Warum eine Partei?

Begonnen von counselor, 08:13:24 So. 26.Juli 2020

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counselor

Linker YouTuber über die Notwendigkeit einer Arbeiterpartei

https://youtu.be/80VDTQTbEg8
Alles ist in Bewegung. Nichts war schon immer da und nichts wird immer so bleiben!

Ferragus

Wichtig wäre auch die Frage nach den Voraussetzungen und Bedingungen ein solchen Partei - es gibt heute ja kaum kommunistischen Gruppen in  allen größeren Städten des Landes noch eine andauernde Verbindungen zwischen ihnen. Habe hin und wieder den Eindruck, dass die Kommunisten noch sehr von den Erfahrungen aus der Zeit zwischen den Weltkriegen  zehren und die Übertragung der daraus entwickelten Einsichten auf die gegenwärtige Gesellschaft, die doch von einem ideologischen Burgfrieden gekennzeichnet ist, nicht recht glücken will.

Kuddel

1. Ich fand das Video so fürchterlich, ich habe nach kurzer Zeit abgeschaltet.
2. Ich verstehe die Sehnsucht nach einer Arbeiterpartei nicht wirklich. Die Hoffungen, die in die SPD, später PDS, dann Linkspartei gesetzt wurden, wurden enttäuscht. Soll man jetzt so lange neue Parteien gründen bis es irgendwann einmal paßt?

Ich denke, es sollten erst einmal soziale Kampfe vorangetrieben werden, Kämpfe gegen Verarmung, Bevormundung, Erniedrigung und Entrechtung. Betriebliche Kämpfe, Kämpfe mit Vermietern, Auseinandersetzungen mit Jobcentern und Ausländerbehörden.

Wenn diese Auseinandersetzungen sich verbreitet haben, daß man von Bewegungen sprechen kann, werden die Beteiligten sich Gedanken machen, welche organisatorischen Strukturen notwendig wären, um diese Kampfe zu verstetigen und zu verbinden.

Ob dann eine Parteistruktur die Organisationsform der Wahl sein wird, wage ich zu bezweifeln. Das werden die Notwendigkeiten innerhalb der Kämpfe und die Bedürfnisse der Beteiligten zeigen.

Troll

Ich glaube selbst wenn sich alle Kommunistischen Grüppchen einig wären hätten sie einen schweren Stand angesichts jahrzehnte langen Antikommunistischen Mainstreams, es wurde in die Köpfe gemeiselt und die vorhandenen kommunistischen Gruppen tun sehr oft ihr übriges in dem sie tatsächlich nachweislich gescheitertes versuchen zu verkaufen/aufzuwärmen, Methode, es war ja nicht alles schlecht, wir machen es besser, wirklich, echt jetzt.
Politik ist der Spielraum, den die Wirtschaft ihr lässt.
Dieter Hildebrandt
Es ist kein Zeichen geistiger Gesundheit, gut angepasst an eine kranke Gesellschaft zu sein.
Jiddu Krishnamurti

Kuddel

Dieser Argumentation mag ich nicht folgen.
Wir sollten uns doch nicht vom Mainstream vorschreiben lassen, was wir denken und tun sollen.
Es mag ja sein, daß es einen allgemein verbreteiteten und alles dominierenden Antikommunismus gibt. "Die herrschende Meinung ist immer die Meinung der Herrschenden." (Karl Marx)
Ich sehe das also keinesfalls als Grund die Finger davon zu lassen und erstmal abzuwarten, bis die Mehrheitsmeinung sich postitv verändert hat. Im Gegenteil, das wäre eine Herausforderung und ein Ansporn, sich gegen die herrschende Meinung zu stellen.

Ich bleibe aber dabei, daß ich mich für Parteigründungen nicht begeistern kann und deren Notwenigkeit auch nicht sehe.

Kuddel

P.S.: Du hast natürlich Recht: Der Begriff "Kommunimus" wird zumeist nicht mit Befreiung und Solidarität in Vebindung gebracht, sondern mit autoritären Regimen. Die Linken Organisationen, die alles, was irgendwie den Begriff "kommunistisch" enthält, sei es nun China oder Venezuela, mit Händen und Füßen verteidigen, machen das nicht gerade besser. DDR und Sowjetunion mögen ihre besonderen Errungenschaften gehabt haben, aber es gibt auch gute Gründe, daß die nicht zum leuchtenden Vorbild taugen.

Die Kritik an linken Experimenten ist heute glücklicherweise möglich, doch letztendlich steht sie erst am Anfang.

counselor

Im Klassenkampf gilt es auch, politische Forderungen durchzusetzen. Um die da oben wirklich zu erschrecken, halte ich eine politische Partei für notwendig, die durch Wahlkampf Anspruch auf Parlamentspräsenz erhebt. Linke Demonstrationen oder betriebliche Kämpfe reichen hierzu nicht aus. Außerdem können sich von Arbeit weitgehend freigestellte Menschen in der Partei sich tiefschürfend mit gesellschaftlichen Problemen auseinandersetzen und Empfehlungen für den Klassenkampf geben (siehe zB Corona-Krise). Voraussetzung ist, dass das Personal der Partei jederzeit abwählbar ist und höchstens das Gehalt eines durchschnittlichen Arbeiters erhält. Der normale Arbeiter -da brauche ich mich nur im Kollegenkreis umzusehen- arbeitet seine Schicht ab und kuckt abends Fernsehen. Entsprechend ist auch das Bewusstsein für gesellschaftliche Probleme. Daher braucht es meiner Meinung nach einer Arbeiterpartei, die sich Erkenntnis erarbeitet und diese im Rahmen von Betriebs- und Wohngebietsarbeit und Arbeit in sozialen Bewegungen den Menschen vermittelt.
Alles ist in Bewegung. Nichts war schon immer da und nichts wird immer so bleiben!

Kuddel

Ich gebe dir Recht, daß politische Forderungen dazugehören. Es bedarf also entsprechender Diskussionen und Strukturen, um diese zu führen. Ob das aber eine Parteistruktur sein muß, lasse ich mal dahingestellt.

Fritz Linow

ZitatUm die da oben wirklich zu erschrecken, halte ich eine politische Partei für notwendig, die durch Wahlkampf Anspruch auf Parlamentspräsenz erhebt.

Überzeugt mich nicht. Wer wird denn durch Wahlkampf wirklich erschrocken? Anspruch auf Parlamentspräsenz befriedet doch eher.

ZitatAußerdem können sich von Arbeit weitgehend freigestellte Menschen in der Partei sich tiefschürfend mit gesellschaftlichen Problemen auseinandersetzen und Empfehlungen für den Klassenkampf geben

Das können nicht Freigestellte auch und vielleicht sogar besser. Woher kommt die Gewissheit, dass die tiefe Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Problemen und daraus folgenden Empfehlungen auch brauchbar sind? Für mich klingt das eher nach Kaderpartei, die schon weiß, wo es lang gehen soll.

Der Rest mit "jederzeit abwählbar" oder "Erkenntnisse erarbeiten" klingt gut und irgendwie rätekommunistisch, fast syndikalistisch, solange es nicht oberlehrerhaft daherkommt. Eine Partei braucht man dazu aber wohl nicht.

Troll

Demokratisierung der Wirtschaft mit Professor Bontrup

https://youtu.be/f7KxIk9Y_r8
Politik ist der Spielraum, den die Wirtschaft ihr lässt.
Dieter Hildebrandt
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Jiddu Krishnamurti

Fritz Linow

Eine etwas längere Schrift von 1971:
Revisionismuskritik aus praktischen Erfahrungen in Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit

https://entdinglichung.files.wordpress.com/2009/10/sfda_revisionismuskritik_1971.pdf

Da geht es um die historische KPD mit ihrem Versagen in den Betrieben, um die damals neugegründete DKP, um den "Aufklärungsfimmel", Parlamentarismus, Karrieristen, die Probleme bei Stadtteilarbeit/Wohngebietszelle, die dumme APO und um den Selbstbetrug. Auch für heutige Verhältnisse ist es teilweise lesenswert, über was man sich vor 50 Jahren 'nen Kopp gemacht hat.

Ferragus

Die weit verbreiteten Abneigungen gegen eine Partei sind zum Teil irrational, zum Teil ein nachvollziehbare Reaktion auf die Verwandlung der Politik in Verwaltung. Man kann sie (eine Partei) immerhin auch als einen organisatorischen Zusammenschluss von verschiedenen Leuten verstehen, die ein politisches Ziel verfolgen - dagegen ist gar nichts einzuwenden. Mich nervt diese anarchistische, stereotype Gleichsetzung von Partei und Staatsapparat und auch einige Rätekommunisten wie Otto Rühle irrten mit ihrer Ablehnung der Parteiform als solcher bzw. konnten das nicht schlüssig begründen. Die Frage nach der Struktur einer Arbeiterpartei, nach ihrem Innenleben ist wichtig, aber auch ihre Haltung zur Beteiligung an Wahlen oder an der Regierung (in Frankreich blühte ja der Syndikalismus auch auf, weil die Sozialisten in die bürgerlichen Ministerien einzogen).


counselor

ZitatMan kann sie (eine Partei) immerhin auch als einen organisatorischen Zusammenschluss von verschiedenen Leuten verstehen, die ein politisches Ziel verfolgen

Genau als das sehe ich eine Partei.

Die meisten Parteien haben Funktionäre. Hier kommt es auf Mechanismen zur Kontrolle der Funktionäre durch die Basis an im Rahmen eines imperativen Mandats an und auf die Möglichkeit, Funktionäre wieder abzusetzen, falls sie sich vom politischen Ziel entfernen.

Bei einer Arbeiterpartei muss man auf diese Art sicherstellen, dass die Funktionäre sich den Arbeiterinteressen verpflichtet fühlen, und nicht den Interessen des Kapitals.
Alles ist in Bewegung. Nichts war schon immer da und nichts wird immer so bleiben!

Fritz Linow

Zitat von: Ferragus am 17:19:32 Sa. 01.August 2020
(...) (in Frankreich blühte ja der Syndikalismus auch auf, weil die Sozialisten in die bürgerlichen Ministerien einzogen).

Ich brauche mehr Details.

Ferragus

Was die Details angeht : ich meine, dass Millerands Eintritt in die Regierung(1899) und die daran anknüpfenden Auseinandersetzungen in seiner Partei nicht ohne Folgen für die französische Gewerkschaftsbewegung blieben.  Bei Rosa Luxemurg kann man die Parteiauseinandersetzungen nachlesen.
Bei Helge Döring finden sich folgende Zeilen:
"Bis 1902 befand sich die CGT in einer Phase der inhaltlichen Orientierung und des organisatorischen Aufbaus. Im Sinne des Ideals der "unite ouvriere" (Arbeitereinheit) rückte der Klassenaspekt gegenüber dem Organisationsprinzip des Fachvereins in den Mittelpunkt. Außerdem wurden antistaatliche Beschlüsse gefasst und antimilitaristische Positionen bezogen."

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