Sanktionen vor dem BVG

Begonnen von Wernichtsweissmussallesgl, 14:00:03 Di. 05.November 2019

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dagobert

Zitat von: BGS am 21:22:17 Di. 05.November 2019Für wie viele Jahre rückwirkend bekommen nun die Betroffenen von "Sanktionen von 60 % und 100%" eine Erstattung der einbehaltenen Gelder
Gar nicht, die Tür hat das BVerfG zu gemacht.
Nachzulesen am Ende, ab Rz 219:
https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2019/11/ls20191105_1bvl000716.html

Zitat von: BGS am 21:22:17 Di. 05.November 2019Und was ist z. B. mit den vielen obdachlos gemachten Menschen, den durch Sanktionen krank und einsam gemachten Leuten etc.?
Für das BVerfG uninteressant.

Zitat von: NachbarArsch am 14:09:59 Mi. 06.November 2019Hier gabs nen Interview mit dem Kläger...
https://www.freie-radios.net/98178
Boes war nicht der Kläger.

Zitat von: Onkel Tom am 21:01:19 Mi. 06.November 2019In den Medien wurde immer gelabert, das Sanktionen gerade mal 3 % der ALG-II-Bezieher betreffen. Das glaube ich nicht
Stimmt auch nicht.
https://aktuelle-sozialpolitik.de/2019/11/05/sanktionsquote-und-sanktionsverlaufsquote/

Zitat von: Tiefrot am 21:52:56 Mi. 06.November 2019Mit dem Urteil dürfte ein Anfang zum kompletten Fall des Sanktionsregimes gemacht sein.
Wann es fällt, dürfte eine reine Zeitfrage sein.
Das seh ich noch nicht.
30% Kürzung von zu wenig sind immer noch zu viel.

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https://aktuelle-sozialpolitik.de/2019/11/06/ein-sowohl-als-auch-urteil/

https://aktuelle-sozialpolitik.de/2019/11/08/erste-auswirkungen-des-bverfg-urteils-zu-den-sanktionen-im-hartz4-system/
"Sie haben die unglaubwürdige Kühnheit, sich mit Deutschland zu verwechseln! Wo doch vielleicht der Augenblick nicht fern ist, da dem deutschen Volke das Letzte daran gelegen sein wird, nicht mit ihnen verwechselt zu werden."
Thomas Mann, 1936

counselor

Zitat von: tleary am 09:09:39 Fr. 08.November 2019
Zitat
Entscheidung des Bundesverfassungsgericht (BVG) gegen Sanktionen in Hartz IV: Erfolg des Widerstands gegen Hartz IV, der Kampf geht weiter!
Finde ich übrigens bedenklich, das a) als "Erfolg" zu feiern und noch dazu als b) durch die eigenen Proteste erzwungen.
Ich halte es durchaus für einen Erfolg, dass Erwerbslose jetzt nicht mehr durch eine Kette von Sanktionen obdachlos gemacht werden können bzw zum Hungertod verurteilt werden können (durch Totalsanktionen). Und an dem Urteil hat der organisierte 15Jahre andauernde Widerstand gegen H4 garantiert eine Mitschuld. Wir haben nämlich dazu beigetragen, dass die kritische Diskussion um H4 nie verstummt ist.
Alles ist in Bewegung. Nichts war schon immer da und nichts wird immer so bleiben!

Kuddel

Zitat von: tleary am 09:09:39 Fr. 08.November 2019
Finde ich übrigens bedenklich, das a) als "Erfolg" zu feiern und noch dazu als b) durch die eigenen Proteste erzwungen.

Das halte ich für eine Fehleinschätzung der Proteste.
Wir haben keine vorrevolutionäre Situation wie in Chile, im Irak oder im Libanon, wo man mit Plünderungen, Generalstreiks und Blockaden der Verkehrsadern, die Regierug direkt zu etwas zwingt.

Es gab und gibt eine Unzahl an Protesten gegen Hartz IV und Verarmung. Die werden von den Medien ingnoriert oder ins Lächerliche gezogen, doch sie sind alles andere als wirkungslos. Sie sind der stete Tropfen, der den Stein höhlt. Sie sind der Grund, warum die SPD in der Bedeutungslosigkeit verschwindet und die "Volksparteien" ihre Autorität verloren haben.

Ich halte weiterhin kleine und beharrliche Aktionen und Proteste (egal zu welchem Thema) für notwendig. Sie sind völlig unterschätzt. Sie sind die Grundlage für wesentliche Veränderungen.

counselor

Die meisten Leute unterschätzen die Wirksamkeit kleineren, beharrlichen Widerstands. Es ist aber so, dass gerade diese Proteste auf die Gesellschaft verändernd wirken, wenn sie langfristig angelegt sind, weil dadurch Leute politisiert werden.
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counselor

ZitatExistenzminimum, Menschen­würde und Verhältnis­mäßigkeit - Zum Urteil des BVerfG zu den Hartz-IV-Sanktionen

Quelle: https://verfassungsblog.de/existenzminimum-menschenwuerde-und-verhaeltnismaessigkeit/
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ManOfConstantSorrow

ZitatKommentar: Das Urteil zu den Hartz IV-Sanktionen bestätigt das Prinzip von Fördern und Fordern und ist deshalb kein Erfolg für Erwerbslosenbewegung
https://www.heise.de/tp/features/Hartz-IV-Sanktionen-der-strafende-Staat-bleibt-erhalten-4580181.html
Arbeitsscheu und chronisch schlecht gelaunt!

counselor

Dass das BVerfG das Sanktionsregime ganz kippt, das war nicht zu erwarten. Bei einer Bewertung, ob ein Urteil ein Erfolg ist, muss man immer in Rechnung stellen, dass die Mehrzahl der Richter jeden rechten Schweinkram aus innerer Überzeugung mitmacht. Deswegen stimme ich mit dem Heise-Artikel und @tleary nicht überein.

Letztlich müssen die Hartz-Gesetze ganz vom Tisch. Das bedeutet, dass wir einen politischen Kampf für die unbefristete Zahlung des Arbeitslosengeldes 1 für die Dauer der gesamten Arbeitslosigkeit in einer Mindesthöhe von zZt €1050,00 führen müssen. Auf Kosten der Kapitalisten.
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Kuddel

ZitatAuswirkungen des Hartz IV Urteils auf das Migrationsrecht: Leistungskürzungen bei MigrantInnen und Flüchtlinge nicht mit Bundesverfassungsgerichtsurteil vereinbar
http://www.labournet.de/?p=157260

counselor

Bei der Bewertung des Urteils darf man nicht vergessen, dass die 60% und 100% Sanktionen am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gescheitert sind, und zwar am Nachweis der Geeignetheit. Sollte dem Gesetzgeber der empirische Beweis gelingen, dass diese Sanktionen erforderlich, geeignet und angemessen zum Ziel der existenzsichernden Arbeitsaufnahme sind, könnten solche Sanktionen wieder kommen. Dagegen müssen wir auch kämpfen.
Alles ist in Bewegung. Nichts war schon immer da und nichts wird immer so bleiben!

Kuddel

Die jüngste Entscheidung des höchsten deutschen Gerichts zu den »Hartz IV«-Sanktionen gilt vielen als Fortschritt. Allerdings wird damit das Zwangssystem festgeschrieben.



https://www.jungewelt.de/artikel/366864.sozialstaat-die-w%C3%BCrde-des-menschen-ist-antastbar.html

Wernichtsweissmussallesgl

Sanktionen müssen komplett weg. Das hat was von KZ-Strafe. Konzentrationslager in irgendeiner "Massnahme". Ohne damals Betroffene zu Nahe treten zu wollen. Der Massnahmequatsch um Arbeitslosenzahlen zu senken gehört komplett abgeschaft.

tleary

Jetzt wäre die Zeit für Demonstrationen - gerade auch von ELO's - dagegen, um die Sache am Köcheln zu halten, weil die Befürworter momentan in der Defensive sind. Aber leider kommt wieder 'mal nix, außer der Diskussionen der Betroffenen im Internet.

Gäb's das I-Net nicht, wäre der Protest auf der Straße vielleicht schon real. I-Net hat auch eine Art Ventilfunktion zugunsten dieses Systems.
»Wir wissen, so wie es ist, kann es nicht weiter gehen. Aber es geht weiter.«
(Autor unbekannt)

Wernichtsweissmussallesgl

Im NTV Wideotext ruft Carola Rackete zum Wiederstand auf. Da die derzeitige Regierung Beschlüsse fasst,  die nicht wieder Rückgängig zu machen seien.Wer stillhält macht sich mitschuldig am Wirken der Regierung.

Wernichtsweissmussallesgl

Carola Rackete ruft zum Zivilen ungehorsam auf. Während im ehemaligen Jugoslawien Flüchtlinge auf einer Müllkippe campieren bei der Kälte. Das ist an Zynismus nicht mehr zu überbieten und höre mir grade Autobiografische Aufzeichnungen von "Rudolf Höss" auf youtube an.Da sind wir nicht mehr weit von entfernt .Wo Bücher brennen ,brennen auch irgendwann Menschen. Ich werde mich aufzulehenen versuchen. Wer sich das anhört wird erkennen das wir wieder daraufhinzusteuern.

Sunlight

Eine Woche nach dem Urteil des Bundesverfassungsgericht urteilt der Europäische Gerichtshof (EuGH) zu der Möglichkeit von Sanktionen bei existenzsichernden
Leistungen (Rs C-233/18).

Zitat

Thomé Newsletter 44/2019 vom 09.12.2019

1. EuGH: Die Mitgliedstaaten müssen dauerhaft und ohne, auch nur zeitweilige, Unterbrechung einen menschenwürdigen Lebensstandard gewährleisten.
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Existenzminimum nach Luxemburger Art – Der EuGH zu der Möglichkeit von Sanktionen bei existenzsichernden Leistungen im Flüchtlingssozialrecht

Leistungen zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Lebensstandards sind unantastbar. Das hat die große Kammer des EuGH in der Rs Haqbin (C-233/18) am 12. November 2019 für das Flüchtlingssozialrecht entschieden. § 1a AsylbLG wird den Anforderungen des EuGH nicht gerecht, und das BVerfG könnte am Ende den Kürzeren ziehen, wenn es die Rechtsprechung des EuGH nicht berücksichtigt und die Sozialgerichtsbarkeit in Sachen Sanktionssystem stattdessen Rat in Luxemburg sucht.

Diese Entscheidung des EUGH kam nur eine Woche nachdem das BVerfG mit langen, aber kaum überzeugenden Ausführungen (dazu z.B. hier) versucht hat, zu plausibilisieren, warum ein Entzug existenzsichernder Leistungen (ein Minimum unter Minimum) möglich ist – ja sogar Leistungskürzungen bis zu 100 Prozent nicht auszuschließen seien. Der EuGH stellt mit dem Urteil klar, dass das menschenwürdige Existenzminimum nicht verhandelbar ist und unter keinen Umständen sanktioniert und mithin eingeschränkt oder entzogen werden darf und die BVerfG-Entscheidung zu Sanktionen eben nicht EU-konform seien.

Die Mitgliedstaaten müssen dauerhaft und ohne, auch nur zeitweilige, Unterbrechung einen menschenwürdigen Lebensstandard gewährleisten.

Hier das EuGH Urteil im Wortlaut: https://t1p.de/wobr
Und der dahingehende Aufsatz in Verfassungsblog:  https://verfassungsblog.de/existenzminimum-nach-luxemburger-art/

Das Urteil dürfte auch einige Relevanz in den Diskussionen in der SPD um das neue Sozialstaatskonzept entfalten. 


Der Verfassungsblog enthält eine interessante Passage:

ZitatDie Entscheidung des BVerfG zu Sanktionen im SGB II kann ihm noch Probleme bereiten, wenn auch nicht in absehbarer Zeit. Zwar läuft derzeit ein Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht, in dem es um die Sanktionen nach § 1a AsylbLG geht, aber es betrifft eine geduldete Person, für die die Entscheidung des EuGH nicht unmittelbar relevant ist. Wenn jedoch ein Sozial- oder Landessozialgericht die Sanktionstatbestände des AsylbLG, die Asylsuchende betreffen, dem BVerfG vorlegt und das BVerfG vorher in einem Grundsatzurteil die Sanktionen im AsylbLG nicht für verfassungswidrig erklärt hat, ist ein Konflikt zwischen Luxemburg und Karlsruhe zwar nicht vorprogrammiert. Er ist aber auch nicht ausgeschlossen.

Der Konflikt zwischen EuGH und dem BVerfG zwar nicht vorprogrammiert, aber auch nicht ausgeschlossen. Mit
anderen Worten, es kann dem BVerfG noch auf die Füsse
fallen so entschieden zu haben.

counselor

Zitat

2. Neue Weisung der Bundesagentur für Arbeit: Wenn 2G-Zugangsregelungen gelten, entfallen bestimmte Sanktionen
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Die BA hat eine neue Weisung herausgegeben und in dieser klargestellt, dass Meldeaufforderungen von Jobcentern, die aufgrund der lokal kritischen Situation der Corona-Pandemie befristet 2G-Zugangsregelungen erlassen, im Kontext mit einer 2G-Regel grundsätzlich ohne Rechtsfolgenbelehrung zu erlassen sind. Ebenso stellt die BA klar, dass bei arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen die infektionsschutzrechtlichen Regelungen der jeweiligen Länder gelten und Minderungen aufgrund des Nicht-Antritts oder Abbruchs einer Eingliederungsmaßnahme im Kontext 2G ebenfalls nicht zulässig sind (FH 67, S. 35 ff). Link zur neuen Weisung zu § 67 vom 26.01.2022: https://t1p.de/yll8d

Ergänzend dazu: Keine Sanktionierung bei telefonischen Meldeterminen

Im Zuge der pandemiebedingten Praxis erfolgt die Aufforderung der Jobcenter, Meldetermine nun auch telefonisch durchzuführen. Eine Meldeaufforderung zu einem Telefontermin ist nicht sanktionsfähig, da § 309 Abs. 1 Satz 1 SGB III als Pflicht vorschreibt ,,zu erscheinen". Eine Nichterfüllung eines Telefontermins ist kein Erscheinen und deshalb auch nicht sanktionsfähig. So auch die Bundesregierung auf eine Anfrage der Linken: https://t1p.de/yuync

3. Ich frage nur mal so: Wo ist denn das von der Ampel-Koalition großmundig angekündigte Sanktionsmoratorium abgeblieben?
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Letztes Jahr hatten die Koalitionäre ein einjähriges Sanktionsmoratorium angekündigt. Ich erinnere nochmals:
Veröffentlichung im Tagesspiegel vom 24.11.2021: Keine Sanktionen bis Ende 2022 - Abschied von Hartz IV – jetzt kommt das Bürgergeld
(https://t1p.de/sz4kd), Stellungnahme von Sven Lehmann (Grüne): https://t1p.de/wc3x


Sven Lehmann schreibt: ,,Bis zur gesetzlichen Neuregelung keine Sanktionen. Bis Ende 2022 wollen wir die Mitwirkungspflichten der Bürgergeldbeziehenden neu regeln. Bis dahin gilt ein Sanktionsmoratorium: Es werden keine Sanktionen unter das Existenzminimum mehr verhängt" [....] ,,Kosten der Unterkunft und Heizung werden grundsätzlich von Sanktionen ausgenommen und Unter-25-Jährige nicht mehr verschärft sanktioniert" (Das neue Bürgergeld, Sven Lehmann MdB, 24.11.2021).

Ich hatte zu dem Sanktionsmoratorium grundlegende Zweifel angemeldet (Thomé NL 44/2021: https://t1p.de/mvz3) und die Vermutung geäußert, dass hier die bereits vom BVerfG auf 30 % begrenzten Sanktionen jetzt als Sanktionsmoratorium verkauft werden sollten.

Auf jeden Fall ist hier eine Klarstellung durch die Ampel gefragt. Soll es jetzt das Sanktionsmoratorium geben oder nicht. Und wenn ja, wann wird das Gesetz dahingehend geändert? Oder war das nur eine PR – Unwahrheit um die Zustimmung zum Koalitionsvertrag zu erhalten?

Meine Position zum angeblichen Sanktionsmoratorium habe ich hier dargelegt: https://t1p.de/mvz3


Quelle: Thomé Newsletter

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Onkel Tom

Na denn Finger weg vom Telefon, nur weil Mobcenter was will..
Den frustrierenden Schall und Rauch mit dem JC via Telefon kennt man ja schon..

Ist doch mal eine erfreuliche Info  :)
Lass Dich nicht verhartzen !

counselor

Zitat3. Öffentlichen Anhörung am 16. Mai 2022 zum Sanktionsmoratorium
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Am 16. Mai findet die öffentliche Anhörung zur Aussetzung der Sanktionen bei Hartz IV statt. Die Stellungnahmen der Sachverständigen gibt es auf der Webseite des Bundestags: https://t1p.de/43h3d
Die Stellungnahme des Pari ist dort nicht veröffentlicht, die gibt es hier: https://t1p.de/u3om4
Die Tachelesstellungnahme zum Beginn des Gesetzgebungsverfahrens gibt es hier: https://t1p.de/rncf7

Kurze Stellungnahme von mir dazu: Das Gesetz ist faktisch ein Sanktionsmoratömchen. Die Sanktionen sollten komplett ausgesetzt werden, denn jede Kürzung des Existenzminimums ist immer ein Grundrechtsverstoß. Ein wirkliches Fördern ohne Sanktionen und auf Augenhöhe, das würde die Menschen mitnehmen und würde zu einer nachhaltigen Arbeitsmarktintegration führen. Daher sollten alle Sanktionen ausgesetzt und später abgeschafft werden. Vor dem Hintergrund von Wirtschaftskrise und Inflationsrate sowieso. Zudem muss dringend die rückwirkende Sanktionsmöglichkeit  über den § 31b Abs. 1 S. 5 SGB II geändert werden, denn so können die Jobcenter 2023 noch Sanktionen nachträglich nach der Zeit des Moratoriums durchführen. 

Quelle: Thomé Newsletter
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counselor

Zitat1. ,,Sanktionsmoratorium" vom Bundesrat beschlossen
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Das sog. Sanktionsmoratorium wurde nun vom Bundesrat am 10. Juni 2022  beschlossen. Es wird im Monat nach Verkündung wirksam, somit vermutlich zum 01. Juli 2022 und soll dann bis Ende Juni 2023 gelten.

Die Stellungnahmen gegen das Sanktionsmoratorium überschlagen sich, ArbeitsvermittlerInnen erklären sinngemäß: jetzt tanzen uns die Hartz IV – Beziehenden auf der Nase rum, der Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit (BA), Detlef Scheele, hält die jetzige Sanktionspraxis weiterhin für nötig.
,,Ich möchte kein Jobcenter-Berater sein, der das erklären muss." 97 Prozent der Leistungsbezieher kämen mit Sanktionen überhaupt nicht Berührung, weil alle Auflagen befolgt würden.
Bayerns Sozialministerin Ulrike Scharf (CSU) hält das Sanktionsmoratorium für einen ,,Schlag ins Gesicht aller Mitarbeiter in Jobcentern". Baden-Württemberg: Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) betonte: ,,Für einige wenige, die beharrlich eine Zusammenarbeit verweigern, braucht es weiterhin Sanktionen." Die Liste der Sanktionsbefürworter lässt sich fortsetzen.

Einschätzung zum Sanktionsmoratorium:
Erstmal zu den Fakten: laut Aussage der BA werden nur 3 % der ALG II-Beziehenden jährlich sanktioniert. Wenn für ein Jahr die Sanktionen (teilweise) ausgesetzt werden, wird die Welt nicht untergehen. Die Sanktionen waren DAS MITTEL um den Niedriglohn in Deutschland durchzusetzen, soziale Standards und bestehende Sicherungssysteme mit Einführung der AGENDA 2010 abzuschaffen.

Bis zum Urteil des BVerfG wurden Sanktionen bis hin zur Obdachlosigkeit, absoluten Verschuldung und Existenzvernichtung, gerade junger Menschen, durchexerziert. Tacheles ist es Ende 2019 als Glanzstück durch öffentlichen Druck gelungen, die Weisung der BA zu den Sanktionen dahingehend zu beeinflussen, dass diese auf generell 30 % begrenzt werden.
Die Wirkung von möglichen Sanktionen strahlte auf alle Leistungsbeziehenden und sogar prekär Beschäftigte. Alle Hartz-IV-Beziehenden wussten bis zur Entscheidung des BVerfG, das Jobcenter kann sie bis zur Obdachlosigkeit sanktionieren. Kooperation und damit Niedriglohn wurde mit diesem Instrument erzwungen.
Nein, das ,,Abendland geht nicht unter" vom Sanktionsmoratorium, mit diesen 3 % ,,unkooperativen Leistungsbeziehenden" wird die Gesellschaft einfach leben können und müssen. Es ist vielmehr eine große Chance von der vorherrschenden Hetze gegen Erwerbslose wegzukommen und das System der sozialen Sicherung neu auszugestalten.
Notwendig sind vielmehr existenzsichernde Regelleistungen, für alle, sei es für Erwerbstätige, RentnerInnen, Geflüchtete. Die Regelleistungen müssen sofort massiv hoch, und zwar viel mehr als die von Arbeitsminister Heil angekündigten 10 % = 45 – 50 EUR, sondern in einer Höhe die das menschenwürdige Dasein, die gesellschaftliche Teilhabe und die Inflationsrate in geeigneten Maße wiedergibt. Das bedeutet 150 – 200 EUR, nicht einmalig im Jahr, sondern jeden Monat!     
Notwendig ist Fördern, dass alles getan wird, damit Leistungsbeziehende qualifiziert und weitergebildet werden und nicht das Finanzieren von unsinnigen Maßnahmen, die nicht selten völlig am Arbeitsmarkt vorbeigehen und wo es vielmals um Finanzierung der Hartz IV – Beschäftigungsträger und das Schönrechnen von Arbeitsmarktstatistiken geht.
Diese Chance zur Neugestaltung der Arbeitsmarktpolitik sollte von der Ampel jetzt ergriffen werden!

Zu den konkreten Punkten des Sanktionsmoratorium:

- Aussetzen der Sanktionen nach § 31a SGB II gilt vermutlich ab Juli 2022 bis Juni 2023 (§ 84 Abs. 1 SGB II-N).
Das dürfte auch zuvor begonnene, aber im Juli 2022 noch nicht vollständig durchgeführte Sanktionen betreffen.

- Minderungen wegen Meldeversäumnissen erst nach wiederholtem Meldeversäumnis, Bemessungszeitraum für wiederholte Meldeversäumnisse ein Jahr. Minderung auf 10 % des RS begrenzt, dh. mehrere 10 % Minderungen übereinander sind nicht zulässig (§ 84 Abs. 3 SGB II - N).

Zwei große Gefahren besten:
- Ausgehend von der jetzigen Rechtslage können Sanktionen nach § 31a SGB II bis sechs Monaten ab dem Zeitpunkt der Pflichtverletzung durchgeführt werden (§ 31b Abs. 1 S. 5 SGB II), daher könnten ab Juli 2023 noch Sanktionen nachträglich für die Zeit ab Januar 2023, trotz des Moratoriums erfolgen.
- Neben Sanktionen kann auch bei einer Reihe von Sanktionstatbeständen ein Kostenersatz wegen vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführter Hilfebedürftigkeit nach § 34 SGB II geltend gemacht werden. Dieser Kostenersatzanspruch verjährt nach drei Jahren nach Ablauf des Jahres, für das die Leistung erbracht worden sind § 34 Abs. 3 S. 1 SGB II). Das bedeutet, statt zu sanktionieren ist in vielen Fällen auch einen Kostenersatzanspruch von Jobcentern möglich.

Hier die Infos des Bundesrates zur Verabschiedung er vom Sanktionsmoratoriums: https://t1p.de/w6wph und hier der Gesetzestext: https://t1p.de/b1har

Quelle: Thomé Newsletter
Alles ist in Bewegung. Nichts war schon immer da und nichts wird immer so bleiben!

dagobert

ZitatEine zweite, verfassungsrechtliche Konsequenz des Urteils vom 5. November 2019 kann leicht übersehen werden. Mit seiner Entscheidung legitimierte das Gericht nicht nur eine Einschränkung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG; die Entscheidung bedeutet eben auch, dass ein Eingriff in die Menschenwürde allgemein möglich ist. Selbst wenn in der Praxis auch davor schon in die Menschenwürde eingegriffen wurde, ist dies doch das erste Urteil des Verfassungsgerichts, das dies explizit erlaubt und rechtfertigt. Überraschenderweise gibt das BVerfG selbst keine Begründung für diesen grundlegenden Kurswechsel, warum es von dem in Art. 1 Abs. 1 GG doch ausdrücklich festgehaltenen Prinzip der Unantastbarkeit der Würde des Menschen abweicht.
[...]
Damit widerspricht das BVerfG auch seiner eigenen Rechtsprechung: In den bisherigen Urteilen zur Hartz IV-Vergabe (2010 und 2012) urteilte es jeweils, dass ein ,,Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art.1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG"[8] bestehe und dieses Grundrecht jedem Hilfebedürftigen diejenigen materiellen Voraussetzungen zusichert, ,,die für seine physische Existenz und für ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben unerlässlich sind."[9] Noch vor neun Jahren bekräftigte das Gericht, dass dieses Grundrecht ,,dem Grunde nach unverfügbar" sei.[10]

Statt aber auf diese Diskrepanz zu seiner bisherigen Rechtsprechung einzugehen, beziehen sich die aktuellen Begründungen lediglich auf die Legitimierung jener Sanktionen unter 30 Prozent. Wieso Eingriffe in das noch vor wenigen Jahren als abwägungsfest gepriesene Grundrecht jetzt grundsätzlich zulässig sind, wird nicht erläutert. Argumentiert wird wie folgt: Eingriffe wären in Ordnung, so lange sie ein legitimes Ziel wie die Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt verfolgen. Zusätzlich gäbe es keine ,,weniger belastenden Mitwirkungshandlungen oder positive[n] Anreize", die ,,im gleichen Maße wirken" (Rn. 145). Die Wirksamkeit des Sanktionssystems des SGB II (bspw. auf die Motivation, eigenständig einen Job zu suchen) oder möglicher Alternativen eines positiven Anreizsystems wurde bisher jedoch nicht untersucht. Woher das Gericht daher die Gewissheit nimmt, die Leistungskürzungen für Hartz IV-Empfänger*innen seien praktisch alternativlos, bleibt sein Geheimnis.
https://www.humanistische-union.de/publikationen/vorgaenge/228/publikation/hartz-iv-sanktionen-eingeschraenkte-menschenwuerde/

ebenfalls lesenswert:
https://www.humanistische-union.de/publikationen/mitteilungen/240/publikation/die-menschenwuerde-doch-antastbar/
"Sie haben die unglaubwürdige Kühnheit, sich mit Deutschland zu verwechseln! Wo doch vielleicht der Augenblick nicht fern ist, da dem deutschen Volke das Letzte daran gelegen sein wird, nicht mit ihnen verwechselt zu werden."
Thomas Mann, 1936

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