Revolution

Begonnen von Kuddel, 16:02:20 So. 04.April 2021

⏪ vorheriges - nächstes ⏩

Kuddel

Welch ein schillernder Begriff.

Inzwischen oft auf den Hund gekommen.


Aber was ist das überhaupt?

Die DDR wurde von einer "gewaltlosen Revolution" weggefegt??
Ich lach mich tot!

Erst gab es eine Zeit mutige Demonstranten, die gegen Wahlbetrug protestierten und ein freiheitliches sozialistisches System wollten. Sie riefen "Wir sind das Volk!" um klarzumachen, daß sie sich von den SED Zombies nicht vertreten fühlten.
Als das Demonstrieren kein Risiko mehr war, gingen andere auf die Straße. Ihr "Wir sind ein Volk" Gegröhle, ließ viele der ursprünglichen Demonstranten zuhause bleiben.
Es gab keine Revolution, die "Revolutionäre" haben ein paarmal demonstriert, sie haben aber nie die Macht übernommen. Eine Regierung ging freiwillig, die eines anderen Staates hat ihren Platz übernommen.

Bis zum heutigen Tag habe ich keinen vernünftige Analyse dieser Vorgänge gehört. "Annexion" ist mir etwas zu kurz. Ich würde schon gern begreifen, wie so eine gewaltige Umwälzung möglich war. Die Unzufriedenheit der DDR Bevölkerung wurde genutzt für Entwicklungen, die nie im Sinne der Bevölkerung waren.

In Tunesien sprach man auch von einer "Revolution". dort hat man auch etwas mehr hingekriegt als ein paar Montagsdemos, man kann schon von einem Aufstand sprechen mit der Beschädigung/Zerstörung von 85 Polizeiwachen, 13 Rathäusern, 43 Banken, 11 Fabriken und 66 Geschäften und Einkaufszentren. Der Diktator Ben Ali verließ ruckzuck das Land. Heute geht es den Menschen in Tunesien teilweise schlechter als zuvor. Netzwerke, Machtstrukturen und Kapitalismus blieben.

Und was ist, wenn die Regierenden sich nicht freiwillig und so zügig verpissen, wie in der DDR oder Tunesien? Was ist, wenn man die Oppositionellen sich totdemonstrieren und den Protest ins Leere laufen läßt? Oder mit Gewalt, Massenverhaftungen und Folter reagiert, wie in Belarus oder zusätzlich mit Massenmord wie in Myanmar. Dort tritt man nicht einfach mal zurück.

Was nun, ihr Revolutionäre?

ManOfConstantSorrow

Arbeitsscheu und chronisch schlecht gelaunt!

ManOfConstantSorrow

Arbeitsscheu und chronisch schlecht gelaunt!

ManOfConstantSorrow

Auch wenn Revolutionstourismus nicht angesagt ist, ich finde es mehr als ok:

[Kolumbien]
ZitatEine Frankfurterin wurde zum Sprachrohr der Protestbewegung – und riskiert tagtäglich ihr Leben.

Sprößer steht in der ,,Primera Línea", der ersten Reihe, der Spitze der Widerstandsgruppe ,,Puerto Resistencia". Jeden Moment kann die Polizei anrücken. Kurz bevor das Video endet, sagt sie: ,,Es ist wirklich gefährlich. Es geht hier jede Nacht um Leben und Tod."


Rebecca Sprößer (erste Reihe Mitte) in Cali.

Der Trip war eigentlich als Urlaub geplant. Aus zwei Wochen sind mittlerweile drei Monate geworden. Sprößer arbeitete in einer Tanzschule, als die Proteste begannen. Weil sie schon in der Vergangenheit weltweit für Hilfsorganisationen im Einsatz war, beschloss sie, dasselbe auch in Cali zu tun. ,,Wir sammelten Geld, um Lebensmittel und Medikamente zu kaufen", erzählt sie. Damit fuhr sie zum Hauptblockadepunkt des Widerstands und lernte so die jungen Männer der ,,Puerto Resistencia" kennen. ,,Ich kam dann jeden Tag und blieb jede Nacht. Eigentlich gehe ich nur noch Hause, um zu duschen. Die ,Puerto Resistencia' ist ein bisschen mein Zuhause geworden." Und die Jungs der ,,Primera Línea" seien ihre Familie.

Sprößer ist für sie so etwas wie eine Pressesprecherin geworden. Sie filmt mit ihrem Smartphone jeden Tag und jede Nacht, was sich auf den Straßen Calis abspielt, und stellt die Videos auf ihre Facebook-Seite. Tagsüber versammeln sich Familien, Alt und Jung bei den Blockadepunkten wie etwa Autobahnen oder von den Demonstrierenden eingenommene Polizeiwachen. In Sprößers Videos ist zu sehen, wie die Menschen Salsa tanzen, sich kostenlos tätowieren lassen. Es werden T-Shirts gedruckt und Graffiti gesprüht; an einer Hauswand ist etwa ein Graffito zur Erinnerung an den von einem Polizisten erschossenen Nicolas Guerrero zu sehen (siehe nebenstehendes Interview). Die besetzten Polizeiwachen machten die Demonstrierenden kurzerhand zu Bibliotheken. Es sind friedliche Szenen, die zu sehen sind, sie erinnern an Straßenfeste. ,,Die Menschen hier demonstrieren auch für mehr Gerechtigkeit und Teilhabe. Für eine bessere Bildung, bessere medizinische Versorgung, für kulturelle Angebote", erklärt Sprößer.

Doch je näher der Abend rückt, desto leerer werden die Straßen. Dann bleibt nur noch der harte Kern wie die ,,Primera Línea". Sprößer spricht von rund 80 Leuten. Jede Nacht bangt sie um das Leben ihrer ,,Jungs". Jede Nacht könnte es einen von ihnen treffen. Sprößer hat bereits einige Bekannte verloren. Zwei Tage vor dem Skype-Gespräch mit der Frankfurter Rundschau stirbt ein Freund im Kugelhagel der Polizei. ,,Wir feierten und hörten Musik. Dann hörten wir Schüsse", erzählt sie. Eine Nacht zuvor starb ein weiterer Freund. ,,Er wurde von einem Lkw überfahren." Während sie das erzählt, verzieht sie weder ihr Gesicht noch wird ihre Stimme brüchig. Für sie ist das der Alltag. ,,Man gewöhnt sich sehr schnell an die Situation. Es ist mittlerweile normal, wenn wieder jemand stirbt, und das fast jede Nacht."

(...)
https://www.fr.de/politik/nachts-eskaliert-die-gewalt-90804850.html
Arbeitsscheu und chronisch schlecht gelaunt!

ManOfConstantSorrow

Man hatte von den 60ern bis 80ern so manche revolutionäre Bewegung in den Entwicklungsländern (Lateinamerika, auch Afrika) mit Sympathie und Solidarität verfolgt. Einige Bewegungen waren erfolgreich, doch die neuen Regierungen waren bisweilen nicht lange von Sympathie und Hoffnung begleitet. Erstarrung und Korruption zeichnete bald die Regierungen der befreiten Staaten aus.

Es folgte zu oft das große Schweigen der Solidaritätsbewegungen im Westen. Man fragte nicht, wie diese Entwicklungen möglich waren oder ob sie in Zukunft zu vermeiden sind.

Einige setzten dann ihre Hoffnung in neue revolutionäre Bewegungen und Länder. Andere resignierten. Wir sollten nicht so kurzatmig denken und handeln. Auch wenn einige Länder (z.B. Nicaragua) beim Gegenteil von dem, was einmal erkämpft worden ist, angekommen sind, heißt es noch lange nicht, daß der ursprüngliche Kampf falsch gewesen ist.

Die Erfahrungen der vergangenen Jahrzehnte können sehr wichtig sein für die aktuellen Kämpfe.
Arbeitsscheu und chronisch schlecht gelaunt!

Fritz Linow

Filmsammlung für existenzialistische Sommerabende am heimatlichen Lagerfeuer:

ZitatRevolution

Dammbruch oder steter Tropfen

Arabischer Frühling, die studentische Protestbewegung im Juni 1967 (parallel dazu die Rebellionen in Paris und an den amerikanischen Universitäten), die russische Revolution von 1917, die Industrielle Revolution, die Große Französische Revolution – alle diese Umwälzungen, jede für sich, haben ihren eigenen Charakter. Ihre Anfangsversprechen hat keine gehalten.

Die Worte Revolution und Evolution bezeichnen die beiden Antipoden der Veränderung. Evolution ist das Gesetz des Lebendigen. Sie plant nicht. Evolution bastelt. Sie braucht gewaltige Mengen an Zeit. In dieser Weise schafft sie lang andauernde und riesenhafte Veränderungen. Der Revolution entspricht ,,umgekehrt" der abrupte Bruch, die Kategorie der Plötzlichkeit. Revolutionär beginnt eine neue Zeit.

In unserem Jahr 2017 gibt es den 100. Jahrestag zum Februar und Oktober 1917, den beiden russischen Revolutionen. 50 Jahre sind es seit dem Sommer 1967, aus dem die Protestbewegungen in Berlin, Frankfurt, Paris und Berkeley hervorgingen. Die Wende von 1989 ereignet sich zeitgleich mit der grausamen Niederschlagung der Rebellion auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking und zugleich im Jubiläumsjahr von 200 Jahren der Großen Französischen Revolution. Der Arabische Frühling führte – erschreckend und enttäuschend – zum Elend von Aleppo. Alle Revolutionen hatten bisher einen unverwechselbaren Charakter. Ihre Erfahrungen sind unaufgearbeitet.
https://www.dctp.tv/themen/revolution

ManOfConstantSorrow

Mir läßt dieses Thema keine Ruhe.

Weiterhin nervt mich, daß die Übernahme der DDR durch den Westen "Revolution" genannt wird. Ein paar Demos und plötzlich verpißt sich die Regierung. Das Machtvakuum wird jedoch nicht von den Oppositionellen gefüllt, die gerade noch behauptet haben, "das Volk" zu sein, sondern die BRD erneuert Regierung und Wirtschaftssystem.

Wie schwer hingegen ist eine richtige Revolution...
Myanmar, Belarus, Iran, Rojava, Libanon, Kolumbien, Hongkong...

Wer aufmuckt wird verhaftet, wandert in den Knast, wird gefoltert. In Myanmar würden bereits über 1000 Menschen von der Militärjunta ermordet. In Belarus und Hongkong wurden die Aufstandsbewegungen vorerst gebrochen.

Es gibt in all den Ländern echte Revolutionäre, die wissen, daß man eine Revolution nicht eben mal schnell macht, sie vielmehr ein langer und schmerzhafter Prozeß ist, der viele Opfer kostet.

In den oben genannten Ländern geht es eher darum, korrupte, brutale Systeme, Oligarchen und Autokraten loszuwerden und halbwegs demokratische Zustände zu ermöglichen. In Rojava gehen die Diskussionen noch am weitesten darüber hinaus und man denkt über eine grundsätzlich andere Gesellschaft nach.

Ich denke, es mag schwer sein, eine beschissene Regierung loszuwerden, doch es ist unendlich viel schwerer, ein beschissenes Wirtschaftssystem zu überwinden. Dazu müssen wir uns (im Kampf) ändern und lernen, anders miteinander zu kooperieren. Das menschliche Miteinander darf nicht länger von Profitmaximierung und Gier bestimmt sein, sondern von Notwendigkeiten und Bedürfnissen in Respekt vor der Gemeinschaft und der Natur.
Arbeitsscheu und chronisch schlecht gelaunt!

Kuddel


ManOfConstantSorrow

Solidarität mit den Menschen in Sudan und Myanmar, die für Selbstbestimmung und Selbstverwaltung kämpfen.



Arbeitsscheu und chronisch schlecht gelaunt!

ManOfConstantSorrow

Ein langer aber lesenswerter Beitrag zur Debatte:

ZitatCarta Maior, 30.11.2021

Thomas Piketty: "Wir befinden uns in einer Situation, die derjenigen ähnelt, die zur Französischen Revolution geführt hat".

Der renommierte französische Wirtschaftswissenschaftler prophezeit, dass die Privilegien für große Vermögen zu einer großen politischen Krise führen werden. Und er erinnert an den Aufstand des späten 18. Jahrhunderts, als sich der Adel gegen die Zahlung von Steuern wehrte.


Thomas Piketty (Clichy, Frankreich, 50 Jahre alt) hat mit seinen mehr als tausend Seiten umfassenden Abhandlungen etwas erreicht, was in der Geschichte nur wenigen Ökonomen gelungen ist: sein akademisches Studienfach in den Mittelpunkt politischer Diskussionen und internationaler Agenden zu stellen. Sein Thema ist die Ungleichheit. Oder, um es anders auszudrücken, die lange Geschichte des Fortschritts in Richtung Gleichstellung. Denn der Autor von "Das Kapital im 21. Jahrhundert" und "Das Kapital und die Ideologie" bezeichnet sich selbst als Optimist, auch wenn es vielleicht nicht so aussieht: Er sieht das Glas lieber halb voll mit Gleichheit als halb leer mit Ungleichheit.

Nun veröffentlicht Piketty Une brève histoire de l'égalité (Eine kurze Geschichte der Gleichheit, erschienen in Spanien bei Deusto Publishing, übersetzt von Daniel Fuentes), eine Synthese seiner Ideen und Vorschläge auf weniger als 300 Seiten.

Piketty gehört nicht zum Club der Apokalyptiker: Er glaubt - und die Daten bestätigen ihn darin -, dass es der Welt trotz der Stolpersteine und Rückschläge besser geht. Und er sagt, dass die Parteien, die seine Ideen vertreten, zwar in der Minderheit sind und dass in vielen Ländern, wie in seinem Land, die Arbeiterklasse nationalistische und populistische Optionen wählt, aber er glaubt nicht, dass er in der Wüste predigt. "Seit der Krise von 2008 hat sich das Bewusstsein für die Auswüchse der finanziellen Deregulierung der achtziger und neunziger Jahre beschleunigt, und Covid-19 hat dazu beigetragen", resümiert er in seinem kleinen Büro an der Paris School of Economics. "Die Dinge entwickeln sich ein wenig in die von mir beschriebene Richtung."


FRAGE:Hat der Kapitalismus nicht dazu beigetragen, die Lebenserwartung und den Lebensstandard zu verbessern und die Ungleichheit zu verringern?

ANTWORT:  Was den Wohlstand ermöglicht hat, war die Abmilderung des Kapitalismus des 19. Jahrhunderts durch eine sozialdemokratische Wirtschaftsform, eine gemischte Wirtschaft, in der ein Teil des Reichtums sozialisiert wird. Und es ist notwendig, diese Bewegung fortzusetzen. Der partizipatorische, demokratische und föderale Sozialismus, den ich anstrebe, ist Teil der Kontinuität der bereits erfolgten, sehr wichtigen Veränderungen. Das System der sozialdemokratischen Mischwirtschaft, das wir heute in den westeuropäischen Ländern haben, hat wenig mit dem kolonialen, patriarchalischen und autoritären Kapitalismus von 1910 zu tun. Und das System, das ich für die Zukunft beschreibe, unterscheidet sich nicht mehr vom gegenwärtigen System als das heutige System vom Kapitalismus des Jahres 1910.

"Wenn man den Adel höflich bittet, auf seine Privilegien zu verzichten, funktioniert die Sache nicht. Wenn man die Schweiz und Luxemburg höflich bittet, keine Steuerparadiese mehr zu sein, tun sie es auch nicht."

F: Waren Kriege, Revolutionen und Naturkatastrophen notwendig, um Ungleichheiten abzubauen?

A: Revolutionen sind nicht immer Katastrophen. Tatsächlich gibt es in der Geschichte politische Bewegungen, Mobilisierungen, die es uns ermöglichen, zu mehr Gleichheit zu gelangen. Und ich betone die positive Botschaft: Es gibt einen Marsch in Richtung Gleichheit, der von weit her kommt, er ist ein langfristiges Phänomen und wird manchmal durch Revolutionen genährt, aber im Allgemeinen mehr durch Rebellionen, durch Forderungen nach mehr Gleichheit. Es handelt sich um eine Bewegung, die Ende des 18. Jahrhunderts begann, insbesondere mit der Französischen Revolution und dem Sklavenaufstand in Santo Domingo. Diese beiden Ereignisse markieren den Anfang vom Ende der privilegierten Gesellschaften auf der einen und der Sklavengesellschaften auf der anderen Seite.

F:Aber man kommt nicht immer mit Revolten oder Revolutionen voran.

A:Ein weiteres Beispiel ist Schweden. Bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts war es eines der Länder mit der größten Ungleichheit in Europa und einer institutionellen Kodifizierung der Ungleichheit, die extremer war als im französischen Ancien Régime oder in den Zensusmonarchien Frankreichs oder Spaniens des 19. Nur die reichsten 20 % der Männer waren stimmberechtigt, und innerhalb dieser 20 % konnte es zwischen 1 und 100 Stimmrechte geben, je nachdem, ob es sich um die reichste oder die am wenigsten reiche Person handelte. Auch Unternehmen hatten ein Stimmrecht, das sich nach dem in der Gemeinde investierten Kapital richtete. Die multinationalen Unternehmen wünschen sich heute etwas Ähnliches! Es wird   zu einer großen Mobilisierung der Gewerkschaften und der sozialdemokratischen Partei in einem hoch gebildeten Land kommen, und die Arbeiterklasse übernimmt die Macht. Sie setzt sich dann relativ friedlich durch.

F:Die schwedische Revolution war eine friedliche Revolution.

A: Sie sehen, diese Art der Umgestaltung kann nicht unter Einhaltung der Regeln des vorherigen Regimes durchgeführt werden. Zu einem bestimmten Zeitpunkt wird es zu einem institutionellen Bruch kommen. Das ist immer so. Wenn die Obama-Administration der Schweiz ankündigt, dass das Bankgeheimnis vorbei ist und dass die Vereinigten Staaten den Schweizer Banken die Lizenz entziehen werden, wenn die Schweiz es aufrechterhält, dann ist das nicht etwas, das in den internationalen Verträgen, die den freien Kapitalverkehr organisieren, vorgesehen war. Nun, es stellt sich heraus, dass diese Verträge ein Land nicht daran hindern, zu einem bestimmten Zeitpunkt zu sagen: "Wir haben die Regeln geändert".

F:Die Vereinigten Staaten sind die führende Macht der Welt. Ein anderes Land ist vielleicht nicht in der Lage, dasselbe zu tun.

A: Aber es ist nun einmal so, dass sich der historische Wandel aus den Machtverhältnissen speist, egal ob wir uns im Jahr 1789 oder 2020 befinden. Wenn man den Adel höflich auffordert, auf seine Privilegien zu verzichten, funktioniert das nicht. Wenn man die Schweiz und Luxemburg höflich bittet, keine Steuerparadiese mehr zu sein, funktioniert das auch nicht. Und diese Veränderungen beinhalten in der Regel institutionelle Veränderungen mit Änderungen von Verträgen oder Verfassungen. Ich will damit nicht sagen, dass die Rechtsstaatlichkeit nicht wichtig ist, aber sie sollte nicht als Vorwand dienen, um die erworbenen Positionen zu erhalten. Alle von mir beschriebenen Umgestaltungen erfolgten durch Umsturz des bisherigen Rechtssystems, jedoch mit dem Ziel, es durch einen gerechteren, emanzipatorischen und egalitären Rechtsstaat zu ersetzen.

"Es gibt eine Flucht in die Staatsverschuldung, die damit erklärt wird, dass man die privilegierten Klassen nicht zur Kasse bitten kann"

F:. Wird die Welt nach Covid-19 weniger oder mehr egalitär sein?

A. Der erste Effekt ist eine größere Ungleichheit. Erstens, zwischen dem Norden und dem Süden. Es ist ein Skandal, dass die Länder des Nordens sich geweigert haben, Impfstoffe zu einem globalen öffentlichen Gut zu machen - eine verpasste Chance. Wir sehen auch, dass die großen Reichtümer des Planeten noch grtößer geworden sind. Der gesamte High-Tech-Sektor ist expandiert. Die Ärmsten und Schwächsten sind diejenigen, die am meisten unter Covid-19 leiden. Gleichzeitig hatte die Pandemie, wie alle Krisen dieser Art, komplexe Auswirkungen, denn sie hat auch dazu beigetragen, eine bestimmte Vision des öffentlichen Dienstes, des Krankenhauses, des Gesundheitssystems zu rehabilitieren, und dies ermöglicht es auch, eine Politik der Reinvestition in öffentliche Dienste wieder zu legitimieren.

F: Befinden wir uns auf einem guten Weg?

A:  Im Moment geht es nur langsam voran. Das Ausmaß der Ungleichheit ist kontraproduktiv. Dass 50 % der Bevölkerung fast nichts besitzen - in Frankreich und Spanien besitzen 50 % 5 % des Gesamtvermögens, während die reichsten 10 % 50 %, 55 % oder 60 % besitzen - ist nicht nur ungerecht, sondern auch wirtschaftlich ineffizient. Die ärmsten 50 % und ihre Kinder haben mindestens so viele Ideen und Initiativen wie die Kinder der Reichsten. Langfristig bedeutet es einen kollektiven Verlust, wenn die wirtschaftlichen Chancen und die Möglichkeiten für eine dynamischere Wirtschaft mit einer größeren Zirkulation von Reichtum, Eigentum und Macht eingeschränkt werden.

F: Aber Sie sind doch zufrieden damit, dass die Europäische Union eine Vereinbarung über die Zusammenlegung von Schulden und massive Investitionen getroffen hat, oder?

A: Ich bin ein europäischer Föderalist. Alles, was in diese Richtung geht, ist gut. Und die gemeinsame Verschuldung hat zumindest Zeit gewonnen und die europäische Idee gerettet. Ich hätte es jedoch vorgezogen, wenn das Konjunkturprogramm von einer kleineren Gruppe von Ländern und mit einer stärkeren Demokratisierung der europäischen Institutionen sowie mit einem Mehrheitsvotum anstelle der Einstimmigkeit angenommen worden wäre. Stellen Sie sich vor, dass wir in sechs Monaten oder einem Jahr neue Schulden und einen neuen Konjunkturplan brauchen. Werden wir wieder die Einstimmigkeit der 27 benötigen? Die Lösung ist, dass die Länder, die nicht mehr Solidarität wollen, draußen bleiben: Man sollte die Niederlande, Schweden und Dänemark nicht zwingen, sich zu beteiligen. Diejenigen, die ein geeinteres Europa wollen, sollen nur zugreifen. Für mich ist das eine verpasste Gelegenheit.

F: Was ist mit der Vereinbarung, eine globale Mindeststeuer für multinationale Unternehmen einzuführen?

A: Dies wirft zwei Probleme auf. Erstens ist der Satz von 15 % lächerlich niedrig. Ein KMU (kleines und mittleres Unternehmen) oder eine Familie aus dem Mittelstand oder der Arbeiterklasse kann nicht einfach eine Tochtergesellschaft in einem Steuerparadies gründen, um den Steuersatz von 15 % zu nutzen. Wenn Sie in Frankreich ein KMU im Bereich Renovierung oder Bau leiten, zahlen Sie zwischen der Gewinnsteuer, der Einkommenssteuer und den Sozialabgaben mindestens 20 % oder 30 %, häufig sogar mehr als 30 % oder 40 %. Die 15 % für multinationale Unternehmen, die in der Lage sind, Tochtergesellschaften in Steuerparadiesen zu gründen, laufen daher auf die Schaffung eines privilegierten Ausnahmesystems für die mächtigsten Akteure hinaus. Ich befürchte, dass diese Reform mit den 15 % nur sehr wenig Geld bringen wird und nur eine große Ungerechtigkeit zwischen den multinationalen Unternehmen und den Reichsten auf der einen Seite und den KMU und dem Mittelstand auf der anderen Seite aufrechterhalten wird.

"Ich befürchte, dass der Steuersatz von 15 % zu wenig Geld bringt und nur eine große Ungerechtigkeit zwischen den multinationalen Unternehmen und den Reichsten auf der einen Seite und den KMU und dem Mittelstand auf der anderen Seite aufrechterhalten wird.

F:Was ist mit dem zweiten Problem, das Sie ansprechen?

A: Sie ist sogar noch ernster als die erste. Diese Reform ist nämlich für die Länder des Nordens und nicht für die Länder des Südens gedacht. Die Länder, die zusätzliche Einnahmen erzielen werden, sind die Länder, in denen sich die Zentralen dieser multinationalen Unternehmen befinden, also die reichsten Länder. Wir glauben, dass uns die Krisen in Mali oder Afghanistan nichts angehen, aber sobald es Reichtümer auszubeuten gibt, wie z. B. Uran in Niger oder Kupfer im Kongo, stürzen sich westliche Unternehmen sofort darauf, oder chinesische Unternehmen, die das Gleiche tun. Gleichzeitig werden die kumulierten CO%u282-Emissionen (( steht so im port. Original))der europäischen Länder und der Vereinigten Staaten für die Länder des Südens erhebliche Kosten in Form von Entwicklungsrückstand bedeuten. Und vergessen wir nicht, dass es keine reichen Länder ohne arme Länder gibt: Alle Bereicherungen in der Geschichte sind das Ergebnis eines Systems der internationalen Arbeitsteilung und der Nutzung und manchmal Ausbeutung der natürlichen und menschlichen Ressourcen des Planeten, wie zum Beispiel die Industrialisierung während des Kolonialismus und der Sklaverei.

F:Was ist zu tun?

A: Die Vorstellung, dass ein solches Land oder eine solche Person für seinen/ihren Reichtum allein verantwortlich ist und ihn ganz für sich behalten sollte, ist eine wenig überzeugende intellektuelle Konstruktion. Es ist notwendig, sich ein System zur Verteilung des Reichtums vorzustellen, das aus den Steuereinnahmen der wohlhabendsten Wirtschaftsakteure stammt. Würde man nur einen kleinen Teil der Gewinne der multinationalen Unternehmen und des Vermögens der Milliardäre nehmen und an alle Länder umverteilen, und zwar im Verhältnis zur Bevölkerung dieser Länder, wären die Mittel für Investitionen in Bildung und Gesundheit zehnmal höher als die angebliche internationale Hilfe, die in Afrika viermal geringer ist als die Gewinne der westlichen und chinesischen Unternehmen. Wir sind dabei, ein System zu schaffen, das uns um die Ohren fliegen wird.

F: Eine Revolution?

A: Wir befinden uns in einer Situation, die derjenigen, die zur Französischen Revolution führte, nicht unähnlich ist: Es gibt eine Flucht in die Staatsverschuldung, die damit erklärt wird, dass man die privilegierten Klassen nicht zur Kasse bitten kann. Damals war es der Adel, der keine Steuern zahlen wollte. Und wie wurde das Problem gelöst? Mit einer politischen Krise, mit den Generalstaaten, der Nationalversammlung und dem Ende der Privilegien des Adels. Jetzt wird es so oder so auf dieselbe Weise enden. Als ich vorhin sagte, dass uns das System um die Ohren fliegen wird, dachte ich an den Norden und den Süden. Und im Norden? Wir können es eine Revolution nennen. Revolutionen hat es in der Geschichte immer gegeben, so auch 1968 oder 1945.

"Die Frage ist, ob die Infragestellung dieses Systems auf ungeordnete oder beschwichtigende Weise erfolgen wird.

F: Was nun?

A: Die Revolution, von der ich spreche, besteht darin, dass die größten Vermögen ihren Beitrag leisten. Wenn man ein System schafft, in dem man reich werden kann, indem man die öffentliche Infrastruktur eines Landes, sein Bildungssystem, sein Gesundheitssystem nutzt, und dann auf Knopfdruck sein Vermögen in eine andere Gerichtsbarkeit transferieren kann, ohne dass es irgendetwas gibt, um das zu kontrollieren, und dann kann man die Rechnung einfach der Mittel- und Unterschicht überlassen, die untätig bleibtund das Land nicht verlassen kann ... Das ist ein unhaltbares System. Die Frage ist, ob die Infragestellung dieses Systems auf ungeordnete Weise oder auf eine beschwichtigende Weise, wie ich es bevorzuge, erfolgen wird. Ich bin ein Intellektueller: Ich habe mich für das Schreiben von Büchern entschieden, nicht für die Guerrilla.
Carta Maior ist eine linke brasilianische Zeitschrift.
Arbeitsscheu und chronisch schlecht gelaunt!

ManOfConstantSorrow

Wir konsumieren Nachrichten aus dem globalen Süden über revolutionäre Kämpfe.
Doch für uns ist der Beriff "Revolution" Lichtjahre von unserem Leben entfernt.
Man sollte sich trotzdem Gedanken darüber machen.

ZitatNoam Chomsky: Vom Klassenkampf zur grünen Revolution

Der Klassenkampf hört nie auf, sagt Chomsky. Die Frage ist, welche Seite siegt. Heute geht es um das Überleben der Menschheit. Nur eine grüne Revolution kann die Klimakatastrophe noch aufhalten
https://www.heise.de/tp/features/Noam-Chomsky-Vom-Klassenkampf-zur-gruenen-Revolution-7127900.html
Arbeitsscheu und chronisch schlecht gelaunt!

Fritz Linow

Zitat8.8.22
Was wir wirklich aus der Russischen Revolution lernen können

Aus der Strategie der Bolschewiki werden häufig die falschen Schlüsse gezogen. Zeit für eine Richtigstellung.

Linke leben seit über einhundert Jahren im politischen Schatten der Russischen Revolution. Beseelt vom Vorbild des Jahres 1917 versuchte jede Generation von Sozialistinnen und Sozialisten das umzusetzen, was ihr als zentrale politische Lehre der Bolschewiki erschien.
(...)
https://jacobin.de/artikel/was-wir-wirklich-aus-der-russischen-revolution-lernen-konnen-leninismus-lenin-kautsky-trotzki-spd-sozialdemokratie/

counselor

Interessanter Artikel. Danke fürs Einstellen.

Der Kapitalismus führt uns mit Klimakatastrophe, sozialer Katastrophe (Inflation, steigende Armut und Hunger) und unkalkulierbaren Kriegen in eine Menschheitskatastrophe. Er steckt in einer sozial-ökologischen Zangenkrise, aus der er meiner Meinung nach nicht mehr herauskommt. Die Herrschenden können diese Krisen nicht mehr lösen. Das wird die Menschheit früher oder später massenhaft zu Aktionen drängen.

Wir müssen es schaffen, die Lebensmittel auf der Welt so zu verteilen, dass niemand mehr Hunger leiden muss. Wir müssen die Industrie, Landwirtschaft und den Verkehr dekarbonisieren und die Politik muss zu Verhandlungslösungen (anstatt Krieg) gezwungen werden. In diesem Sinne müssen wir das Bewusstsein der Menschen im Land scharfen, damit sie für diese Ziele kämpfen und die entsprechenden Widerstände der Herrschenden überwinden. Notfalls müssen wir uns dabei gegen die Staatsorgane (Polizei, Bundeswehr und Justiz) verteidigen.
Alles ist in Bewegung. Nichts war schon immer da und nichts wird immer so bleiben!

ManOfConstantSorrow

Ich glaube, im Iran sind wir noch sehr weit weg von einer Revolution.
Es wird noch sehr, sehr viel Blut vergossen werden.
Die Iranische Regierung hat nicht vor, wie seinerzeit die tunesische, nur wegen einiger Proteste abzudanken. Sie wird ihre Macht mit Waffengewalt verteidigen.

Die Proteste im Iran sind jetzt von einer anderen Qualität, als die vor Jahren. Die Leute wollen nicht nur ihrer Wut freien Lauf lassen und etwas Dampf ablassen. Sie haben die Schnauze gestrichen voll. Sie wollen nicht mehr zurück zu den alten Verhältnissen. Sie wollen die alten Eliten und deren "Islamische Republik" endgültig loswerden.
Arbeitsscheu und chronisch schlecht gelaunt!


ManOfConstantSorrow

Der Aufstand im Iran bringt etwas neues.
Eine Frauenrevolution. Eher eine Mädchenrevolution.
Getragen wird sie, soweit ich es mitbekomme, im Wesentlichen von unter 30 Jährigen, großteils Schülerinnen. Der Altersdurchschnitt ist sehr niedrig.

Diese Rebellion wird unterstützt von großen Teilen der Bevölkerung, in Belutschistan und kurdischen Gebieten von der Mehrheit. Ich bin beeindruckt, daß die Bewegung den Frauen und Mädchen die Führung überläßt. Es gab Arbeitsniederlegungen von Öl- und Zuckerarbeitern und von Lehrern. Diese Streiks galten ausdrücklich der Unterstützung der Protestbewegung.

An einer Uni standen die Studierenden am Eingang Spalier, um den in die Uni gehenden Studentinnen zu applaudieren. Sie werden als Heldinnen gefeiert.

Der Funke scheint überzuspringen.
Hier ein Filmchen mit rebellierenden Mädchen in Afghanistan:

https://twitter.com/yashar/status/1586781036351934465
Arbeitsscheu und chronisch schlecht gelaunt!

ManOfConstantSorrow

Eine Parole aus dem Iran:

»Der Zweck der Revolution ist die Abschaffung der Angst.«
Arbeitsscheu und chronisch schlecht gelaunt!

Kuddel

Wie dumm. Wie eklig.
Die großen Medienportale und die blödesten TV Formate begeistern sich für eine Revolution und man fragt, was es denn jetzt noch braucht, um die Revolution zu vollenden.

Bei dieser Revolution werden aus Pinguinen plötzlich strahlende Schönheiten. Das ist was für die gaffenden Medien. Mehr wollen sie nicht sehen. Sie sehen nicht die Molotowcocktails, die auf die Unterkünfte der Schergen und die Symbole der Macht geschleudert werden. Sie sehen nicht die Streiks, die unter den repressivsten Bedingungen organisiert werden.

Die selben Medien wollen nicht sehen, daß kurdische Frauen ein paar hundert Kilometer weiter mit Natobomben angegriffen werden. "Frau Freiheit Leben" hat da keinerlei bedeutung mehr. Da ist Erdogan doch wichtiger als derjenige, der die Drecksabeit der Migrantenabwehr übernommen hat.

Kuddel

Der große Fehler bei den Deutschen ist, sich die Revolution als ein über Nacht abzumachendes Ding vorzustellen. In der Tat ist sie ein mehrjähriger Entwicklungsprozess der Massen unter beschleunigenden Umständen.

Friedrich Engels

Kuddel

Zufällig drüber gestolpert:

ZitatDie Revolution von 1918/19 war die größte Massenbewegung der deutschen Geschichte. Sie hat den Krieg beendet und die Monarchie hinweggefegt. Vor allem aber war die Novemberrevolution der Türöffner für die Demokratie: das Frauenwahlrecht, die Gewaltenteilung oder auch die Trennung von Staat und Kirche, der Achtstundentag, gewerkschaftliche Mitbestimmung – all das sind Errungenschaften jener Kämpfe. Und dennoch wurde die Novemberrevolution nicht zum traditionsstiftenden Moment eines lebendigen Staatsbewusstseins.
https://www.die-linke.de/start/nachrichten/detail/revolution-ist-grossartig-alles-andere-ist-quark-rosa-luxemburg/

counselor

ZitatDie Massenstreikbewegung, der Krieg und die revolutionäre Krise in Europa

In Europa ist eine Massenstreikbewegung ausgebrochen, in die Millionen von Arbeitern aus allen Teilen des Kontinents einbezogen werden. Was sich hier abspielt, ist keine Serie von nationalen Gewerkschaftskämpfen, die durch getrennte Verhandlungen mit der einen oder anderen kapitalistischen Regierung gelöst werden können. Vielmehr handelt es sich um einen internationalen politischen Kampf, in dem Arbeiter in allen Ländern ähnliche Forderungen aufstellen. Den Arbeitern stehen Regierungen gegenüber, die diskreditiert sind und weithin verachtet werden und die mit dem Einsatz der Polizei und juristischen Drohungen reagieren.

Quelle: https://www.wsws.org/de/articles/2023/02/12/pers-f12.html
Alles ist in Bewegung. Nichts war schon immer da und nichts wird immer so bleiben!

Kuddel

ZitatDokumentarfilm "Between Revolutions" von Vlad Petri
Wenn Revolutionen entgleisen

Mit nie gesehenem Archivmaterial aus dem Iran und Rumänien erzählt Regisseur Vlad Petri die Geschichte zweier Frauen in den Revolutionen in Rumänien und nach dem Sturz des Schah im Iran. René Wildangel hat den Film für Qantara.de gesehen.
https://de.qantara.de/inhalt/dokumentarfilm-between-revolutions-von-vlad-petri-wenn-revolutionen-entgleisen

Klingt wirklich interessant.

Kuddel

Ich habe mich manchmal beklagt über die Podcastisierung des Journalismus und über zu lange Youtubebeiträge.

Aber manchmal sollte man doch hinhören oder hinsehen.

Der Film "Der Laute Frühling" ist ein toller Film. Er beschäftigt sich mit dem Klimawandel und hält ein Zusammenkommen von Klimabewegung und Arbeiter:innenbewegung für notwendig.

Die Filmemacherin hält den Umsturz des kapitalistischen Systems für die einzige Möglichkeit, den Klimawandel aufzuhalten. Sie hat sich auch Gedanken darüber gemacht, wie eine Revolution aussehen könnte.

Ich habe mir den Podcast (insgesamt 54 min) in 10 min-Häppchen reingezogen. Es war eine lohnende Kost.

https://share.fireside.fm/episode/05cw1Qnn+Bch_wnyc

Wer das gleiche mit Bild möchte, wird hier bedient:


https://youtu.be/u0LxypT6lxw

dagobert

Zum Film siehe auch:
https://forum.chefduzen.de/index.php?msg=384914
https://forum.chefduzen.de/index.php?msg=380132

Über den zweiten Link ist auch ein Trailer zum Film zu finden.
"Sie haben die unglaubwürdige Kühnheit, sich mit Deutschland zu verwechseln! Wo doch vielleicht der Augenblick nicht fern ist, da dem deutschen Volke das Letzte daran gelegen sein wird, nicht mit ihnen verwechselt zu werden."
Thomas Mann, 1936

Kuddel

Der Film ist erfreulich erfolgreich.
Er kommt bei jungen Leuten gut an.
Die angesprochenen Ideen sind weitreichend. Es ist plötzlich von "Revolution" die Rede und angeblich findet ein Großteil des Publikums das gar nicht so abwegig.

Das ist eigentlich erfreulich. Die Diskussion ist wichtig. Ich kann mir nur schwer vorstellen, daß sowas von Null auf Hundert so funktioniert.

Wenn man den Weg gehen will, wird man es mit massiver Repression zu tun bekommen. Vielleicht mit einem Blutbad.

Es gilt nicht nur, die Herrschaftsstrukturen zu zerschlagen, man muß das Leben selbst organisieren, auch schon während des Aufstands. Die Menschen sollen ja nicht verhungern auf dem Weg in eine bessere Welt. Vom Selbstorganisieren solcher Dinge hat man wenig Ahnung und wahrscheinlich keine Erfahrung.

Ich finde es aber gut, daß solche Gedanken angestoßen werden.

krapotke

Hintergrundinformationen zum Film "Der laute Frühling": Johanna Schellhagen, die Regiseurin des Films, im Interview beim Podcast 99zu1


https://www.youtube.com/watch?v=u0LxypT6lxw




und bei Konzeptwerk neue Ökonomie:

https://konzeptwerk-neue-oekonomie.org/wirkliche-politische-macht-liegt-nicht-in-den-parlamentsgebaeuden/?fbclid=IwAR1V1YZCO5McFm4LvFb0H_cJ6RvZ0tS6uu16mS6WA0J_0iatQjWd00wBkvg
,,Das habe ich getan" sagt mein Gedächtnis. "Das kann ich nicht getan haben" sagt mein Stolz und bleibt unerbittlich. Endlich gibt das Gedächtnis nach.        Friedrich Nietzsche

Kuddel

Das Wort "Revolution" hat für mich was romantisches.

Die Welt, die ganzen Entwicklungen, sozial, politisch, militärisch und ökologisch, sie rasen durchweg in eine katastrophale Richtung.

In ner ganzen Reihe von Ländern wehren sich die Menschen gegen einen aufkommenden Faschismus. In Israel ist die Hölle los, seit Monaten gehen Zigtausende auf die Straße, selbst Leute aus der Armee, die den rechtsradikalen Horror aufhalten wollen. Die Bundesregierung und die deutschen Medien stehen eher auf Seiten der ultrarechten Horrorregierung. In Polen ist Abtreibung verboten, Rassismus, Antisemitismus, Militarismus und Katholenkacke sind Staatsdoktrin. In Italien sind Faschisten mit an der Regierung. In den USA tobt der Wahnsinn, da spielt es keine Rolle mehr, ob Trump oder nicht. Da gibt es ein paar positive Entwicklungen bei gewerkschaftlichen Kämpfen, Aufstände hier und da. Aber ansonsten ballern sich die Leute da gegenseitig ab und die Drogenepidemie nimmt absurde Ausmaße an. Diese kaputten Verhältnisse sind nicht zu ertragen, der Ausweg für den Einzelnen: Betäubung und Tod.

Was da überall abgeht ist im Grunde ein Überlebenskampf. Wir werden überrollt von Verhältnissen, die psychisch nicht zu ertragen sind, oder sie nehmen uns im Wortsinne die Lebensgrundlagen. Wir verlieren das Dach über dem Kopf, die Krankenversicherung und die Tafeln können nicht mehr alle ernähren.

Dann gibt es eine Unzahl von Ländern, deren Namen wir kaum kenn, die werden heimgesucht von Waldbränden, Erdrutschen, Überschwemmungen und Dürren.

Dieser Überlebenskampf ist nicht so romantisch, wie meine Vorstellungen von Revolution. All dieser Wahnsinn hätte nicht sein müssen. Es ist das Resultat dieses beschissenen Wirtschaftssystems, Wachstum, Wachstum und nochmal Wachstum.

Diese ganze Scheiße hätte man voraussehen können, haben einige auch, doch es kam schneller als befürchtet.

Kuddel

Wenn Regierungen des Freien Westens zunehmend wie Besatzungen werden...
Regieren mit militärischen Mitteln.

ZitatPolizeigewerkschaften riefen zum Kampf gegen Protestierende auf

Zuvor hatten große französische Polizeigewerkschaften dazu aufgerufen, gegen Protestierende vorzugehen. "Jetzt ist nicht die Zeit für den Arbeitskampf, sondern für den Kampf gegen diese 'Schädlinge'", hieß es in einer von den Gewerkschaften Alliance Police Nationale und Unsa Police veröffentlichten Erklärung. Polizeibeamte befinden sich ihren Worten zufolge "im Krieg".

"Gegenüber diesen wilden Horden reicht es nicht mehr, zur Ruhe aufzurufen, sie muss durchgesetzt werden", teilten die beiden Gewerkschaften mit und fügten hinzu: "Morgen befinden wir uns im Widerstand, das muss der Regierung bewusst werden." Alliance Police Nationale und Unsa Police vertreten etwa die Hälfte aller Polizeibeamten in Frankreich.
https://www.zeit.de/politik/ausland/2023-06/frankreich-unruhen-polizeigewerkschaften-populismus-protestierende-erhoehung-polizei

Kuddel

Erich Fried zum 50. Jahrestag des Putsch in Chile:


Die Wege der Revolution
sind schwer und mühsam
aber der Weg der Konterrevolution
ist einfach
wie der Weg einer Kugel in den Kopf

Kuddel

ZitatIn den letzten Jahren fanden in fast jeder Weltregion große Massenproteste statt. Doch soziale Revolutionen, wie wir sie im 20. Jahrhundert kannten, gibt es nirgends. Warum eigentlich?
https://jacobin.de/artikel/soziale-revolution-urban-massenprotest-demonstration-aufstand

Eine gute Frage.

  • Chefduzen Spendenbutton