Leiharbeit in Österreich

Begonnen von Ösine, 19:49:44 Fr. 05.Juli 2019

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Ösine

Hallo,

ich bin über die Seite der IGL hier gelandet und möchste erstmal sagen, wie toll ich es finde, dass es überhaupt online Gegenwehr gegen Leiharbeit gibt. Aber ich finde es traurig, dass man nur sehr wenig zum Thema Leiharbeit in Österreich findet. Wie kommt das bloß? Ausser einer recht oberflächlichen Seite der Gewerkschaft (leiharbeiter.at) finde ich keine Tipps oder gar ein Forum zum Austausch.

Manch einer denkt vielleicht, dass da kein so großer Bedarf besteht, weil die gesetzliche Grundlage für Leiharbeiter in Österreich weit besser ist als in Deutschland. Das stimmt wohl, aber solange niemand auf die Einhaltung achtet, nützen einem diese Gesetze wenig. Die Zeitarbeitsfirmen verwenden hier genau die gleichen Ausbeutungsmethoden (zu niedrige Lohnstufen, keine Zuschläge, Missbrauch des Arbeitszeitkontos,...). Von Equal Pay und Gleichbehandlung bemerke ich nichts.  ???

Ich arbeite nun seit über einem Jahr als Leihsklave für einen internationalen Arbeitskräfteüberlasser und habe mich leider viel zu lange über den Tisch ziehen lassen - bin aber guter Hoffnung, dass mein Arbeitgeber sich demnächst dringend von mir trennen wollen wird.  ;D
Aber ich will hier gar nicht über meinen miesen Job jammern. Es ärgert mich einfach, tatenlos zusehen zu müssen, wie meine Kollegen schlecht behandelt und gnadenlos um ihr hart verdientes Geld betrogen werden. Das sind großteils Ausländer, die ihre Rechte nicht kennen, Kollektivvertrag und Arbeitsvertrag nicht verstehen und ihre Lohnzettel natürlich auch nicht lesen können (wobei das niemand kann, die sehen oft aus, als hätte ein Kleinkind mit der Lohnberechnungssoftware gespielt...).

Es gibt natürlich immer das grundlegende Problem, dass die meisten sich kaum wehren können, weil sie auf den Job einfach angewiesen sind. :( Aber vielen ist überhaupt nicht bewusst, dass ihnen Unrecht getan wird, die unternehmen daher nicht einmal nach der Kündigung etwas.

Habt ihr vielleicht Ideen, wie man diesen Leuten helfen könnte? Ich bin leider sehr introvertiert, kenne nicht viele meiner Kollegen und habe auch keine Ahnung, wie man eine Homepage oder ähnliches angehen könnte.

Liebe Grüße,
Elisabeth

admin

Erst einmal herzlich willkommen im Forum der Ausgebeuteten, Ösine... ähm, Elisabeth!

Es gab einige Jahre ein Schwesterforum, chefduzen.at, das sich sehr gut mit der Situation in Österreich auseinandergesetzt hat. Da gab es auch einen Leiharbeitsbereich, der sich mit der Situation intensiv befaßt hat und auch für uns aus Deutschland interessant war, weil wir die Unterschiede in dieser Branche sonst nicht kennengelernt hätten. Leider verloren unsere österreichischen Kollegen irgendwann ihren Enthusiasmus, warteten das Forum immer schlechter und schalteten es irgendwann ab.

Ich hoffe, du kriegst hier weitere Reaktionen auf deine Schilderungen und Gedanken.

Solidarische Grüße von der Chefduzencrew!

Fritz Linow

Für einen ersten Überblick finde ich die Seite leiharbeiter.at gar nicht mal so schlecht. Wäre interessant, ob die Gewerkschaften in Österreich auch so eine ruhmlose Rolle spielen wie hier der DGB.

Es gibt auch noch http://www.sezonieri.at. Das ist zwar eine Kampagne für Erntehelfer, aber es gibt da auch mehrsprachige Tipps, die vielleicht auch für Leiharbeiter wichtig sind. Und vielleicht gibt es da auch Ansprechpersonen, die weiterhelfen können.

Ganz klassisch wäre es wohl, sich vor die Betriebe, vor Arbeitsämter und Jobmessen zu stellen und Informationsmaterial zu verteilen. Im besten Fall ergibt sich ja dadurch ein kleiner regionaler Stammtisch von Gleichgesinnten. Das ist oft mühsam und teilweise frustrierend, aber ohne diesen Schritt besteht die Gefahr, dass es nur so ein Onlineding bleibt.

Ösine

Hallo, danke für eure Antworten!  :)
Zitat von: admin am 20:01:35 Fr. 05.Juli 2019
Es gab einige Jahre ein Schwesterforum, chefduzen.at, das sich sehr gut mit der Situation in Österreich auseinandergesetzt hat. Da gab es auch einen Leiharbeitsbereich, der sich mit der Situation intensiv befaßt hat und auch für uns aus Deutschland interessant war, weil wir die Unterschiede in dieser Branche sonst nicht kennengelernt hätten. Leider verloren unsere österreichischen Kollegen irgendwann ihren Enthusiasmus, warteten das Forum immer schlechter und schalteten es irgendwann ab.
Schade.  :(

Zitat von: Fritz Linow am 09:49:04 Mo. 08.Juli 2019Wäre interessant, ob die Gewerkschaften in Österreich auch so eine ruhmlose Rolle spielen wie hier der DGB.
Keine Ahnung, aber ich bin am überlegen, ob ich der Gewerkschaft beitrete, angeblich bieten sie zumindest Rechtsberatung. Wären ca. 15€ monatlicher Mitgliedsbeitrag für mich.

Das ewige Problem ist einfach, dass man (besonders als Leiharbeiter) von allen Seiten entrechtet wird...  :(
Von der Leiharbeitsfirma sowieso, aber der Entleihbetrieb klärt einen genausowenig auf, wie die Arbeit dort läuft (Normalarbeitszeit, Zuschläge, Betriebsvereinbarungen,...).
Vieles habe ich leider selbst noch nicht herausgefunden, ich suche mir mühsam Informationen zusammen.  ::)

Sämtliche Leiharbeits-Kollegen in meinem Betrieb, mit denen ich bisher gesprochen habe, haben keine Ahnung:

  • Dass sie aufgrund einer Betriebsvereinbarung Anspruch auf 30min bezahlte Pause am Tag haben (zusätzlich zur unbezahlten Mittagspause). Wie soll man das auch wissen, wenns einem niemand sagt? Die Pausen werden ihnen entweder nicht gewährt oder nicht bezahlt.
  • Dass das Stammpersonal die Dienstpläne mindestens 2 Wochen im Voraus erhält, wie es Pflicht ist. Leiharbeiter, auch solche die seit etlichen Jahren einen festen Platz im Betrieb haben, müssen sich mit 3 Tagen zufrieden geben.
  • Dass ihre Abeitszeit nicht einfach ohne Absprache durchgerechnet werden kann. Bei zuwenig Arbeit bezahlen die ZAF einfach nur die geleisteten Stunden oder tragen Minusstunden ein. Beides ist meines Wissens nach nicht rechtens.
  • Dass es einen Betriebsrat gibt (der sehr hilfbereit, aber offenbar überfordert ist und von oben auch sehr unter Druck gesetzt wird).

Ich fände es einfach toll, wenn es auch für Österreicher ein Forum gäbe, wo man sich z.B. über Arbeits- und Kollektivverträge austauschen könnte (was steht da überhaupt, was heißt das und welche Rechte und Pflichten habe ich dadurch,...). Aber scheinbar funktioniert das nicht so wie in Deutschland, oder es besteht kein nennenswertes Interesse?  :-\

Ich habe noch die Seite aktive-arbeitslose.at gefunden, die haben/hatten wohl auch ein Forum, sind aber offline. Falls die irgendwann wieder online gehen, werde ich dort mal schauen.

tleary

Leiharbeiter sind - wie du schon festgestellt hast - entweder miserabel aufgeklärt (über deren Rechte etc.), weil es Ausländer sind, und/oder meist sehr entmutigt über ihre derzeitige Situation, sodaß sie daran nichts ändern wollen. Ich denke, in Österreich ist das nicht viel anders wie hier. Obwohl sie wohl in AT theoretisch rechtlich besser gestellt wären, wie die Leiharbeiter hierzulande - wenn sie denn ihre Rechte überhaupt kennen würden.

Daß dem nicht so ist, war mir bislang auch so nicht bekannt. Ich erinnere mich an einen Bericht auf 3SAT, an dem ja auch das österreichische Fernsehen beteiligt ist und dort manchmal Berichte über Wirtschaft und Arbeitsmarkt in Österreich ausgestrahlt werden. Dort war der Tenor, alles wäre in der österr. Leiharbeitsbranche sow weit i.O. . Naja, da wurde wohl auch wieder nur so ein TV-verzerrtes Bild der Realität gezeigt.
»Wir wissen, so wie es ist, kann es nicht weiter gehen. Aber es geht weiter.«
(Autor unbekannt)

Fritz Linow

Zitat21.10.19
Lauda: Leiharbeitsfirma Crewlink will Flugbegleiter mit 959 Euro netto abspeisen

Mit einem Netto-Gehalt von nur 959 Euro sollen künftig Leiharbeiter an Bord von Lauda-Flugzeugen tätig sein. Das Unternehmen wird künftig Piloten und Stewards nicht mehr direkt, sondern über die Crewlink Ireland Ltd., Zweigniederlassung Österreich, beschäftigen. Für das fliegende Personal bedeutet das insbesondere deutlich weniger Lohn, wie aus AviationNetOnline vorliegenden Crewlink-Arbeitsverträgen für die Überlassung an Lauda hervorgeht. Auch fixe Bases gibt es künftig nicht mehr und in den englischsprachigen Verträgen birgt sich gar die Formulierung, dass die Uniformen selbst gekauft werden müssen. Lauda-Personalchef Robert Wall dementiert letzteren Punkt. Doch: Die Leiharbeitsfirma ist noch nicht einmal im Firmenbuch eingetragen und verfügt über keine aufrechte Gewerbeberechtigung, schließt jedoch bereits Arbeitsverträge ab. (...)
https://www.austrianaviation.net/detail/lauda-leiharbeitsfirma-crewlink-will-flugbegleiter-mit-959-euro-netto-abspeisen/

Fritz Linow

Zu den Abgründen in Österreich eine ausführliche Recherche:

Zitat16.2.20
Ausbeutung im Warenlager: Unter keinen Umständen drüber sprechen
(...)
https://www.semiosis.at/2020/02/16/ausbeutung-im-warenlager-unter-keinen-umstaenden-drueber-sprechen/

Onkel Tom

Moin Ösine und herzlich willkommen.

Ja, das ist auch in D und fast allen Ländern ein riesiges Problem, das Leiharbeiter_innen um ihr
hart verdientes Geld gebracht werden.. Falsche Aufklärung über Rechte von Leiharbeiter_innen
machen es möglich, on Masse Extraprofite ein zu streichen.

Wie Fritz schon andeutete, wäre dazu "offline" Aufklärungsarbeit vor Jobmessen oder anderen
Veranstaltungen, wo sich Leiharbeitshaie in Selbstverliebtheit schwelgen notwendig.

Jo, man hat dieses Gemauschel und "wie toll Leiharbeit sei" schnell zum Kotzen satt, sobald
Leiharbeit real erlebt wird.

Unter anderem haben wir hier kein Problem damit, wenn sich Leute hier auch aus dem
Ausland treffen und sich darüber austauschen, was in ihrer Leihbude so passiert.
Somit konnten z.B Ungereimtheiten in Leiharbeit bei VW in China begegnet werden und ein
Call Center auf Mallorca in Nöten gebracht werden..

Scheinbar haben wir hier schon internationalen Ruf und wenn eine Leihbude anhand ihrer
Praxis hier an den Pranger gerät, spricht sich das wohl rum, das man sich bei Fa. xy nicht
mehr bewerben braucht und vom entsprechenden Laden Abstand hält.

Dies dient nicht nur dem Selbstschutz des einzelnen Arbeitsuchenden, sondern auch den
Zweck, das eine mieserable Leihbude langsam aber sicher ausdünnt (fehlender Nachschub)
und somit die verbliebenen Leiharbeiter_innen bessere Chancen darin haben, ihre Forderungen
durchsetzen können. Den Leihbuden tut es genau so weh, wenn die Kasse in Ebbe gerät, wie
bei allen anderen Firmen auch..

Zunächst wäre es jedoch besser zu schauen, ob andere Mitarbeiter_innen in Eurer Leihbude
auch bereit wären, etwas ändern zu wollen.. Wenn ja, trifft man sich erst mal privat, um darüber
zu köcheln, was man machen kann. Durchaus möglich, das die paar Leute, die sich irgendwo
in einem Caffee treffen mehr werden..

Du stehst ja nicht alleine da und wenn andere es mitbekommen, das (subversiewe) Unternehmungen
laufen, wollen andere Betroffene auch was vom Kuchen ab haben.

In China und auch in Malle war es auch erst eine Person, die das Arbeitsverhältnis beklagte..
Durch Firmenbenennung war es dann auch kein Problem mehr, das andere Kolleginnen das
mit bekamen und sich den Arbeiterkämpfen anschlossen..

Es dauerte ein wenig aber hat die Bimmelbude auf Malle reichlich auf dem Kopf gestellt und
in China haben unsere öffentlichen Solidaritätsbekundungen dazu verholfen, das die
Gewerkschaft in D sowie VW es nicht mehr unter dem Teppich kehren konnten, was dort so
passierte.

Zur Bimmelbude auf Malle : https://forum.chefduzen.de/index.php/topic,27501.msg285453.html#msg285453

Die Info "Da gibt es ein Forum..." oder unsere "Leihkeule" regen auch dazu an, gegen Missstände
angehen zu wollen..

Mit solidarischen Grüßen Tom  ;)

Edit: Habe erst jetzt bemerkt, das Ösine sich schon vor über einem halben Jahr hier gepostet hat..
Naja, hoffentlich meldet sich Ösine mal zurück.  ;)
Lass Dich nicht verhartzen !

Fritz Linow

Seit einigen Tagen in Österreich immer wieder in der Presse:

Zitat12.3.21
Netz an Scheinfirmen bei Hygiene Austria hält Ermittler auf Trab

Der Maskenhersteller streitet ab, auf Zeitarbeiter der AD Job Assist zurückgegriffen zu haben. Dokumente zeigen: Die Scheinfirma sandte Arbeiter zur Hygiene Austria
(...)
https://www.derstandard.at/story/2000124972717/netz-an-scheinfirmen-bei-hygiene-austria-haelt-ermittler-auf-trab

karl.


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