen sie zugleich lösen, durch Verzicht in der Armut, Askese noch in der Entbehrung.

(...) Es ist nur gerecht, dass die Mieten um 70 Prozent steigen, davon müssen schließlich energetische Sanierungen bezahlt werden. Es ist nur fair, dass die Unterschicht ins trostlose Umland verdrängt wird, auch wenn sie dann eine klimaintensive Pendlerexistenz führen muss. (...)
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1161044.energiekosten-hauptsache-bambuszahnbuerste.html


ManOfConstantSorrow

ZitatWollsocken tragen ist nicht links
Solange zentrale Handelsbeziehungen und Eigentumsverhältnisse nicht in Frage gestellt werden, wird es nicht nur keine soziale Gerechtigkeit geben, sondern wird die Welt in weiten Teilen schlicht unbewohnbar.
https://www.medico.de/blog/wollsocken-tragen-ist-nicht-links-18766
Arbeitsscheu und chronisch schlecht gelaunt!

Kuddel

Es ist schon bekloppt, wenn Leute das "Shoppen" genießen.

Mit dem Wort "Kunsumverzicht" habe ich aber meine Probleme, denn für mich ist es zu oft der Aufruf an die Armen, den Gürtel enger zu schnallen.

Das nächste Problem sehe ich darin, daß Verantwortlichkeiten weitergegeben werden. Eben lief im Deutschlandfunk ein Beitrag von der Wissenschaftsredaktion, in dem allen Ernstes denjenigen, die Erdbeeren kaufen, die Schuld daran gegeben wird, daß es in Spanien Wassermangel und ökologische Katastrophen (Aussterben von Tierarten) gibt.

Die Verantwortung tragen die Großagrarierer, die in Spanien migrantische Arbeitskräfte ausbeuten und eine die Natur rücksichstslos zerstörende Landwirtschaft betreiben. Verbrecherisch hergestellte Produkte sollten nicht verkauft werden dürfen. Handelsketten wie Lidl halte ich für Mitverantwortlich an der Ausbeutung und Umweltzerstörung.

Dem Konsumenten die Verantwortung zuzuschieben, halte ich für eine Frechheit.

Hanni3

Zitat von: Kuddel am 09:06:07 Mi. 19.April 2023Es ist schon bekloppt, wenn Leute das "Shoppen" genießen.

Mit dem Wort "Kunsumverzicht" habe ich aber meine Probleme, denn für mich ist es zu oft der Aufruf an die Armen, den Gürtel enger zu schnallen.
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Dem Konsumenten die Verantwortung zuzuschieben, halte ich für eine Frechheit.

Die ziehen sich den Schuh aber an.

Man steht im Laden, etwas ratlos.
Darf ich?Darf ich nicht?
Und hat durchaus ein schlechtes Gewissen.
Ich hab hier die Möglichkeit, in zig Hofläden einkaufen zu können, aber das ist sicher die Ausnahme.

Leute, die perverserweise auf Tafel angewiesen sind, müssen das nehmen, was es dort gibt.
Kartoffeln aus Israel - kannste dir nicht ausdenken. Oder Karotten aus Chile. Unfassbar.


Tiefrot

Bei Fressalien übe ich keinen Verzicht.
Dafür aber bei Sachen, wo es um einiges mehr an Buntpapier geht.
Ich kaufe mir nicht alle ½ Jahre einen neuen Rechner,
habe und brauche kein Auto. An mir "verdient" die Kapitalistenklasse
möglichst wenig und es geht mir damit nicht schlecht.  ;)
Denke dran: Arbeiten gehen ist ein Deal !
Seht in den Lohnspiegel, und geht nicht drunter !

Wie bekommt man Milllionen von Deutschen zum Protest auf die Straße ?
Verbietet die BILD und schaltet Facebook ab !

AbenteuerKäse

Zitat von: Kuddel am 09:06:07 Mi. 19.April 2023Es ist schon bekloppt, wenn Leute das "Shoppen" genießen.

Mit dem Wort "Kunsumverzicht" habe ich aber meine Probleme, denn für mich ist es zu oft der Aufruf an die Armen, den Gürtel enger zu schnallen.

Das nächste Problem sehe ich darin, daß Verantwortlichkeiten weitergegeben werden. Eben lief im Deutschlandfunk ein Beitrag von der Wissenschaftsredaktion, in dem allen Ernstes denjenigen, die Erdbeeren kaufen, die Schuld daran gegeben wird, daß es in Spanien Wassermangel und ökologische Katastrophen (Aussterben von Tierarten) gibt.

Die Verantwortung tragen die Großagrarierer, die in Spanien migrantische Arbeitskräfte ausbeuten und eine die Natur rücksichstslos zerstörende Landwirtschaft betreiben. Verbrecherisch hergestellte Produkte sollten nicht verkauft werden dürfen. Handelsketten wie Lidl halte ich für Mitverantwortlich an der Ausbeutung und Umweltzerstörung.

Dem Konsumenten die Verantwortung zuzuschieben, halte ich für eine Frechheit.

ich kann dich einerseits total verstehen. Wenn Ausgebeutete Erdbeeren nicht anders als aus Spanien bekommen z. B. Leider gibt es andererseits die Leute, die genug Geld haben, aber lieber das Billigste kaufen, um sich für das Gesparte Geld was Teureres zu kaufen.
Ich finde, der Egoismus nimmt zu und auch das Essen aus Spanien, das in Deutschland ankommt. Diejenigen, die Geld haben, können auch GartenLand kaufen und es z. B. an Arme weiterverschenken, wenn die es wollen (es wollen viele). Oder ihre Gärten teilen, wenn sie nur wenig selbst anbauen. Das wird in manchen Städten auch schon offiziell gemacht. Dabei ist zu befürchten, dass dann die Kleingartenparzellen noch kleiner werden, wenn das durch Behörden kontrolliert wird.
Das stimmt, dass Supermärkte ihre Verhandlungsmacht einsetzen, um den Landwirt*innen in Spanien fiese Vertragsbedingungen aufzuzwingen. Und die anderen von dir genannten Verantwortlichen auch. Aber es gibt eben viele, die was tun könnten, und nicht bloß sagen, dass sich nichts ändern wird.

Kuddel

Die Ungleichheit nimmt zu. Die Armut hat erschreckende Ausmaße angenommen.
Natürlich bin ich der Meinung, daß jeder gesunde und fair produzierte Lebensmittel essen sollte.

Die Armen kaufen ja nicht Erdberen aus Spanien, weil ihnen Ökologie und Behandlung der Landarbeiter scheißegal ist, sondern weil sie sich keine Fair Trade Bioprodukte leisten können.

Es ist einfach nur widerlich, wenn die Besserbetuchten dann mit dem Finger auf die Armen zeigen, die die ja nicht "bewußt" konsumieren und so verantwortlich sind für Ausbeutung und Umweltzerstörung.

Das ist Armenbashing. Fuck off! Das Problem heißt Armut und die Lösung liegt in einer anderen Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums.

counselor

Das von @Kuddel gesagte kann man ökonomisch belegen
ZitatAuch der sogenannte Gini-Koeffizient – ein verbreitetes Maß für Ungleichheit – belegt: In fast keinem anderen Land der Eurozone ist die Vermögensungleichheit so groß wie in Deutschland. Nur in Österreich sind die Verhältnisse ähnlich. Österreich und Deutschland kommen bei den Vermögen auf einen Gini-Koeffizienten von 0,77 und 0,76. Je näher der Gini am Wert 1 liegt, desto größer ist die Ungleichheit.

Quelle: https://www.boeckler.de/de/boeckler-impuls-ist-deutschland-ein-ungleiches-land-3658.htm%20/
Alles ist in Bewegung. Nichts war schon immer da und nichts wird immer so bleiben!

Kuddel

Zitat von: AbenteuerKäse am 23:44:09 Di. 25.Juli 2023Aber es gibt eben viele, die was tun könnten, und nicht bloß sagen, dass sich nichts ändern wird.

Es ist schon richtig, wir sollten nicht immer nur schimpfen und sagen, daß "die Politik" oder sonstwer das Problem lösen soll.

Ich finde Initiativen von unten ja auch sehr gut. In Kiel gab es ein Gartenprojekt in einer Baulücke (in dem armen Stadtteil Gaarden) als Teil linker Stadtteilarbeit. Da wurden auch Hochbeete angelegt, man konnte abends am Lagerfeuer sitzen. Gerade für arme Menschen eine Abwechslung. Der Garten wurde nach und nach übernommen von Leuten aus der Gegend, rumänische Kinder, Jugendliche der Hiphop Szene, Trinkerszene, Drogenuser, die alle keinen Raum mehr in der Stadt haben.

Aber da kommen wir immer wieder zurück zur sozialen Frage. Es geht den Ärmsten zuerst an den Kragen. Angeblich wegen der Junkies hat die Stadt den Garten einfach plattgemacht.



Konsumverzicht ist ein Luxus, den man sich erstmal leisten können muß.
Für andere geht es zunehmend um die Existenz.

AbenteuerKäse

Zitat von: Kuddel am 07:40:26 Mi. 26.Juli 2023Die Ungleichheit nimmt zu. Die Armut hat erschreckende Ausmaße angenommen.
Natürlich bin ich der Meinung, daß jeder gesunde und fair produzierte Lebensmittel essen sollte.

Die Armen kaufen ja nicht Erdberen aus Spanien, weil ihnen Ökologie und Behandlung der Landarbeiter scheißegal ist, sondern weil sie sich keine Fair Trade Bioprodukte leisten können.

Es ist einfach nur widerlich, wenn die Besserbetuchten dann mit dem Finger auf die Armen zeigen, die die ja nicht "bewußt" konsumieren und so verantwortlich sind für Ausbeutung und Umweltzerstörung.

Das ist Armenbashing. Fuck off! Das Problem heißt Armut und die Lösung liegt in einer anderen Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums.

und @counselor: ich stimme euch beiden voll zu.

Und zu dem Projekt in Kiel: sehr sehr traurig, dass die stadt so einen garten kaputtmacht. Und was ist jetzt dort? Ein Parkplatz für den Klimawandel?
Das Problem an solchen Gärten ist ja oft, dass es zu wenig Platz ist für die vielen Leute mit Interesse. Hier gibts auch so einen Garten, echt winzig, aber Vorzeigeprojekt. Ist so groß wie eine Kleingartenparzelle. Aber es gibt vermutlich 20 Gärtner*innen und 50 weitere Interessent*innen. Wenn die Stadt dafür gesorgt hätte, dass es andere Gärten und Orte für die verschiedenen Gruppen gibt, hätte sich das bestimmt verteilt und die Gruppen hätten das regeln können.
Die Stadtverwaltung kommt meistens nicht darauf, die Menschen zu fragen, was sie überhaupt brauchen. Und wenn, dann sind Leute mit Recht mißtrauisch, was aus ihrer Befragung = meistens schon die "Beteiligung" gemacht wird.

AbenteuerKäse

Zitat von: Nikita am 13:40:24 Sa. 23.Oktober 2021Sein Konsumverhalten zu beachten ist zweifellos wichtig, aber es ist keine Religion und sollte nicht von wichtigen Dingen ablenken. Der Konsument ist im Kapitalismus an allem schuld. Jede Sauerei, die Unternehmen begehen ist in Ordnung, weil der Verbraucher die Firma nutzt, die sich unmoralisch verhält. Dabei gibt es in vielen Bereichen nur scheinbar eine oder keine Auswahl an Alternativen.

Ein Beispiel:
Beim Trennen von Müll wird jedes Fitzelchen sortiert und wer es nicht zu 100 % so macht, wird schräg angesehen. Mehr als 3/4 von dem, was dann sorgsam sortiert wird, wird verbrannt. Ein Großteil ist nicht recycelbar, aber die Müllverwerter jammern über jeden "Fehlwurf" des Verbrauchers. Tatsächlich sind Verpackungen so konstruiert, dass sie nur selten recycelbar sind, weil sie aus zu vielen verschiedenen Stoffen bestehen. Eine Folie besteht mittlerweile aus 15 Plastiksorten, die alle separat sortiert werden müssten, was absurd ist. Als Verbraucher kann man an einer Folie nichts sortieren. Ich kann sie in eine Mülltonne werfen. Das war es. Wer etwas in die Restmülltonne wirft und nicht in den Gelben Sack, entscheidet, wo es verbrannt wird, nicht ob es recycelt wird. Trotzdem ist Mülltrennung eine Religion geworden. Man muss an der Konstruktion von Verpackungen etwas ändern und Müllexporte verbieten. Export von Müll gilt als Recycling, nur so kann Deutschland seine hohen Recyclingquoten ausweisen.

Beim Einkaufen kann ich selten entscheiden, ob das, was ich kaufe, schädlich für irgendwen oder irgendetwas ist. Steht Bio drauf? Super! Das bedeutet erst mal nichts.
Nichts dort kaufen, wo skandalöse Zustände veröffentlicht wurden? Wer sagt mir, dass es beim nächsten Händler anders ist?
Ich versuche einiges im Alltag, um nicht ungeprüft zum Nachteil von etwas oder jemanden zu handeln. Der Effekt ist sicher trotz großem Aufwand winzig. Ich kenne wenige Unternehmen, die sich ebenso viel Mühe geben. Es gibt sie. Aber die decken einen kleinen Teil meines Bedarfs ab.
Organisationen oder Unternehmen, die moralisch agieren, entstehen dort, wo Menschen sich engagieren, um Strukturen aufzubrechen oder zumindest eine nutzbare Alternative zu finanzoptimierten Kartellen zu schaffen. So greift man in bestehende Verhältnisse an.

Ich hab mal ne Doku über Müllentsorgung gesehen. Da haben sich die Entsorger beschwert, dass Kassettenbänder das Schlimmste sind. Die bringen ganze Maschinen zum Stillstehen. Und das ist teuer. Aber es wäre doch eine Möglichkeit, um den Arbeiter*innen dort mehr Pausen zu verschaffen?
Genauso diese Kleidersammelunternehmen, die sich beschweren, weil Menschen Kleidung dort reinwerfen, die nicht mehr tragbar ist. Das ist erstmal die recycelnde Denkweise. Wo sonst soll ich meine kaputte Kleidung recyceln? Und andere wieder glauben, die Sachen in den Kleidersammlungen werden gespendet. Stattdessen verdienen die Unternehmen, die auf unsere Spenden hoffen, Geld damit (neokoloniale Denkweise: die guten Sachen werden hier verkauft, die schlechten in den ärmsten Ländern) und beschweren sich bei den Spender*innen, dass sie falsch handeln! Und bezahlen ihre Arbeiter*innen schlecht etc.

Und zu den Besserverdienenden, die glauben, durch eine nachhaltige Lebensweise was zu ändern: Grundsätzlich ist es ein wichtiges Experimentierfeld, das nachhaltigste Produkt zu finden.
Aber weil das nach kapiatlistischen Regeln funktionieren muss, wird nicht das nachhaltigste Produkt angeboten. Sondern das noch Bezahlbare. Und für Bambuszahnbürsten werden Bambusmonokulturen angelegt. Und ich hab noch nie welche gesehen, die "fair" hergestellt wurden. Und wenn, dann wäre wahrscheinlich nur dieses Fairtrade-Zeichen drauf, was sogar der Lidl verwendet. Und was gar nichts bedeutet. Wenn diese Konsument*innen auf alles außer "fair" hergestellte Produkte verzichten würden, dann könnten sie viel nicht mehr kaufen.

Fritz Linow

(Nochmal kurz zu dem plattgemachten Garten in Kiel-Gaarden)

Kurz bevor der Bagger anrückte:




Sämtliche Sitzgelegenheiten und Unterstände wurden entfernt und alles umgepflügt, es sieht nun aus wie ein frischer Kartoffelacker. In einem verfallenen Haus nebenan hatten sich einige Obdachlose eingerichtet, die nun ebenfalls "nachhaltig" aus den Sinn verschwinden sollen. Das gesamte Grundstück gehört der Stadt und es soll wohl ein Neubau mit Wohnungen entstehen.

Im gesamten Gebiet gibt es sehr viele Altbauwohnungen mit Sanierungsbedarf und vor allem Wertsteigerungspotential. Daher gibt es seit einigen Jahren ein Stadtteilentwicklungsprogramm, das unter anderem eben die Straßenzüge im Fokus hat, in denen dieser Garten liegt. So hat die Stadt zum Beispiel mehrere ausgediente Geschäftsräume
 angemietet und gibt sie an Künstler und Leute aus der sogenannten Kreativszene weiter. Eigentlich findet also ganz banal ein Gentrifizierungsprozess statt. Im aktuellen Fortschriftsbericht dieses Entwicklungsprogramms sagt der Bürgermeister konkret, dass es zu Verdrängungen der Alteingesessenen kommen wird, was auch immer er darunter versteht.

Im besagten Garten gab es nun also die ersten Schritte einer Selbstorganisation mit allen Problemen, die das halt so mit sich bringt. Die Stadt musste befürchten, die Kontrolle trotz aller sozialpädagogischen Überwachungs- und Steuerungsmaßnahmen zu verlieren.

Es gibt in Kiel ca. 2500 Wohnungslose, Hotels und Container sind voll, selbst in oberflächlich betrachtet besseren Gegenden ist das Elend nicht mehr zu übersehen. Das stört natürlich bei irgendwelchen nutzlosen und teuren Leuchtturmprojekten (Kreuzfahrttourismus, Konzertsaal, Hörnbebauung...), und anstatt sich intensiv um Drogenkonsumräume oder Housing First zu kümmern, hat sich die Stadtverwaltung dafür entschieden, kurzerhand mal durchzuwischen.

Kuddel

Wir rutschen hier deutlich in den Off-Topic Bereich, "Stadtteilarbeit", "Kampf gegen die Armen" oder "Wohnen" wären passendere Rubriken. Ich will diese Sache aber nicht auseinanderreißen.

Der Garten war nach außen vielleicht wenig spektakular, doch er war und ist ein Politikum.

Vorausgegangen ist auch ein politischer Klimawandel in der linken Szene. Früher war es schwer möglich, Linke zu den Ärmsten und Schwächsten in der Gesellschaft zu mobilisieren. Trinker und Junkies galten eher als Problem, heute sieht man Menschen, die Schutz und bessere soziale und medizinische Bedingungen brauchen.

Die Kieler Nachrichten blieben ihrem Ruf als Drecksblatt treu. Etwas Multikulti und Kinder, das find man ja irgendwie sympathisch, aber für den Bodensatz der Gesellschaft hat man weniger Verständnis:

"Problemgarten in Kiel-Gaarden: Sex und Drogenkonsum vor Kinderaugen ... Das Drama begann hoffnungsvoll. ... Grünfläche hinter dem Problemhaus ... ,,Subjektbildung – Empowerment – Teilhabe." So lauteten die Schlagworte zum Projekt ,,G(a)arden(ing)" ... vorbei mit den hehren Ansprüchen. Das Gelände diene mittlerweile als Refugium für eine Szene von etwa 30 Drogensüchtigen und Obdachlosen ... Unter der Treppe vor der Kita riecht es ihm zufolge ,,beißend nach Urin" ... Haus & Grund Kiel [Verband der Vermieter und Spekulantenschweine] bezeichnet unterdessen die Zustände ums Haus Kirchenweg 34 als ,,skandalös". Von ,,Verwahrlosung, wohin das Auge reicht", spricht Geschäftsführer Sönke Bergemann. ... Schnelle Konsequenzen kündigt indes Oberbürgermeister Ulf Kämpfer an. ,,Die Situation ist unzumutbar", befindet er ... " (Alles KN O-Ton)

Gentrifizierung, Kapitalinteressen und Kampf gegen die Armen. Das ist Kieler Kommunalpolitik, sozialdemokratischgrün.

Fritz Linow

ZitatWir rutschen hier deutlich in den Off-Topic Bereich

Ja und nein. Hatte vergessen, den Bogen zum Konsumverzicht zu spannen:

Es ist eine Gegend, in der die Bewohner sehr früh in ihre Autos steigen oder abgeholt werden, um als Billigkräfte auf dem Bau, in der Reinigung, in der Pflege oder sonstwo zu arbeiten.
Es ist eine Gegend, wo sich einige wegen 25 Cent Dosenpfand gegenseitig an die Gurgel gehen, aber auch gleichzeitig das Essen teilen.

Es gibt nicht wirklich Konsum, auf den man verzichten kann. Den Planern schwebt aber anscheinend ein Stadtteil vor, der voller Kreativität und Startups ist, in dem man mal schnell mit dem Lastenfahrrad unterwegs ist und der ansonsten aus einer Bevölkerung besteht, die eben diesen bewussten Konsumverzicht überhaupt leben kann. Dafür werden auch mal Straßenfeste organisiert, zu denen das vegane Biowaffelmobil auftaucht und die Brause 4 Euro kostet.

Sichtbare und vor allem nicht kontrollierbare Armut stehen da dem gewünschten Image im Weg.

Kuddel


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