Bürgerlich, die Mitte. Gedanken über Begriffe

Begonnen von Kuddel, 20:23:50 Fr. 14.Februar 2020

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Kuddel

Ich werd mich erst morgen mal ranmachen an die überstrapazierten Begriffe, die so gern benutzt werden, ohne mal nach dem wahren Inhalt zu fragen...

BGS

Vermutlich sehen sich Etliche schon als "Mitte", wenn man Ihnen 2.000,- auszahlt im Monat, sie ein Fertighaus abbezahlen oder Kredit beim Autokauf bekommen... .

Stagnation, Denkfaulheit und Selbstgerechtigkeit + Mitlaufen = "Mitte"

Bürgerlich = nach unten treten, nach oben buckeln (s.a. Heinrich  Mann 1914: "Der Untertan")


MfG

BGS
"Ceterum censeo, Berolinensis esse delendam"

https://forum.chefduzen.de/index.php/topic,21713.1020.html#lastPost
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Sunlight

Denke nicht, dass das gemeint ist, sondern eher um den Begriff an sich
und die Definition.

ZitatAls politische Mitte bezeichnet man einen Standpunkt im politischen Spektrum, der zwischen ,,links" und ,,rechts" liegen soll. Wo genau sich diese ,,Mitte" befindet und durch welche Positionen sie charakterisiert wird, ist jedoch umstritten; entsprechend diffus ist auch die Verwendung des Ausdrucks.

Im politischen Gesamtspektrum verstehen sich die demokratischen Parteien als Teil der Mitte zwischen extrem linken und extrem rechten Ideologien. Innerhalb des demokratischen Spektrums wiederum ist es naheliegend, einen zwischen den großen Hauptströmungen (in Deutschland Konservatismus und Sozialdemokratie, vertreten durch die Volksparteien CDU/CSU bzw. SPD) angesiedelten Standpunkt als politische Mitte zu betrachten.

Politische Mitte



ZitatBürgerliche Parteien sind im politischen Sprachgebrauch der deutschsprachigen und skandinavischen Länder die Parteien, die eine im Bürgertum fußende Ausrichtung der Politik vertreten. Dazu gehören namentlich konservative, christdemokratische und liberale Parteien. Diese werden oft in Abgrenzung zur politischen Linken als «bürgerliches Lager» zusammengefasst.

Merkmale

Wesentliche Merkmale bürgerlicher Parteien sind der Vorrang des einzelnen Staatsbürgers gegenüber dem Staat, die Betonung der Subsidiarität, der Schutz von Eigentum und eine zurückhaltende Steuer- und Defizitpolitik.

In der Bildungspolitik wird meist ein differenziertes Schulsystem vertreten, in weiteren Merkmalen ist das Parteienspektrum jedoch uneinheitlich. Einige Richtungen lehnen einen starken Sozialstaat bzw. eine höhere Besteuerung reicher Staatsbürger ab (Umverteilung von ,,oben" nach ,,unten"), andere plädieren für eine Begrenzung der Zuwanderung. Auch in der Wirtschaftspolitik können die Sichtweisen verschieden sein (Groß- versus Kleinunternehmen, Grad der Mitbestimmung usw.). Eine Gemeinsamkeit ist jedoch, dass sich bürgerliche Parteien in der Regel zur Marktwirtschaft bekennen.

Bürgerliche Partei




Sich um Begriffe Gedanken zu machen ist manchmal hilfreich,
wenn real Begriffe durch Ereignisse überstrapaziert werden und
Alles ziemlich chaotisch wird.

Kuddel

Ich wollte schon alle Aspekte betrachten, die Bedeutung der Begriffe, aber auch wie sei benutzt und verstanden werden.
Das wirkt sich darauf aus, wie wir die Welt sehen und uns in ihr verhalten.
BGS hat den Aspekt bereits treffend beschrieben.

Troll

Ein Merkmal der schwindenden Mitte ist die wahnsinnige Selbstgerechtigkeit!
Wenn Parteien um diese "Mitte" buhlen ist das für mich ausreichend negativ für die Partei, diese umschwärmte Mitte gibt es genau so wenig wie diesen Wertemist, es ist eine theoretisch konstruierte Klasse von den Parteien, Politik daran auszurichten ist beliebig, es begünstigt ein theoretisches Konstrukt der Parteien.
Politik ist der Spielraum, den die Wirtschaft ihr lässt.
Dieter Hildebrandt
Es ist kein Zeichen geistiger Gesundheit, gut angepasst an eine kranke Gesellschaft zu sein.
Jiddu Krishnamurti

BGS

Und wer sieht denn überhaupt, dass die "Mitte" am Lebensende vielleicht auch schwer enttäuscht und resigniert, wenn nicht gar depressiv ist.

Wenn sie sich angesichts ihres nahenden Ablebens dann doch noch der Tatsache stellen müssen, dass die ihnen "Ideale", "Grundsätze" oder "Haltungen" nichts waren, ausser ein schlechter Witz. Von Leuten aufgepfropft, die wissen, wie man manipuliert.

MfG

BGS
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Kuddel

Wir hatten beispielsweise HSF und Aloysius im Forum. Eigentlich nette Kerle, die, wie viele von uns, vom Leben ziemlich gebeutelt waren und schon bessere Tage gesehen haben. Sie waren ziemlich weit unten angekommen. Sie fanden es aber teilweise recht cool mit verrückten Revoluzzern abzuhängen und Bier zu trinken. Der eine erschien öfter zum Stammtisch, der andere war auch beim Bundes CD Treffen dabei. Es war jeweils lustig mit ihnen.

Aber manchmal, wenn ihnen der Boden unter den Füßen wegging, sie sich verloren in der Welt fühlten, fingen sie an sich als bürgerlich zu beschreiben, als "Mitte der Gesellschaft". Man trumpfte auf mit Dingen, die man mal gesellschaftlich vorzuweisen hatte. Irgendwann. Dann wurde auch gegen die Chefduzer rumgepöbelt, denen es ja nur so schlecht ginge, weil sie nich nicht anpassen könnten. Man sollte nur aufhören rumzurevoluzzen, dann würde einem es wieder besser gehen, weil die Gesellschaft das einem dankt, indem sie einen in ihre Mitte wieder aufnimmt. Gerade HSF legte Wert auf das Wort "bürgerlich" und beide quatschten diesen Scheiß, von dem sie meinten, daß die Mitte der Gesellschaft ihn quatscht.

Es war zum Haareraufen. Zum Weglaufen. Einfach nur tragisch.

Sie warten wahrscheinlich immer noch drauf, daß die Mitte der Gesellschaft sie wieder in ihre Arme schließt.

BGS

OT:
[Falls HSF bzw. Aloysius hier noch mitlesen: herzliche Grüsse und die besten Wünsche vom Rand der Welt]

Vielleicht sehen sie die Dinge inzwischen anders?

MfG

BGS
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Kuddel

Ich habe mir nochmal die Begriffserklärungen von Wikipedia angesehen.
Konnte mit dem Wischiwaschi wenig anfangen.

Z.B.:
Zitat...eine höhere Besteuerung reicher Staatsbürger... (Umverteilung von ,,oben" nach ,,unten")
https://de.wikipedia.org/wiki/B%C3%BCrgerliche_Partei

Das ist doch Quatsch. Auch unter einer höheren Besteuerung geht die Umverteilung von "unten" nach "oben" weiter, nur abgeschwächt.

Hab das noch gefunden:
ZitatBürgertum

Im Rahmen der Politischen Ökonomie des Marxismus ist für die Klasse, die in der Gesellschaftsformation des Kapitalismus Verfügungsgewalt über die gesellschaftlichen Produktionsmittel ausübt, die Bezeichnung Bourgeoisie (d. h. Besitzbürgertum) üblich.

Als Wort geht Bürgertum (Bürger) als der Begriff für eine Bevölkerungsgruppe aus von dem mittellateinischen burgus, einer von Stadtmauern geschützten (geborgenen) und mit besonderen Privilegien, u. a. Marktrecht versehenen städtischen Ansiedlung...
https://de.wikipedia.org/wiki/B%C3%BCrgertum

Ansonsten kommt mir noch was in den Sinn:
ZitatDas Bürgertum prägte in der Zeit des Frühkapitalismus die ,,bürgerliche Weltanschauung" aus, die eng mit den ,,bürgerlichen Tugenden" Leistung, Fleiß und Sparsamkeit verbunden ist.
https://de.wikipedia.org/wiki/B%C3%BCrgertum

Der Volksmund versteht unter "bürgerlich" bisweilen auch "durch und durch spießig".

Heutzutage herrscht sowieso eher politische Verwirrung. Die Welt und ihre Veränderungen versetzen die Menschen in Angst und sie suchen einen Raum, in dem man sich sicher(er) fühlt.

Komischerweise glaubt man, die Sicherheit in Begriffen wie "bürgerlich" oder "Mitte" zu finden.
Für mich ist das der absolute Horror!

Ich halte es eher mit der Geschichte von Brecht:

ZitatIn der Erwartung großer Stürme

In einem alten Buch über die Fischer der Lofoten lese ich: Wenn die ganz großen Stürme erwartet werden, geschieht es immer
wieder, daß einige der Fischer ihre Schaluppen am Strand vertäuen und sich an Land begeben, andere aber eilig in See stechen. Die Schaluppen, wenn überhaupt seetüchtig, sind auf hoher See sicherer als am Strand. Auch bei ganz großen Stürmen sind sie auf hoher See durch die Kunst der Navigation zu retten, selbst bei kleineren Stürmen werden sie am
Strand von den Wogen zerschmettert. Für ihre Besitzer beginnt dann ein hartes Leben.

Auch passend ist der Titel eines satirischen Films von 1974:

In Gefahr und größter Not bringt der Mittelweg den Tod


Troll

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BGS

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Kuddel

"Bürgerlich, die Mitte", ein bedrohlicher Sumpf:

Zitat(...) Im Wochentakt fliegen rechtsextreme Polizei-Chatgruppen auf, aber Seehofer stemmte sich gegen eine unabhängige Durchleuchtung der Sicherheitsbehörden. (...)
Polizisten sind nicht irgendeine Berufsgruppe, sie werden an Waffen ausgebildet und vertreten das staatliche Gewaltmonopol.  (...)
Dieses Spektrum reicht vom ,,besorgten Bürger" über Intellektuelle, die die Rechtsdrift im gesellschaftspolitischen Diskurs befeuern, von konservativen Politikern bis zur AfD. Und vom rechtsextremen Netzwerk bis zur Terrorzelle. Es ist dieses Zusammenspiel von Rechtsextremismus, verrohtem Bürgertum und autoritärem Nationalradikalismus...
Wer glaubt, die Radikalisierung hätte erst mit Frauke Petry begonnen, liegt falsch. Schon Bernd Lucke schwadronierte vom ,,Untergang" Deutschlands und von ,,unkontrollierter Zuwanderung". Zur Bundestagswahl 2013 sprach er über ,,Entartungen von Parlamentarismus und Demokratie". (...)

Dass CDU und CSU auch nach der Ministerpräsidentenwahl von Thüringen eisern an der ,,Hufeisentheorie" festhalten, weil sie nicht vom Mantra der ,,bürgerlichen Mitte", die immun gegen Rechtsextremismus sei, lassen wollen, spricht nicht für Einsicht in den Ernst der Lage. Denn so eine Mitte gab es hierzulande nie.
https://www.freitag.de/autoren/martina-mescher/angreifer-von-rechts

Kuddel

In den Stephan King Romanen schlummert das Böse oftmals in der heilen Welt der bürgerlichen Familien in sauberen Mittelschichts-Vororten oder Kleinstädten.

Der Bericht im heutigen Spiegel erinnert mich daran:

ZitatDas Foto zeigt eine Vorortidylle. Ein weißes Einfamilienhaus mit rotem Dach, daneben ein Carport, umgeben von einem großen Garten. (...)
Die Ermittler fanden in mehreren Erddepots ein AK-47-Sturmgewehr, rund 6000 Schuss Munition und zwei Kilogramm Sprengstoff. Auf dem Anwesen fanden sie auch Reste einer verschossenen Panzerfaust, Rauch- und Übungsgranaten, einen Schalldämpfer, Sprengzünder und NS-Devotionalien. Haus und Garten gehören Philipp Sch., Elitesoldat der Bundeswehr.
https://www.spiegel.de/panorama/justiz/bundeswehr-prozess-gegen-ksk-ausbilder-der-elitesoldat-und-sein-geheimes-waffenlager-a-f4c8af5d-2880-4387-a4f9-d88ba1537a88

Troll

Zitat,,Viele Menschen wenden sich von der Linken ab"

Die ehemalige Linke-Fraktionschefin im Bundestag beklagt mangelndes Gespür ihrer Partei für Sorgen der unteren Mittelschicht. ...

Saarbrücker Zeitung via NDS


Der Mitte verfallen, super wenn die Unterschicht zur Mitte ernannt wird, "WAAAS, Ich bin schon drin, daß war ja einfach." so geht linke Politik 202x.,  ist gar nicht mehr kompliziert.
Politik ist der Spielraum, den die Wirtschaft ihr lässt.
Dieter Hildebrandt
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Jiddu Krishnamurti

Kuddel

ZitatEs gibt also eine Abwärtsspirale, die zu durchbrechen in der Macht der Mittelschicht läge. Doch konzentriert sich deren Protest kaum noch auf die Soziale Frage. Auch in der derzeitigen Inflation gibt es keine Massendemonstrationen gegen die Bundesregierung. Die Mittelschicht projiziert ihre Abstiegsangst weiterhin je nach Milieu auf ,,die Flüchtlinge", ,,die Autofahrer", ,,die Genderaktivisten" oder auf Schwerreiche wie Bill Gates. Aus dem Klassenkampf ist ein Kulturkampf geworden. Um das zu verstehen, hilft ein Blick in die jüngeren Sozialstaatsdebatten.

Ab 2007 erschienen binnen weniger Jahre vier auflagenstarke Bücher, die den Gestus als Sprachrohr der angeblichen Leistungsträger aus der Mittelschicht einnehmen. Michael Sauga machte den Anfang mit seinem Buch Wer arbeitet, ist der Dumme. Die Ausbeutung der Mittelschicht. Die deutsche Mittelschicht, meint der Spiegel-Redakteur, sei ,,Abgaben-Weltmeister", während sich die ,,wahre Unterschicht" im ,,Schattenreich des Arbeitsmarktes" mit Schwarzarbeit und Sozialleistungen ein schönes Leben mache. Marc Beise von der Süddeutschen Zeitung schlug wenig später in seinem Buch Die Ausplünderung der Mittelschicht in die gleiche Kerbe: ,,In dieser Gesellschaft wird Politik an die Ränder gedacht. In Wirklichkeit geht es gegen uns, gegen die in der Mitte."
(...)
Die Grundidee bei Hartz IV war es, die ,,Mitte" in ihrem Wertemuster zu bestärken, das auf dem Versprechen beruht, allein mit Arbeitseifer wohlhabend werden (und es bleiben) zu können. Die Agenda 2010 weitete diese Arbeitsethik durch Zwang auf die Unterklasse aus, die aber weiterhin bei jedem Gesetzespaket benachteiligt wird.
https://www.freitag.de/autoren/cbaron/inflation-die-abstiegsaengste-der-mittelschicht-sind-unbegruendet

Kuddel

Ich bin mir nicht sicher, ob ich hier in der richtigen Rubrik bin.

Es geht mal wieder um die politischen- und die Klassenverhältnisse.

Der so hochgelobte Mittelstand war mir noch nie geheuer. Formulierungen wie "Aufstand der Anständigen" fand ich schon immer gruselig. Diese schweigende Masse war für mich stets Hort der Spießigkeit und heimlich rechtsoffen.

Wir können, bzw. sollten diesen Teil der Gesellschaft nicht ignorieren.

Kleinunternehmer sind Unternehmer und damit Ausbeuter. Gleichzeitig sind es nur Kleine Rädchen im kapitalistischen Machtgefüge und sie gehören zu den ersten Opfern in Krisenzeiten. Sie werden vom Kapitalismus enteignet und nicht von irgendwelchen Revoluzzern.

Tja, Occupy sagte, "wir sind die 99%". Demnach sind diese Kleinkapitalisten Teil von einem "wir".

Ganz so einfach ist es nicht. Ich bin aber überzeugt davon, daß wir uns um diese Leute Kümmern müssen. Sie sehen sich gerade sozial abstürzen und kommen deshalb gerade in Wallungen. Sie moblisieren scheinbar mehr Leute, als die Armen und die Linken.


https://youtu.be/RysEe7jk-OY

Wenn wir sie nicht als Menschen unter sozialem Druck, sondern als Gegner sehen, wird die Gefahr groß, daß sie nach rechts abdriften. Die Rechten haben weniger Berührungsänste und sind flexibler als linke.

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