Ohne Hartz IV ginge in jedem sechsten Haushalt das Licht aus

Begonnen von Kater, 02:07:50 Di. 11.Oktober 2005

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Kater

ZitatOhne Hartz IV ginge in jedem sechsten Haushalt das Licht aus
Manche Paare trennen sich pro forma, um mehr Geld zu kassieren
Marlies Emmerich

In Berlin ist mehr als jeder sechste Haushalt von Hartz IV abhängig. Seit Jahresbeginn ist die Zahl der Bedarfsgemeinschaften, die diese staatliche Unterstützung beziehen von 225 000 auf 314 000 im September gestiegen. Das sagte der Sprecher der Regionalagentur für Arbeit, Olaf Möller der Berliner Zeitung. Besonders auffällig ist dabei die Vermehrung der Single-Haushalte. "197 400 Arbeitslosengeld-II-Empfänger sind als Singles gemeldet", sagte Möller. Im Januar waren es fast 50 000 weniger. Allein im letzten Vierteljahr ist der Anteil der Hartz-IV-Singles um 15 000 geklettert.

Nur selten wird kontrolliert

Damit sind deutlich mehr als zwei Drittel aller Haushalte, die vom Arbeitslosengeld II leben, Ein-Personen-Haushalte. Offenbar trennen sich viele Paare pro forma, um das Einkommen des Partners nicht auf ihre Hartz-IV-Unterstützung angerechnet zu bekommen. Auch in den Jobcentern wird beobachtet, dass immer mehr Hartz-IV-Empfänger aus bestehenden Partnerschaften ausziehen. Dass sie dies nur machen, um mehr Geld vom Staat zu erhalten, ist allerdings nur schwer nachzuweisen. Ob die Angaben stimmen und die Trennung nicht bloß vorgeschoben ist - das wird nur in schätzungsweise zehn Prozent der Fälle überprüft. Derzeit sind 402 470 Menschen in Berlin von Hartz IV abhängig. Im Januar waren es 310 331, im Juni 382 000. Zu diesen Menschen gehören neben den eigentlichen Hartz-IV-Beziehern auch Mitglieder ihrer jeweiligen Bedarfsgemeinschaft, also Ehe- oder Lebenspartner sowie minderjährige Kinder, die im selben Haushalt wohnen. Für diese Haushaltsangehörigen kann ebenfalls ein Hartz-IV-Zuschuss beantragt werden - dieser liegt dann aber meist weit niedriger als der monatliche Regelsatz von 345 Euro.

Besonders die wachsende Zahl der Alleinlebenden verursacht mehr Wohn- und Heizkosten. Diese werden von Bund und Land gemeinsam getragen. Allein das Land Berlin muss in diesem Jahr 150 Millionen Euro mehr für Hartz IV ausgegeben als geplant, sagte die Sprecherin der Senatssozialverwaltung, Roswitha Steinbrenner. Bisher seien 950 Millionen Euro vorgesehen gewesen. "Die Kosten sind dramatisch gestiegen", sagte Steinbrenner. Dabei würden die Mietzuschüsse mit durchschnittlich 307 Euro pro Monat und Haushalt niedriger liegen als prognostiziert. Dass Berlin so viel zahlen muss, liegt nach Ansicht der Sozialverwaltung nicht an Scheinumzügen, sondern daran, dass das Land im Gegensatz zu anderen Kommunen deutlich mehr arbeitsfähige Sozialhilfeempfänger übernommen habe.

Und die Kosten könnten noch weiter klettern. Laut Möller legten in Berlin und Brandenburg rund 90 000 Erwerbslose Widerspruch gegen den bewilligten Zuschuss ein. In Berlin haben fast die Hälfte Erfolg, in Brandenburg rund 40 Prozent.

http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/berlin/490628.html

ZitatJeder sechste Berliner Haushalt lebt von Hartz IV
Zahl der Empfänger von Arbeitslosengeld rapide gestiegen / Mehrkosten für das Land
Marlies Emmerich

BERLIN, 10. Oktober. In Berlin gibt es aktuell 197 400 Ein-Personen-Haushalte, die von Arbeitslosengeld II leben - 57 000 mehr als noch zu Jahresbeginn. Nicht wenige Erwerbslose, die von Hartz IV leben, melden sich offenbar aus Wohnungen ihrer Partner ab, um eine höhere Unterstützung zu bekommen.

Vor dieser Entwicklung hatte der damalige Chef der Regionalagentur für Arbeit in Berlin-Brandenburg, Rolf Seutemann, schon im Juni gewarnt und einen weiteren Anstieg der Single-Haushalte prognostiziert. Seutemann hat Recht behalten: Allein in den letzten drei Monaten ist die Zahl dieser Single-Haushalte noch einmal von 181 000 um 16 000 weiter in die Höhe geklettert.

Wie Agentursprecher Olaf Möller der Berliner Zeitung sagte, hat sich auch die Zahl derjenigen, die als Angehörige von Erwerbslosen ebenfalls von Hartz IV abhängig sind, seit Jahresbeginn von 310 331 auf 402 470 im September dramatisch erhöht. Diese Ehepartner oder minderjährigen Kinder von Erwerbslosen leben in insgesamt 314 000 Haushalten.

150 Millionen Euro zusätzlich

Das Land Berlin kommt die Devise der Erwerbslosen - getrennt von Tisch und Bett - teuer zu stehen. Nach Auskunft der Sozialverwaltung sind 150 Millionen Euro mehr nötig als geplant. Bisher seien 950 Millionen Euro vorgesehen gewesen. Doch stattdessen muss sich Berlin mit insgesamt rund 1,1 Milliarden Euro an Wohn- und Heizkosten für die Hartz-IV-Empfänger beteiligen. Nur einen kleinen Teil trägt der Bund. Wie Roswitha Steinbrenner, Sprecherin der Berliner Sozialverwaltung, sagte, müsste das Land Berlin nach den bisher gültigen Vorgaben an den Bund 240 Millionen Euro zurückzahlen. Greifen Pläne für eine weitere Belastung der Kommunen, würde sich dieser Betrag auf 340 Millionen Euro erhöhen.

Sozialsenatorin Heidi Knake-Werner (Linkspartei.PDS) macht allerdings für den hohen Kostenanstieg nicht Scheinumzüge verantwortlich. Die Senatorin verweist darauf, dass Berlin im Gegensatz zu anderen Kommunen sehr viel mehr arbeitsfähige Sozialhilfeempfänger nach Einführung der Hartz-IV-Gesetze übernommen habe. Dies schlage vor allem bei den Kosten zu Buche.
http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/berlin/490512.html?2005-10-11

ZitatWeniger Einkommen durch ALG II
Zum Teil spürbar verschlechtert hat sich durch das neue Arbeitslosengeld (ALG II) die Einkommenssituation der Menschen, die früher Arbeitslosenhilfe bekamen. Das ergaben Berechnungen des Nürnberger Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung.

Keinen Anspruch auf ALG II haben 17 Prozent der Menschen, die früher von Arbeitslosenhilfe lebten.

Weniger Geld als früher bekommt gut die Hälfte (53 Prozent) derjenigen, die jetzt Anspruch auf Arbeitslosengeld II haben. Ihr Nettoeinkommen verringerte sich um durchschnittlich 20 Prozent.

Mehr Geld als früher bekommen etwa 47 Prozent derjenigen, die früher Arbeitslosenhilfe erhielten und jetzt das ALG II beziehen. Ihr Nettoeinkommen stieg um etwa zwölf Prozent.

Zu den Verlierern des ALG II zählen Haushalte von Paaren, in denen ein Partner erwerbstätig ist, sowie ältere Menschen mit relativ hohen Arbeitslosenhilfe-Ansprüchen.

Gewinner der Reform sind nach Erkenntnissen des Nürnberger Instituts vor allem Menschen, deren Arbeitslosenhilfe unter dem Sozialhilfeniveau lag.

http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/politik/490556.html?2005-10-11

Zitat4 000 Klagen
402 470 Berliner leben vom Arbeitslosengeld II - fast 100 000 mehr als noch im Januar.

Widersprüche: In Berlin haben knapp 50 000 Erwerbslose Widerspruch gegen die Höhe des Arbeitslosengeldes II eingelegt, in Brandenburg 40 200. Beim Sozialgericht sind rund 4 000 Klagen oder Eilanträge eingegangen.

Erfolgreiche Einsprüche: In Berlin sind rund 48 Prozent der eingereichten Widersprüche zu Gunsten der Erwerbslosen entschieden worden, in Brandenburg 40 Prozent.

http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/berlin/490626.html?2005-10-11

ZitatOpposition rügt Hausbesuche bei Arbeitslosen
Grüne: Clement macht Erwerbslose mit Anti-Abzocke-Plan zu Sündenböcken
Hartmut Wagner

BERLIN, 10. Oktober. Die Vorschläge von Wirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) zur Missbrauchsbekämpfung beim Arbeitslosengeld II (ALG II) stoßen bei den kleinen Bundestagsparteien auf Kritik. Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen, Thea Dückert sagte der Berliner Zeitung: "Herr Clement sollte sich besser darum kümmern, dass die Arbeitslosen eine vernünftige Betreuung erhalten."

Clement hatte angekündigt, dass Arbeitsagenturen und Kommunen künftig strenger kontrollieren sollten, ob Bezieher von ALG II tatsächlich bedürftig und arbeitswillig sind. Zu diesem Zweck soll es Hausbesuche und Anrufaktionen sowie einen intensiveren Datenaustausch zwischen den Finanzbehörden geben. Außerdem ist geplant, für Arbeitslose ein ganztägiges Trainingsprogramm einzuführen, um Schwarzarbeit zu verhindern.

Aus der Sicht von Dückert gibt es dagegen noch eine ganze Reihe von Missständen bei der Betreuung von Arbeitslosen durch die Arbeitsagenturen, die beseitigt werden müssen, bevor Kontrollen verschärft werden. "Clement macht die Arbeitslosen zum Sündenbock und schreibt ihnen die Verantwortung für die hohe Arbeitslosigkeit zu. Das ist völlig daneben." Wirtschaftsminister Clement verfahre nach dem Motto: Wenn die Arbeitslosenzahlen zu hoch sind, dann wird durch Druck und Kontrollen dafür gesorgt, dass einige Menschen aus der Arbeitslosenstatistik herausfliegen.

Auch FDP-Generalsekretär Dirk Niebel fand markige Worte: "Mit seinem Aktionismus will Clement nur von den Fehlberechnungen beim ALG II ablenken." Dennoch stimmte er dem Wirtschaftsminister grundsätzlich zu: "Der Missbrauch von staatlichen Leistungen muss in jedem Falle verhindert werden. Dazu müssen auch Kontrollmaßnahmen verschärft werden," sagte Niebel dieser Zeitung. Die Vizevorsitzende der Linkspartei-Fraktion Petra Pau hatte Clement vorgeworfen, durch sein Vorgehen verkomme die Agentur für Arbeit "zur Agentur gegen Arbeitslose".

Unterstützung vom Städtebund

Auf Zustimmung stößt das Maßnahmenpaket des Wirtschaftsministers beim Städte- und Gemeindebund. "Um zu verhindern, dass es beim Bezug von Arbeitslosengeld II zu Missbrauch kommt, müssen alle Möglichkeiten genutzt werden," sagte Pressesprecher Uwe Zimmermann der Berliner Zeitung. "Diese Abzocke ist sozial ungerecht und schädigt das Gemeinwesen. Die Vorschläge des Wirtschaftsministers halte ich deshalb für richtig."

Allerdings bezweifelte Zimmermann, dass der ALG-II-Missbrauch ein Massenphänomen ist. "Was man an Missbrauchsfällen aufspüren kann, wird nicht ausreichen, um die fast doppelt so hohen Ausgaben des Bundes für das ALG II zu kompensieren." Der Bund muss in diesem Jahr 26 Milliarden Euro für das ALG II ausgeben, eingeplant waren lediglich 14,6 Milliarden Euro.

http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/politik/490557.html?2005-10-11

ZitatSOZIALDETEKTIV

"Die Zahl der Zahnbürsten ist nicht entscheidend"
Herr Müller, stellen Sie oft fest, dass Paare sich zum Schein wegen Hartz IV trennen?

Das hat zugenommen. Bei Überprüfungen stellen wir dann fest, dass sich die Paare nicht in den angegebenen Wohnungen aufhalten. Häufig bleiben sie aber auch in einer Wohnung und stellen das so dar, als ob sie nur eine Wohngemeinschaft bilden.

Und wie kommen Sie denen auf die Schliche?

Die Sachbearbeiter stellen Unstimmigkeiten in den Akten fest oder es gibt Hinweise.

Das heißt, Nachbarn schwärzen die an?

Das ist keine Seltenheit. Manchmal gibt es aber auch Beziehungsstreitigkeiten, bei denen es nicht unbedingt fair zugeht und dann gibt es auch mal falsche Anschuldigungen.

Und solche Vorwürfe prüfen Sie dann vor Ort?

Ja, wir klingeln, stellen uns vor und fragen, ob wir die Wohnung betreten dürfen. Wenn nicht, weisen wir die Leute auf ihre Mitwirkungspflicht hin und die eventuellen Folgen, die ihnen drohen, wenn sie nicht kooperativ sind.

Wenn Sie rein dürfen, worauf achten Sie?

Wir überprüfen, ob es sich um eine eheähnliche Gemeinschaft handelt. Wir lassen uns in der Wohnung rumführen und fragen, ob wir in den Schrank schauen dürfen, schauen uns persönliche Unterlagen an, immer auf freiwilliger Basis.

Und welche Indizien deuten darauf hin, dass Leute betrügen?

Also die Zahl der Zahnbürsten ist da nicht entscheidend. Ich bin auch alleinstehend und habe drei Zahnbürsten. Wichtig ist das Gesamtbild. Wenn Sie als Frau mit jemanden nur in einer WG leben, dann haben Sie ihre Unterwäsche sicher nicht in der Kommode ihres Mitbewohners. Auch persönliche Unterlagen wie Kontoauszüge sind eher getrennt aufbewahrt. Da muss jeder schon noch seinen Intimbereich haben.

Sind die Leute raffinierter geworden?

Ja. Die bekommen ja auch überall Tipps, zum Teil auf Internetseiten von Parteien. Das macht unsere Arbeit noch schwieriger.

http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/berlin/490629.html?2005-10-11

ZitatKommentar

Die wundersame Zellteilung
Christine Richter

Damit hatte auch im Berliner Senat niemand gerechnet. Seit Anfang des Jahres, also seit der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe, hat sich die Zahl der Arbeitslosengeld-II-Empfänger in Berlin dramatisch erhöht. Wurden im Januar noch 225 000 Haushalte gezählt, waren es Ende September schon 314 000 Haushalte, die von Arbeitslosengeld II leben und damit auch die Unterkunft- und Heizkosten erstattet bekommen. 150 Millionen Euro kostet das mehr als ursprünglich geplant, und bis zum Jahresende kann sich diese Summe noch deutlich erhöhen. Zu viel für die arme Stadt Berlin, zu viel für den Bund.

Der Grund, da gibt es kaum einen Zweifel, liegt in der wundersamen Zellteilung. Langzeitarbeitslose nutzen offenbar die Rechtslage aus und gründen eigenständige Haushalte, um so an zusätzliches Wohngeld zu kommen. Täten sie es nicht, müssten die Paare als eine so genannte Bedarfsgemeinschaft von wesentlich weniger Geld leben. Das Auseinanderziehen, das Ummelden in eine eigene Wohnung, auch wenn man ein Paar bleibt, ist angesichts der Lage des Sozialstaates moralisch verwerflich, rechtlich aber zulässig. Daran ändern kann man im Moment nicht viel, aber auf jeden Fall sollten die neuen Singles, die sich bei den Arbeitsagenturen melden, genau und über einen längeren Zeitraum kontrolliert werden. Denn einige nutzen, wie sich in den letzten Monaten gezeigt hat, die Wohnung nur für kurze Zeit nur zum Schein oder schlimmer noch, vermieten sie unter und betrügen den Sozialstaat damit nun wirklich. Und das kann Berlin weder dulden noch sich leisten.

http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/meinung/490532.html?2005-10-11

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