Gewerkschafterinnen, fürchtet euch nicht!
Arbeitskampf. Nur mit einem radikalen Neuanfang kommen die Gewerkschaften aus ihrem Tief. So könnte er aussehen
https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/arbeitskampf-wie-die-gewerkschaften-gerettet-werden-koennenIch halte betriebliche Kämpfe für das bedeutendste Mittel für die grundlegende Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse.
Ich teile aber die Hoffnung nicht, daß die DGB Gewerkschaften ein geeignetes Mittel zur Organisierung dieser Kämpfe sind. Seit mindestens 50 Jahren hofft man, wenn Linke in die Gewerkschaften gehen, sie daraus kämpferische Organisationen machen können. Sie haben sich irgendwann in dem Apparat verschlissen, haben resigniert oder reden immernoch den gleichen Mist wie vor Jahrzehnten... doch sie erreichen nichts. Ich halte den DGB für ebensowenig reformierbar wie Vatikan oder FIFA.
Den Aktivisten bei Amazon ist unglaubliches gelungen, sie haben nicht nur gewerkschaftliche Strukturen genutzt für ihre Organisierung und ihren Kampf, ihnen ist es auch gelungen, einen großen Freiraum innerhalb des Gewerkschaftsapparats zu entwickeln. Sie erhielten ein Kontigent an Streiktagen, über die sie spontan und autonom entscheiden können, ohne die Gewerkschaft um Genehmigung bitten zu müssen. Das ist aber eine Ausnahmesituation bei Amazon. Das lag einerseits an der besonderen Situation, daß der US Konzern den Laden völlig gewerkschaftsfrei halten wollte und Verdi es nicht ungern sah, daß ein paar klassenkämpferische Aktivisten ihr nun mehrere Tausend neuer Mitglieder beschert haben. Außerdem waren es recht gewiefte Betriebsaktivisten, die mit einem geschckten Umgang mit Verdi in diese Position gekommen sind.
Ich kenne auch andere, die nicht nur eine Verbesserung betrieblicher Bedingungen anstreben, sondern einen Umsturz der gesellschaftlichen Verhältnisse, die in DGB Gewerkschaften organisiert sind. Sie treffen sich und diskutieren außerhalb der gewerkschaftlichen Strukturen, haben teilweise Leute im Betriebsrat und/oder Betriebsgruppen. Ich finde das gut. Eine solche Gruppe hat auch einen Wilden Streik auf die Beine gestellt, also einen Arbeitskampf jenseits der Gewerkschaft.
Ich finde erstmal alles gut, was dazu beiträgt, daß Kämpfe innerhalb des Ausbeutungssystems entstehen. Das können Leute in der Gewerkschaft sein, die auch bereit sind, einen gewerkschaftsunabhängigen Kurs zu fahren. Es können Basisgewerkschaften sein, die sich nicht auf den beschissenen sozialpartnerschaftlichen Kurs des DGB eigeschworen haben, sondern für den aktiven Kampf mit den Kollegen stehen oder diejenigen, die einfach mit Basisarbeit und Betriebsgruppen Kämpfe vorantreiben wollen.
Auch die aktuelle Krankenhausbewegung ist sehr inspirierend, die sich außerhalb der bürokratischen Gewerkschaftstradition bewegt und die Spaltungen zwischen Pflegekräften, Servicepersonal und Ärzten überwindet und auch Unterstützer von Außen einbezieht, wie Patienten, Angehörige oder Stadtteilgruppen und andere.
Yasmin Fahimi steht für einen Neuanfang. Misslingt er, ist es mit der gesellschaftlichen Gestaltungskraft für lange Zeit vorbei.
Hilmar Höhn, Autor des Artikels im Freitag, verdient seine Brötchen bei der DGB-nahen Böcklerstiftung.