Aus: Ausgabe vom 09.03.2017, Seite 8 / Inland
»Entgrenzte Sicherheitspolitik«
Durch gemeinsame Übungen von Polizei und Bundeswehr wird Einsatz des Militärs im Inland normalisiert. Gespräch mit Rolf Gössner
Interview: Claudia Wrobel

Foto: Oliver Dietze/dpa-Bildfunk
In den vergangenen drei Tagen wurden sogenannte Stabsrahmenübungen von Polizei und Bundeswehr durchgeführt. Offiziell darf die Bundeswehr aber gar nicht im Innern eingesetzt werden. Warum und auf welcher Grundlage werden solche Einsätze dann geprobt?
Der Bundeswehr-Einsatz im Inland ist ja in Einzelfällen längst schon Realität und auch begrenzt zulässig – nicht nur im Spannungs- oder Notstandsfall nach den Notstandsgesetzen, sondern auch im Fall von Katastrophen und schweren Unglücken als technische oder logistische Amtshilfe zur Unterstützung der Polizei gemäß Artikel 35 Grundgesetz. Allerdings bislang ohne eigene hoheitlichen Befugnisse. Doch das soll sich ändern: Die Bundeswehr soll quasi zur nationalen Sicherheitsreserve im Inland ausgebaut werden, zur »Hilfspolizei« mit eigenen hoheitlichen Kompetenzen und militärischen Mitteln. So eben auch zur Abwehr von Terrorangriffen – einer klassischen Aufgabe der Polizei. Etwa im Fall von bundesweit gleichzeitig verübten Terroranschlägen und wenn die Polizei überfordert ist. Das ist das Szenario der gemeinsamen Getex-Übungen zur Bewältigung »terroristischer Großlagen«. Gestützt werden diese Übungen nicht zuletzt auf ein Bundesverfassungsgerichtsurteil, das den Militäreinsatz im Innern in »Ausnahmesituationen katastrophischen Ausmaßes« für grundgesetzkonform erklärte.
In der medialen Auseinandersetzung hat man in den vergangenen Tagen oft gehört, dass der Inlandseinsatz der Bundeswehr im Fall von schlimmen Terrorangriffen doch gerechtfertigt sei. Warum ist es so bedenklich, wenn die Grenze zwischen Polizei und Bundeswehr verwischt wird?
Längst gibt es eine fatale Tendenz, den Rechtsstaat im Namen von »Sicherheit« und »Terrorbekämpfung« radikal umzubauen und dabei die verfassungsrechtlichen Grenzen zwischen Militär und Polizei mehr und mehr zu schleifen. So soll die Anwendung des Ausnahmezustands als normal erscheinen. Das geht zu Lasten von Rechtsstaatlichkeit, wirksamer Machtbegrenzung und demokratischer Kontrolle – und damit auch zu Lasten der Rechtssicherheit im Lande. Diese Art entgrenzter »Sicherheitspolitik« produziert Unsicherheit und ist in hohem Maße geschichtsvergessen, weil sie unter Missachtung jener wichtigen Lehren aus der deutschen Geschichte vollzogen wird, wonach Polizei und Militär, ihre Aufgaben und Befugnisse, strikt zu trennen sind.
Durch solche Übungen wird doch auch die Angst vor »terroristischen Großlagen« geschürt. Ist es ein verschwörungstheoretischer Blickwinkel, hier Kalkül zu unterstellen, um den Einsatz der Bundeswehr im Innern auch in anderen Bereichen zu rechtfertigen?
Zumindest haben solche Manöver die Nebenwirkung, die Bevölkerung immer wieder in Angst zu halten und weich zu kochen. So lassen sich Antiterrormaßnahmen jedenfalls ohne großen Widerspruch durchsetzen. Angst ist das Schmieröl der Staatstyrannei – diese Erkenntnis verweist darauf, dass Verunsicherung und Angst als Herrschaftsinstrumente nutzbar sind. Die Umsetzung dieser Politik mit der Angst hat seit dem Anschlag auf das World Trade Center am 11. September 2001 eine fatale Aufrüstungsdynamik in Gang gesetzt, die Grund- und Freiheitsrechte beschränkt sowie Demokratie und Rechtsstaat beschädigt. Dabei gerät in Vergessenheit, dass es weder in einer hochtechnisierten Risikogesellschaft, in der wir ja leben, noch in einer offenen und liberalen Demokratie absoluten Schutz vor Gefahren und Gewalt geben kann.
Entwerten solche Übungen und Planspiele nicht die Arbeit der Polizei, und warum ist das problematisch?
»Innere Sicherheit«, Gefahrenabwehr, Kriminalitätsbekämpfung und Strafverfolgung sind – auch im Fall von Terroranschlägen – klassische Aufgaben der Polizei und nicht der Bundeswehr. Soldaten sind keine Hilfspolizisten und nicht für polizeiliche Aufgaben nach dem Verfassungsgrundsatz der Verhältnismäßigkeit ausgebildet, sondern zum Kriegführen und mit Kriegswaffen ausgerüstet. Und sie sind auch nicht dazu da, Personalmangel bei der Polizei auszugleichen, wie er in den Bundesländern zu verzeichnen ist. So ähnlich sieht es auch die Gewerkschaft der Polizei und fordert dementsprechend mehr Polizeikräfte.
Rolf Gössner ist Rechtsanwalt, Publizist und Vorstandsmitglied der Internationalen Liga für Menschenrechte
Quelle
https://www.jungewelt.de/artikel/306820.entgrenzte-sicherheitspolitik.html