Erfahrungsbericht:
Ich bin 2007 in die hiesige IG Metall eingetreten, weil ich von Randstad gedisst wurde und jede Unterstützung brauchte, die ich kriegen konnte. (Die Geschichte hab ich seinerzeit hier groß und breit geteilt, ältere Chefduzler erinnern sich vielleicht, deswegen hier kein großes Aufwärmen mehr). Ich erhielt sofort Rechtsberatung und Rechtsschutz, im Gegenzug machte ich ein bißchen Öffentlichkeitsarbeit, es war ein Win-Win, wenn man so will. Die Sache ging relativ gut aus für mich, ich wurde zwar gekündigt, aber nicht fristlos (wie Randstad das wollte), und bekam dann noch 2 Monate Lohn und eine Abfindung.
Kurze Zeit später fand ich eine neue Anstellung, wieder Zeitarbeit, aber erstmal nebensächlich. Ich arbeitete mit 3 weiteren Kollegen in einem Langzeiteinsatz über mehrere Jahre in einem Kundenbetrieb. Irgendwann ging unsere ZAF pleite und kündigte uns. Ich sagte aber zu den Kollegen, wir sollten eine Kündigungsschutzklage machen, um zumindest ggf. noch eine Abfindung zu bekommen, wir hatten ja z.T. mehrere Jahre Betriebszugehörigkeit aufzuweisen. Meine Kollegen wurden hellhörig, wie das denn ginge, und ich sagte ihnen, am einfachsten wäre es mit dem Rechtsschutz in der Gewerkschaft. Die waren aber in keiner Gewerkschaft, wären aber bereit, einzutreten. Daraufhin telefonierte ich mit meiner örtlichen IG Metall Rechtsabteilung, ob man da was machen könnte. Die erklärten sich bereit, die Kollegen aufzunehmen und kulanterweise sofort (!!!) Rechtsberatung und Rechtsschutz zu gewähren, also ohne die üblichen Wartefristen! So geschah es, die Kollegen wurden Mitglied, der Anwalt der IGM machte für uns eine KSG, und am Ende bekamen wir jeder eine Abfindung zwischen 2000 und 5000 EUR.
Feine Sache, angesichts eines "Einsatzes" von grade mal ca. 15 EUR Monatsbeitrag, oder?
Nachdem wir alle unsere Abfindung auf dem Konto hatten, kündigten die Kollegen ihre IGM-Mitgliedschaft sofort wieder. Jeder von denen hatte max. 2 Monatsbeiträge gezahlt. Ich habe mich in Grund und Boden geschämt. Seither rühre ich für Leiharbeitskollegen keinen Finger mehr, ich kämpfe nur noch für mich alleine. Ist jetzt 10 Jahre her, aber ich könnte heute noch kotzen.
Ich habe über die Jahre leider immer wieder die Erfahrung machen müssen, daß es mit dem Solidaritätsgedanken bei Leihkeulen nicht so weit her ist, der Egoismus ist sehr ausgeprägt. Einerseits verstehe ich das, weil Menschen in Not (und das sind LAN ja oft) sich instinktiv erst mal um sich selbst sorgen, andererseits frage ich mich halt auch, wie man dauerhaft so blöde sein kann, um nicht zu verstehen, daß man nur gemeinsam in möglichst großer Mannstärke etwas erreichen und durchsetzen kann. Stattdessen höre ich immer mehr so Scheißsprüche wie "Ich wähl jetzt AFD!" - Ja, genau.
Gegenbeispiel: Meine Frau arbeitet seit gut 20 Jahren als Hauswirtschaftskraft in einer Behinderteneinrichtung, das ist so im halböffentlichen Dienst. Als sie da anfing, wurde sie relativ beschissen bezahlt, aber die Arbeit war okay und unbefristet, meine Frau hat beruflich nix gelernt, da muß man nehmen, was kommt. Schon am ersten Arbeitstag kam der Betriebsrat auf sie zu und sprach sie auf eine Gewerkschaftsmitgliedschaft an (in diesem Fall ver.di), die wurde beinahe "genötigt", zu unterschreiben. Das tat sie auch. Ein Jahr später war sie selber im BR dabei. Alle Mitarbeiter im Betrieb sind ausnahmslos bei ver.di. Da kommt auch regelmäßig jemand vorbei und kümmert sich vor Ort. Meine Frau bekommt im Schnitt alle 6 Monate Gehaltserhöhung, Weihnachts- und Urlaubsgeld, 30 Tage Jahresurlaub. Inzwischen verdient sie in einer 30-Stunden-Woche mehr als ich als LAN mit 35 Stunden und Lohngruppe 5! Noch Fragen? - So läuft das in einem Betrieb mit Gewerkschaft und Betriebsrat.
Ich weiß, es gibt viele Vorurteile gegen Gewerkschaften, es gibt Fälle von Mauschelei, persönlicher Bereicherung, die Duldung von Schröders Agenda und was weiß ich noch alles. Dennoch: Es ist für Arbeitnehmer die einzige nennenswerte Möglichkeit, sich zu organisieren und ihre Rechte notfalls durchzusetzen. Um so trauriger finde ich es, wie seit Jahren die Mitgliedszahlen erodieren, die Gewerkschaftsbewegung permanent geschwächt wird. Im Grunde geben wir alles auf, was unsere Väter und Großväter, viele unter Einsatz ihres Lebens, erkämpft und erstritten haben. Wir verlieren sukzessive kollektiv an Schlagkraft, und am Ende steht der Arbeiter wieder alleine, jeder für sich und verliert alles. Bitter ist das.
Wenn ein Arbeiter zu mir sagt: "Scheiß auf Gewerkschaft und Politik, ich wähl jetzt AFD!", dann kann ich das mit großer Mühe ein Stück weit nachvollziehen, da gibt es viel Wut, Enttäuschung, Frust, das Gefühl, im Stich gelassen zu werden. Aber der muß sich irgendwann von mir auch fragen lassen: "Junge, was stimmt nicht mit dir?"