junge welt: Galeere Telekom21.11.2005 Hans-Gerd Öfinger
»Überschüssige« Beschäftigte des Konzerns werden zwar nicht über Bord geworfen, aber in die Personalservice Agentur »Vivento« abgeschoben»Die Zeiten der Sozialpartnerschaft sind vorbei. Das Kapital hat den sozialen Konsens aufgekündigt«, erklärte Conrad Schuhler. Der Wissenschaftler vom Münchner Institut für Sozial-Ökologische Wirtschaftsforschung (ISW) sprach in der vergangenen Woche auf einer regionalen Betriebsversammlung der Deutschen Telekom in Limburg. Schuhler, der sich intensiv mit den Hintergründen des forcierten Arbeitsplatzabbaus bei der Deutschen Telekom befaßt hat und hierzu schon mehrfach zu regionalen Betriebsversammlungen geladen war, fand in den über 1000 versammelten Telekom-Beschäftigten aus Hessen und Rheinland-Pfalz in der Stadthalle der Domstadt an der Lahn aufmerksame Zuhörer.
Sein Appell, jetzt auf Kampf und Konflikt zu setzen und um jeden einzelnen Arbeitsplatz zu kämpfen, entsprach offenbar den Erfahrungen der versammelten Telekom-Beschäftigten. Mit einer Protestaktion machte eine Gruppe von Gewerkschaftern deutlich, was sie vom System Telekom hält:
In die Gewänder römischer Sklaven gekleidet, ruderten sie auf einer symbolischen römischen Galeere. »Unproduktive« Sklaven wurden über Bord geworfen, die Galeere immer langsamer. Schließlich landeten die Übriggebliebenen völlig ausgelaugt auf einer weiteren Galeere mit dem Namen »Vivento«. Sozusagen auf dem Totenschiff.Wie vor 2000 JahrenWas wie die Übung einer kleinen Theatergruppe anmutete, hat eine realistischen Kern: Vivento ist der Name eine Personal-Serviceagentur der Deutschen Telekom.
Vivento, intern mit »wie wenn tot« übersetzt , fungiert als eine Art konzerninterne Arbeitsagentur, in die »überschüssige« Telekom-Beschäftigte abgeschoben werden. Der Frankfurter Betriebsratsvorsitzende Gerd Grönitz sagte gegenüber jW: »Eigentlich hat sich in den letzten 2000 Jahren im Umgang mit den ›Untertanen‹ nicht viel verändert. Auch die eingesetzten Methoden unterscheiden sich nicht.«
Während ein Vertreter des Telekom-Managements auf der Betriebsversammlung Konkurrenzdruck und Globalisierung als Gründe für den geplanten Abbau von 32000 Arbeitsplätzen bis 2007 anführte und den Beschäftigten ein »freiwilliges« Ausscheiden schmackhaft machen wollte, unterstrichen Vertreter von Betriebsrat und Gewerkschaft, daß die Beschäftigten für hohe Gewinne, eine massive Entschuldung des Konzerns und gute Dividenden für die Aktionäre gesorgt hätten und keine Dispositionsmasse für Vorstände und Aktionärsinteressen seien.
Aufmerksam hatten die Versammelten Schuhlers Ausführungen verfolgt. Die Globalisierung sei keineswegs ein technologischer Sachzwang, sondern ein politisches Fabrikat, so der Wissenschaftler. Dabei sei es schon ein politisches Faktum, daß die Konzerne im »Mutterland« riesige Kapitalüberschüsse erzielten, für die sie dann weltweit Anlagemöglichkeiten suchten.
Der Export von Kapitalüberschüssen werde nicht nur geduldet, sondern auch steuerlich gefördert, so Schuhler.Das Zauberwort der Neoliberalen heiße EVA (Economic Value Added). Dies bezeichnet den nach ihrer Denkungsart vom Unternehmen zu den Kosten hinzugefügten Mehrwert. Im Klartext bedeute dies, daß das Unternehmen ein höheres Ergebnis anstrebe, als die Kapitalgeber mit ihrem Geld irgendwo sonst auf der Welt erzielen könnten: »EVA soll also höher sein, als die Kapitalisten mit ihrem Geld an den Börsen der Welt von den Cayman Islands bis nach Hongkong an Zinsen erzielen könnten«, so Schuhler weiter.Nicht abspeisen lassenAuch bei der Telekom würden unternehmerische Entscheidungen prinzipiell danach getroffen, ob sie den Aktionären einen höheren Kurs oder eine höhere Dividende bringen, erklärte der Referent.
Der frühere »Sozialpartner«, die Belegschaft, sei jetzt bloß noch Personalaufwand, der wie Materialaufwand zu minimieren sei. Früher habe ein Kapitalist einen Arbeiter eingestellt, wenn dessen Arbeitsleistung mehr an Wert brachte als der Arbeiter selbst kostete und dieser Wert über dem nationalen Kapitalzins lag. Diese Zeiten seien längst vorbei. Denn während der Diskontsatz in Deutschland derzeit bei zwei Prozent liege und die Geldzinsen, die Banken zahlen, eher noch darunter, verlange die Telekom eine Verzinsung von acht Prozent. Wenn dieser Maximalzins durch die Arbeitsleistung der Beschäftigten nicht hereinkomme, dann werde eben entlassen bzw. nicht mehr eingestellt.Schuhler verwies darauf, daß selbst der
Porsche-Gesamtbetriebsratsvorsitzende, Uwe Hück, der klassenkämpferischer Parolen unverdächtigt sei, die Folgen der Globalisierung mit den Worten zusammengafaßt hat:
»Die Globalisierung hat eins gebracht: daß die Arbeitgeber sich nach den Gehältern der Amerikaner richten und die Arbeitnehmer sich nach denen der Chinesen.«»Die höchst profitable Entwicklung der Telekom geht eindeutig zu Lasten der Beschäftigten«, lautete Schuhlers Fazit, der die Versammelten dazu aufrief, sich nicht mit Vorruhestand oder Abfindungen abspeisen zu lassen, die in den meisten Fällen nur den Weg in die Altersarmut wiesen. Daher sei ein zäher Kampf um jeden Arbeitsplatz angesagt: »Das Interesse der Menschen an Arbeit und existenzsichernden Einkommen ist moralisch höher zu bewerten als das Profitstreben der anderen Seite«, erklärte Schuhler.