Wir erleben eine massive Ausweitung des prekären Arbeitsmarktes unter Ausbeutungsbedingungen, die an frühkapitalische Verhältnisse erinnern. Am radikalsten sind osteuropäische Arbeitsmigranten betroffen. Wir haben es da mit Tagelöhnerei zu tun, es gibt keinerlei soziale Absicherungen (keine Krankenversicherung, keine Arbeitslosenkohle), oftmals werden Löhne nicht ausgezahlt. Es bestehen oft keine schriftlichen Arbeitsverträge, manchmal sind die "Arbeitgeber" gleichzeitig Vermieter (Etagenbetten in Bruchbuden oder Containern), bei einem Konflikt mit dem Boß riskiert man nicht nur den Job zu verlieren, sondern auch obdachlos zu werden.
Die Grenzen sind fließend. Prekäre Arbeit gibt es an den Unis, die Arbeitsverträge von Professoren, Dozenten und Wissenschaftliche Mitarbeiter werden immer gruseliger, Studentenjobs sind mies und werden mieser. Die Bedingungen in der Pflege und der Logistik sind inakzeptabel, doch das ist längst nicht das Ende der Fahnenstange und in den Bereichen unterscheiden sich die Konditionen zwischen schlecht und total übel. Gerade Migranten sind von den fiesesten Bedingungen betroffen.
Dies ist nur möglich durch den staatlichen Rassismus (für viele Migranten keine Grundsicherung, Drohung mit Deportation) und wird verschärft durch den rassistischen Terror der rechten Szene.
Es gibt bisher wenig Ansätze zur Organisierung von Widerstand in dem Bereich. Vereinzelt gibt es Versuche von der FAU. Die wohl erfolgreichste Organisierung stellt wohl die MALL OF SHAME Kampagne in Berlin dar. Im Bereich der universitären Ausbeutung hat das
Netzwerk für Gute Arbeit in der Wissenschaft (NGAWiss)
http://mittelbau.net/ in meinen Augen gute Arbeit geleistet und einiges Potential. Auch bei den Fahrradkurieren von Deliveroo und Foodora gibt es ein paar vielversprechende Ansätze zur Organisierung der prekären Arbeitskräfte (auch in den Niederlanden und UK).
Im Bereich der Leiharbeit gibt es ein sich deutlich änderndes Klima. Die Hoffnung auf Übernahme in einen guten Betrieb ist gesunken, z.T. geschwunden. Es geht Leiharbeitsjobs wie Sand am Meer. Kommt einem der Chef blöd, haut man in den Sack und heuert woanders an. Die Drohung einer Kündigung hat ihre Wirkung verloren. Die gleichen Scheißbedingungen findet man auch woanders. Da wenig Aussicht besteht in den 1. Arbeitsmarkt aufzusteigen, guckt man jetzt, wie man sich innerhalb dieser Drecksbranche irgendwie wehrt. Das Klima ist gereizt. Es gibt einen wachsenden individuellen Widerstand, Widerworte, Brüllereien, auch zunhehmend Sabotage und wenn es nichts nützt, meldet man sich krank oder bleibt sogar ohne Krankmeldung weg. Viele sind dauergereizt, auf 180, krank, kaputt. Sie reagieren spontan ohne Rücksicht auf Verlust. Krankmeldungen als Kampfmittel werden immer bedeutender. Und hier gibt es sogar kollektive Kämpfe, gemeinsame Krankmeldungen, die einen wirkungsvollen Druck erzeugen.
Wir haben uns bisher kaum beschäftigt mit dem, was sich in der Migrantenszene tut.
Von außen gibt es kaum Versuche, sie zu organisieren. Vor Jahren gab es in der Baubranche die Forderung der IG Bau nach mehr Razzien "gegen Schwarzarbeit". Die dann folgenden Razzien ware de facto keine Maßnahmen gegen die Ausbeutung, sondern gegen die osteuropäischen Arbeitsmigranten, die dann deportiert wurden.
Unterstützung von osteuropäischen Arbeitsmigranten durch Beratung und Vermittlung von Anwälten kommt vereinzelt von DGB Gewerkschaften und von Kirchen. Im Transportsektor engagiert sich in dieser Richtung sogar ein Verband der Kleinspediteure. Weitere spürbare Hilfe kommt von engagierten Journalisten.
Mit Ausnahme der löblichen Ansätze aus Reihen der FAU, gibt es weder von Gewerkschaften, noch von Linken, Versuche, die Arbeiter zu unterstützen, eine gemeinsame Gegenwehr zu entwickeln.
Unter Migranten gibt es meist einen Austausch und Netzwerke innerhalb der Community der eigenen Nationalität. Gerade auf dem Bau kommt es gelegentlich zu harten Auseinandersetzungen in denen Fäuste fliegen, manchmal auch Messer gezückt werden. Häufiger wird teures technisches Gerät "beschlagnahmt" bei ausstehender Lohnzahlung, ggf. wird das Zeug selbst verkauft.
Spektakulär war eine Kranbesetzung und die Drohung sich bei einem Polizeieinsatz in den Tod zu stürzen. Im Rahmen der Mall of Shame Kampagen wurde gemeinsam demonstriert. Es wächst das Interesse daran, die Auseinandersetzung nicht allein mit dem Arbeitgeber auszufechten, sondern in der Öffenlichkeit, in der Gesellschaft, Unterstützung zu suchen. Es werden nun auch Pressekontakte von den betroffenen Migranten selbst gesucht.
Ein Aufbau von Kontakten und Netzwerken für den Austausch von Informationen und der Vermittung von Unterstützung, sollte angestrebt werden.
Die neu entstandenen Gruppen für Stadtteilarbeit könnten einen Schritt in diese Richtung bedeuten. Auch der Versuch in einer Amazonniederlassung mit der afrikanischen Community in der Belegeschaft enger zusammenzuarbeiten, ist vielversprechend.