Der lange Arm der türkischen Armee

Begonnen von Kater, 23:33:44 Mo. 10.April 2006

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Kater

Zitat"Das türkische Militär muß in die Kasernen zurückkehren"

Gespräch mit dem türkischen Ex-Staatsanwalt Ümit Kardas über den Einfluß der Generäle auf das Recht
von Boris Kalnoky

Ümit Kardas ist eine Ausnahmeerscheinung in der Türkei: Nach einer Karriere als Militärstaatsanwalt stellt er seit Jahren die Militärjustiz und überhaupt die Rolle des Militärs in der türkischen Politik in Frage. Mit ihm sprach Boris Kalnoky.

Die Welt: Herr Kardas, Sie prangern seit Jahren den Einfluß des Militärs auf Politik und Justiz an. Warum?

Ümit Kardas: Weil es das größte Hindernis für die Türkei darstellt auf dem Weg zu einer echten Demokratie. Seit dem ersten Militärputsch von 1960 hat das Militär seinen Griff auf das Justizsystem ständig ausgebaut. Militärgerichte können über Zivilisten zu Gericht sitzen, damit gehen sie weit über die traditionelle Funktion von Militärgerichten hinaus, lediglich Disziplin innerhalb der Streitkräfte zu gewährleisten.

Welt: Das türkische Militär sieht sich traditionell ja als Garant der Demokratie. In diesem Sinne äußern sich die Generale gelegentlich zu politischen Entwicklungen. Was ist so bedenklich an derartigen Äußerungen?

Kardas: Allein das ist eigentlich illegal. Nach Paragraph 148 des Militärstrafgesetzbuches dürfen sich Angehörige der Streitkräfte nicht öffentlich zur Politik äußern. Tun sie aber andauernd, und noch nie wurde der Paragraph gegen irgendeinen Offizier angewandt. Warum es bedenklich ist? Das Militär betrachtet die Bürger nicht als mündig, sondern als fehlerhaft. Wenn die Militärs nicht aufhören, die Politik zu bevormunden, kann nie eine Demokratie der mündigen Bürger entstehen.

Welt: Was schlagen Sie vor?

Kardas: Der Nationale Sicherheitsrat, ein Gremium, bei dem lange die eigentliche Macht im Staat lag und größtenteils noch liegt, sollte abgeschafft werden. Das Militär, das wie eine politische Partei funktioniert, mit dem Unterschied, daß es sich nie vor den Wählern verantworten muß, sollte sich in die Kasernen zurückziehen. Gesetze, die es verbieten, das Militär in Frage zu stellen, gehören umgeschrieben oder gestrichen. Es gibt in dem Sinne bei uns ja keine Meinungsfreiheit. Man darf nicht gegen das Militär sprechen.

Welt: Ist das so? Sie selbst haben viel gegen das Militär gesagt und geschrieben, ohne Probleme zu bekommen.

Kardas: Nicht jeder ist so glücklich wie ich. Es gibt aber bei uns viele Prozesse gegen Leute, die das versucht haben.

Welt: Kürzlich beantragte ein Staatsanwalt Ermittlungen gegen den designierten Generalstabschef Büyükanit. Da ging es um außerrechtliche Gewalt gegen Kurden, der Fall von Semdinli, bei dem Geheimdienstmitarbeiter selbst einen Anschlag auf eine Buchhandlung verübten. Das Militär hat den Fall abgeschmettert.

Kardas: Ja, und das kommt einem Freispruch ohne Gerichtsverhandlung gleich. In einem Rechtsstaat hätte der Staatsanwalt ermitteln dürfen, bei uns hängt es von einer Erlaubnis der Militärs ab.

Welt: Wie solche Ermittlungen abgewürgt werden, haben Sie als Militärstaatsanwalt selbst erfahren müssen?

Kardas: Ja, ich war Anfang der achtziger Jahre im Südosten eingesetzt. Mir wurde ein Fall von Folter an kurdischen Zivilisten durch türkische Militärs vorgebracht, und ich beschloß zu ermitteln. Ich war damals wohl der einzige Militärstaatsanwalt, der solchen Dingen nachgehen wollte. Ich mußte einen Offizier zu der Sache vernehmen. Vorher kam der Kommandant zu mir, reiner Small talk, aber ich verstand den Wink. Dann rief ich den Offizier herein, und nach der Vernehmung wurde ich ins Büro des Kommandanten bestellt. Da war auch der Offizier, sie unterhielten sich in bestem Einvernehmen. Auch das war ein Wink. Ich habe trotzdem weiterermittelt und ein Verfahren eingeleitet. Aber mir wurde der Fall entzogen, und ich wurde in einen anderen Landesteil versetzt.

Welt: Sie werden als Kurdensympathisant angegriffen. Andere nennen Sie einen Sympathisanten der islamisch orientierten Regierungspartei AKP, immerhin schreiben Sie in der proislamischen Zeitung "Zaman".

Kardas: Ich unterstütze die AKP nicht. Sie kann das Land nicht demokratisieren, denn ihr fehlt der Mut für eine Konfrontation mit den Militärs. Und ich bin kein Kurde, aber die Kurden vertrauen mir, weil ich damals bereit war, Ungerechtigkeiten fair nachzugehen. Und auch, weil ich klar sage: Wir haben ein Kurdenproblem, und es muß gelöst werden.

Artikel erschienen am Fr, 7. April 2006

http://www.welt.de/data/2006/04/07/870746.html


ZitatJagd auf den Jäger:
Der lange Arm der türkischen Armee
 
VON HELMAR DUMBS (Die Presse) 31.03.2006
 
Gegen kriminelle Aktivitäten des Heeres ist die Justiz chancenlos.
 
Ankara/Wien. Dass die türkische Armee in den Kurdengebieten nicht immer im Rahmen der Gesetze agiert, ist bekannt, Kritik daran gefährlich. Dies bekam jüngst ein Staatsanwalt in Van zu spüren. Was er tat, war eine regelrechte Majestätsbeleidigung: General Yasar Büyükanit, Chef der Landstreitkräfte, soll eine kriminelle Gruppe aufgebaut haben, die in den Kurdengebieten des Landes illegale Geschäfte tätigte.

Diese Anschuldigung war in einer Anklageschrift versteckt, die sich eigentlich gegen zwei Unteroffiziere richtete: Die beiden sollen im November an einem Bomben-Attentat auf einen kurdischen Buchhändler in Semdinli beteiligt gewesen sein, der einst zur PKK gehörte. Damals gab es einen Toten, der Anschlag selbst wurde von einem PKK-Überläufer durchgeführt.

Der Konnex zum General: Büyükanit habe die Verdächtigen zu schützen versucht. Der Staatsanwalt empfahl dem Generalstab, dass sich die Militärjustiz der Sache annimmt. Dass ein ziviler Ermittler sich mit der Militärspitze anlegt, ist eine kleine Revolution und in der Türkei ohne Beispiel. Brisant sind die Vorwürfe alleine schon deshalb, weil Büyükanit als aussichtsreichster Nachfolger von Hilmi Özkök als Generalstabschef gilt.

Seither hat eine regelrechte Hetzjagd eingesetzt. Freilich nicht auf den General, sondern auf den Staatsanwalt: Die Anklage sei "ein Coup gegen das Militär", wetterte etwa Oppositionsführer Deniz Baykal (Republikanische Volkspartei). Und Erkan Mumcu von der Mutterlandspartei warf Staatsanwalt Ferhat Sarikaya sogar vor, sich einer PKK-Terminologie zu bedienen und politische Motive zu haben. Armee-freundliche Medien rückten Sarikaya in die Nähe der regierenden AKP-Partei von Premier Erdogan. Diese wolle um jeden Preis verhindern, dass Büyükanit Generalstabschef werde.

Dass viele Militärs mit der islamischen AKP alles andere als glücklich sind ist kein Geheimnis. Das Verhältnis ist nicht erst seit dem unerschrockenen Vorgehen des Staatsanwalts gespannt. Die Armee beobachtet die Annäherung der Türkei an die EU skeptisch, weil sie einen Verlust ihres noch immer starken Einflusses befürchtet.

Dieser Einfluss zeigte sich in der Causa Büyükanit wieder deutlich: Kaum war Generalstabschef Özkök bei Premier Erdogan vorstellig geworden, pries dieser das Militär in den höchsten Tönen als "Juwel dieses Landes". Und Justizminister Cemil Çiçek leitete eine Untersuchung gegen Staatsanwalt Sarikaya ein, der eine Disziplinarstrafe ausfasste. Der Generalstab wischte die Vorwürfen gegen Büyükanit vom Tisch, mit der schlichten Begründung, Ermittlungen seien "unnötig".

Für die Türkei ist mit der ganzen Causa eine Situation entstanden, in der ihr Image nur Schaden nehmen kann. Zum einen, weil erneut die zwielichtige Rolle der Armee in den Kurdengebieten klar zu Tage trat. Zum anderen, weil die Intervention des Generalstabs bei der Regierung und deren Vorgehen gegen den Ermittler einen Beleg lieferte, wie es um die Unabhängigkeit der Justiz am Bosporus bestellt ist - und wer dort noch immer das letzte Wort hat.

http://www.diepresse.com/Artikel.aspx?channel=p&ressort=a&id=548930

Kater

ZitatKein Recht auf Verweigerung
Hitzige Debatte um Wehrdienst in der Türkei

Die Türkei ist neben Aserbaidschan der einzige von 46 Staaten im Europarat, der keine Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen zulässt. Allerdings regt sich dagegen immer mehr Kritik. Inzwischen laufen Gerichtsverfahren, und die öffentliche Aufmerksamkeit wächst. Gunnar Köhne berichtet aus Istanbul.

Im Istanbuler Kulturzentrum Lambda, einem Treffpunkt für Schwule und Lesben: Still und blass sitzt Mehmet Tarhan mit einigen Freunden am Tisch und hört ihrer Unterhaltung zu. Dem 28-Jährigen mit den schulterlangen Haaren sind die Ereignisse der vergangenen Monate immer noch anzusehen. Im April vergangenen Jahres war Tarhan von einem Militärgericht wegen Kriegsdienstverweigerung zu vier Jahren Haft verurteilt worden. Doch das war erst der Anfang einer monatelangen Qual:

"Ich wurde in das Militärgefängnis in Tokat verlegt. Am Tage meiner Ankunft wurden die Mithäftlinge von den Wärtern gegen mich aufgehetzt: Ich sei ein Verräter und hasste mein Land, hieß es. Ich wurde fast gelyncht. Danach war ich fast ständig in Einzelhaft. Doch der psychische Druck und die Übergriffe durch Soldaten gingen weiter. Sie zwangen mich, mir meine Haare schneiden und mich rasieren zu lassen. Hinterher hatte ich überall im Gesicht und auf dem Kopf Schnittwunden."

Nach elf Monaten Gefängnis kam Tarhan vorläufig frei. Der Student hätte sich die Haftstrafe ersparen können, wenn er auf seine Homosexualität verwiesen hätte. Homosexualität gilt in der Türkei immer noch als unvereinbar mit dem Soldatentum, weshalb Schwule als "psychisch gestört "aus dem Militärdienst entlassen werden. Doch Tarhan - einer von etwa 50 Kriegsdienstverweigerern in der Türkei - argumentierte als Pazifist und bestand auf seinem Recht auf Kriegsdienstverweigerung. Dafür bekam er im In- und Ausland viel Unterstützung, unter anderen von der Istanbuler Autorin Perihan Magden. Für einen von ihr verfassten Zeitschriftenbeitrag mit dem Titel "Kriegsdienstverweigerung ist ein Menschenrecht" steht Magden heute vor Gericht. Vorwurf: "Aufforderung zur Wehrdienstverweigerung", strafbar nach Paragraf 118 Strafgesetzbuch, Höchststrafe: drei Jahre Gefängnis.

"Seit Gründung der Republik gibt es bei uns die Verherrlichung des Militärischen. In den Grundschulen müssen die Kinder immer noch geloben, ihr Blut für das Vaterland zu vergießen. Diese absurde Anbetung der Armee haben wir verinnerlicht. Und wenn das jemand in Frage stellt, dann ist das zuviel für sie, dann drehen sie durch."

Sie - damit meint die Schriftstellerin die türkische Armeeführung. Sie weigert sich das Recht auf Kriegsdienstverweigerung anzuerkennen - und will an Mehmet Tarhan und Perihan Magden offenbar ein Exempel statuieren. Erst kürzlich hatte der Europäische Gerichtshof geurteilt, die türkische Praxis, Kriegsdienstverweigerer wiederholt einzuberufen, bis zu acht Mal wegen Befehlsverweigerung zu verurteilen und nicht aus dem Militärdienst zu entlassen, sei "unverhältnismäßig". Und auch aus der EU wächst der Druck auf den Beitrittskandidaten, Kriegsdienstverweigerung endlich möglich zu machen. Der Europaabgeordnete der niederländischen Grünen, Joost Lagendyk, setzt sich für Perihan Magden und das Kriegsdienstverweigerungsrecht in der Türkei ein:

"Bei dieser Frage sollten wir wirklich standfest bleiben. Weil, dieses Recht ist Teil unserer Europäischen Traditionen - und am Ende müssen sich alle europäischen Länder dieser Norm beugen. In Zypern zum Beispiel kann man zwar nicht den Militärdienst verweigern, aber wenigstens innerhalb der Kasernen einen waffenlosen Dienst absolvieren. Ich erwarte, dass in der Türkei eine ähnliche Lösung gefunden wird."

Doch derzeit deutet in Ankara wenig auf eine solche Reform hin. Im Gegenteil: Angesichts der wieder aufgeflammten Kämpfe mit der kurdischen PKK wird vielerorts lautstark die nationale Verteidigungsbereitschaft beschworen. Und Frauen wie Perihan Magden müssen sich von den Nationalisten Verrat vorwerfen lassen. Der Schriftstellerin graust es vor dem Gerichtstermin:

"In diesen Gerichtssaal zu gehen, mit diesem Staatsanwalt zu reden und mich für etwas rechtfertigen zu müssen, was ich geschrieben
habe - das ist für mich psychologische Folter. Es ist ein Skandal."

http://www.dradio.de/dlf/sendungen/europaheute/508129/

Kater

ZitatKritik gegen türkisches Militär: Journalistin freigesprochen

Ankara. AP/baz. Eine türkische Journalistin ist vom Vorwurf der Aufhetzung der Bevölkerung gegen das Militär freigesprochen worden. Perihan Magden musste sich wegen kritischer Äusserungen zur Wehrpflicht vor einem Gericht in Ankara verantworten. Am Donnerstag entschieden die Richter, Magdens Artikel zur Unterstützung eines Wehrdienstverweigerers enthalte harsche Kritik, die im Rahmen der Pressefreiheit jedoch zulässig sei und deshalb kein Verbrechen darstelle.

In dem Artikel des Magazins «Yeni Aktuel» vom Dezember hatte die Journalistin einen Wehrdienstverweigerer unterstützt, der keine Uniform tragen wollte und deshalb zu vier Jahren Haft verurteilt wurde. In der Türkei müssen alle Männer über 20 Jahre Wehrdienst leisten; die rechtliche Möglichkeit der Verweigerung besteht nicht. Die Europäische Union, der die Türkei beitreten möchte, hat dies mehrfach kritisiert.

Magden, der bei einer Verurteilung drei Jahre Haft gedroht hätten, ist die bislang letzte einer ganzen Reihe von Autoren und Journalisten, die trotz des Drucks der EU wegen kritischer Medienberichte vor Gericht gestellt wurden. Der bekannteste von ihnen ist der Friedenspreisträger Orhan Pamuk, der sich wegen seiner Äusserungen zur Verfolgung der Kurden in der Türkei verantworten musste. Sein Prozess wurde im Januar eingestellt.

http://www.baz.ch/news/index.cfm?ObjectID=AF3E8E7A-1422-0CEF-70DE7D1F81946ECA

Kater

ZitatTürkischer Kriegsdienstverweigerer verurteilt        
Samstag, 14. Oktober 2006  
Militärgericht verhängt Haftstrafe von 25 Monaten gegen Mehmet Tarhan

Sivas (ppa). Der am 9. März 2006 nach elf Monaten aus der Haft entlassene türkische Kriegsdienstverweigerer Mehmet Tarhan wurde am Freitag vom Militärgericht in Sivas zu insgesamt 25 Monaten Haft verurteilt. Damit revidierte das Gericht seine im August 2005 getroffene Entscheidung, die vom Berufungsgericht aufgehoben worden war. Die Anwältin Suna Coskun legte Berufung gegen das Urteil ein. Mehmet Tarhan selbst war nicht zum Prozess erschienen und entging somit einer weiteren Inhaftierung.

Nach Bekanntwerden des Urteils erklärte Rudi Friedrich von Connection e.V.: "Angesichts der Bereitschaft der Europäischen Union, Beitrittsverhandlungen mit der Türkei aufzunehmen, zeigt die erneute Verurteilung von Mehmet Tarhan, dass die Türkei nicht gewillt ist, die Menschenrechte anzuerkennen."

Mit dem Urteil verstößt die Türkei gegen wiederholte Empfehlungen internationaler Gremien, wie dem Menschenrechtsausschuss der Vereinten Nationen oder der Parlamentarischen Versammlung des Europarates. Zuletzt hatte das Europäische Parlament am 28. September 2006 seine Besorgnis über die Urteile gegen Kriegsdienstverweigerer in der Türkei ausgesprochen und darauf hingewiesen, dass "das Recht auf Kriegsdienstverweigerung in der Europäischen Charta der Grundrechte anerkannt ist".

Das Gericht ignorierte mit der Entscheidung auch ein im Januar 2006 ergangenes Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte, mit dem die türkische Praxis als "unverhältnismäßig" angesehen wurde, Kriegsdienstverweigerer wiederholt einzuberufen, bis zu acht Mal wegen Befehlsverweigerung oder Desertion zu verurteilen und nicht aus dem Militärdienst zu entlassen.

Connection e.V. verurteilt aufs Schärfste die Strafverfolgung von KriegsgegnerInnen in der Türkei. "Die Türkei muss das Menschenrecht auf Kriegsdienstverweigerung unverzüglich und uneingeschränkt anerkennen", ergänzte Rudi Friedrich. "Die Kriminalisierung von Kriegsdienstverweigerern, AntimilitaristInnen und Deserteuren muss beendet werden."

Mehmet Tarhan hatte im Jahre 2001 seine Kriegsdienstverweigerung öffentlich erklärt. Er hatte auch deutlich gemacht, dass er nicht wegen seiner Homosexualität ausgemustert werden möchte, da er dies als einen "faulen Kompromiss" ansieht. Die Türkei erkennt das Menschenrecht auf Kriegsdienstverweigerung nicht an.

Am 8. April 2005 war Mehmet Tarhan festgenommen und einberufen worden. Da er jede Zusammenarbeit mit dem Militär verweigert hatte, klagte ihn das Militär wegen "Ungehorsam vor versammelter Mannschaft" an. Am 9. Juni 2005, dem dritten Prozesstag, wurde Mehmet Tarhan aus der Haft entlassen, jedoch sofort den Militärbehörden überstellt und erneut einberufen. Damit begann eine zweite Runde von Einberufung, Verweigerung, Anklage wegen Befehlsverweigerung und Haft. Zudem war Mehmet Tarhan im Militärgefängnis in Sivas mehrmals misshandelt worden.

Am 10. August 2005 wurde Mehmet Tarhan vom Militärgericht in Sivas wegen zweimaliger Befehlsverweigerung zu insgesamt vier Jahren Haft verurteilt. Das Militärberufungsgericht hob diese Entscheidung am 9. März 2006 auf und entließ Mehmet Tarhan aus der Haft. Bei einem endgültigen Urteil sei mit großer Wahrscheinlichkeit keine höhere Haftstrafe zu erwarten, als er bis dahin verbüßt hatte. Zugleich wies das Gericht darauf hin, dass Mehmet Tarhan weiter Militärdienst ableisten müsse. Es gab das Verfahren zur Urteilsfindung erneut an das Militärgericht in Sivas zurück.

Die Behandlung und Verurteilung von Mehmet Tarhan hatte eine internationale Unterstützungskampagne für Kriegsdienstverweigerer in der Türkei ausgelöst. Viele Organisationen, Gruppen und Einzelpersonen setzten sich für bessere Haftbedingungen und die sofortige Freilassung von Mehmet Tarhan ein.  

http://linkszeitung.de/content/view/60381/45/

Kater

aus der katholischen Presse:

ZitatKirchenasyl in Koblenz: Bischof Marx kritisiert staatliches Vorgehen

Deutsche Polizisten drangen unerlaubt in katholische Kirche ein

TRIER, 9. November 2006 (ZENIT.org).- Der Trierer Diözesanbischof Reinhard Marx hat am Mittwoch scharfe Kritik am staatlichen Vorgehen zur Beendigung eines Kirchenasyls in Koblenz geübt. ,,Der Staat hat sich hier gewaltsam über das von der Kirche gewährte Asyl hinweggesetzt", erklärte der katholische Oberhirte.

Der Bischof räumte ein, dass die staatlichen Instanzen zwar innerhalb der Rechtsordnung gehandelt hätten, bekräftigte allerdings zugleich, dass er mit Blick auf die Verhältnismäßigkeit der Mittel und auf den bisher unstrittigen Respekt vor dem besonderen Charakter von Kirchen dieses Vorgehen weder gutheißen noch billigen könne.

Das Bistum Trier informierte Anfang November die Öffentlichkeit über die gewaltsame Beendigung des Kirchenasyls für die seit über zehn Jahre in Koblenz lebende kurdische Familie Yildirim. Etwa 30 Beamte in Zivil und Uniform waren zwischen 7.00 und 8.00 Uhr in die Kirche St. Peter in Koblenz-Neuendorf eingedrungen, um die Familie mit ihren drei in Deutschland geborenen Kindern Serhat (10), Cebrail (7) und Emine (5) abzuschieben.

Wie die Pfarrgemeinde St. Peter (Koblenz-Neuendorf und Koblenz-Wallersheim) mitteilte, ,,haben sich die Beamten nicht gescheut, auch auf die Kirche zuzugreifen", obwohl vom Amtsgericht lediglich ein Beschluss zur Durchsetzung der Abschiebung für Pfarrhaus und Jugendheim vorgelegen worden sei. Alle Eingänge zur Kirche seien von der Polizei abgeriegelt worden.

Auch der lautstarke Protest von etwa 40 Menschen (vgl. Erklärung der Diözese Trier) habe die Polizei von ihrem Vorgehen nicht abhalten können. Einer protestierenden Frau sei von einem Polizisten auf den Kopf geschlagen worden. Zeugen der Abschiebung hätten zugesehen, ,,wie die Familie – getrennt voneinander – in die bereitstehenden VW-Busse verfrachtet und in Richtung Flughafen transportiert wurde". Die Familie wohnte seit 11. Oktober im Pfarrhaus und seit dem 29. Oktober in einem Saal über der Kirche.

Die Pfarrgemeinde berichtete, dass die kurdische Familie seit zehn Jahren in Deutschland in Kettenduldung lebe. Dem Mann werde in der Türkei Kriegsdienstverweigerung vorgeworfen, weil er den zivilen bewaffneten Dienst als so genannter ,,Dorfschützer" unter Kommando der türkischen Armee verweigert habe. Sein Engagement gegen den Kriegsdienst habe er auch in Deutschland fortgesetzt. In der Türkei erwarte ihn nun aufgrund der neuen Anti-Terror-Gesetze Einzelhaft bis zu einem halben Jahr ohne anwaltlichen Kontakt. Sein Prozess sei bereits vom Amtsgericht Nusaybin an das Schwerstrafgericht in Diyarbarkir übertragen worden.

,,Wir sind zutiefst empört und schockiert: Das hätten wir weder Ministerpräsident Beck noch Oberbürgermeister Schulte-Wissermann zugetraut", sagte Thomas Corsten, Pfarrer der Kirchengemeinde von St. Peter. Und Barbara Bernhof-Bentley vom Pfarrgemeinderat betonte: ,,Wir haben mit der Familie zusammen gelebt. Wir kennen ihre Angst und Verzweiflung. Hier wird deutlich, wozu ,Recht und Gesetz' führen: Abschiebung, Einzelhaft, vielleicht sogar Folter, Traumatisierung der Kinder, Entzug der Lebensgrundlage." Die Frau hatte sich ,,als Zeichen ihres zivilen Widerstandes mit einem Schal an einem Polizeiauto festgebunden, der ihr dann zerschnitten wurde".

Schon im August hatte sich Bischof Marx um eine Klärung der Situation bemüht; alle Bemühungen um den Verbleib der Familie waren aber seitens des rheinland-pfälzischen Innenministeriums abgelehnt worden.

http://www.zenit.org/german/visualizza.phtml?sid=97915

Kater

ZitatConnection e.V.
Gerberstr. 5, 63065 Offenbach
Tel.: 069-82375534, Fax: 069-82375535
E-Mail: office@Connection-eV.de
//www.Connection-eV.de
 
Türkei: Kriegsdienstverweigerer zu mehr als 15 Monaten Haft verurteilt

Solidaritätsdemonstration für Halil Savda wurde angegriffen

Pressemitteilung vom 20. März 2007

Der Menschenrechtsverein Istanbul berichtet, dass ihr Vorstandsmitglied Halil Savda am 15. März 2007 vom Militärgericht in dem westlich von Istanbul gelegenen Corlu zu einem Jahr Haft wegen "Desertion" und zu dreieinhalb Monaten wegen "fortgesetztem Ungehorsam" verurteilt wurde. Halil Savda ist erklärter Kriegsdienstverweigerer und bereits seit dem 7. Dezember 2006 in der Einheit der 8. Panzerbrigade in Tekirdag inhaftiert.

Der Menschenrechtsverein sieht die Verurteilung von Halil Savda als Versuch, andere Kriegsdienstverweigerer einzuschüchtern: "Wir verurteilen schärfstens die staatlichen Repressionen gegen all diejenigen, die sich für das Recht auf Kriegsdienstverweigerung einsetzen. Die Verurteilung von Halil Savda stellt den Versuch dar, sie zu entmutigen. Wir sagen jedoch: Kriegsdienstverweigerung ist ein Menschenrecht."

Die Gruppe der UnterstützerInnen von Halil Savda wurde in Corlu von Rechtsextremen angegriffen. Aus Corlu berichteten UnterstützerInnen: "Wir waren mit 30 Personen nach Corlu gekommen. Aufgrund der begrenzten Besucherplätze konnten nur 15 in den Gerichtssaal gehen, wir anderen warteten vor der Kaserne im Park. Dabei waren wir umringt von der Polizei. Dennoch konnten 25-30 Personen eindringen und uns angreifen. Die Polizei nahm niemanden von den Angreifenden fest, sieben von uns erlitten Verletzungen durch Pfefferspray und Schläge der Polizei."

Die Türkei verfolgt Kriegsdienstverweigerer auf zweierlei Art und Weise. Zum einen wird das Recht auf Kriegsdienstverweigerung nicht anerkannt. Verweigerer wie Osman Murat Ülke oder Mehmet Tarhan wurden wegen Befehlsverweigerung bzw. Ungehorsam bis zu sieben Mal verurteilt. Zum anderen werden öffentliche Äußerungen gegen das Militär, wie die öffentliche Erklärung der Kriegsdienstverweigerung, unter Strafe gestellt. Etwa 50 Wehrpflichtige haben bislang öffentlich ihre Kriegsdienstverweigerung erklärt. Zudem entziehen sich in der Türkei Zehntausende der Ableistung des Militärdienstes.

Connection e.V. bittet um Unterstützung von Halil Savda:
- durch Protestschreiben an:
Generalstab des türkischen Militärs; Fax: 0090-312-4250813
Präsident der Türkischen Republik, Ahmet Necdet Sezer, Cankaya Kosku, Sehit Ersan Caddesi, No. 14, Çankaya, Ankara, Turkey; Fax: 0090-312-4271330.
Ein E-Mail an den türkischen Präsidenten Ahmet Necdet Sezer kann über folgenden Link versandt werden: http://wri-irg.org/co/alerts/20061207a.html.

- durch Solidaritätsbriefe an:
Halil Savda, 5. Kolordu Komutanligi, Askeri Cezaevi, Corlu Tekirdag, Türkei

- durch Spenden auf das Türkeisolikonto 7085701 bei der Bank für Sozialwirtschaft, BLZ 370 20 500.

gez. Rudi Friedrich

Weitere Informationen unter http://www.connection-ev.de/Tuerkei/savda.html oder 069-82375534.

Chronologie des Falles Halil Savda
1974 wurde Halil Savda Sirna/Cizre geboren und besuchte dort die Hauptschule.
1993 wurde er festgenommen und für einen Monat in Sirnak/Cizre inhaftiert. Während der Haft wurde er wiederholt gefoltert. Das Staatssicherheitsgericht verurteilte ihn schließlich wegen "Unterstützung einer illegalen Organisation (PKK)".
1996 wurde er zum Militärdienst einberufen, wo er seine Grundausbildung ableistete. Nach der Grundausbildung kam er aber dem Marschbefehl zu einer anderen Einheit nicht nach.
1997 wurde er erneut verhaftet, das Staatssicherheitsgericht in Adana verurteilte ihn wegen "Mitgliedschaft in einer illegalen Organisation (PKK)" zu einer Haftstrafe von 15 Jahren.
18.11.2004: Er wurde aufgrund von Änderungen des türkischen Strafgesetzbuches aus der Haft entlassen und wegen seiner Desertion der Gendarmerie in Antep überstellt. Hier wurde er sechs Tage lang in eine Isolationszelle gesperrt.
25.11.2004: Halil Savda wurde ,,seiner Einheit" in Corlu-Tekirdag überstellt. Dort erklärte er, dass er aufgrund der von ihm 1993 erlittenen Folter nicht als Soldat dienen könne. In einem Brief an den Kommandeur erklärte er seine Kriegsdienstverweigerung.
16.12.2004: Das Militärgericht in Corlu verhört ihn und nahm ihn im Anschluss wegen ,,Beharren auf Ungehorsam" fest.
28.12.2004: Er wurde nach der Verhandlung freigelassen, zugleich aber aufgefordert, sich zur Ableistung des Militärdienstes bei ,,seiner Einheit" zu melden. Dieser Aufforderung kam er nicht nach. Er ging stattdessen nach Hause.
4.1.2005: Halil Savda wurde vom Militärgericht in Corlu wegen ,,Beharren auf Ungehorsam" zu 3 Monaten und 15 Tagen Haft verurteilt. Er legte Berufung gegen das Urteil ein.
13.8.2006: Das türkische Militärberufungsgericht hob die Entscheidung im Verfahren vom 4.1.2005 wegen Verfahrensfehlern auf.
21.10.2006: In Istanbul wurde die Plattform zur Kriegsdienstverweigerung gegründet, an der sich 15 türkische Organisationen und Parteien beteiligen. Halil Savda wurde zum Sprecher der Plattform benannt.
7.12.2006: Das Militärgericht in Corlu nahm das Verfahren wegen ,,Beharren auf Ungehorsam" wieder auf.
25.1.2007: Das Militärgericht in Corlu entließ ihn aus der Haft, überstellte ihn allerdings der Einheit der 8. Panzerbrigade in Tekirdag. Dort wurde er aufgefordert, eine Uniform anzuziehen, was er erneut verweigerte. Daraufhin wird er ein weiteres Mal angeklagt.
26.1.2007: Er wurde von vier Wachhabenden der Arrestanstalt in der Militäreinheit in Tekirdag schwer misshandelt und drei Tage lang nur mit seiner Unterwäsche bekleidet in eine Zelle ohne Sitz- und Schlafgelegenheit gesperrt.
15.3.2007: Vom Militärgericht in Corlu wurde Halil Savda zu einem Jahr wegen Desertion und dreieinhalb Monaten wegen Ungehorsam verurteilt.

http://www.nadir.org/nadir/initiativ/isku/erklaerungen/2007/03/14.htm

Kater

ZitatAbiturient bangt ums Bleiberecht
Asyl: Kriegsdienstverweigerer Özden Ugurlu droht in der Türkei Haft – Für die deutschen Behörden dennoch kein klarer Fall
 
Özden Ugurlu lebt seit sieben Jahren in Rüsselsheim. Im Sommer diesen Jahres hat der dann 24 Jahre alte Türke sein Fachabitur in der Tasche. Er träumt von einem technischen Studium. Und von einem Leben ohne Angst. Denn in Deutschland lebt der Abiturient nur mit einer Bescheinigung über seine Duldung, die vorerst Anfang Mai 2007 auslaufen soll. Özden Ugurlu hat kein längerfristiges Bleiberecht, obwohl ihm seit sieben Jahren in der Türkei Haft und der Zwang zum Militärdienst drohen. Bei einer Weigerung würde ihm das drakonische türkische Militärdienstrecht drohen.
Mit 16 Jahren hatte der Kurdischstämmige aus der Provinz Tunceli den Kriegsdienst verweigert. Als Kurde wolle er nicht in der türkischen Armee dienen, sagt Ugurlu auch heute. Kritik an Menschenrechtsverletzungen durch die Armee wird in der Türkei schwer geahndet. Eine Forderung des Europarates nach Einführung des Rechts auf Kriegsdienstverweigerung hat die Türkei zuletzt 2004 zurückgewiesen. In der Türkei werde jeder Mann als Soldat geboren und sterbe auch als solcher. Der Wehrdienst sei der Dienst des Propheten, hieß es in der Begründung.

Für den jungen Rüsselsheimer Türken ist eine solche Auffassung unvorstellbar. ,,Ich habe alles gegeben, um das Bleiberecht zu bewirken", sagt er, ,,jetzt kann ich nur noch auf die Unterstützung anderer Menschen hoffen." Der Schüler wird von der Menschenrechtsorganisation Amnesty International auf seinem Weg durch die deutschen Behörden und Gerichte begleitet. ,,Außerdem stehen meine Lehrer voll hinter mir", sagt er. ,,Aber helfen können sie auch nicht."

Anfang Juni kann er seinen Fall beim Verwaltungsgericht in Darmstadt erläutern. Ugurlu erhofft sich von der Vorladung, endlich seine gesamte Geschichte darlegen zu können. Denn für die deutschen Behörden scheint der Fall unklar zu sein. Sie hatten zunächst ein Bleiberecht zugestanden, später jedoch nur noch eine Petitionsduldung eingeräumt. ,,Für das Verwaltungsgericht ist meine Verfolgung in der Türkei nicht nachgewiesen", sagt Ugurlu. Die Echtheit der Unterlagen aus der Türkei werde angezweifelt.

Außerdem wird dem jungen Türken angekreidet, dass er sich überhaupt gegen den Wehrdienst gestellt hat. Er hätte die Verpflichtung auch genauso gut annehmen können, so wie viele andere auch, werde argumentiert. Im vergangenen Jahr hatte der Schüler von seinen Verwandten 1000 Euro erhalten, um das türkische Verfahren von Deutschland aus überprüfen zu lassen; allerdings ohne nennenswerte Ergebnisse, sagt Ugurlu.

Die Türkei hatte dem damals 17 Jahre alten Gymnasiasten die Unterstützung einer terroristischen Organisation vorgeworfen und Ermittlungen eingeleitet, an deren Ende ein Verfahren stehen kann, das eventuell auch wegen Beleidigung der Streitkräfte durchgeführt wird. Ugurlu hatte sich in seiner Begründung gegen die Ableistung des Wehrdienstes äußerst kritisch geäußert, indem er den Wehrdienst in einer Armee verweigerte, ,,die den Kurden ihre Rechte raubt und Menschen unter Folter umbringt." In seiner Heimat habe er in der Schule aus Angst vor türkischen Bewohnern nie seine kurdische Identität offen gelegt. Ein solches Verhalten sei bei weitem keine Seltenheit in der Türkei, sagt Ugurlu.

Özden Ugurlu ist wegen seiner Angst, abgeschoben und in der Türkei verurteilt zu werden, seit 2003 in psychologischer Behandlung. Dem Verwaltungsgericht liegt ein psychologisches Gutachten vor, das die psychische Belastung und eine Vielzahl von Gesundheitsstörungen des jungen Mannes attestiert.

Die politischen Verhältnisse in seiner Heimat haben sich noch nicht normalisiert, so dass er stets Verfolgung und Gefängnisaufenthalt befürchtet. ,,Ich habe viel geweint deswegen", sagt Özden Ugurlu. ,,Jetzt hoffe ich nur, dass in den nächsten Wochen doch noch das Bleiberecht zustande kommt."

http://www.echo-online.de/suedhessen/template_detail.php3?id=458196

Kater

ZitatUnd wieder soll Osman Ülke in den Knast

Dauerverfolgung des Kriegsdienstverweigerers. Türkisches Militär ignoriert europäisches Gerichtsurteil
Von Frank Brendle

Die türkischen Behörden wollen Osman Murat Ülke erneut ins Gefängnis stecken. Entgegen einer Entscheidung des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs erhielt der Kriegsdienstverweigerer vor wenigen Tagen eine Ladung zum Haftantritt bis zum heutigen Mittwoch. Der 36jährige Ülke hatte im September 1995 seine Kriegsdienstverweigerung erklärt und die Einberufungspapiere öffentlich verbrannt: »Wir wollten den allgegenwärtigen Militarismus mit gewaltfreien Methoden des zivilen Ungehorsams in Frage stellen.«

Kriegsdienstverweigerung wird in der Türkei als schwere Straftat verfolgt, Gewissensgründe zählen nicht, einen Ersatzdienst gibt es nicht. Auf Ülkes Verweigerung reagierten die Behörden mit einem schier endlosen Prozeß- und Inhaftierungsmarathon. Ülke wurde festgenommen und wegen Befehlsverweigerung eingesperrt. Zwischendurch wurde er wieder freigelassen und sollte sich bei »seiner« Luftwaffenbasis melden. Statt dessen ging er seiner Arbeit im Verein der Kriegsgegner Izmir nach –was ihm erneute Verhaftungen wegen Fahnenflucht einbrachte. Bis 1999 verbrachte Ülke 701 Tage in Haft. Seither schien er »vergessen« worden zu sein, blieb jedoch illegalisiert, ohne gültige Papiere und mußte jederzeit mit erneuter Verhaftung rechnen.

Einen Lichtblick schien das im Januar 2006 ergangene Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu bieten: Der türkischen Militärjustiz warfen die Richter vor, »unvereinbar mit dem Strafrecht einer demokratischen Gesellschaft« zu agieren. Ülke sei zum Opfer »einer unendlichen Serie von Verfolgung und Bestrafung geworden, die seine Persönlichkeit unterdrücken und ihn entwürdigen« solle. Dem Pazifisten wurde eine Entschädigung über 10000 Euro zugesprochen. Die hat er auch erhalten. Doch sonst änderte sich nichts, so daß das Ministerkomitee des Europarates im Februar 2007 schließlich die türkischen Behörden kritisierte. Diese hätten keine Anstalten unternommen, »um die durch das Gericht befundenen Verletzungen zu beenden«. Im Juni versicherte die Regierung in Ankara, es sei ein Gesetz in Vorbereitung, das Mehrfachbestrafungen von Kriegsdienstverweigerern vermeiden und die Situation von Ülke legalisieren werde.

Statt dessen erhielt Ülke nun die Aufforderung, eine angeblich noch ausstehende Haftstrafe über 17 Monate und 15 Tage anzutreten. Gegen diesen Affront der Militärstaatsanwaltschaft müsse der Europarat protestieren und die Aufhebung des Bescheides verlangen, fordert Ülkes Anwalt Kevin Boyle.

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http://www.jungewelt.de/2007/07-18/002.php

Kater

ZitatWird Murat Ülke erneut inhaftiert?
Haftbefehl gegen Kriegsdienstverweigerer
 
Der türkische Kriegsdienstverweigerer Osman Murat Ülke ist erneut von Haft bedroht. Zwischen 1996 und 1998 war er bereits acht Mal verurteilt worden und insgesamt 701 Tage inhaftiert. Nun wurde er abermals aufgefordert, eine Haftstrafe anzutreten.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hatte die Türkei am 24. Januar 2006 verurteilt, da sie im Fall Ülke gegen Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention verstoßen habe. ND befragte Murat Ülke.

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ND: Vor wenigen Tagen haben Sie einen Haftbescheid erhalten, demzufolge Sie innerhalb weniger Tage eine noch zu verbüßende Haftstrafe von über 17 Monaten anzutreten haben?
Murat Ülke: Nicht ganz. Mir wurde mitgeteilt, dass ich mich bei der Militärstaatsanwaltschaft melden solle und dass es gegen mich eine Haftstrafe von 17 Monaten und 15 Tagen gibt. Auf Nachfrage meiner Anwältin hat sich herausgestellt, dass einfach meine früheren Haftstrafen zusammengezählt wurden, ohne dass das, was ich schon abgesessen habe, abgezogen wurde.

Hat sich die Sache also erledigt?
Keineswegs. Seit Dienstag letzter Woche müsste es gegen mich einen Haftbefehl geben, da die Frist abgelaufen ist. Unserer Rechnung von 1999 zufolge, als ich freigelassen wurde – und auf diese Zeit bezieht sich diese Haftstrafe auch –, müsste ich dem Staat drei bis sieben Tage Haft schuldig sein. Aber nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ist auch das nicht mehr gültig.

Aber die Türkei ignoriert dieses Urteil, in dem Ihr Leben im Geheimen als »ziviler Tod« gegeißelt wurde. Hat Ihr Appell an das Ministerkomitee des Europarates vom 11. Juli schon konkrete Auswirkungen auf das Verfahren gehabt?

Das können wir noch nicht abschätzen. Uns erscheint es recht klar, dass die Militärstaatsanwaltschaft von dem Urteil nicht informiert wurde. Das Außenministerium ist dafür zuständig, dass die verschiedenen Gremien innerhalb des Staates informiert werden und dann Lösungen erarbeiten, um dem Urteil gerecht zu werden. Das hat offenbar nicht stattgefunden.

Das heißt, Sie sind optimistisch, dass das Verfahren mit einer Haftverschonung endet?

Nein, nicht unbedingt. Denn wir haben keinen einheitlichen Staat vor uns. Es kann durchaus passieren, dass die Militärstaatsanwaltschaft sagt: »Wir haben einen bestimmten gesetzlichen Rahmen vor uns und an den halten wir uns. Solange die gesetzlichen Rahmenbedingungen nicht geändert werden, können wir auch nicht anders handeln und inhaftieren diesen Menschen.«

Hängt das auch damit zusammen, dass es in der Türkei keine gesetzliche Regelung zur Kriegsdienstverweigerung gibt, Sie also als Deserteur behandelt werden?

Genau. Das ist der konkrete rechtliche Grund. Darüber hinaus akzeptiert das Militär die politischen Entscheidungen der Regierung nicht, und schon gar nicht solche, bei denen es ums Militär geht. Es könnte sehr gut sein, dass das Militär, allein um der zivilen Regierung im Prozess des EU-Beitritts Probleme zu bereiten, solch eine Inhaftierung anordnet.

Wie geht es nun weiter?

Das können wir nicht genau sagen. Neben dem Appell an das Ministerkomitee des Europarates haben wir auch hier in der Türkei Beschwerde eingelegt, aber noch keine Antwort erhalten. Und wir versuchen, im Ausland so viel Druck wie möglich zu erzeugen. Das heißt nicht einfach nur Öffentlichkeitsarbeit, sondern auch auf der Ebene von Politikern, Abgeordneten, Ministerien. Der Türkei muss gesagt werden, dass dieses Vorgehen sofort aufzuhören hat, weil es eindeutig im Widerspruch zum Urteil des Europäischen Gerichtshofs steht.

Gibt es darüber hinaus Unterstützergruppen?

Wir haben erst einmal mit der Lobbyarbeit auf der politischen Ebene angefangen. Aber an dieser Arbeit sind sehr viele Gruppen beteiligt. Es gibt in den meisten westeuropäischen Ländern und den USA Gruppen, die zu meinem Fall arbeiten.

Wie ist das in der Türkei selbst? Auch Ihr Fall hat damals dazu geführt, dass eine antimilitaristische Bewegung in der Türkei entstanden ist. Was ist davon übrig geblieben?

Es gibt ca. 60 Kriegsdienstverweigerer in der Türkei und eine lose Initiative, die Kriegsdienstverweigererplattform in Istanbul, die dazu arbeitet. Aber leider ist die antimilitaristische Bewegung nach langen Jahren der Repression sehr geschwächt. Es ist also sehr schwierig, jetzt konkrete Solidarität zu organisieren. Deshalb läuft zur Zeit mehr im Ausland. Aber wir werden sehen, wie es nach den Wahlen weitergeht. Wir haben klare Zusagen von den beiden unabhängigen Kandidaten Ufuk Uras und Baskin Oran und auch von anderen, dass sie unsere Sache im Parlament vertreten werden.

Fragen: Andreas Knobloch

Weitere Informationen:
//www.connection-ev.de; //www.ippnw.de; //www.dfg-vk.de; //www.graswurzel.net

http://www.nd-online.de/artikel.asp?AID=113396&IDC=2

Kater

ZitatEin Leben lang verweigern

Über acht Mal wurde Osman Murat Ülke von türkischen Militärgerichten als Deserteur verurteilt, in den vergangenen zehn Jahren verbrachte der erste inhaftierte türkische Kriegsdienstverweigerer über 700 Tage im Gefängnis. Trotz eines anderslautenden Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte will ihn der türkische Staat erneut einsperren. Dass die Debatte zum Thema Kriegsdienstverweigerung in der Öffentlichkeit derzeit verhindert wird, liegt möglicherweise auch an den militärischen Zielen der türkischen Armee im Nordirak. von sabine küper-büsch, istanbul

Als Osman Murat Ülke am 1.?September 1995 seinen Einberufungsbefehl zum Militärdienst auf einer Pressekonferenz in der westtürkischen Großstadt Izmir demonstrativ verbrannte, wurde der 24jährige mit den langen Haaren innerhalb eines Tages als erster bekennender Wehrdienstverweigerer in der Türkei bekannt. Er begründete die türkische Antimilitarismus-Bewegung, deren Symbolfigur er bis heute ist.

Das hatte für ihn harte Konsequenzen. Seit seinem Bekenntnis zur Kriegsdienstverweigerung lebt er in einem Zustand, den der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte 2006 als »zivilen Tod« bezeichnete. Weil es in der Türkei kein Recht auf Wehrdienstverweigerung gibt, wurde Ülke mehrmals als Deserteur inhaftiert. Insgesamt verbrachte er 701 Tage in Militärgefängnissen, 24 Tage davon in Einzel- und Dunkelhaft, bis er mit einem Hungerstreik reguläre Haftbedingungen erwirkte.

Im Jahr 2006 hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die türkische Regierung wegen unverhältnismäßiger Strafverfolgung im Fall Ülke verurteilt. Der türkischen Militärjustiz warfen die Richter vor, dass ihr Gebaren »unvereinbar mit dem Strafrecht einer demokratischen Gesellschaft« sei. Ülke sei zum Opfer »einer unendlichen Serie von Verfolgung und Bestrafung geworden, die seine Persönlichkeit unterdrücken und ihn entwürdigen«, hieß es in der Urteilsbegründung. Der türkische Staat wurde zur Zahlung einer Entschädigung von 11?000 Euro ver urteilt.

Der 36jährige Familienvater begann zu hoffen, dass nun die Anklage wegen Desertion entfällt und dass er beispielsweise endlich seine Freundin Aytül, die Mutter seines vierjährigen Sohnes, heiraten kann. Seit seiner Verurteilung besitzt er keinen gültigen Pass mehr, er kann weder heiraten, reisen, wählen noch eine reguläre Arbeit annehmen. Doch die Türkei weigerte sich, die Urteile des Europäischen Gerichtshofs anzuerkennen. Am 9.?Juli wurde an die Adresse von Ülkes Eltern im west anatolischen Ayvalik eine Aufforderung zum Haftantritt zugestellt. Er soll erneut in ein Militärgefängnis – für mehr als 17 Monate.

Warum gerade jetzt? Ülkes Anwältin Hülya Ücpinar glaubt, dass dem Militärgericht die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs möglicherweise gar nicht vorliegt. Ülke selbst befürchtet jedoch politische Zusammenhänge. Seit Monaten herrscht an der Grenze zum Nordirak Mobilmachung. Der türkische Generalstab versucht, die Regierung dazu zu bewegen, die Erlaubnis für einen Einmarsch zu bekommen, um die Lager der PKK auszuheben. Bereits jetzt rücken viele Einheiten an die Grenze, und es kommt immer wieder zu Gefechten mit Einheiten der PKK, bei denen auch türkische Soldaten fallen. In der türkischen Bevölkerung macht sich Unwillen breit, denn immer häufiger sterben dabei Wehrdienstleistende. Generalstabschef Yasar Büyükanit erklärte vor zwei Wochen, die Türkei bilde derzeit eine Spe zial einheit aus, die den Antiterror-Kampf übernehmen soll. Bis dahin werden jedoch weiter einfache Soldaten in die Berge zum Kampf ziehen.

Eine öffentliche Debatte über das Recht auf Kriegsdienstverweigerung passt der militärischen Führung deshalb momentan überhaupt nicht. Auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte in Sachen Ülke wurde bislang nicht reagiert, denn dann müsste sich die Türkei mit diesem juristischen Problem auseinandersetzen. Sie zog es bislang vor, die Angelegenheit auszusitzen.

Seit der Staatsgründung begreift sich die türkische Armee als Hüterin des Landes. Jeder Mann ist vom 20.?Lebensjahr an so lange wehrpflichtig, bis er den Wehrdienst abgeleistet hat, der acht bis 15 Monate dauern kann. Es gibt kein Recht auf Verweigerung und auch keinen Zivildienst wie in anderen europäischen Ländern.

Ülkes Verweigerung des Wehrdienstes hat einen Hintergrund in seiner Kindheit. Er wurde 1970 in Ründeroth, Nordrhein-Westfalen, geboren. Im Alter von 15 Jahren war der begabte Schüler bereits politisch engagiert, schrieb für die Schülerzeitung und nahm an Friedensdemonstrationen teil. Aus Angst, dass sein Sohn sich in der Türkei nicht mehr werde integrieren können, beschloss sein Vater in den achtziger Jahren, ihn auf ein Internat in der Türkei zu schicken.

Der Schüler kam auf eine Lehranstalt, in der besonders strenge Regeln galten. Erst später wurde es ihm klar, dass es sich um das Pilotprojekt des fundamentalistischen Politikers Fethullah Gülen handelte. Ülke, der anfangs erst Türkischkurse besuchen musste, kam mit den strengen Regeln nicht zurecht. Für ihn war alles nur menschenfeindlich, und bald lebte er mit Selbstmordgedanken. Eine Lehrerin verständigte seine Eltern und rettete ihn damit. Nach der Krise machte Ülke auf dem Internat seinen Schulabschluss. »Politisch zu denken und zu leben, hat mich am Leben gehalten. Sonst hätte das Internat mich kaputtgemacht«, sagt er heute. Mitt lerweile leben etwa 60 erklärte Wehrdienstverweigerer in der Türkei.

Das Thema Militärdienst ist auch für viele in Deutschland lebende Türken im wehrpflichtigen Alter ein Problem. Lebt ein türkischer Staatsangehöriger im Ausland, muss er bis zu seinem 38. Geburtstag die Wehrpflicht ableisten. Die einzige Alternative stellt der bedelli askerlik dar, eine Art gebührenpflichtiger Wehrdienst, der die Zahlung einer Summe von 5?100 Euro sowie einen 21tägigen »Grundwehrdienst« in der Türkei vorsieht. Wird die Altersgrenze von 38 Jahren überschritten, erhöht sich die Summe fürs Freikaufen auf 7?668 Euro. »Je älter, desto gereifter«, scheint dabei als Prinzip zu gelten, denn mit über 40 Jahren sind schon 10?000 Euro zu zahlen. Im Ausland lebende türkische Staatsbürger müssen sich bis zu ihrem 38. Geburtstag entscheiden, ob sie zahlen oder nicht. Wenn sie sich entziehen, gelten sie als Deserteure und können nicht mehr in die Türkei reisen, ohne Gefahr zu laufen, verhaftet und in ein Militärgefängnis gesteckt zu werden.

Eine Lösung dieses Problems wäre die Annahme der deutschen Staatsbürgerschaft. Dies muss jedoch geschehen, bevor die Altersgrenze von 38 überschritten ist. Erfolgt die Einbürgerung nicht rechtzeitig, gehört der Aspirant auf die deutsche Staatsbürgerschaft nach türkischer Gesetzgebung zur Kategorie der Deserteure. Das eigentliche Problem an der Sache sind die gesetzlichen und bürokratischen Prozeduren. Der Ausbürgerungsantrag bei den diplomatischen Vertretungen der Türkei soll schließlich eine Urkunde des türkischen Innenministeriums zur Folge haben, die einen aus der türkischen Staatsbürgerschaft entlässt. Dies ist für die »Auslandstürken«, wie sie vom türkischen Staat bezeichnet werden, der letzte Schritt zum Erhalt eines deutschen Passes. Diesen Antrag auf »Entlassung aus der türkischen Staatsangehörigkeit« kann der »Auslandstürke« jedoch erst dann stellen, wenn er davor die »Einbürgerungszusicherung« der deutschen Behörde hat. Er muss beim Ausbürgerungsantrag dem Generalkonsul dieses Papier vorlegen. Danach hat das türkische Konsulat die Angelegenheit wie einen Trumpf in der Hand. Der türkische Generalkonsul teilt dann das Ergebnis seiner Entscheidung nur persönlich mit. Statt eine schriftliche Antwort auf den schriftlichen Antrag zu erhalten, wird der »Auslandstürke« per Brief in das Konsulat zitiert, dort wird ihm dann eine schriftliche Erklärung vorgelesen.

Dem in Hamburg lebenden Gürsel Yildirim wurde beispielsweise im Generalkonsulat Hamburg nur erlaubt, einen Blick auf das Schreiben zu werfen, in dem mitgeteilt wird, dass dem Ausbürgerungsantrag wegen Desertion nicht stattgegeben wird. Yildirim wurde nicht erlaubt, dieses Dokument zu kopieren, er bekam stattdessen ein Ersatzpapier, das die Gründe der Ablehnung und den Status der Straffälligkeit in der Türkei dokumentiert. Dies wiederum verzögert die Einbürgerungsprozedur in Deutschland. Da die Türkei einen Kriegsdienstverweigerer ab der Altersgrenze von 38 Jahren weder aus der türkischen Staatsbürgerschaft entlässt noch den türkischen Pass konsularisch verlängert, wird er plötzlich zum Besitzer eines ungültigen türkischen Passes mit einer deutschen Aufenthaltsberechtigung. Falls ihm die Einbürgerungsbehörde nicht rechtzeitig einen deutschen Pass aushändigt, fehlen ihm wie Osman Murat Ülke in der Türkei die Ausweispapiere dann gänzlich. Mit einem ungültigen türkischen Pass kommt man auch mit deutscher Aufenthaltsberechtigung nicht weit bei der deutschen Bürokratie.

Gürsel Yildirim empfindet die Auflage, zu zahlen und für drei Wochen in die Türkei in das Militärcamp zu fahren, als »Kopfgeldpflicht«, die auch nicht erlischt, falls es gelingt, einen deutschen Pass zu erhalten. Erst der Ausbürgerungsbescheid bringt Abhilfe – den gibt es aber nur im Falle des abgeleisteten Militärdienstes.

http://www.jungle-world.com/seiten/2007/30/10307.php

Kater

ZitatGreis untauglich fürs Militär

Die Türkei muss einem heute 79-jährigen Kurden 5000 Euro Schmerzensgeld zahlen, weil der Mann als 71-Jähriger zum Militärdienst gezwungen worden war. Die anstrengende Ausbildung und die daraus resultierende Erkrankung des Mannes seien mit menschenunwürdiger und erniedrigender Behandlung gleichzusetzen, befand der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg. Der Mann lebte seit seiner Kindheit als Schäfer in einem Dorf. Nachbarn hatten ihn als Deserteur denunziert, woraufhin er 2000 zum Militärdienst einberufen wurde. Nach vier Wochen Rekrutenausbildung bescheinigte ihm ein Militärarzt wegen Herzerkrankung und Vergreisung die Untauglichkeit für den Militärdienst.

http://www.morgenweb.de/nachrichten/politik/20080305_srv0000002255750.html

Kater

ZitatTürkei: Weiterer Kriegsdienstverweigerer inhaftiert

Connection e.V. startet online-Faxaktion

Offenbach (sk) - Am vergangenen Donnerstag wurde erneut ein Kriegsdienstverweigerer in der Türkei inhaftiert. Nachdem am 16. März 2008 der Deserteur Ismail Saygi festgenommen worden war, wurde nun Halil Savda verhaftet.

Seine Verhaftung erfolgte während einer Protestaktion, bei der sich Halil Savda für Ismail Saygi einsetzte: "Ismail Saygi, der sein Leben unter der ständigen Situation des zivilen Todes führen musste, wie alle anderen Kriegsdienstverweigerer in der Türkei, wird nun in einen Teufelskreislauf gezwungen zwischen Rekrutierungsbüro, Einheit, Militärgericht und Militärgefängnis." Gegenüber den Militärbehörden betonte Halil Savda: "Ihr könnt nicht den Glauben und die Überzeugung mit Befehlen, Hierarchie und militärischen Methoden brechen."

Anlässlich der Verhaftungen von türkischen Kriegsdienstverweigerern ruft Connection e.V. zu Protestschreiben gegenüber den türkischen Militärbehörden auf. Heute startet eine online-Faxaktion, mit der die Anerkennung der Kriegsdienstverweigerung und die sofortige Freilassung von Halil Savda und Ismail Saygi gefordert wird.

Die Türkei erkennt das Menschenrecht auf Kriegsdienstverweigerung nicht an. Verweigerer wurden bis zu sieben Mal verurteilt. Zudem werden öffentliche Äußerungen gegen das Militär unter Strafe gestellt. Etwa 50 Wehrpflichtige haben bislang öffentlich ihre Kriegsdienstverweigerung erklärt. Zudem entziehen sich in der Türkei Zehntausende der Ableistung des Militärdienstes.

Zu den Personen
Der 21-jährige Ismail Saygi war am 16. März 2008 in Istanbul festgenommen worden. Er war nach sieben Monaten anlässlich eines Heimaturlaubs nicht mehr zur Armee zurückgekehrt und damit desertiert. Am 15. November 2006 erklärte er in den Räumen des Menschenrechtsvereins Istanbul seine Kriegsdienstverweigerung: "In den sieben Monaten, in denen ich im Militär war verstand ich, dass die Ideologie der Gewalt, von Sterben und Töten, meiner Art und meinem Verständnis zu leben widerspricht. Als Soldat verlor ich die Achtung vor mir selber und anderen Menschen. Meine Psyche litt zunehmend darunter. Deshalb habe ich beschlossen, dass es keine Verbindung mehr zwischen mir und allen Institutionen, die Gewalt beinhalten, geben soll." Er wurde inzwischen in das Militärgefängnis in Sarikamis überstellt, wo eine Anklage wegen Desertion vorliegt und ihm eine erneute Einberufung zum Militär droht.
Die Solidaritätsinitiative Ismail Saygi befürchtet, dass er wie andere Kriegsdienstverweigerer vor ihm "im Militärgefängnis willkürlichen Schikanen, Einschränkungen, Disziplinarstrafen und Folter ausgesetzt sein wird".

Halil Savda war im März 2007 vom Militärgericht in Corlu zu insgesamt einem Jahr und dreieinhalb Monaten wegen Desertion und Ungehorsam verurteilt worden. Wenig später erfolgte eine zweite Verurteilung zu sechs Monaten wegen Befehlsverweigerung. Die zweite Haftstrafe von sechs Monaten hat Halil Savda bereits verbüßt. Da er gegen das erste Urteil in Berufung ging, wurde er im Juli 2007 freigelassen, aber zugleich erneut zum Militärdienst einberufen. Dieser Aufforderung kam er nicht nach. Kurz vor seiner Verhaftung wurde die erste Haftstrafe von einem Jahr und dreieinhalb Monaten vom Berufungsgericht bestätigt. Damit muss er jetzt diese Strafe verbüßen. Ihm droht wegen der Nichtbefolgung der Einberufung weitere Strafverfolgung.

Mit der Verfolgung der Kriegsdienstverweigerer verstößt die Türkei gegen ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte vom 24. Januar 2006. Darin hatte das Gericht festgestellt, dass wiederholte Anklagen gegen Kriegsdienstverweigerer in Verbindung mit der Möglichkeit einer lebenslangen Strafverfolgung "im Missverhältnis zu dem Ziel stehen, die Ableistung des Militärdienstes sicherzustellen" und damit die Europäische Menschenrechtskonvention verletzen. Der Ministerausschuss des Europarates hatte die Türkei zuletzt am 17. Oktober 2007 aufgefordert, "ohne weiteren Verzug eine Gesetzesreform zu verabschieden, die notwendig ist, um ähnliche Verletzungen der Konvention zu vermeiden.

Connection e.V. verurteilt aufs Schärfste die Strafverfolgung von KriegsgegnerInnen in der Türkei. "Die Türkei muss das Menschenrecht auf Kriegsdienstverweigerung unverzüglich und uneingeschränkt anerkennen", ergänzte heute Rudi Friedrich. "Die Kriminalisierung von Kriegsdienstverweigerern, AntimilitaristInnen und Deserteuren muss beendet werden."

Weitere Infos unter //www.Connection-eV.de oder 069-82375534. Die online-Faxaktion kann über //www.Connection-eV.de/aktion erreicht werden.

http://www.scharf-links.de/57.0.html?&tx_ttnews%5Btt_news%5D=939&tx_ttnews%5BbackPid%5D=56&cHash=3ad6937135

Kater

ZitatKriegsdienstverweigerer in der Türkei erneut verhaftet und misshandelt

NATO-Partner muss das Menschenrecht auf Kriegsdienstverweigerung umgehend anerkennen

Vor zwei Tagen wurde der türkische Kriegsdienstverweigerer Mehmet Bal auf offener Straße in Istanbul verhaftet. Gegen ihn sind ein Verfahren wegen Fahnenflucht und zwei Verfahren wegen Befehlsverweigerung anhängig. Im Militärgefängnis Hasdal, so berichtete seine Rechtsanwältin nach dem Besuch von Mehmet Bal, sei er drangsaliert und geschlagen worden. Am Morgen des 9. Juni 2008 sei versucht worden, ihn mit heißem Wasser zu übergießen.

Mehmet Bal erklärte im Oktober 2002 seine Kriegsdienstverweigerung, nachdem er bereits mehrere Monate Militärdienst abgeleistet hatte: "Neuneinhalb Monate Kriegsdienst haben mir klar gemacht, dass ich die Stimme meines Gewissens nicht weiter verleugnen kann. Ab jetzt werde ich mir von keiner militärischen oder zivilen Autorität Haltungen und Handlungen aufzwingen lassen, die im Widerspruch zu meinem Gewissen und meinem Willen stehen."

Nach mehreren Monaten Haft war er im Januar 2003 unter der Auflage in Heimaturlaub geschickt worden, sich nach drei Monaten beim Militärkrankenhaus GATA zur Untersuchung einzufinden. Dieser Aufforderung war er nicht nachgekommen.

Die Türkei verfolgt Kriegsdienstverweigerer auf zweierlei Art und Weise. Zum einen wird das Recht auf Kriegsdienstverweigerung nicht anerkannt. Kriegsdienstverweigerer wie Halil Savda, Osman Murat Ülke oder Mehmet Tarhan wurden wegen Befehlsverweigerung bzw. Ungehorsam bis zu sieben Mal verurteilt. Zum zweiten werden öffentliche Äußerungen gegen das Militär, wie vor wenigen Tagen bei Halil Savda, unter Strafe gestellt.

Mit der Verfolgung der Kriegsdienstverweigerer verstößt die Türkei gegen ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte vom 24. Januar 2006. Darin hatte das Gericht festgestellt, dass wiederholte Anklagen gegen Kriegsdienstverweigerer in Verbindung mit der Möglichkeit einer lebenslangen Strafverfolgung "im Missverhältnis zu dem Ziel stehen, die Ableistung des Militärdienstes sicherzustellen" und damit die Europäische Menschenrechtskonvention verletzen. Der Ministerausschuss des Europarates hatte die Türkei zuletzt am 17. Oktober 2007 aufgefordert, "ohne weiteren Verzug eine Gesetzesreform zu verabschieden, die notwendig ist, um ähnliche Verletzungen der Konvention zu vermeiden."

Rudi Friedrich vom Kriegsdienstverweigerungsnetzwerk Connection e.V. betonte angesichts der aktuellen Ereignisse: "Mehrere Kriegsdienstverweigerer sind in den letzten Monaten in der Türkei verhaftet und misshandelt worden. Die türkische Regierung muss das Menschenrecht auf Kriegsdienstverweigerung umgehend anerkennen, die Strafverfolgung einstellen und die Inhaftierten sofort freilassen."

http://www.berlinerumschau.com/index.php?set_language=de&cccpage=10062008ArtikelPolitikSK1

Kater

ZitatArmee-kritische Sängerin Bülent Ersoy freigesprochen
Türkische Justiz gibt Vorwurf der Wehrkraftzersetzung auf
Günter Seufert

ISTANBUL. In welche Haftanstalt hätte die türkische Justiz Bülent Ersoy eigentlich gesteckt - in das Männergefängnis oder doch in den Frauenknast? Schon dreißig Jahre ist es her, dass die bekannte Sängerin in London von einem Mann zu einer Frau geworden ist, doch immer noch verweigern die Behörden ihr einen weiblichen Vornamen. Das am Donnerstag ergangene Urteil des Gerichts in Istanbul erlöst den türkischen Staat aus der selbstverschuldeten Misere: Es sprach Ersoy von dem Vorwurf, "das Volk dem Militärdienst zu entfremden", frei. Bei einem Schuldspruch hätten ihr bis zu 30 Monate Haft gedroht.

Der "Fall Ersoy" geht zurück auf den Februar 2008. Wieder einmal hatte die Militärführung in Ankara zum "letzten Schlag" gegen die kurdische PKK-Guerilla ausgeholt und nach ausgiebigen Bombenangriffen türkische Truppen in den Nordirak entsandt. Wieder einmal kannte die Politik keine Parteien mehr, sondern ausschließlich Türken, und wieder einmal schlugen in der Presse die nationalen Wellen hoch. Doch Bülent Ersoy platze in diese Stimmung mit den Worten: "Für diesen Krieg der Anderen würde ich meinen Sohn auf keinen Fall unter die Erde schicken!" - live im TV während einer Castingshow für den Nachwuchs in der populären Palastmusik, als deren Meisterinterpretin Ersoy gilt.

"Verräter" tönte es ihr allerorts entgegen. Der Staatsanwalt sah die Gefühle der Bevölkerung verletzt, denn die Türken würden sich als "geborene Soldaten" fühlen. Zu den Verhandlungen erschien Bülent Ersoy stets todschick und ladylike. "Wenn es Vaterlandsverrat ist, eine Lösung zu wollen, dann hängt mich ruhig auf", sagte sie vor der ersten Verhandlung und ließ sich überhaupt nicht aus der Ruhe bringen. Doch als ihr Rechtsanwalt im Eifer des Gefechts über das Ziel hinausschoss, kanzelte Ersoy ihn in aller Öffentlichkeit ab. "Mein Mandant liebt sein Vaterland und hat seinen Militärdienst geleistet", hatte der Anwalt gesagt und wollte seinerseits die nationale Karte spielen. "Das sagt man doch nicht vor der Presse", wies die Diva ihn zurecht.

Schnell wurde Bülent Ersoy, die sich bis dahin politisch nie aus dem Fenster gelehnt hatte, zum Idol aller, die die türkische Kurdenpolitik ablehnen. In Batman versprach Hüseyin Kalkan, der für die prokurdische DTP das Rathaus der Stadt leitet, dass bei nächster Gelegenheit eine Straße nach Bülent Ersoy benannt werde.

Der Fall erregte international soviel Aufsehen, dass die Justiz zurückzuckte. Am Donnerstag plädierte sogar der Staatsanwalt für Freispruch, weil die Worte der Künstlerin durch die Meinungsfreiheit gedeckt seien. Vielleicht hat auch eine Rolle gespielt, dass die Diva sich trotz aller Kritik zu Vaterland, Nation und Militär bekannte. Sie werde ihr ganzes Vermögen zwei Stiftungen vermachen, sagte Ersoy auf einem der Gerichtstermine. Eine der Stiftungen fördert die Alphabetisierung. Die zweite sorgt für die gefallenen und verwundeten Soldaten.

http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/archiv/.bin/dump.fcgi/2008/1220/politik/0059/index.html



Kater

ZitatNicht jeder Türke wird als Soldat geboren
In dem vom Militär geprägten Land ist Wehrdienstverweigerung ein Verbrechen - dennoch entziehen sich Hunderttausende
Elif Kayi

ISTANBUL. In die südtürkische Kleinstadt an der Mittelmeerküste kommen um diese Jahreszeit schon wieder die Touristen, vor allem die englischen. Die Frühlingssonne verdrängt nach und nach den Winterregen, in den Gassen wird schon flaniert. Nur das Restaurant "Der Kreter", das griechische Spezialitäten serviert, bleibt geschlossen. Die Gendarmen war vor kurzem zweimal hier, sie wollten den Geschäftsführer überprüfen. Erfolglos.

Von einem Freund gewarnt, hat Kerem T. (Name geändert) entschieden, nicht aufzufallen, bis die Polizei ihn hoffentlich vergisst. Seit zwei Wochen versteckt er sich in einer kleinen Wohnung, etwa hundert Meter vom Strand entfernt. Ausgerüstet mit einer Tasse schwarzen Kaffees und einer Zigarettenschachtel, die sich nach und nach leert, erzählt er seine Geschichte. "Denken Sie bloß nicht, dass mein Fall einzigartig ist", beginnt Kerem T., "wir sind um die 500 000, wie man einigen Internetseiten entnehmen kann. Und der türkischen Regierung zufolge noch viel mehr." Kerem wirkt nervös und gibt später zu, seit zwei Wochen kaum geschlafen zu haben. Keine zehn Minuten sind um, und er zündet sich die dritte Zigarette an.

"Ich bin 34 Jahre alt und habe keinen Militärdienst absolviert", sagt Kerem. Es klingt wie ein Schuldeingeständnis, denn Kerem lebt in einem Land, in dem es einen regelrechten Kult um das Militär gibt. Die Bevölkerung nimmt Atatürk, Mustafa Kemal, der im Jahr 1923 die türkische Republik gründete, bis heute vor allem als heldenhaften Soldaten wahr. "Jeder Türke wird als Soldat geboren", selbst wenn das Sprichwort ein wenig veraltet ist, hat es jeder schon gehört. Im Alter zwischen 19 und 40 Jahren muss jeder Türke seinen Militärdienst leisten, der in der Regel fünfzehn Monate beträgt.

Bis zu zehn Jahre Haft

Kerem hat schulterlange Haare und trägt gern indische Baumwollhemden - ein bisschen hippiehaft sieht er aus. Aufgewachsen ist er in einer kleinen Stadt am Marmarameer in bescheidenden Verhältnissen. Seine muslimischen Großeltern waren aus Thessaloniki und Kreta nach der 1923 zwischen Griechenland und der Türkei unterzeichneten Konvention zum Bevölkerungsaustausch hierher gekommen. So kommt es, dass Kerems Restaurant "Der Kreter" heißt.

"Früher dachte ich, ich würde mein Studium absolvieren und dann zur Armee gehen, wie viele andere auch. Ich war fast ein wenig nationalistisch", erzählt Kerem amüsiert. Von Politik hatte er kaum Ahnung, bis er sich an der Universität der nordtürkischen Stadt Bolu für Betriebswirtschaft einschrieb. "Dann wurde ich durch Kommilitonen langsam mit den politischen Auseinandersetzungen in diesem Land vertraut. Ich habe angefangen über den Staat, die militärische Macht, den Nationalismus, die kurdische Frage nachzudenken und entschieden, keinen Militärdienst zu absolvieren."

Als Hüter der türkischen Verfassung war und bleibt das Militär überall im politischen, aber auch im sozialen Leben des Landes präsent. Der letzte Staatsstreich fand erst 1980 statt; seither hat das Militär häufiger gedroht, die Regierung zu stürzen. Hinzu kommt die Kriegssituation an der irakischen Grenze zwischen türkischen Streitkräften und bewaffneten Fraktionen der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK). Die türkischen Soldaten, die bei den Gefechten starben, werden als glorreiche Märtyrer gefeiert.

Das türkische Militär besitzt eine mächtige Aura und einen starken Schutz in der Verfassung. Wer sich öffentlich gegen die Armee stellt, bekommt es mit Artikel 155 des türkischen Strafgesetzbuchs zu tun. Er stellt die "Distanzierung des Volkes vom Militär", also jegliche anti-militärische Propaganda, unter Strafe. Man kann dafür zwischen sechs Monaten und zwei Jahren ins Gefängnis gehen. Die Strafe verdoppelt sich, falls das Delikt in den Medien begangen wird.

Leben im Versteck

Osman Murat Ülke, der erste offizielle Wehrdienstverweigerer, wurde zwischen 1995 und 1999 achtmal von türkischen Militärgerichten verurteilt und musste insgesamt 701 Tage in Haft sitzen. Ende 2007 bekam er eine Benachrichtigung der Militärbehörden, dass er noch eine "Reststrafe" von 17 Monaten und 15 Tagen zu verbüßen habe. 2006 hatte der europäische Menschenrechtsgerichtshof die Türkei für ihr Vorgehen gegen Ülke verurteilt.

Artikel 24 der Verfassung, der das Recht auf Gewissensfreiheit verankert, schließt die Militärdienstverweigerung nicht ein. Das hatte 1991 der türkische Verfassungsgerichtshof bekräftigt. Offene Verweigerer gibt es wenige. Ihre Zahl wird auf etwa 60 geschätzt. Sie haben einen sehr schweren Stand, da die Türkei es trotz der Abmahnungen der internationalen Gemeinschaft weiter ablehnt, deren Status anzuerkennen. In einem Report, den 2004 der Schweizer Abgeordnete Dick Marty verfasste, hatte der Europarat die Türkei aufgefordert, diesen Zustand zu ändern.

Nicht alle geben ihren Widerstand gegen den Militärdienst öffentlich zu. "Menschen wie Osman Murat Ülke sind echte Menschenrechtskämpfer", sagt Kerem T. "Ich bin ein Antimilitarist, aber ich habe weder den Mut noch die Kraft, ständig zwischen Gefängnis und Drohungen zu leben. Nun verstecke ich mich."

Die türkische Sprache unterscheidet zwischen Militärdienstverweigerern, die sich offen dazu bekannt haben, und denjenigen, die als "Fahnenflüchtige" bezeichnet werden. Dem türkischen Verteidigungsminister zufolge gibt es etwa 14 Millionen Türken im Alter zwischen 19 und 40 Jahren, die Soldaten sein könnten. Darunter seien sieben Prozent "Fahnenflüchtige", also mehr als eine Million Männer. Das Strafgesetzbuch Artikel 63 sieht zwischen einem Monat und zehn Jahren Gefängnis vor, je nach Schwere des Verbrechens: Nichterscheinen zur Musterung, bei der Anwerbung oder echte Fahnenflucht von der Truppe.

"Mein Fall ergab sich aus einer Nachlässigkeit der Militärverwaltung", erzählt Kerem T. zwischen zwei Zigarettenzügen. "Die Militärbehörden hatten mich offenbar lange vergessen, sie haben sich nicht gemeldet. Ich habe einfach versucht, nicht aufzufallen und meinen Alltag mehr oder weniger illegal gestaltet. Mein Restaurant zum Beispiel betreibt offiziell ein Freund." Denn die lokalen Behörden sind in der Türkei die Arme des Militärs. Sogar bei der Beantragung eines Führerscheins wird geprüft, ob der Antragsteller seinen Wehrdienst absolviert hat. Die "Fahnenflüchtigen" sind so gezwungen, im Untergrund zu leben. Kerem wohnt seit einigen Jahren in der Umgebung des kleinen Urlaubsorts an der Küste. Anfangs gab es keine Probleme. "Aber es ist eine kleine Stadt", sagt Kerem T., "nach und nach wurde meine Lage bekannt, und die Polizei hat das dann mitbekommen."

Paradoxerweise sehen viele Wehrdienstverweigerer in der gegenwärtigen Wirtschaftskrise, die auch in der Türkei zu spüren ist, einen Hoffnungsschimmer. Seit Herbst haben die meisten Firmen mit massiven Entlassungen begonnen. Oft passiert das ohne Vorankündigung, da viele Angestellte ohne schriftlichen Vertrag arbeiten. Nur wenige erhalten Arbeitslosengeld. So bewerben sich nun viele junge Männer als Berufssoldaten. Allein im letzten Monat haben sich eine Million Kandidaten bei den Militärbehörden vorgestellt - eineinhalb mal so viele, wie sie aufnehmen können.

Die türkische Verfassung sieht vor, dass die Behörden im Fall eines solchen Soldatenüberschusses vorübergehend eine Art Freikauf-System einführen: Eine bestimmte Anzahl von Männern entrichten Gebühren und dürfen ihren Militärdienst auf vier Wochen verkürzen. Die Gebühr beträgt etwa 10 000 Euro. Das Parlament muss diesen Beschluss fassen. Die erste solche Verordnung galt unter Atatürk im Jahr 1927. Seitdem wurden zehn weitere Verordnungen erlassen.

Auch 1999, nach dem schweren Erdbeben in der Türkei, gab es eine solche Verordnung. Sie verhalf dem Staat damals schnell zu Geld. Die Regelung galt für Männer zwischen 26 und 40 Jahren. Erkan B., ein Freund von Kerem, war damals 30 Jahre alt. "Ich habe mir nie vorstellen können, zur Armee zu gehen", sagt der Lehrer aus Ankara. "Ich verbringe meine Zeit zwischen meiner Schule, Bibliotheken und meinen Büchern. Was würde ich denn im Uniform auf dem Feld machen?" Als er mit dem Studium fertig war, musste er eine Lösung finden. "Ich habe sogar überlegt, ins Ausland zu gehen - obwohl ich sehr gern in der Türkei lebe." Im Ausland wohnende Türken dürfen ihren Wehrdienst gegen eine Gebühr von 5 000 Euro auf drei Wochen verkürzen. "Das Erdbeben war grausam, mehr als 40 000 Menschen wurden getötet. Aber die Verordnung danach war für mich ein Glücksfall", sagt Erkan B.

Kerem T. war damals 25 Jahre alt. "Ein Jahr zu jung", sagt er. "Seitdem warte ich auf die nächste Verordnung. Mit dem Männerüberschuss und der Wirtschaftskrise wird sich das Parlament wohl bald dafür entscheiden", hofft er.

Auf zahlreichen Blogs und Webseiten laufen derzeit Diskussionen zwischen "Fahnenflüchtigen", die des Versteckspiels müde sind und auftauchen möchten. "Wenn über den kostenpflichtigen Dienst dieses Jahr nicht abgestimmt wird, wann dann? Es muss abgestimmt werden", schreibt einer auf dem Blog bedelliaskerlikistiyorum.com (ich will einen kostenpflichtigen Dienst). Ein anderer berichtet, dass "Fahnenflüchtige" nach der Festnahme oft zur Bestrafung in den Südosten an die irakische Grenze geschickt würden. Auf einer anderen Seite ist zu lesen, dass sie mit drei Jahren Haft bestraft werden, falls sie sich bis zum 13. Mai nicht bei den Militärbehörden melden.

Ab 35 kein Dienst an der Waffe

Alle, die da im Internet diskutieren, finden aber auch, dass das Freikaufsystem nicht richtig ist. Am Ende begünstige es diejenigen, die solche Summen aufbringen können. Der Durchschnittslohn in der Türkei übersteigt selten 400 Euro im Monat. 10 000 Euro sind da ein Riesenbetrag. Für Kerem T. ist die Frage jedoch abgeschlossen. "Natürlich ist es unfair und diskriminierend. Die Türkei sollte den Status von Verweigerern einfach anerkennen. Aber solange dieser nicht existiert, bezahle ich persönlich lieber, auch auf die Gefahr hin mich zu verschulden."

Es steht aber nicht fest, ob Kerem T. diese Möglichkeit überhaupt noch etwas nutzen wird. Derzeit wird beim Militär und im Parlament nur darüber diskutiert, ob der Dienst auf zwölf statt fünfzehn Monate verkürzt werden könnte. "Ich habe genug von diesem Katz- und Mausspiel", sagt Kerem T. "Falls das Parlament bis Dezember keine Entscheidung trifft, melde ich mich beim Militär." Warum ausgerechnet Dezember? "Weil ich dann 35 werde", sagt Kerem. "Ab diesem Alter benutzen die Einberufenen keine Waffen. Zumindest werde ich dann kein Gewehr in den Händen halten müssen."

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Keine Verweigerung möglich

In Deutschland lebende türkische Staatsbürger können ihren Wehrdienst in der Türkei gegen Zahlung von rund 5 000 Euro auf eine Grundausbildung von 21 Tage verkürzen.

Bei doppelter Staatsbürgerschaft richtet sich die Wehrpflicht danach, ob die jungen Männer ihren Wohnsitz in Deutschland oder der Türkei haben. Leisten sie Dienst in der Bundeswehr, wird die Wehrpflicht von der Türkei als erfüllt anerkannt. Das gilt auch für den deutschen Zivildienst.

Die Türkei ist der einzige der 47 Mitgliedstaaten des Europarates, in dem allgemeine Wehrpflicht herrscht, ohne dass die Möglichkeit der Verweigerung eingeräumt wird. Die Dauer der Wehrpflicht wurde 2005 von 18 Monaten auf 15 Monate verkürzt.

http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/archiv/.bin/dump.fcgi/2009/0228/horizonte/0041/index.html

Kuddel

Habe mal einen alten Thread ausgebuddelt...

ZitatPolizeiaktion in Abgeordnetenbüro war verfassungswidrig

An Brandts Bundestagsbürofenstern hingen während eines Besuchs des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan im September 2018 DIN A4 große Ausdrucke einer Kurdistanflagge sowie eines Wimpels der kurdischen Verteidigungseinheiten YPG – gegen die Erdoğan in den Kurdengebieten kämpfen lässt. Die Linkspartei ist ein entschiedener Kritiker Erdoğans. Die Fenster wiesen auf eine Straße, die anlässlich des Erdoğan-Besuches gesperrt war. 

Brandt war nicht im Büro, als Polizisten des Bundestages die Plakate entdeckten. Die Beamten öffneten die Tür mit einem Zentralschlüssel und nahmen die Ausdrucke ab. Die Bundestagsverwaltung rechtfertigte das damit, dass sich Erdoğan-Anhänger durch die Plakate hätten provoziert fühlen können und zu Aktionen gegen den Bundestag hätten hinreißen lassen.

Die Verfassungsrichter sahen in dem Handeln der Polizei beim Deutschen Bundestag einen Eingriff in den verfassungsrechtlich geschützten Abgeordnetenstatus. Das Vorgehen sei nicht verhältnismäßig im engeren Sinne gewesen. "Im konkreten Fall waren die Anhaltspunkte für eine Gefahrenlage nur schwach ausgeprägt", schreiben die Richter in ihrem Beschluss.
https://www.zeit.de/politik/deutschland/2020-06/michel-brandt-abgeordnetenbuero-polizeiaktion-verfassungswidrig

Gut, in dem Thread ging es eher um türkische Kriegsdienstverweigerer. Hier geht es um militärische und politische Interessen der USA und Türkei in Deutschland: Deutsche Polizisten als Erdogans langer Arm.

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