Niedriglohnsektor ist kein Randbereich

Begonnen von , 03:16:02 Di. 31.Dezember 2002

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"Randbereiche" ist wohl nicht der richtige Ort für dieses Forum. Ich kriege vom Arbeitsamt nur Stellen beim Verleiher. Und wenn man den Ansprachen der Poliker glauben schenken darf, wird die Leiharbeit jetzt erst richtig ausgeweitet.

Kuddel

Leiharbeit ist bei CHEFDUZEN das zur Zeit bestbesuchte Forum, es ist wohl der Bereich, der den meisten den Tag versaut.

Die Diskussion wird allmählich auch in der Öffentlichkeit und in den Medien geführt:

Das ZDF (Frontal) hat z.B. folgenden Bericht gesendet:Dumpinglöhne für Leiharbeiter

Ausbeutung durch Zeitarbeitsfirmen

Leiharbeit als Ausweg aus der Arbeitslosigkeit - unter dieser Maßgabe setzt die Politik noch immer große Hoffnung in das Modell Zeitarbeit. Doch sieht die Wirklichkeit heute anders aus. Arbeitssuchende werden ausgebeutet, das lukrative Geschäft machen die anbietenden Firmen selbst.

 Thilo Schnell war viele Jahre Personal-Disponent bei Leiharbeitsfirmen. Er hat vielen hundert Mitarbeitern gekündigt, sie um ihren Lohn betrogen. Er kennt alle Tricks der Branche. Zuletzt war er Niederlassungsleiter der Firma ARWA in Berlin. Im letzten Jahr ist er ausgestiegen.
 
Thilo Schnell bekam auf einmal Skrupel: "Wenn Sie in der Branche arbeiten, merken sie ganz schnell, dass sie ohne schmutzige Tricks nicht arbeiten können, um sich am Markt zu behaupten. Und wenn sie tagtäglich Mitarbeiter über den Tisch ziehen, nur um Kohle abzuzocken, kriegen Sie einfach moralische Bedenken."

Unerwünschter Kostenfaktor
Nehmen wir das Beispiel Baustelle: Hier werden oft Leiharbeiter eingesetzt, wochen- oder monatsweise, ganz nach Bedarf des Entleihbetriebes. Kann eine Leihfirma ihre Angestellten einmal nicht vermitteln, muss der Lohn trotzdem weitergezahlt werden. So schreibt es das Gesetz vor. Doch ein Leiharbeiter ohne Arbeit ist ein unerwünschter Kostenfaktor.
 
Was dann geschieht, schildert Thilo Schnell: "Wenn mal keine Einsätze für die Mitarbeiter da waren, dann hat man sich natürlich überlegt, wie man sie rausschmeißen kann, um Kosten zu sparen. Irgendwelche Gründe gab es ja immer. Und wenn nicht, hat man sich einfach welche ausgedacht."
 
Keine Aufträge
Einer, den man loswerden wollte, war Peter aus Berlin. Als Helfer auf dem Bau wird er von ARWA an andere Unternehmen verliehen. Doch dann gehen ARWA die Aufträge aus. Die Leihfirma kann Peter nicht vermitteln. Trotzdem müsste sie seinen Lohn weiterzahlen. Doch es kommt anders. Er wird in die ARWA-Niederlassung bestellt. Man bietet ihm einen Einsatz in Duisburg an.
 
"Als ich gefragt wurde, ob ich für einen Tag nach Duisburg gehen wollte, habe ich gleich ja gesagt," erzählt Peter. "Da waren sie wahrscheinlich ein bisschen überrascht und sind ins Hinterzimmer gegangen, um zu überlegen. Ich nehme im Nachhinein an, sie hatten gehofft, ich würde diese Fahrt ablehnen. Dann kamen sie mit einem neuen Einsatz wieder: Also Duisburg wird nichts, ich sollte dann nach Hamburg."
 
  Kündigungsgrund: Arbeitsverweigerung
Gegen halb sechs Uhr morgens macht sich Peter mit dem Zug auf den Weg zu seinem Einsatzort: Eine Baustelle in der Nähe von Hamburg. Dort soll es angeblich Arbeit für ihn geben. Nach gut fünf Stunden erreicht er endlich sein Ziel. Doch dort hat niemand mit ihm gerechnet. Auf der Baustelle gibt es nichts für ihn zu tun. Nach drei Stunden schickt man ihn wieder nach Hause.
 
Thilo Schnell kennt diese Methoden der Leiharbeitsfirma: "Wenn wir für die Mitarbeiter keine Einsätze hatten, haben wir uns Einsatzorte ausgedacht, die ganz weit weg vom Wohnort des Mitarbeiters sind. Damit provoziert man von vornherein eine Ablehnung." Arbeitsverweigerung gilt als Kündigungsgrund. So wird man Mitarbeiter los. Bei ARWA war man sehr zufrieden mit Thilo Schnell. Mit einer Sonderprämie bedankte man sich für seine engagierte Mitarbeit.
 
Viele schwarze Schafe
Der Mitarbeiter Peter hingegen war als Mitarbeiter unerwünscht. Die ARWA behauptete, er sei unzuverlässig, telefonisch nicht erreichbar und kündigte ihm. Peter ging vors Arbeitsgericht und gewann. Die Richter glaubten den Behauptungen von ARWA nicht.
 
Das Unternehmen ARWA macht gute Umsätze, über 30 Millionen Euro im Jahr. Doch an kritischen Fragen ist man hier im Hauptsitz der Firma in Nieder Olm bei Mainz, nicht interessiert. ARWA lehnt ein Interview mit Frontal21 ab. Auch unsere schriftlichen Fragen bleiben unbeantwortet.

 ARWA ist kein Einzelfall. Die Landesarbeitsämter haben im letzten Jahr 1263 Verleiher überprüft. Jedem zehnten Betrieb erteilten sie Auflagen oder entzogen die Lizenz. In über 400 Fällen wurden Bußgeldverfahren eingeleitet.
     
Tarifverträge sind selten
In der Branche gibt es viele schwarze Schafe. Das behauptet Norbert Fuhrmann von der IGZ. Er muss es wissen. Die IGZ ist ein Verband der Leiharbeitsfirmen.
"Nein das sind keine Einzelfälle, sie finden dies bei kleinen, mittleren und großen multinationalen Firmen," so Fuhrmann. "Mit dieser Politik wird eigentlich ein 'Hire und Fire-Prinzip' systematisiert. Das ist gepaart mit einem Lohndumping: Neben diesen Machenschaften bekommen die Mitarbeiter auch noch einen sehr, sehr geringen."

Tarifverträge sind selten in der Branche. Der Marktführer Randstad hat schon vor Jahren einen abgeschlossen.
Doch den Beschäftigten nützt das wenig.Burghart Mund aus Nordhausen in Thüringen beispielsweise wurde von Randstad als Lagerarbeiter verliehen. Dafür bekam er einen Tariflohn von 5,63 Euro die Stunde. Von den Entleihbetrieben kassierte Randstad mehr als das Doppelte. Doch damit nicht genug: Von seinem Lohn muss Burghart Mund auch noch einen Großteil der Fahrtkosten berappen. Im April 2002 fuhr er täglich 100 Kilometer mit dem Auto zu seinen Einsatzbetrieben.
 
Die Fahrkosten zur Arbeit muss der Leiharbeiter oftmals allein tragen  

Randstad redet sich heraus
Mund hatte im April 2002 einen Nettoverdienst von 663 Euro. Darin waren 37,96 Euro Fahrtkostenerstattung bereits enthalten. Von seinem Lohn musste Mund etwa 180 Euro Spritkosten bezahlen. So blieben ihm tatsächlich nur noch rund 483 Euro.

Bei Randstad redet man sich heraus: "Für die Benzinpreise kann ich nun auch nichts", so Hans-Peter Brömser von Randstad. "Ich kann ihnen nur sagen, dass wir im Rahmen der gesetzlichen und steuerlichen Möglichkeiten Fahrtkostenersatz leisten. Wenn der nicht kostendeckend sein sollte, was ich nicht weiß, müssten wir die Einzelfälle untersuchen."

Mund: "Für das Geld, wenn ich alle Abzüge berechne, kann ich normalerweise auch zu Hause bleiben. Man will ja arbeiten und deshalb macht man das ja auch. Finanziell mussten wir uns mächtig einschränken."
 
Heuern und Feuern nach Bedarf
Mittlerweile ist Mund wieder arbeitslos. Nach 4,5 Monaten bei Randstad kam die Kündigung, ohne Begründung. Mund war noch in der Probezeit. In der Leihbranche ist das Heuern und Feuern nach Bedarf üblich. Laut Statistik der Bundesanstalt für Arbeit dauern 60 Prozent aller Leiharbeitsverhältnisse nicht einmal drei Monate. Und nur selten wird ein Leiharbeiter von seinem Einsatzbetrieb übernommen.
 
Viele Leiharbeiter landen kurze Zeit später wieder auf dem Arbeitsamt.
   
Die Erfahrung hat auch der ehemalige ARWA-Niederlassungsleiter Thilo Schnell gemacht: "Dass Mitarbeiter durch Einsatzfirmen übernommen werden, das hab ich im Laufe meiner Tätigkeit vielleicht zwei-, dreimal erlebt. Die Firmen haben auch kein Interesse daran, dass Mitarbeiter dort fest arbeiten. Die brauchen für kurze Zeit einfach nur billige Arbeitskräfte. Unser Interesse war natürlich, dass wir mit den Mitarbeitern in kurzer Zeit möglichst viel Geld verdienen."
 
 
Leiharbeit als Perspektive
Leiharbeit als Ausweg aus der Arbeitslosigkeit, daran glaubt Burghart Mund schon lange nicht mehr. Selbst der Verband der Leiharbeitsfirmen warnt davor, mit Leiharbeit die Probleme lösen zu wollen.
Fuhrmann: "Die Politik hat versucht, die Zeitarbeit für sich zu entdecken und sie als Motor ihrer Beschäftigungspolitik zu entwickeln. Das sind aber im wesentlichen politische Fensterreden, die auch von der Branche abgeleistet werden und montags wird dann wieder so gearbeitet, wie man es seit Jahren gewohnt ist."

Der Mann weiß, wovon er spricht und für wen. Dennoch setzt die Politik große Hoffnungen in die Leiharbeit: Sie soll Arbeitslosen eine Perspektive bieten. Die Wirklichkeit sieht anders aus.




Und in der Juli/August-Ausgabe der "Direkten Aktion" wurde darüber berichtet, wie aufmüpfige Leiharbeiter abgemahnt oder gar gekündigt wurden:
Wir haben den gekündigten Kollegen, der nicht gewerkschaftlich organisiert ist und auf eigene Kosten einen Anwalt hinzuzog, dazu interviewt. Namen, Orte und die exakten Umstände musste wir verändern um zu verhindern dass die betroffenen Kollegen auf die Schwarze Liste der Zeitarbeitsverbände gesetzt werden und damit keine Erwerbsmöglichkeit in dieser Branche mehr hätten.

?Erzähl mal von deiner Tätigkeit bei der Leiharbeitsfirma und wie es zu der Kündigung gekommen ist.

!Über die Zeitarbeitsfirma ‚X-Time' wurde ich zu einem Kunden in Astadt, der Firma ‚Müller AG', vermittelt. Es ging um ein Testprodukt, für die Prozesssicherheit in der Verfahrenstechnik. Die Produkte sollten getestet werden, und dafür wurden wir in Astadt angelernt. Da wurden ungefähr 20 - 24 Bandteile auf eine Testvorrichtung geschraubt und eingelesen, diese wurden dann fünf Minuten geprüft. Das geschah in einem separaten, schalldichten Raum, den wir allerdings auch zeitweise verlassen konnten. Dann, nach einigen Tagen, lief der Materialfluss nicht mehr so, wie sie es gedacht hatten. Da kamen mal einige tausend, dann haben wir wieder einige Stunden gewartet, dann fehlten welche. Trotzdem wurden wir weiterbezahlt - Gott sei Dank. Die eigentliche Testreihe sollte dann in Bestadt stattfinden. Bei der Besichtigung der örtlichen Gegebenheiten haben wir von vorne rein schon gesehen, dass die Arbeitsbedingungen wesentlich schlechter waren als in Astadt, da alles in einem sehr hohen schallreflektierenden Raum stattfand und wir da zur Vorbereitung nicht rauskonnten. Also acht Stunden lang in dem wesentlich höheren Schalllärm. Allerdings war die Arbeitszeit ziemlich kurz, nur etwa anderthalb Wochen. Am Anfang lief es von der Stückzahl her einigermaßen gut. Aber in der zweiten Woche ging es schon los, dass der Materialfluss stockte, obwohl sie sogar noch eine dritte Testvorrichtung aufbauen wollten. Am Donnerstag waren wir wieder zu früh fertig gewesen, hatten schon die Materialien rausgezögert, und die letzte Stunde durfte ich dann fegen. Als ich am Freitagabend zur Schicht kam, hieß es: "Keine Arbeit." Ich war recht froh, weil die Arbeit sowieso nicht so berauschend war. Aber dann hieß es, dass es dort weiterhin nicht genug Arbeit gebe und einer von uns abgemeldet werden müsste. Das war meine Wenigkeit.

Immerhin habe ich mich gefreut, aber das war eigentlich zu früh gedacht. Am nächsten Tag, am Samstagabend, lag die fristlose Kündigung der Leiharbeitsfirma im Briefkasten. Für mich war ganz klar, dass ich dagegen angehe und zum Anwalt gehe, weil es ja heißt, eine fristlose Kündigung ist Eigenverschulden und ich somit eine Sperre von drei Monaten vom Arbeitsamt bekomme. Da hab ich gar nicht gezögert.

?Warum hat dich denn die Leiharbeitsfirma fristlos gekündigt?

!Der Kündigungsgrund war mein lautstarkes und immer wieder aufwiegelndes Verhalten gegenüber meinen Mitarbeitern und das dauernde Fragen einer Parkmöglichkeit auf dem Firmengelände. Obwohl die Parkmöglichkeiten erst erweitert worden sind, hieß es: "Leiharbeiter bekommen bei uns keine Parkmöglichkeit." Ich bin auch als der sogenannte Rädelsführer dargestellt worden. Ich hätte immer wieder die Leute aufgewiegelt, dass die sich halt beschweren würden über die Lautstärke und die Arbeitsweise, Arbeitsklima usw., obwohl das andere Kollegen gewesen sind.

Und nebenbei: Bei der Kündigung wurde darauf hingewiesen, dass ein gewisser Herr Fischer mich persönlich entfernt haben wollte. Der arbeitete im Büro der ‚Müller AG' und war auch bei meiner Leiharbeitsfirma angestellt.

Jedenfalls bin ich dann zum Anwalt gegangen, der hat bestätigt, dass die überhaupt keine Möglichkeit hatten, die fristlose Kündigung auszusprechen, da zur Aussprache einer fristlosen Kündigung ja auch wenigstens zwei Abmahnungen im Raum stehen müssten, die ich wiederum nicht hatte.

?Dann kam es zur Gerichtsverhandlung?

!Ja, die fand in Frankfurt statt, beim Arbeitsgericht. Ich habe dort noch die Gegner am Parkplatz getroffen, die ich trotzdem gegrüßt habe, die beiden. Der Gruß ist mir von einer Seite erwidert worden, aber der Andere hat es halt gar nicht erwidert. Einen Tag vor der Verhandlung hab ich noch ein Schreiben bekommen, die Gegenklage. Und bei der Gerichtsverhandlung bekam ich zu der Gegenklage noch eine Schadensersatzforderungsklage.

?Wofür wollte denn die Leiharbeitsfirma Schadensersatz? Und wie viel?

!Bei mir hieß es als Schadensersatz so ca. 5000 Euro, weil durch mein Fehlverhalten die Zeitarbeitsfirma ‚X-Time' den Auftrag und die Folgeaufträge von der ‚Müller AG' verloren oder entzogen bekommen hätte. In Wirklichkeit kam es daher, dass die Technik überhaupt nicht lief und aus anderen Gründen Aufträge verloren wurden.

?Wie lief der Prozess dann ab?

!Erst mal kam der Gegenanwalt an, hat mir alles vorgeworfen, ich hab mir das nur angehört ganz cool, wie ich halt so bin. Hat ja keinen Sinn gehabt gegen zu sprechen. Ja, und dann hab ich halt meine Geschichte erzählt, mein Anwalt hat sich gar nicht zu geäußert. Den Richter, den fand ich ganz gut, der hat von vorneherein den Gegenanwalt abgeblockt, den gar nicht zu Wort kommen lassen. Er hat die fristlose Kündigung an sich von vorneherein ausgeschlossen und die Gegenanklage genauso.

Nach der Verhandlung habe ich noch kurz mit den Chefs gequatscht. Bei einem habe ich mich dann bedankt [ironisch, er lacht a.d.A.], weil ich mit dem auch privat gesprochen hatte, vom Urlaub erzählt, mit Kindern und allem drum und dran. Mittlerweile bin ich ja im reiferen Alter, gehe auf die fünfzig zu. Gut, vor dreißig Jahren hätte ich ihn halt plattgemacht, hätte ich ihn umgehauen, so wie ich mich kenne. Innerlich bist du halt am kochen.

Die Begründung für den entgangenen Gewinn bzw. die Schadenersatzforderung war die: Sinngemäß habe der Kunde (‚Müller AG') die Entleihung aller Kollegen aufgrund des Verhaltens der Gekündigten bzw. des Abgemahnten nicht mehr gewollt. Bezeichnend bei den Umständen dieser Kündigungen war, dass - wie später herauskam - die ‚Müller AG' die Aufträge für das Produkt, an dem gearbeitet wurde, entzogen bekommen hatte. Somit waren die Leiharbeiter wohl überflüssig. Der Entleiher (die ‚Müller AG') fiel weg, was für die Leiharbeitsfirma bedeutete, dass sie den vertraglich zugesicherten Lohn des Arbeiters übernehmen müssen. Eine Kündigung des Leiharbeiters wegen Wegfall des Entleihers sieht das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz nicht vor (Synchronisationsverbot). Interessanter Weise stellte sich bei einer anderen Verhandlung heraus, dass der Anwalt von ‚X-Time' auch der Hausanwalt der ‚Müller AG',mit der man sich ja angeblich überworfen hatte, ist. Das angeblich Firmenschädigende Verhalten des Leiharbeiters bei der ‚Müller AG' sollte somit der Leiharbeitsfirma den Grund für die Kündigung geben.

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