Aus: Ausgabe vom 28.09.2019, Seite 2 / Kapital & Arbeit
VERDI-BUNDESKONGRESS IN LEIPZIG
»Das ist ein starkes politisches Zeichen«
Für die Abschaffung der Leiharbeit: Verdi-Jugend bringt auf Leipziger Bundeskongress Anträge durch. Gespräch mit Miriam Hagelstein und Kai Reinartz
Interview: Susanne KnütterDie Verdi-Jugend konnte beim derzeitigen Bundeskongress in Leipzig Erfolge bei einigen wichtigen Anträgen verbuchen. Wie kam es dazu?
Kai Reinartz: Einer der Gründe dafür, warum die Änderungsanträge für den Bundeskongress so hoch im Kurs stehen, ist der von uns gestaltete Diskussionsprozess im Vorfeld. Es hat eine Schreibwerkstatt mit dem damaligen Bundesjugendvorstand gegeben und in der Folge sind die Anträge gemeinsam entwickelt und auf allen Landesjugendkonferenzen diskutiert worden. So haben wir die politischen Meinungen der Jugend zusammengeführt.
Worüber wurde bei den Vorbereitungstreffen besonders debattiert?
Miriam Hagelstein: Wir haben zum Beispiel lange über das Thema Arbeitszeit diskutiert und darüber, ob wir eine klare Stundenanzahl formulieren wollen. Es gibt unterschiedliche Formen der Arbeit, da muss zum Teil sehr individuell geschaut werden, wie man Arbeitszeit gestalten kann.
Was ist das Hauptargument für die Verkürzung der Arbeitszeit gewesen?
M. H.: Wir leben in einer Welt, die immer digitaler wird. Weil immer mehr Prozesse automatisiert werden, kommt es zu Stellenstreichungen. Angesichts dieser Veränderungen braucht es eine Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich. Das ist die logische Konsequenz daraus, wenn es weniger Jobs gibt.
K. R.: Digitalisierung und Automatisierung steigern die Produktion durch die Beschäftigten. Arbeitszeitverkürzung ist hier ein kollektives Mittel, um als Beschäftigter an der Produktionssteigerung des Betriebes teilzuhaben – damit am Ende nicht nur die Unternehmer von den Produktivitätsfortschritten profitieren.
Ihr Antrag auf Abschaffung der Leiharbeit wurde nun angenommen. Für diese Entscheidung hat es drei Verdi-Bundeskongresse gebraucht. Warum hat sich die Gewerkschaft so lange dagegen gesträubt?
K. R.: Dass unser Änderungsantrag für die langfristige Abschaffung der Leiharbeit angenommen wurde und damit in den Leitantrag übergegangen ist, ist ein starkes politisches Zeichen aus der Jugend heraus. Ein Grund dafür ist, dass es Bereiche gibt, in denen Leiharbeit unter sehr guten Bedingungen stattfindet; in denen Unternehmen den Leiharbeitern etwas bieten, damit sie das Modell weiterführen können. Aber solange wir Beschäftigungsverhältnisse in Leiharbeit haben, werden wir nie zu identischen Bedingungen kommen – weder für die Leiharbeiter noch für die Stammbelegschaft.
Können Sie ein Beispiel nennen, wo Leiharbeiter und Leiharbeiterinnen bessere Bedingungen haben als die festangestellten Beschäftigten?
K. R.: Zum Beispiel in den sozialen Bereichen wie im Krankenhaus, in der Pflege oder auch im Sozial- und Erziehungsdienst. Auch bei Hafenarbeiterinnen und Hafenarbeitern. Ob hier unter dem Strich wirklich alle Bedingungen, wie zum Beispiel Sicherheit und Zukunftsperspektive, besser sind, kann ich nicht beurteilen. Bisher habe ich nicht in einem solchen Bereich gearbeitet.
Welche Anträge, die Sie eingebracht haben, sind Ihnen noch wichtig?
M. H.: Wir haben einen Antrag mit dem Titel »Mitbestimmung 4.0« formuliert. Da geht es darum, dass die Mitbestimmungsrechte von Auszubildendenvertretungen gestärkt werden, so dass sie nicht mehr so sehr auf den Personal- oder Betriebsrat angewiesen sind. Denn man sieht: Sind Personal- oder Betriebsräte nicht so forsch in ihren Forderungen, hat die Auszubildendenvertretung einen schweren Stand.
K. R.: Ein weiterer wichtiger Antrag heißt »Verdi-Jugend aktiv gegen rechts«. Wir möchten uns mit dem Thema auseinandersetzen und aufklären. Verdi-Mitglieder, aber auch die Bevölkerung insgesamt, müssen dahingehend sensibilisiert werden, dass sie rechte Machenschaften erkennen und auch dagegen vorgehen können.
M. H.: Wir sehen, dass in einigen Betrieben schon jetzt rechte »Alternativgewerkschaften« gegründet werden. Das macht unsere Arbeit in den Betrieben unglaublich schwer. Da müssen wir auch unsere Jugendauszubildendenvertretungen mit Argumenten versehen.
Was halten Sie von den Anträgen für einen Unvereinbarkeitsbeschluss mit rechten Organisationen und der AfD?
M. H.: Das ist in der Gewerkschaft ein schwieriges Thema, weil wir alle Beschäftigten vertreten. Diese Unvereinbarkeitsanträge formulieren das Ziel, dass Menschen, die eine Position innerhalb einer rechten Organisation haben, nicht zu den Inhalten unserer Satzung passen. Wir stehen für Solidarität und sind gegen Diskriminierung. Uns erwartet eine heikle Debatte. Wir können bei Eintritt in die Gewerkschaft nicht die Parteimitgliedschaft abfragen. Das geht auf keinen Fall. Die Verdi-Jugend hat als Kriterium vorgeschlagen: Wer ein Amt in einer rechten Organisation bekleidet, kann nicht gleichzeitig Verdi-Mitglied sein.
K. R.: Man sollte sich mit den Kollegen über ihre Motive, rechten Parteien beizutreten, auseinandersetzen. Aus meiner Sicht ist aber die Mitgliedschaft in der AfD unvereinbar mit der in einer Gewerkschaft. Die AfD ist gewerkschaftsfeindlich.
Wie begründen Sie das?
M. H.: Gewerkschaften stehen für Solidarität. Wir vertreten Auszubildende, Angestellte und Beschäftigte, unabhängig von Hautfarbe, Herkunft, Geschlecht, sexueller Orientierung oder anderen Merkmalen. Die AfD tut so, als ob sie auf der Seite der »kleinen Leute« stünde und verbreitet dabei Hetze gegen Menschen mit Migrationshintergrund oder muslimischem Glauben. Zudem will die Partei homosexuelle Paare oder Alleinerziehende benachteiligen. Das ist per Definition Diskriminierung, das können und dürfen wir nicht unterstützen. Verdi kann und wird als Gewerkschaft nicht mit Parteien zusammenarbeiten, in der sich waschechte Neonazis aktiv beteiligen. Wir bekennen uns klar zum Antifaschismus.
Bei der Aussprache zu den Geschäftsberichten gab es einen Redebeitrag, in dem mehr Jugendsekretäre gefordert wurden. Frank Bsirske antwortete darauf, das Problem der unzureichenden Betreuung von Auszubildenden werde dadurch nicht gelöst. Es käme auf die Kollegen, die schon lange im Betrieb sind, an, die Auszubildenden zu unterstützen. Wie steht die Verdi-Jugend dazu?
K. R.: Auch zu dieser Fragen haben wir einen Antrag der Bundesjugendkonferenz. Der nennt sich »Jugend im Fokus 2.0«. Auf dem Bundeskongress vor vier Jahren hatten wir bereits den Antrag »Jugend im Fokus« beschlossen. Der sah sinngemäß vor, dass Jugendarbeit in der Gewinnung, aber auch in der Betreuung von Mitgliedern nicht allein der Auftrag der Jugendsekretäre sein kann, sondern dass das eine Aufgabe der gesamten Organisation sein muss. Alle Mitglieder, Personal- und Betriebsräte müssen sich damit auseinandersetzen, junge Kollegen gesellschafts- und betriebspolitisch zu begleiten. Wir können noch so viele Jugendsekretäre und -sekretärinnen einstellen und tolle Konzepte schreiben: Das muss von allen gemacht und gelebt werden.
Miriam Hagelstein und Kai Reinartz sind Mitglieder der Verdi-Jugend
Quelle
https://www.jungewelt.de/artikel/363727.verdi-bundeskongress-in-leipzig-das-ist-ein-starkes-politisches-zeichen.html