Keine Tarifverträge zur Leiharbeit!
Von Rolf Geffken | Ausgabe vom 1. Februar 2019Der These von Ulf Immelt, man solle an den Tarifverträgen zur Leiharbeit festhalten, weil Betroffene nicht immer den Mut hätten, „vor ein Arbeitsgericht zu ziehen“ und weil Tarifverträge kraft Gesetzes „nachwirken“ würden und weil die Abschaffung der Leiharbeit nicht durch „einfache Aufkündigung des Tarifvertrages Leiharbeit“ geschehen könne, sondern nur durch „kampfstarke Belegschaften erkämpft“ werden könne, muss entschieden widersprochen werden:
1. Es ist ein historisch, rechtlich und moralisch völlig inakzeptables Phänomen, dass seit den Zeiten eines Herrn Kohl in zahlreichen Arbeitsgesetzen die Möglichkeit eingebaut wurde, von gesetzlichen Standards durch Tarifverträge „nach unten“ abweichen zu können. Tarifverträge wurden erkämpft und anerkannt, weil sie grundsätzlich eine Verbesserung von Arbeitsbedingungen erreichen sollten und sollen – nicht aber deren Verschlechterung, geschweige denn deren Abweichung von gesetzlichen Mindeststandards. Nichts anderes aber geschah mit der tarifvertraglichen Abweichung vom Grundsatz des „Equal Pay“ und der Möglichkeit, die Überlassungsdauer bei der Leiharbeit zu verlängern. Beides verstärkt die Spaltung der Belegschaften und vertieft die Diskriminierung der Leiharbeiter.
2. Tarifverträge wirken trotz Kündigung nach. Das stimmt. Aber grundsätzlich nur zwischen „den beiderseits Tarifgebundenen“. Tarifgebunden sind die wenigsten Leiharbeiter. Auf sie finden die Tarifverträge deshalb nur Anwendung, wenn und insoweit auf diese in den einzelnen Arbeitsverträgen verwiesen wird. Ob diese Verweisungen wirksam sind, kann im Einzelfall überprüft werden. Viele solcher Verweisungen halten einer Überprüfung nicht stand. Dass Betroffene nicht immer den Mut haben, vor ein Arbeitsgericht zu ziehen, ist bekannt. Doch wenn notwendig, kann und muss man ihnen gerade als Gewerkschafter oder Betriebsrat Mut machen. Dazu sind sie da. Das galt übrigens gerade für die alten CGZP-Tarifverträge. Die wurden nämlich durch die mangelnde Tariffähigkeit dieser Organisation für unwirksam erklärt, wodurch plötzlich Millionenforderungen auf die Unternehmen zukamen. Diese blieben den Unternehmen kurioserweise nur deshalb erspart, weil viele Leiharbeiter keinen gewerkschaftlichen Rechtsschutz besaßen und der DGB wenig Interesse daran hatte, durch die Prozesse den Beleg zu erbringen, dass der „Nichttarifvertrag“ für die Betroffenen besser war als der DGB-Tarifvertrag: Die Betroffenen hatten plötzlich Anspruch auf den Lohn der festangestellten Kollegen und nicht den des DGB-Tarifvertrages Leiharbeit, und zwar ganz ohne Beachtung der tarifvertraglichen Ausschlussfristen!
3. Der Hinweis auf die Dumping-Verträge der CGZP ist überflüssig, denn die CGZP gibt es nicht mehr und sogar die CGM hat alle Leiharbeitstarifverträge gekündigt. Das Argument, man müsse Tarifverträge abschließen, um Schlimmeres zu verhindern, ist also ersatzlos entfallen.
4. Die Möglichkeit, Tarifverträge auch auf dem Weg der Verweisung im Einzelarbeitsvertrag für anwendbar zu erklären, gibt es bei der Verlängerung der Höchstüberlassungsdauer nicht, denn dort muss „Tarifbindung“ (also Gewerkschaftsmitgliedschaft) vorliegen. Hier zieht also das Argument der Nachwirkung gar nicht.
5. Wie auch immer: Tricksereien des Gesetzgebers können kein Grund sein, auf die Durchsetzung einer grundsätzlichen Forderung der Arbeiterbewegung zu verzichten. Man kann nicht Leiharbeitstarifverträge abschließen und den Kampf gegen die Leiharbeit auf den Sankt-Nimmerleins-Tag der „gut organisierten und kampfstarken Belegschaften“ verschieben. Nein: Sie müssen gekündigt werden und die Absenkung von Standards gegenüber dem Gesetz muss strikt abgelehnt werden. Das ist zunächst ein Kampf in den Gewerkschaften. Aber er ist richtig und notwendig. Es ist der erste und richtige Schritt auf dem Weg hin zur Abschaffung der Leiharbeit.
Quelle
https://www.unsere-zeit.de/de/5105/wirtschaft_soziales/10399/Keine-Tarifverträge-zur-Leiharbeit!.htm?fbclid=IwAR0PcCPSsTWRpf50OnF1BOS49RpiAQ_VEUbUU85Gzf34u-SzbbqJiwnF7Hw
Kniefall vor Marktgesetzen
Von Daniel Polzin | Ausgabe vom 15. Februar 2019Ulf Immelt schreibt in der UZ vom 18. Januar, dass nach der großen Liberalisierung der Leiharbeit im Zuge der „Hartz“-Reformen „sofort“ gelbe „Gewerkschaften“ auf den Plan getreten seien. Die DGB-Gewerkschaften befanden sich aber bereits vorher in Verhandlungen mit den Zeitarbeitsunternehmen. Warum war das so? Warum hat der DGB 1981 in seinem Grundsatzprogramm das Verbot der Leiharbeit gefordert, um diesen Passus 15 Jahre später wieder zu streichen?
In einem Interview aus dem Jahre 2002 hat der damalige DGB-Chef Sommer die Tarifverhandlungen zur Abweichung vom gesetzlich festgeschriebenen Equal-Pay-Grundsatz mit der Aussage begrüßt, dass es darum gehe, „Leiharbeit so zu gestalten, dass sie unter fairen Bedingungen als Brücke in den ersten Arbeitsmarkt funktioniert“. Das klingt kaum nach hartnäckigem Widerstand gegen eines der wirksamsten Spaltungsinstrumente, welches das deutsche Kapital in den letzten Jahrzehnten gesetzlich festzuschreiben vermochte. Das klingt vielmehr nach einem symbolischen Kniefall vor den kapitalistischen Marktgesetzen.
Zugegeben: Die DGB-Führung hat sich nach dem Wandel hin zur grundsätzlichen Akzeptanz der Leiharbeit zunächst dafür eingesetzt, dass die vermittelnden Unternehmen nicht profitorientiert sein dürften und später, dass die Tarifverträge nur den gesetzlichen Gleichbehandlungsgrundsatz „ausgestalten“ sollten. Das noch vor Auftritt der ersten gelben Scheingewerkschaften mit den Zeitarbeitsfirmen ausgehandelte Eckpunktepapier sah trotzdem deutlich schlechtere Konditionen als Equal Pay vor. Doch selbst wenn dem nicht so gewesen wäre, stellt sich immer noch die Frage, warum der DGB überhaupt diese als „Flexibilisierungsinstrument“ euphemisierte Schweinerei grundsätzlich anerkannt hat.
Letztlich lässt es sich nur als Versuch begreifen, durch Inkaufnahme partieller Verschlechterungen langfristig von der höheren Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Kapitals in Form größerer Verteilungsspielräume zu profitieren. Dahingehend lässt sich die Strategie im Bereich Leiharbeit in den Kontext einer Entwicklung einordnen, in der trotz größter Angriffe auf die Rechte der Arbeiterklasse Illusionen über die vermeintliche Möglichkeit eines „fairen“, „sozialen“ oder „demokratischen“ Kapitalismus innerhalb der Gewerkschaften weiter geschürt wurden, was sich derzeit auch an den Positionen zur EU zeigt. Statt gegen die kontinuierliche Verschlechterung ihrer Kampfbedingungen Widerstand zu organisieren, wurde und wird nicht zuletzt versucht, den Umbau der Wirtschaftsstruktur im Sinne des Kapitalstandortes Deutschland „mitzugestalten“ (was nicht heißen soll, dass überhaupt kein Widerstand organisiert wurde, aber die Streikstatistik spricht über dessen Umfang Bände). Schaffen es Gewerkschaften jedoch nicht, eine gesellschaftliche Perspektive jenseits der Sisyphus-Aufgabe des Kampfes für ein besseres Leben im Kapitalismus aufzuzeigen, werden sie auf Dauer (nicht zu Unrecht) an Glaubwürdigkeit verlieren. Die Mitgliederentwicklung des DGB seit der Konterrevolution 1989/90 scheint dies zu bestätigen.
Ein grundsätzlicher Strategiewechsel im Bereich Leiharbeit in Form der Aufkündigung der Tarifverträge wäre vor diesem Hintergrund ein zaghafter Schritt in die richtige Richtung.
Quelle
https://www.unsere-zeit.de/de/5107/wirtschaft_soziales/10501/Kniefall-vor-Marktgesetzen.htm?fbclid=IwAR0L7R9_ewNDuVqB2QMted5_QLsaTk5Diygn_TCrLTOAuvbVMclqtr5Tdvs