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Der wichtigste Ort für gesellschaftlich relevante Auseinandersetzungen sind weder Demonstrationen und Kundgebungen, noch Veranstaltungen oder Internetplattformen. Es ist der Arbeitsplatz. Dort ist es weitgehend ruhig und so ist auch der politische Stillstand zu erklären. Arbeit wird heute anders organisiert, als vor 100 Jahren: Homeoffice, Leiharbeit, Werkverträge, Freiberuflichkeit und Scheinselbstständigkeit und Clickwork. Auf all das haben wir noch keine Antworten. Wir diskutieren die heutigen Methoden der Ausbeutungsmaschinerie kaum.
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Bei chefduzen treten wir seit 16 Jahren weitgehend auf der Stelle. Kaum jemand hat die Grundidee, die hinter diesem Forum steht, auch nur im Ansatz verstanden. Ich bin schon froh, daß es zumindest nachgelassen hat, daß Leiharbeiter hier beschimpft und beleidigt werden, weil sie in der Leiharbeit schuften. Ihnen gab man die Schuld an der Existenz der Sklavenhänderbranche, ja am ganzen Ausbeutersystems selbst. Immer wird nur Rückzug propagiert. Man soll nicht einen Job in der Leiharbeit, im Callcenter oder in der Logistik arbeiten.
Dabei wären das die idealen Orte schlechthin, wenn man Ungerechtigkeit oder "das kapitalistische System" angreifen möchte. Ich kenne Leute, die extra in solchen Ausbeuterbuden anheutern, um den Kampf aufzunehmen. Diese Leute bewundere ich und ich hoffe, ihr Herangehen macht Schule. Viel wichtiger sind diejenigen, die nicht aus "politischen" Gründen arbeiten gehen, sondern einfach arbeiten, um ihre Miete zu zahlen. Dejenigen sollten ihre Arbeit nicht nur erleiden und einen Notausgang suchen, sondern sie sollten überlegen, wie man sich wehrt und sich seine Würde bewahrt. Wir müssen erst wieder lernen, wie das geht. Es geht hier nicht um irgendwelche Fernziele wie "Streik", sondern um einfache Dinge, wie Widerspruch Vorgesetzten gegenüber, Einfordern an zustehenden Rechten, Absprachen mit Kollegen, langsam Arbeiten, Einsatz des "Gelben Scheins" und jede Menge mehr.
Selbst diese Schritte sind nicht immer einfach, doch sehr wichtig. So etwas sollten wir hier bequatschen. Man sollte einfach mal die Situation beschreiben, so daß auch Außenstehende sich ein Bild machen können. Wie sieht ein normaler Arbeitstag aus? Worüber streitet man sich mit Kollegen und Vorgesetzten? Was nervt einen bei der Arbeit?
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Vielen Dank für die Verdeutlichungen.
Ist zwar geographisch weit weg von den Meisten, doch auch am Polarkreis gibt es langwierige prekäre Arbeitsverhältnisse (wie meines):
Der "Chef" hatte zuvor mir meine Arbeitszeit im Verhältnis zum Lohn Juni/Juli genau vorgerechnet und festgestellt, ich sei zwei Tage zuviel bezahlt worden an meinem Job im Hafen. So weit, so gut bzw. schlecht. Dann hiess es scheinbar grosszügig, ich könne die fehlenden beiden Tage nacharbeiten,
indem ich einfach käme, wenn es mir passte. Ich arbeite nur auf Abruf direkt bei der Firma. Schon mehr als fünf Jahre inzwischen. Seit diesem Jahr lasse ich mir für die geleisteten Stunden monatlich Bescheinigungen ausstellen, damit mir die Arbeitsamtbürokratie vom Hals bleibt und um hoffentlich so meine Rechte als Arbeitnehmer in eventuellen zukünftigen Gerichtserfahren gegen den Arbeitgeber zu stärken. Denn Monat für Monat heisst es in den Papieren "BGS
ist vorübergehend angestellt bei der Firma ... . " Immer "vorübergehend", dabei auf Abruf. 2018 war ich z.B. tätig im Januar, Februar, März, April, Mai, Juni, Juli, August und September . Mindestens 130 Arbeitstage (Mo.-Fr:) bis jetzt.
Heute früh kam ich somit zur Arbeit, da es mir passend schien und plötzlich hiess es, so ginge das nicht. Man würde mich anrufen, falls ich gebraucht würde. Ich hätte kotzen können, nach dem frühen Aufstehen und dem vorher Gesagtem!
Doch was blieb mir denn anderes übrig, als gute Miene zum bösen Spiel zu machen? Sogenannter Kollege stand neben dem Chef und tat so, als sei ich gar nicht da. Dabei sind sie auf meine kurzfristigen Einsätze angewiesen, jedes Mal.
Das ist eine der heutigen Methoden den Ausbeutungsmaschinerie. Werde vermutlich noch diese Woche wieder angerufen für eintägige, kurzfristige Arbeit.
Ein Arbeitstag ist min 9-stündig. Dabei wird mir täglich eine Stunde abgezogen für Pausen, für die die Zeit zumindest vier Monate im Sommer absolut nicht reicht.
Die Arbeiter, sollten sie in das Büro wollen, dürfen nur den Nebeneingang, der auch für LKW-Fahrer vorgesehen, benutzen. Natürlich ist man dennoch stets freundlich, wir sind schliesslich in Skandinavien... .
Ungefähr seit vier Jahren bin ich in der hiesigen Gewerkschaft, damit im eventuellen Konfliktfall mit dem Arbeitgeber ich nicht völlig alleine bin, denn die wenigen "Kollegen" kann man hinsichtlich Widerstand völlig vergessen.
Es setzt mir zu, wie ein Sklave arbeiten zu müssen, auf Abruf. Dass die Arbeit oft dreckicg, gefährlich und körperlich fordernd ist, liegt in ihrer Natur (Hafen).
Persönlich sehe ich keinen Weg, die hiesige Ungerechtigkeit oder "das kapitalistische System" anzugreifen. Dann bin ich den Job sofort los und werde wohl aus Mangel an Arbeitsplätzen und Altersgründen nur noch on Wasser und Brot leben.
Ich beklage mich nicht, schildere nur eine Form der Ausbeutung. Immer noch besser, als ARGE und dergleichen, leider.
Der Arbeitsplatz.ist isoliert, vereinzelt Allerorten.Keiner sieht den Kollegen.
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MfG
BGS