Die hartzsche Krankheit

Begonnen von Klassenkampf, 12:18:05 Mo. 09.Januar 2006

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Klassenkampf

Nein, damit ist keine Geschlechtskrankheit, durchmachter brasilianischer Nächte gemeint, sondern etwas anderes, vom gleichen "Erzeuger":

ZitatKrank durch Hartz IV
 
Armutsexperten warnen vor mangelhafter medizinischer Versorgung von Obdachlosen und Epidemien


von Gisela Kirschstein

Mainz - Wer obdachlos ist, stirbt im Schnitt zehn Jahre früher als die normale Bevölkerung. Die Spirale aus Leben auf der Straße, Krankheit und letztlich Tod könnte sich in Zukunft noch schneller drehen: Der Verein "Armut und Gesundheit in Deutschland" warnt davor, daß sich die medizinische Versorgung von Obdachlosen und Armen verschlechtert. Die Folgen könnten für die gesamte Bevölkerung fatal sein: Wenn Kranke nicht rechtzeitig behandelt werden, könnten sich hochansteckende Krankheiten wie Tuberkulose ausbreiten.

"Seit der Einführung der Hartz IV-Gesetze gehen viele Wohnungslose seltener zum Arzt", sagt Professor Gerhard Trabert, Experte, Mitbegründer des Internationalen Armutskongresses und Arzt beim Mainzer Verein Armut und Gesundheit. Trabert hat ein Wirrwarr bei der Krankenversicherung für Obdachlose als Grund ausgemacht: Bis zur Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe zum Arbeitslosengeld (ALG) II waren Wohnungslose meist in der Sozialhilfe und somit automatisch krankenversichert.

Das änderte sich zum 1. Januar 2005: Mit der Einführung von Hartz IV wandelten sich viele Obdachlose auf dem Papier von Sozialhilfe- zu ALG-II-Empfängern - und wurden als erwerbsfähig eingestuft. "Die Kommunen haben ein Interesse daran, weil dann der Bund zahlt", sagte Trabert. "Das Prozedere setzt sich bundesweit durch."

Zwischen 150 000 und 180 000 alleinstehende Wohnungslose gibt es nach Schätzungen der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe bundesweit. Rund ein Viertel davon übernachtet permanent im Freien, etwa 80 bis 90 Prozent benötigen dauerhaft ärztliche Hilfe. "Der Gesundheitsstatus dieser Menschen ist katastrophal", sagt Trabert, der selbst seit zehn Jahren mit einem Arztmobil im Kreis Mainz-Bingen Obdachlose medizinisch betreut.

Seit dem Start von Hartz IV fielen diese Menschen nun zusätzlich durch das Raster der Zuständigkeiten: Die Kommunen schöben die Obdachlosen den Job-Centern zu, doch wer Arbeitslosengeld II erhält, muß sich selbst versichern und Zuzahlungen sowie Praxisgebühr aufbringen. "Bei einem Tagessatz von 11,50 Euro lautet für viele die Wahl: Esse ich oder gehe ich zum Arzt?", sagt Trabert.

Dazu verweigerten die Krankenkassen den Betroffenen mangels permanenter Wohnung häufig Chipkarten. "Für viele müssen wir jeden Monat einen neuen Antrag stellen, oft wissen wir gar nicht, ob unsere Patienten versichert sind", berichtet der Arzt. Weil der Versicherungsschutz fehlt, gehen die Obdachlosen oft nicht zum Arzt, werden Krankheiten später erkannt - und können sich ausbreiten. "Die Kollegen aus dem gesamten Bundesgebiet bestätigen, daß die Tuberkulose-Fälle zunehmen", sagt Trabert. Eine Umfrage Anfang dieses Jahres soll Zahlenmaterial sammeln.

Auch für die Sozialeinrichtungen hat die Neuregelung gravierende Folgen: Viele medizinische Anlaufstellen sind in ihrer Existenz gefährdet, weil die Behandlung Obdachloser nicht mehr bezahlt wird. 50 bis 60 solcher Einrichtungen gebe es davon im Bundesgebiet, schätzt Trabert. Etwa die Hälfte könnte demnächst schließen müssen.

Reiches, armes Deutschland: Grundrecht Gesundheit wird mit Füßen getreten. Die Reformer wähnen sich als krankheitsresistent, anders ist diese Entwicklung nicht zu deuten. Wo die vernunftorientierten Gedanken, daß wir alle nackt und ausgeliefert sind, womit wir jedem das zusprechen sollten, was uns selbst nicht widerfahren sollte?

Ach Max Liebermann, immer wieder kommt er mir in den Sinn - er ist so aktuell wie schon lange nicht mehr...

Quelle
,,Diese Verhältnisse sind nicht die von Individuum zu Individuum, sondern die von Arbeiter zu Kapitalist... Streicht diese Verhältnisse, und ihr habt die ganze Gesellschaft aufgehoben."
--- Karl Marx, "Das Elend der Philosophie" ---

Wilddieb Stuelpner

ZitatOriginal von Klassenkampf
... Ach Max Liebermann, immer wieder kommt er mir in den Sinn - er ist so aktuell wie schon lange nicht mehr...

Vergiß nicht den Adolph Menzel. den Pinselheinrich Zille in seinem Milljöh, den Otto Nagel und die Käthe Kollwitz mit ihren sozialkritischen Arbeiterbildern.



Max Liebermann, Das Mädchen des Schusters



Max Liebermann, In der Konservenfabrik



Adolph Menzel, Das Eisenwalzwerk, 1875



Heinrich Zille



Heinrich Zille



Heinrich Zille



Heinrich Zille



Otto Nagel,
Alter Arbeiter, um 1923, Pastell



Otto Nagel, Kartoffelesser



Otto Nagel, Lorenkipper



Otto Nagel,
In der Waschküche, 1934, Pastell



Käthe Kollwitz, Brot



Käthe Kollwitz, Nie wieder Krieg


Käthe Kollwitz, Die Schlesischen Weber aus dem Zyklus Ein Weberaufstand nach Anregung zu Gerhart Hauptmanns Drama "Die Weber"

Klassenkampf

Kein ausgezeichneter Kunstkenner der ich bin, vielen Dank für diese Auswahl die Sie präsentierten. Vor allem Menzels Eisenwalzwerk ist bedrückend - wie nur kann man behaupten, in diesem Millieu, stinkend, schwül und dreckig, stecke die Wurzel subjektiven Glücks. Die Arbeitsplätze sehen heute anders aus, weniger bedrückend sind viele davon nicht.

Aber um bei dem zu bleiben, was ich versuchte zum Ausdruck zu bringen. Immer wieder schwebt mir Liebermanns Reaktion beim Fackelzug der Nationalsozialisten unter den Linden im geistigen Auge, mit geistiger Stimme vor: "Ach, wissen Se, ick kann jar nich soviel fressen, wie ich kotzen möchte."

Das ist der erste Spruch, der mir auf dem Lippen liegt, wenn ich dergleichen lesen oder hören muß - fein ist er nicht, aber grundehrlich.
,,Diese Verhältnisse sind nicht die von Individuum zu Individuum, sondern die von Arbeiter zu Kapitalist... Streicht diese Verhältnisse, und ihr habt die ganze Gesellschaft aufgehoben."
--- Karl Marx, "Das Elend der Philosophie" ---

Wilddieb Stuelpner

"Ick bin keen Kunstkenner" würde ich anstelle Liebermann sagen. Man hat's halt noch in Erinnerung. Das ist alles auf dem Mist der sozialistischen Kunsterziehung der allgemeinbildenden 10klassigen polytechnischen Oberschulen (POS) der DDR gewachsen.

In den letzten Jahren hatten wir auch das Thema Bildende Kunst in Verbindung mit Themen aus der Arbeitswelt. Und daran erinnert man sich auch noch nach mehr als 33 Jahre Abstand zur Schulentlassung.

Uns wurde in dem Rahmen auch die Theater-, Musik- und Filmwelt oder die verschiedenen Baustile nahe gebracht, begleitet mit schulischen Exkursionen. Kostenlose Bildung - das kann sich keine Schule heutzutage beim normalen Nachwuchs mehr leisten. Hier zeigt sich der bildungsmäßige und kulturell ungerechtfertigte Vorteil der machthabenden Elite, da finanziell auf sicheren Fundament.

Ich hatte z.B. meine Abschlußarbeit im Fach Kunsterziehung zum Thema Stilleben, speziell zu Vicent Willem van Gogh angefertigt und konnte auf Recherchematerial der Dresdner Fotothek zurückgreifen. Die Fotothek befand sich damals in Nähe des Fürstenzugs, heute ist sie auf dem Zellescher Weg in Dresden zu finden.

Vicent van Gogh impressionistische Bilder dürften bekannt sein



Sonnenblumen



Fischerboote am Strand von Saintes-Maries



Le Pont de l'Anglois



Blühender Mandelzweig



Porträt des alten Bauers Patience Escalier



Souvenir de Mauve

Ein andermal waren wir als Klasse in der Galerie Alte Meister und im Grünen Gewölbe. Zur Jugendweihefahrt besuchten wir das Sowjetische Ehrenmal in Berlin-Treptow und die Aufführung "Schweyk im Zweiten Weltkrieg" im Berliner Brecht-Ensemble am Schiffbauerdamm.



Brecht-Ensemble, heute Berthold-Brecht-Platz Berlin

In der DDR konnte man sich solche Besuche in Kinos, Theater, Museen etc. noch leisten, heute eine Utopie. Zum Glück ist die hiesige Stadtbibliothek noch gebührenfrei, wobei das Angebot recht bescheiden ist.
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Das das Zitat von Max Liebermann zum Fackelumzug der Nazis stammt, kannte ich nun wiederum nicht. Man lernt nie aus. Das Zitat wird sogar auf der Wikipedia-Seite von Max Liebermann erwähnt:

"Als er vom Fenster seiner Wohnung am Brandenburger Tor den Fackelaufmarsch anlässlich der Machtergreifung Hitlers sah, soll Liebermann gesagt haben: 'Ich kann gar nicht so viel fressen wie ich kotzen möchte.' "


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