Radio

Begonnen von Kuddel, 13:10:46 Sa. 13.Februar 2021

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Kuddel

Ich schätze gute Radioprogramme.
Ich höre lieber Radio als fernzusehen.

Auch das "seriöse" Radioprogramm wird zunehmend geschreddert. Der neolibere Geist hat Einzug bei den "Qualitätsmedien". Ich rege mich bereits tierisch über den sich ändernden Tonfall bei den Radiosprecher:innen auf. Ich habe dem Deutschlandfunk folgende Hörermail geschickt:


ZitatDer Ton macht die Musik
Gedanken über die Veränderungen im Radiojournalismus


Einige meiner Anmerkungen mögen kleinlich erscheinen und man mag mutmaßen, ich würde keine Veränderung dulden und am Althergebrachten festhalten. Die Aussprache von Worten und die Melodie eines Satzes haben eine jedoch Bedeutung und können eine Interpretation des Gesagten bedeuten und eine Haltung ausdrücken. An dieser Stelle stellen sich bei mir bisweilen die Nackenhaare auf. Aus gutem Grund verändert sich mit den Zeiten auch die Sprache. Ich habe nichts gegen die Modernisierung der Sprache, ich ärgere mich jedoch über die Aufgabe von journalistischen Standards.

Ich will das anhand von Veränderungen erläutern, die mir bei Rundfunkjournalist*innen und -Sprecher*innen an ihrer Aussprache und Betonung aufgefallen sind.

Es sind Kleinigkeiten, die mir auffallen und gegen den Strich gehen. Beispielsweise bereits der Gruß, mit der eine Sendung begonnen wird. Am ,,guten Tag" ärgert mich schon, wenn es am Ende nicht in der Tonhöhe abfällt. Sehr häufig endet es auf gleicher Tonhöhe, gern noch begleitet von einem angedeutet fröhlichen Singsang. Am Ende einer Schicht ist Feierabend und man verläßt den Arbeitsplatz. Am Ende eines Satzes kommt ein Punkt und die Betonung fällt ab. Dieses fröhliche Bleiben auf einer Tonhöhe ist der Ausdruck einer Dienstleistungsgesellschaft, die 24/7 zu Diensten ist, wie der Callcenterbeschäftigte, der stets nach seiner Namensnennung fröhlich fragen soll, ,,was kann ich für Sie tun?"

Weiter geht es mit einer anderen Unsitte. Im Radiojournalismus meint man scheinbar, dem Volk aufs Maul schauen zu müssen und die Moden aktueller Aussprache und Betonung übernehmen zu müssen. Gerade unter jüngeren Frauen hat es sich verbreitet, das ,,A" besonders zu betonen und gleichzeitig etwas gequetscht auszusprechen. Das soll sowohl etwas ironisch klingen, alsauch mädchenhaft frech. Ich finde es nur unangenehm quakig. Diese Aussprache hat sich verbreitet unter Pressesprecherinnen der Politik und auch im Rundfunkjournalismus.

Recht neu ist das Phänomen, in Gesprächen und Interviews mit einem mmmh oder hmmm-hmmm zu reagieren und seine Zustimmung oder zumindest Kenntnisnahme auszudrücken, was vor zwei Jahren kein Journalist gemacht hätte. Das hätte man als unprofessionell empfunden und wollte sich durch das geschulte Sprechen von dem Jargon der Straße unterscheiden. Mit diesen kleinen Einschüben nähert man sich nicht nur der Sprechweise der Straße, sondern der Journalist gibt etwas seiner Haltung und Gefühlslage preis. Genau das empfinde ich als unangenehm. Natürlich wünsche ich mir keine Sprechroboter, aber ich erwarte vom Journalismus, daß er mir hilft, mich in der Welt zu orientieren. Dazu möchte ich Fakten erfahren und meine Meinung darüber möchte ich mir selbst bilden. Dazu brauche ich keinen Journalisten, der mir seine Meinung oder Gefühlslage präsentiert.

Journalismus ist ein schwieriger, verantwortungsvoller und ehrenwerter Beruf. Er muß erlernt werden und zum Handwerkszeug gehört nicht nur gute Recherche, sondern auch der richtige Umgang mit Worten. Und beim Hörfunk kommt die Kunst einer guten Aussprache und Betonung hinzu.

Ich erwarte gut recherchierte Informationen, die auf eine gute und verständliche Art vermittelt werden. Ich habe einen großen Respekt vor Menschen, die dieses Handwerk beherrschen. Jegliche gespielte Fröhlichkeit ist mir zuwider. Und mir ist auch jeder Versuch unangenehm, mir durch hippe Floskeln und Emotionalität eine persönliche Nähe vorzutäuschen. Das kann man vielleicht in einer Unterhaltungssendung machen, im Journalismus hat diese Herangehensweise nichts zu suchen.

Diese Emotionalität ist auch in der Betonung einiger Sprecherinnen und Sprecher zu finden. Es werden wahllos einzelne Silben im Wort oder irgendwelche Worte im Satz betont. Ich fühle mich damit wie in einem Café am Prenzlauer Berg und möchte weglaufen. Diese Unsitte gab es auch gelegentlich in Ihrer @mediasres Sendung.

Ebenso furchtbar finde ich die Einschübe von ,,ne?", ,,ja?" und ,,oder?", die sich im Rundfunkjournalismus verbreitet haben wie eine Epidemie. Diesen Jargon mußte ein Rundfunkjournalist sich bisher abgewöhnen, plötzlich ist er überall zu hören.

Auch relativ neu ist die unnatürliche Überbetonung einer Frage wie im Umgang mit Kindern. Der Ton am Ende des Satzes wird übertrieben hochgezogen. Dieser Kita-Ton ist unangenehm und soll wohl eine ahnungslose Neugier suggerieren. Ich halte es für unangebracht im Journalismus sich ,,auf Augenhöhe" zu begeben und so zu tun, als sei man genauso ahnungslos wie der Zuhörer. Ich erwarte, daß ein Journalist nicht uninformiert ist, sondern ich möchte seinem Wissen und seiner Recherche trauen können.

Ich sehe die genannten Beispiele als Ergebnis einer Krise der Medien. In der Politik machte sich Panik breit, als die Volksparteien an Ansehen verloren und Konkurrenz von Rechtspopulisten erhielten. In dieser Situation begannen die Parteien ihr Auftreten zu überdenken und sie veränderten nicht nur ihr Auftreten, sondern auch ihre Inhalte. Oftmals war das eine Annäherung an die Rechtspopulisten in Inhalt und Form. Ähnliches beobachte ich bei den Medien. Ihre feste Rolle und Bedeutung wurde untergraben durch die Konkurrenz aus dem Internet. Auf diese Konkurrenz wurde ebenso mit Panik reagiert und auch dort scheint man sich der Form der jungen hippen digitalen Medien annähern zu wollen. Dabei scheinen auch journalistische Standards auf der Strecke zu bleiben. Ich halte es für einen Irrglauben, daß es notwendig ist, auch den hippen fröhlichen Ton zu treffen, um überhaupt noch Hörer zu erreichen. Es ist im Gegenteil eine Wohltat, wenn man dieser lärmenden Aufgeregtheit und Oberflächlichkeit entkommen kann und Zugang zu interessanten und glaubhaften Informationen hat.

Ich mag dieses Heranwanzen an einen vermeintlichen Hörergeschmack nicht und verbitte es mir, wenn Rundfunkjournalisten so tun, als seien sie mit mir verwandt, befreundet oder intim. Ich suche keine Freunde und Partner beim Radio, sondern guten Journalismus. Dazu gehört auch eine gewisse professionelle Distanz.

Das schlimmste Beispiel für diesen Hip-Journalismus war für mich der Jingle für die Serie ,,Mein Grundgesetz" im vergangenen Jahr. Diese Mischung aus Klangkunst, der dem Volks-aufs-Maul-geschaut Collage aus Stimmen von der Straße und der engagiert emotionalen Sprecherin einfach nur übergriffig. Ich hätte das Radio aus dem Fenster werfen können.

Kuddel

Podcast ist das angesagte Ding im Rundfunk.
Zumeist sind es zwei Leute, die mit schnodderiger Schnauze, unheimlich lockeren Sprüchen und ständigem Gekichere vor sich hinplappern. Der Stil dieses Formats fließt inzwischen auch in journalistische Sendungen ein.

Un-er-träg-lich!



BGS

Zitat von: Kuddel am 09:13:59 Do. 27.Mai 2021
Podcast ist das angesagte Ding im Rundfunk.
Zumeist sind es zwei Leute, die mit schnodderiger Schnauze, unheimlich lockeren Sprüchen und ständigem Gekichere vor sich hinplappern. Der Stil dieses Formats fließt inzwischen auch in journalistische Sendungen ein.

Un-er-träg-lich!

So sehe ich das auch, einfach widerwärtig. Im Norden (Radio) sind fast alle journalistischen Standards inzwischen ins Bodenlose gefallen, jeder tut so als sei der Hörer der beste Freund. Muss ich nicht haben.

MfG

BGS
"Ceterum censeo, Berolinensis esse delendam"

https://forum.chefduzen.de/index.php/topic,21713.1020.html#lastPost
(:DAS SINKENDE SCHIFF DEUTSCHLAND ENDGÜLTIG VERLASSEN!)

Kuddel

Boah, die Podcastisierung des Rundfunks ist für mich die Abschaffung des Journalismus.

Es wurde mal Journalisten beigebracht, daß es nicht um sie gehe, sondern um Inhalte. Jetzt wird darüber gequatscht, wie man auf die Idee gekommen ist, wie man recherchiert hat und wie man sich beim Erstellen einer Reportage gefühlt hat. Das Ganze wird auch noch im so-reden-normale-leute-Sprech präsentiert. Es wird alles, was man einst Rundfunksprechern abtrainiert hat, wieder Pflicht, wie das Ständige Einschieben eines ne?, ja?, oder?, hmmm, mmmhmmm, das Sprechen in einem Singsang, das Herumgewitzel, das Gekichere und immer wieder: das offene, herzliche Lachen. Das soll alles so sympathisch rüberkommen.

Ich will nicht wissen, wie ein Reporter sich fühlt. Jedenfalls nicht in einer Reportage. Er kann darüber berichten, wenn er eine Reportage über seine Arbeitsbedingungen macht. Ich will auch nicht emotional in eine Richtung geschubst werden und will mich selbst entscheiden, wie ich "Demokratie", "AfD", "Europa" oder "Trump" finde. Der aktuelle Radiotrend ist die Tilgung des Journalismus. Statt dessen versucht man, die Zuhörer emotional an die Hand zu nehmen.

Troll

Mitmachen ist angesagt, sich selbst zum Arsch machen, rumhampeln, dauerlachend das Positivdenkende Vorbild spielen, alles tanzt und jubelt während uns die Welt unterm Arsch wegfault.
Politik ist der Spielraum, den die Wirtschaft ihr lässt.
Dieter Hildebrandt
Es ist kein Zeichen geistiger Gesundheit, gut angepasst an eine kranke Gesellschaft zu sein.
Jiddu Krishnamurti

Kuddel

Ich mag Radio als Medium.
Man kann es versauen. Die Fröhlichkeit der Privatradios ist ein Brechmittel.
NDR Info und DLF waren für mich Inseln, auf denen man noch vernünftige Beiträge hören konnte. Diese Inseln versinken in der hippen Modernisierung des Radios.

Sabine Adler, Osteuropaexpertin des DLF ist inhaltlch unter aller Sau, voll auf Kurs der Atlantikbrücke. Versucht in punkto Kommunistenfresserei Jochim Gauck zu übertrumpfen.

Inzwischen find ich es fast wohltuend sie zu hören. Als Sprecherin beherrscht sie noch das Handwerk des Radiojournalismus. Sie verzichtet auf all die angesagten sprachlichen Mätzchen, sie verweigert die absurde Betonung einzelner Worte und Silben und den verblödeten Singsang. Sie trägt sachlich und unaufgeregt vor.

Das sollte Radiojournalismus ausmachen.

Das Inhaltliche ist ein anderes Thema.

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