Gedanken zu Arbeit und Gesundheit, Kapitalismus und Wohlbefinden

Begonnen von Kuddel, 11:18:08 Sa. 19.Juni 2021

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Kuddel

Der im AK erschienene Text "All die klugen Bücher helfen mir hier nicht weiter" hat mich sehr berührt. Der Autor schreibt: "Vor meinen Augen gehen die Eltern kaputt, doch Linke kommen nur in meiner Welt vor – nicht in ihrer".

Es ist die beste Analyse dieser Zeit seit langem. Die Gedanken beschreiben die schwer faßbaren zerstörerischen Kräfte der Marktwirtschaft und die eigene Hilflosigkeit mit all den noch so richtigen politischen Ideen.

Lest selbst:

https://www.akweb.de/gesellschaft/eltern-linke-und-klassengesellschaft-all-die-klugen-buecher-helfen-mir-hier-nicht-weiter/?fbclid=IwAR2D07do0fjjITlGXDPOAxA0wj5QoLw_t0SmUQ1sV90t4J1G6cGjTbco2Xw

ManOfConstantSorrow

Berechtigte Frage:

ZitatAusgelaugt und überlastet: Menschen in der deutschen Arbeitwelt

Wann endlich stellt eine Bewegung den Widerstand gegen Leistungsdruck und mutwilligen Verschleiß von Lohnabhängigen ins Zentrum ihrer Politik?
https://www.heise.de/tp/features/Ausgelaugt-und-ueberlastet-Menschen-in-der-deutschen-Arbeitwelt-6212780.html
Arbeitsscheu und chronisch schlecht gelaunt!

counselor

Alles ist in Bewegung. Nichts war schon immer da und nichts wird immer so bleiben!

Kuddel

ZitatLohnarbeit und Psyche

Einige persönliche und zugleich systemkritische Überlegungen von Wolfgang Hien über arbeitsbedingte psychische Erkrankungen


Seit der Jahrtausendwende lassen uns diese Themen nicht los: Stress am Arbeitsplatz, Mobbing, Burnout, Depression, Angst vor Arbeitslosigkeit, aber auch Angst vor Arbeit – die Liste ließe sich zwanglos fortsetzen. In praktisch allen Medien gibt es fast wöchentlich Aufmacher dazu, Fallgeschichten, Umfragen, neue Studien. ...
https://gbp.vdaeae.de/index.php/198-2022/2022-3/1394-gbp-3-2022-hien

Ein guter Artikel.

dagobert

"Sie haben die unglaubwürdige Kühnheit, sich mit Deutschland zu verwechseln! Wo doch vielleicht der Augenblick nicht fern ist, da dem deutschen Volke das Letzte daran gelegen sein wird, nicht mit ihnen verwechselt zu werden."
Thomas Mann, 1936

Kuddel

Der Krankenstand steigt und steigt nach einer Zeit, in der sich immer mehr krank zur Arbeit geschleppt haben.

Lassen wir mal Corona außen vor. Es ist und bleibt eine zentrale Frage, wie wir uns fühlen, ob unser Leben erträglich und lebenswert ist. Ich halte das auch für eine politische Frage.

Es ist ein vielschichtiges Problem. Diejenigen, die all die kranken gesellschaftlichen Werte verinnerlicht haben, in denen man nur etwas taugt, wenn man etwas leistet, konnten mit diesem Weltbild auch nur begrenzte Zeit durchhalten. Irgendwann zieht der Körper die Notbremse und spielt nicht mehr mit. Der enorme Anstieg an Depressionen und Burnout dürfte so zu erklären sein.

Gleichzeitig ist die Krankschreibung auch eine politische Waffe in Zeiten, in denen die Gewerkschaften schwach oder unbrauchbar sind und keine Alternative zur Hand ist.

Kollektive Krankschreibungen sind eine recht wirkungsvolle Waffe.

Und sowieso sollten wir stets auf unsere Gesundheit achten und auch Arbeitskollegen darauf ansprechen, wenn sie das aus den Augen verlieren.

Kuddel

ZitatIn Deutschland ist die Zahl der Arbeitsausfälle wegen Depressionen, Angststörungen oder chronischer Erschöpfung gestiegen. Die Krankheitstage aufgrund psychischer Leiden haben 2021 bei einem Rekordwert von 126 Millionen gelegen, berichtet die »Augsburger Allgemeine«  unter Berufung auf Zahlen der Bundesregierung. Im Jahr davor seien es noch 119 Millionen gewesen.
https://www.spiegel.de/wissenschaft/medizin/depressionen-und-angststoerung-bundesregierung-meldet-126-millionen-krankentage-im-jahr-2021-a-38a3af7a-0859-47e4-9786-8a9868c3ae7b

Ich sehe es als Auswirkungen von den global immer schlimmer werdenden Verhältnissen (Klima, Krieg) und den Zuständen am Arbeitsplatz.

Wenn es keine kollektiven Antworten auf diese Belastungen und Bedrohungen gibt, ziehen Körper und Seele die Reißleine und verweigern ein weiteres Mitmachen in diesem Wahnsinn.

Kuddel

Der augenblickliche Zeitgeist empfiehlt die Selbstheilung durch eine Bewußtseinsänderung, durch eine positive innere Einstellung.
Ich bin für dieses Positiv-Thinking und Esokram eh nicht sonderlich empfänglich. Ich halte es aber insgesamt für problematisch, wenn man zuviel in sich hineinhört. Auf lange Sicht tut man sich damit auch selbst keinen Gefallen. Und gesellschaftlich ist dieser Individualismus eh ein Desaster.

Deshal ein kleiner Buchtipp:

Jean-Philippe Kindler:
Scheiß auf Selbstlove, gib mir Klassenkampf!




ZitatLesenswert!

,,Demokratie in der jetzigen Form ist für mich nichts anderes als Kapitalismus mit Wahlen!", sagt Jean-Philippe Kindler, der schon 2018 den Protest gegen Scheinselbstständigkeit bei Deliveroo an der Seite der Aktion gegen Arbeitsunrecht unterstütze. (https://arbeitsunrecht.de/shame-on-you-deliveroo/)

Selflove? Warum? Wenn jeder nur an sich denkt, ist an niemanden gedacht. Wir müssen das individuelle Wohl wieder stärker in Beziehung zum Wohl der Allgemeinheit setzen und Armut, Glück, Klimakrise und Demokratie mehr denn je zu politischen Kampfzonen erklären. Für ein gutes Leben für alle. Für mehr Klassenbewusstein!

«Auf den ersten Blick scheinen junge Menschen ungemein politisch zu sein. Sie sind sprachsensibel, sie sind rassismuskritisch, sie geben bußfertig Beichte über ihre unverdienten Privilegien ab. Sie sind laut Tinder-Biografie äußerst empathisch und kennen ihren Persönlichkeitstyp, sie ernähren sich vegan und verzichten aufs Fliegen ... Jene Konzepte individueller Glücksmaximierung scheinen aber nur auf den ersten Blick ein kulturelles Gegenprogramm zur neoliberalen Anforderung der Selbstoptimierung zu sein. Denn auch in den unzähligen Aufforderungen sich selbst und den unperfekten Körper zu lieben, seine Mitmenschen korrekt und sprachsensibel anzusprechen, sich nachhaltig und emissionsarm zu verhalten, blitzt die Obsession mit dem eigenen Selbst ganz deutlich auf.» Jean-Philippe Kindler
https://arbeitsunrecht.de/produkt/scheiss-auf-selbstlove-gib-mir-klassenkampf/


BGS

"Ceterum censeo, Berolinensis esse delendam"

https://forum.chefduzen.de/index.php/topic,21713.1020.html#lastPost
(:DAS SINKENDE SCHIFF DEUTSCHLAND ENDGÜLTIG VERLASSEN!)

Nikita

ZitatIch halte es aber insgesamt für problematisch, wenn man zuviel in sich hineinhört. Auf lange Sicht tut man sich damit auch selbst keinen Gefallen. Und gesellschaftlich ist dieser Individualismus eh ein Desaster.

Das sehe ich anders. Es wird viel zu wenig, auf sich selbst Acht gegeben, mal komplett zur Ruhe gekommen und in sich reingehört. Mit Individualismus hat das nichts zu tun. Es ist viel einfacher und schädlich, sich selbst zu ignorieren. Wer zu kaputt und gestresst ist, wird auch nichts mit anderen bewegen können.
Äußere Dinge kann ich nur langsam beeinflussen. Sich um sein Inneres und die Gesundheit zu kümmern, kann ich sofort beginnen. Aber nur, wenn ich die Angst davor überwinde.

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