Der Avantgarde läuft niemand hinterher

Begonnen von Kuddel, 20:25:43 Di. 24.Mai 2022

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Wanderratte

Zitat von: Kuddel am 12:43:23 Mi. 26.Februar 2025Für die meisten von uns (hier im Forum, aber auch darüber hinaus) ist das Leben bestimmt von Arbeit oder/und Armut. Das bedeutet zumeist unfrei und unglücklich zu sein. Man sucht nach individuellen Auswegen, doch die Nischen in dieser Gesellschaft schrumpfen. Das Gründen von Kleinstunternehmen, Soloselbständigkeit und Freiberuflichkeit haben Zulauf. In der Praxis bedeutet das oftmals unmenschliche, aber unkontrollierte Arbeitszeiten und die betrieblichen Sorgen (Auftraggeber zahlt nicht) verfolgen einen bis in den Schlaf.
Ja, leider klappt das mit den individuellen Auswegen zumeist nicht wirklich. Das musste ich auch schon feststellen.

Ich dachte ja auch immer, wenn ich keinen Job finde, dann mache ich halt irgendwas selbstständig. Doch das war wohl eine Illusion. Ich habe wohl eher in einer Traumwelt gelebt.

Die Realität sah dann nämlich doch ganz anders aus. So viele Aspekte, die ich vorher nicht berücksichtigt hatte.

Doch irgendwie war es gut, dass ich erst gar nicht damit begonnen habe. Das alles hätte mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit sowieso nur zu Ärger und Frust geführt.

Zitat von: Kuddel am 12:43:23 Mi. 26.Februar 2025Ich wollte hier nochmal darauf hinaus, daß linke sich gern als eine "Avantgarde" sehen, die der Bevölkerung sagt, wo es lang geht. Das funktioniert nur so nicht. Linke sind viel öfter freiberuflich unterwegs und haben keine Ahnung, wie die Menschen in "normalen" Betrieben, in der Leiharbeit oder an der Supermarktkasse denken und fühlen. Man wird erst dann wahrgenommen, wenn man verstanden wird, aber auch wenn man menschlich ernst genommen wird, wenn man als Nachbar oder als Kollege normal miteinander redet.
Dabei sollte es doch selbstverständlich sein, dass man normal miteinander redet.

Doch wer sich als "Avantgarde" sieht, möchte wohl viel lieber, dass sich die anderen anpassen. Da sollte man sich schon fragen, was man überhaupt will.

Politisch links sein, nur für sich selbst, damit kann man doch nichts anfangen oder erreichen. Eine bessere Gesellschaft bekommt man somit zumindest nicht.

Zitat von: Kuddel am 12:43:23 Mi. 26.Februar 2025Ich glaube, genau hier beginnt das Problem. Im linken Millieu wird teilweise eine Sprache gebraucht, die anderen schwer verständlich oder zumindest komisch vorkommt. Und dann gibt es noch ein kulturelles Anderssein. Aus dem Szenemillieu gibt es ein gewisses Naserümpfen gegenüber den Normalos. Aber niemand mag es, wenn auf einen herabgeblickt wird. Dann reagiert man pampig. Einige reagieren mit Faschosprüchen. Damit ist man linke Spinner schnell los.
Wenn jemand auf mich herabblickt, dann reagiere ich ja auch pampig. Das ist völlig normal und sollte auch dem Szenemillieu klar sein.

Doch das Problem beginnt vielleicht sogar schon in der Schule. Denn warum muss es überhaupt verschiedene Schulformen (Hauptschule, Gymnasium usw.) geben. Damit beginnt doch schon eine Entfremdung von den anderen Schülern. Eine Schulform für alle, so sollte es meiner Meinung nach sein.

Und in den Wohngebieten ist es genau dasselbe. Auch hier sollten unterschiedliche Menschen zusammen und miteinander wohnen können.

Zitat von: Kuddel am 12:43:23 Mi. 26.Februar 2025Wenn es Linken nicht gelingt, menschlich auf Augenhöhe wahrgenommen zu werden, fehlt bereits die Grundlage für politische Arbeit. Und vielleicht noch wichtiger ist, daß linke "Rezepte" als hilfreich für die Menschen erkannt werden, daß sie einen stärken, wenn es Ärger beim Amt, Konflikte bei der Arbeit oder mit dem Vermieter gibt.
Ich halte sehr viel davon, Beratungsarbeit mit politischen Aktionen zu kombinieren.

Die Stadtteilgewerkschaft "Solidarisch in Gröpelingen" und ähnliche Initiativen machen ja genau das. Doch leider sind sie noch immer eher selten, was ich sehr schade finde.

Okay, es existieren jede Menge nichtunabhängige Initiativen.

Doch mir kommt es so vor, sobald Sozialpädagogen usw. meinen, bei einer Initiative mitmachen zu müssen, sodann werden die Menschen, wenn sie Probleme haben, zumeist als "Defizitobjekt" wahrgenommen. Ich finde solch eine Herangehensweise einfach nur herablassend und kontraproduktiv.

Stattdessen benötigt man sehr viel mehr linkspolitische Projekte, die unabhängig sind. Ich denke, nur so kann es funktionieren.

Wenn man sich sprachlich und kulturell von den anderen abhebt, dann erreicht man gar nichts und niemanden. Man sollte unbedingt auch über den eigenen Tellerrand schauen können.

Kuddel

Es ist blöd, jetzt immer auf Solidarisch in Gröpelingen zu verweisen. Das ist eine tolle Initiative, doch die wirkt nur aktiv in einem einzigen Stadtteil in einem Land mit 80 Millionen Einwohnern.

Es sind nicht die Linken, die das Land grundlegend umkrempeln werden.

Es werden große Teile der Bevölkerung sein, die, wenn sie erstmal in Bewegung gekommen sind, die Gesellschaft verändern werden. Da bleibt die Frage, ob die Menschen aus sich heraus einen Weg in ein Besseres Leben beschreiten oder ob sie irgendwelchen linken Propagandisten, religiösen Propheten oder rechten Führern folgen.

Diese herablassende Haltung von Linken dem "Arbeiter", dem "Proll" oder "revolutionären Subjekt" gegenüber macht mich wahnsinnig. Wir müssen lernen uns zurück zu nehmen und sollten einfach zuhören und etwas von dem Leben der anderen erfahren, die vielleicht ganz anders leben als Mensch aus der linken Subkultur.

Kämpfe müssen nicht von Linken angeführt werden. Linke können auch von Kämpfen der einfachen Leute lernen.

Eine aktuelle Anekdote von einem migrantischen Linken in Frankfurt. Er arbeitete in einem Asiamarkt und fühlte sich ausgebeutet und von seinem Chef mies behandelt. Er wollte einen Betriebrat gründen und hat sich bemüht, die Kollegen zu organisieren. Er merkte, daß es lange dauern würde und hat einfach hingeschmissen und gekündigt. Er hat dann mitbekommen, daß ein paar seiner Kollegen dem Chef aufgelauert und eine Tracht Prügel verabreicht haben. Später hat er gehört, daß es in einem Asiamarkt in Berlin einen ähnlichen Vorfall gegeben hat.

Klassenkampf hat viele Gesichter und Formen.

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