Informationen zur Armut...- "wat da kommet"

Begonnen von Hajo, 11:16:45 Sa. 24.April 2004

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Hajo

Informationen zur Armut...- "wat da kommet" Teil I

Süddeutsche Zeitung 21.04.2004 17:03 Uhr


Kinderarmut steigt um fast 50 Prozent

Fachtagung warnt vor dramatischen Auswirkungen durch die Zusammenlegung von Sozial- und Arbeitslosenhilfe.
Von Sven Loerzer


Im nächsten Jahr wird die Zahl der Kinder und Jugendlichen, die in Armut aufwachsen, sprunghaft ansteigen. Der Sozialforscher und Verfasser der Münchner Armutsberichte, Rolf Romaus, rechnet mit einem Plus von 45 Prozent. Nach dem letzten Armutsbericht lebten etwa 11300 Kinder und Jugendliche in der Landeshauptstadt von Sozialhilfe. Vom 1. Januar an wären dann durch die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe rund 16500 Kinder mit ihren Eltern auf das neue Arbeitslosengeld II (Alg II) angewiesen.

Gerade für Familien mit Kindern, aber auch für Alleinerziehende in München bedeutet dies, dass ihr Budget – wie die SZ bereits berichtet hat – nicht mehr das bisherige Sozialhilfeniveau erreicht. Nach einem Jahr Bezug von Arbeitslosengeld steht künftig der jähe Absturz in die Armut bevor.

Bei einer vom Kreisjugendring veranstalteten Fachtagung zu Armut und ihren Folgen bei Kindern und Jugendlichen lenkte Romaus den Blick auf diese Auswirkungen, die bislang fast nur in Fachkreisen wahrgenommen wurden: In der Bundesrepublik werde die Zahl der in Einkommensarmut lebenden Kinder von bisher etwa einer Million auf 1,5 Millionen steigen.

Mit dem neuen Alg II (345 Euro zuzüglich Miete und Heizung in den alten Bundesländern) erhalte eine vierköpfige Münchner Familie dann knapp 82 Euro weniger im Monat als bisher mit Sozialhilfe. Die Belastung durch die Gesundheitsreform schmälere das Familienbudget pro Kopf um etwa 80 Euro pro Jahr. ,,Die gesellschaftliche Spaltung in reiche Kinderarme und arme Kinderreiche wird künftig noch mehr zutreffen", zog Romaus ein bitteres Fazit.

Zuvor hatten Gerhard Beisenherz vom Deutschen Jugendinstitut (DJI) und der Soziologe Wolfgang Ludwig-Mayerhofer von der Universität Siegen anschaulich beschrieben, was Armut für die Entwicklung der Kinder bedeuten kann. In einkommensarmen Familien streiten die Kinder häufiger mit der Mutter – sogar um Essen und Trinken, berichtete Beisenherz von einer noch laufenden Untersuchung zu den Lebensbedingungen von Kindern. ,,Ich nerve meine Mutter, bis ich Erfolg habe" – diese Strategie verfolgen Kinder der untersten Armutsgruppe am häufigsten. ,,Nachgeben ist nicht angesagt", erklärte Beisenherz, ,,konfrontatives Verhalten nimmt zu."

Mit steigendem sozialem Status träfen sich Kinder mit weniger, aber festeren Freunden, während Kinder mit niedrigerem Status eher den Kontakt zu größeren Gruppen suchen und Freundschaften häufiger abbrechen. Das informelle Lernen im Austausch mit Freunden aber, so Beisenherz, spiele neben dem formellen Lernen in der Schule für die Bildung eine wichtige Rolle.

Studien aus den USA zeigten, dass Armut bei Kindern im Vorschulalter noch 15 Jahre später an deren schulischen Leistungen und dem Schulerfolg spürbar sei, betonte Ludwig-Mayerhofer. Die Schulen dürften nicht nur als ,,Wissens-Trichter" verstanden werden, sondern müssten durch Investitionen – etwa in mehr Schulsozialpädagogik – als Förder- und Lebensraum gestaltet werden. ,,Arme Kinder sind viel stärker von infrastrukturellen Angeboten, Treffpunkten mit anregendem Charakter, abhängig", sagte Beisenherz und warnte die Politiker vor einer Vernachlässigung dieser Angebote.

Doch die interessierten sich nicht für die Tagung: Es war keiner gekommen. Dabei müssten bei ihnen, so fasste Moderator Klaus Honigschnabel die Gefühle vieler KJR-Mitarbeiter zusammen, ,,angesichts der Auswirkungen der Armut die Alarmglocken schrillen".
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N24 10. April 2004

500.000 Arbeitslose ohne Geld

Verbraucherzentralen: Massen-Verarmung durch Agenda 2010


Rund 500.000 der knapp 2,2 Millionen Bezieher von Arbeitslosenhilfe verlieren nach Informationen der "Hannoverschen Allgemeinen Zeitung" am 1. Januar 2005 jegliche Arbeitslosenunterstützung. Wie die Zeitung unter Berufung auf Regierungskreisen berichtete, sind Arbeitslose von der Streichung betroffen, wenn wegen des Einkommens weiterer Angehöriger das Haushaltseinkommen über der Sozialhilfegrenze liegt.

Die Zahlen beruhen dem Bericht zufolge auf Schätzungen der Arbeitsgruppe "Arbeitslosenhilfe/Sozialhilfe" der Kommission zur Reform der Gemeindefinanzen. In Ostdeutschland entfällt für 31 Prozent der Langzeitarbeitslosen der Anspruch auf das Arbeitslosengeld II, berichtete die hannoversche Zeitung weiter. Das Arbeitslosengeld II entsteht aus der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe und liegt auf Höhe der Sozialhilfe.

Drei Millionen überschuldete Haushalte

Die Verbraucherzentralen in Deutschland warnen vor einer Massen-Verarmung durch die Agenda 2010 der Bundesregierung. Es gebe aus der täglichen Beratungsarbeit bereits eindeutige Anzeichen dafür, dass es breiten Bevölkerungsschichten durch die Reformen schlechter gehe, sagte die Chefin des Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV), Edda Müller, der "Berliner Zeitung".

"Man kann von Menschen in Pflegeheimen, die nur ein kleines Taschengeld bekommen, nicht erwarten, dass sie auf Anhieb fast ihr ganzes Geld für Arzneimittelzuzahlungen und Praxisgebühren ausgeben", erklärte Müller. Hunderttausende Langzeitarbeitslose würden auch durch das neue Arbeitslosengeld II verarmen, das sich nur noch auf dem Niveau der bisherigen Sozialhilfe bewegen werde. Die Folge werde sein, dass sich noch mehr Haushalte überschulden.

1988 habe es in Deutschland zwei Millionen überschuldete Haushalte gegeben. Heute seien es bereits rund drei Millionen - weiter steigender Tendenz, warnte Müller

(N24.de, AP, DDP)
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Tagesspiegel – Berlin

Praxisgebühr: Berliner meiden den Arzt

Starker Rückgang der Patientenzahlen vor allem in den ärmeren Bezirken

Praxisgebühr und höhere Zuzahlungen – die seit dem 1. Januar geltende Gesundheitsreform hält offenbar auch in Berlin viele Menschen vom Arztbesuch ab. In den ersten drei Monaten diesen Jahres behandelten die rund 7500 in der Hauptstadt niedergelassenen Ärzte und Psychologen 8,8 Prozent weniger Patienten, als im gleichen Zeitraum 2003. Dieser Rückgang liege etwa im Bundesdurchschnitt, sagte Manfred Richter-Reichhelm, Vorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin (KV) am Mittwoch auf einer Pressekonferenz.

Auffällig seien aber die Zahlen aus den einzelnen Bezirken, sagte der KV-Chef. So ging die Zahl der Arztkontakte im sozial schwächeren Neukölln um fast 16 Prozent zurück, während im wohlhabenderen Charlottenburg-Wilmersdorf die Doktoren sogar mehr zu tun hatten: plus 1,2 Prozent. Es dränge sich der Verdacht auf, dass besonders Arme weniger zum Arzt gingen, um Geld zu sparen. Angelika Prehn, Allgemeinärztin in Friedrichshain und Berliner KV-Vizechefin, bestätigt diesen Eindruck. So habe eine Patientin auf eine Insulinpumpe verzichtet, weil sie dann für das lebenswichtige Medikament mehr zuzahlen müsste. Und ein Über-70-Jähriger lehnte nach einem Schlaganfall eine Physiotherapie ab, weil er sie sich nicht habe leisten können.


Unterschiede gibt es auch bei den Fachgruppen. Den Hautärzten und Internisten ging jeweils mehr als ein Fünftel ihrer Patienten verloren. Die Hausärzte dagegen versorgten sieben Prozent weniger Kranke. Auf das Einkommen der Mediziner wirkt sich dieser Rückgang aber nicht aus. In Berlin gelten Budgets, die sich an den Patientenzahlen der vergangenen Jahre orientieren. Das heißt: Die Mediziner haben zwar weniger Patienten, bekommen von der KV aber das gleiche Geld.

Als einen der Hintergründe für den Patientenrückgang nannte Richter-Reichhelm, dass viele Kranke Ende 2003 noch einmal zum Doktor gegangen seien, um sich mit Arzneivorräten einzudecken. Im Laufe des Jahres würde die Zahl der Behandlungen deshalb wohl wieder steigen.

Insgesamt hätten die Berliner Ärzte im ersten Quartal 4,8 Millionen Patientenkontakte abgerechnet, 2,1 Millionen davon seien praxisgebührenpflichtig gewesen, teilte die KV mit. Insgesamt kassierten die Mediziner rund 20 Millionen Euro, die die Krankenkassen von ihrem Budget wieder abziehen. Die Berliner murrten zwar über Gebühr. Doch die meisten hätten die zehn Euro anstandslos bezahlt, sagte Richter-Reichhelm. 10 000 Patienten hätten die Gebühr noch nicht beglichen. Sie müssten nun mit Mahnverfahren rechnen, die die KV in den nächsten Tagen einleiten werde.

Der befürchtete Missbrauch der Notärzte der Berliner Feuerwehr, die keine Praxisgebühr kassieren dürfen, ist nach den Angaben des Berliner Feuerwehrchefs Albrecht Broemme ausgeblieben. Anfang des Jahres hatte man noch vermutet, dass viele Berliner statt des ärztlichen Bereitschaftsdienstes der KV, bei dem die Gebühr fällig wäre, aus Kostengründen nun die Feuerwehr alarmieren könnten. Ingo Bach

ManOfConstantSorrow

Ich glaube, die meisten wissen, daß es uns mehr und an den Kragen geht und wir wenig zu lachen haben...

Doch die Frage ist doch, was machen wir in dieser Situation mit einer solchen Feststellung?

Kämpfen. Klar! Aber wie???
Arbeitsscheu und chronisch schlecht gelaunt!

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