Gesetz könnte Arme obdachlos machen

Begonnen von Kater, 12:24:06 Fr. 10.März 2006

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Kater

ZitatGesetz könnte Arme obdachlos machen

Kommunen dürfen Mietschuld künftig kaum noch übernehmen / Niedriglöhner fallen durch das Netz

Viele von Wohnungsverlust bedrohte Menschen haben künftig keine Möglichkeit mehr, die Übernahme von Mietschulden zu beantragen. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAGW) warnt vor einem Anstieg der Obdachlosigkeit.

Frankfurt a. M. · Mit dem Änderungsgesetz zum Sozialgesetzbuch (SGB) II, das der Bundestag am 17. Februar beschlossen hatte, wurde auch die Mietschulden-Übernahme neu geregelt. Bisher durften Kommunen, deren Einwohner - etwa wegen Überschuldung oder Arbeitslosigkeit - ihre Miete nicht mehr zahlen konnten, die aufgelaufenen Mietschulden übernehmen; dafür gibt es künftig keine gesetzliche Grundlage mehr, warnt Christoph Schneider vom Kieler Amt für Wohnen und Grundsicherung.

Der Passus im SGB II wurde so geändert, dass Mietschulden nur noch Personen erstattet werden dürfen, die ohnehin schon laufende Leistungen für Unterkunft oder Heizung bekommen - etwa alle Bezieher von Arbeitslosengeld (ALG) II. Folgt der Bundesrat am heutigen Freitag der Entscheidung des Bundestags - womit gerechnet wird -, wird nach Auffassung von Thomas Specht-Kittler, Geschäftsführer der BAGW, "das Rad der Geschichte um 37 Jahre zurückgedreht". 1969 nämlich hätten die Kommunen angesichts wachsender Arbeitslosigkeit, Überschuldung und Obdachlosigkeit eine Gesetzesänderung erreicht, die ihnen ermöglichte, Mietschulden zu übernehmen: das Sozialhilfegesetz als Waffe gegen Obdachlosigkeit.

Städtetag prüft Folgen

Künftig aber fallen Niedriglöhner, Ich-AGs und auch Arbeitslose, denen das ALG-I-Geld nicht zum Leben reicht, durch das Netz. Können sie länger als zwei Monate ihre Miete nicht bezahlen, droht ihnen der Verlust der Wohnung, und die Kommune darf nicht helfen, warnt Christoph Schneider.

Laut BAGW sind 40 Prozent der von Wohnungsverlust Bedrohten betroffen. Schneider rechnet vorsichtiger mit 15 Prozent: "Das hieße, dass 129 Menschen in Kiel jedes Jahr ihre Wohnung verlieren würden. Die Kosten für deren Unterbringung sind 7,5 Mal höher als die für die Mietschulden."

Obwohl in das Gesetzgebungsverfahren einbezogen, haben sich die kommunalen Verbände wie Städtetag und Landkreistag still verhalten. Der Deutsche Städtetag war auf Anfrage der FR nicht zu einer Stellungnahme bereit. "Wir prüfen noch die Folgen für unsere Mitglieder", hieß es.

Kritisch sehen die Fachleute zudem, dass künftig selbst ALG-II-Empfänger die Mietschuldenübernahme nur als Darlehen bekommen. Nur in Ausnahmen dürfe davon abgewichen werden. "Das Darlehen muss sofort aus dem ALG-II-Regelsatz zurückgezahlt werden, und das ist natürlich sehr problematisch", sagt Specht-Kittler und warnt vor einem Anstieg der Zahl überschuldeter Haushalte. Auch Schneider sagt: "Wer seine Wohnung verliert, ist meist überschuldet. Ein Darlehen macht keinen Sinn."

Sollte der Bundesrat die Änderungen beschließen, bleibt der BAGW nur noch eine Hoffnung: das Optimierungsgesetz zum SGB II, das noch im März als Referentenentwurf vorgelegt und im Juli in Kraft treten soll. Da müsse der Bundesrat das Problem noch einmal aufgreifen. Frauke Hass

http://www.fr-aktuell.de/ressorts/nachrichten_und_politik/nachrichten/?cnt=822759

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