Merkel-Offensive: Noch mehr Druck für Arbeitslose

Begonnen von Regenwurm, 20:32:57 So. 06.Juli 2008

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Regenwurm

"Merkel schwört Deutschland auf härteren Kampf gegn Arbeitslosigkeit ein" titelt der SPIEGEL-Online in einem Bericht über ein Interview, das die Kanzlerin der Wirtschaftswoche gab. Während uns Monat für Monat unter viel Jubel und Selbstbeweihräucherung der ehemals großen Parteien der Rückgang der Arbeitslosenzahlen auf den niedrigsten Stand seit 15 Jahren gemeldet wird, geht Frau Merkel in die Offensive und will beweisen, dass sie nicht "reformmüde" ist, wie ihr von Seiten der Wirtschaft gerne vorgeworfen wird.

Zuverdienst kürzen

Wo anfangen? Natürlich bei denen, die am wenigsten haben: Sie will "die Hinzuverdienstgrenzen für Hartz-IV-Empfänger reformieren, so dass bessere Anreize zur Aufnahme von Arbeit bestehen", um so den "Einstieg in den Aufstieg" zu ermöglichen. Im Moment können ALG2-Empfänger 100 Euro anrechnungsfrei hinzuverdienen, dazu kommen nochmal 20% (ab 800 Euro 10%) des Zuverdienstes, der die 100 Euro übersteigt. Diese Regel hatte den guten Sinn, für die Leistungsempfänger auch Mini-Jobs attraktiv zu machen - eine Möglichkeit, von der auch massiv Gebrauch gemacht wird. Entfällt der Zuverdienst wieder, steigt die Attraktivität einer Vollzeit-Arbeit, so denkt man sich das und schreitet zu "Reformen".

Welche Arbeit die so Motivierten dann aufnehmen sollen? Zwar mangelt es in etlichen Branchen schon an Fachkräften, doch diejenigen, um die es hier geht, sind für diese Jobs in der Regel nicht qualifiziert. Also ist wohl der Billiglohnsektor das Ziel der "Eingliederung in den Arbeitsmarkt", dem sich nach Meinung einschlägig interessierter Kreise noch immer zu viele Langzeitarbeitslose erfolgreich entziehen. Dazu passt die wolkige Merkel-Ansage, man müsse "die arbeitsmarktpolitischen Instrumente noch einmal effizienter machen und bündeln".

Rein in die Zwangsarbeit: aktivierende Sozialhilfe

Was mag das wohl bedeuten? Wie zwingt man Menschen dazu, einen grottenschlecht bezahlten Job anzunehmen, der wenig oder gar nicht mehr bringt als das bisher gezahlte ALG2 ? Die 100 Euro wegfallender Zuverdienst können den "großen Sprung" wohl kaum bewirken, denn die sind auch schwarz schnell dazu verdient.

Wer wissen will, was droht bzw. wohin die Reise gehen soll, dem empfehle ich das Dokument "Hartz IV fördert Minijobs und krankt an der ungenügenden Durchsetzbarkeit der Zumutbarkeitsregeln" von Christian Holzner, seines Zeichens wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Ifo-Institut für Wirtschaft, von dem die Bundesregierung beraten wird.

Hier wird im Detail das Konzept der sogenannten "aktivierenden Sozialhilfe" vorgestellt, das kurz gefasst folgendes vorschlägt: Weil die rechtlich möglichen Sanktionen (= Streichung aller Leistungen mit Ausnahme der Miete) wegen Verweigerung zumutbarer Arbeit in der Praxis schlecht durchsetzbar sind, soll allen Arbeitslosen ein Arbeitsvertrag bei Zeitarbeitsfirmen angeboten werden, die mit deren Betreuung und Verleih beauftragt werden. Weigert sich ein Arbeitsloser, hätte er damit seine mangelnde Arbeitsbereitschaft bewiesen, womit er den Anspruch auf den Regelsatz verwirkt hat. Im Moment sei es dagegen noch leicht, sich bei Job-Angeboten ungeschickt anzustellen und vom Arbeitgeber abgelehnt zu werden, was dazu führe, dass der Regelsatz nicht gestrichen werden könne und so auch nicht als "Hinzuverdienst" bei Aufnahme einer Arbeit ins Kalkül der Arbeitslosen einfließe:

"Ziel der Aktivierenden Sozialhilfe ist nichts anderes, als einen Sanktionsmechanismus zu schaffen, der immer greift und somit immer auch hohe Hinzuverdienstmöglichkeiten garantiert. So sieht der ifo Reformvorschlag vor, dass jeder, der einen Arbeitsvertrag bei einer Leiharbeitsfirma ablehnt, in derselben Höhe sanktioniert wird wie bei Hartz IV. Ihm bleiben dann nur noch die Leistungen für Unterkunft und Heizung. Nimmt der Arbeitslose das Angebot der Leiharbeitsfirma an, so bekommt er die 345€ ALG II ausbezahlt. Wenn jedem Arbeitslosen ein Arbeitsvertrag von einer Leiharbeitsfirma angeboten wird, dann greift der Sanktionsmechanismus in allen Fällen, und die Hinzuverdienstmöglichkeiten sind entsprechend hoch."

Der drohende Entzug der Lebensgrundlage erschafft die "hohe Hinzuverdienstmöglichkeit" - toll, was man mit Sprache alles machen kann! Die Leiharbeitsfirma bekommt in diesem Modell die bisherigen ALG2-Leistungen als Lohnsubvention ausgezahlt, denn faktisch haben die Leute ja nach wie vor keine Arbeit, sondern werden "betreut". Schaffen sie es, den einen oder anderen Arbeitslosen tatsächlich zu verleihen, machen sie Gewinn, denn der Stundensatz wird höher liegen als das, was der Beschäftigte ausbezahlt bekommt. Was wiederum für den Arbeitgeber einen Anreiz darstellen soll, mit dem Ausgeliehenen einen direkten Arbeitsvertrag zu schließen: so mit einem Stundensatz um 5.90 Euro sei das für beide Seiten ein klarer Vorteil.

Dass ein Mindestlohn ab 7.50 Euro aufwärts solche Konstruktionen platzen lässt, ist klar. Hoch und heilig verspricht denn auch die Kanzlerin der Wirtschaft, dass der mit ihr nicht zu machen sei.

In unserem Grundgesetz steht übrigens in Artikel 12

(1) Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Die Berufsausübung kann durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelt werden.
(2) Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht.
(3) Zwangsarbeit ist nur bei einer gerichtlich angeordneten Freiheitsentziehung zulässig.

Ob wohl irgend jemand meint, die komplette Streichung des Regelsatzes sei kein Zwang? So nach dem Motto: man kann sich ja frei entscheiden, auf Lebensunterhalt zu verzichten und verhungern?

Quelle
Das System macht keine Fehler, es ist der Fehler.

Postaldude

Der Bundestag muss Brennen!!!

Da fühlen sich manche ihrer Sache und Ihres Lebens verdammt sicher.
live is a mountain railroad, crossing down the edge

Irrlichtprojektor

Und die Sklavenaufseher in den ZAF`s sind ja alle so doll ausgebildet und verfügen über weitreichende Menschenkenntnisse und dem nötigen Feingefühl für "schwierige Fälle". Heutige Leihkeulen werden dann wohl erst mal ne Runde pausieren müssen um etwas später erneut in den Genuß einer ZAF-Betreuung zu kommen.....wir wollen doch ne Gleichbehandlung und nicht besser gestellte Sklaven, schlechter gestellte Sklave herausbilden.


Dass kriegst du nie und immer alles ausgekotzt!
 :kotze>

1984

Bei feynsinn.org zu dem Thema:

ZitatDie Bundeskanzlerin und ihre Sachkompetenz - noch ein Sommermärchen. Der Oeffinger sagt's in aller Kürze, und seine Kritik an der Berichterstattung der Medien ist äußerst gerechtfertigt. Beispielhaft dafür zitiert SpOn die Wirtschaftswoche:

"Merkel sagte jetzt in dem Interview mit der "Wirtschaftswoche", unter ihr würden sicher keine Reformen zurückgedreht, die den Wirtschaftsaufschwung mitbegünstigt hätten. "Das sage ich ausdrücklich beispielsweise mit Blick auf Bestrebungen, die Rente mit 67 auszuhöhlen[...]"

Die "Rente mit 67, deren erste Auswirkungen erst in eingen Jahren messbar werden können, haben absolut nichts mit einem aktuellen Wirtschaftsaufschwung zu tun. Das kann man Merkel aber gar nicht ankreiden, denn sie hat es völlig anders formuliert:
"Während meiner Kanzlerschaft werden sinnvolle Reformen an keiner Stelle zurückgedreht. Das sage ich ausdrücklich beispielsweise mit Blick auf Bestrebungen, die Rente mit 67 auszuhöhlen[...]"

Merkel will den Agenda-Kurs forsetzen, das wird auch im SpOn-Artikel deutlich. Das Boulevardnachrichtenportal will aber Gutes tun und ihren Job vermeintlich besser machen als sie selbst.

"Merkel schwört Deutschland auf härteren Kampf gegen Arbeitslosigkeit ein" ist die Titelphrase. Das "Einschwören" übernimmt SpOn aber selbst durch die grenzdebile Behauptung, zukünftige Rentenkürzungen schafften heute schon Arbeitsplätze. "Härterer Kampf gegen Arbeitslosigkeit" ist aus derselben Charge. So etwas schreiben Leute, die keinen Gedanken an ihre eigene Sprache verschwenden. Wer kämpft denn da? Was bedeutet "einschwören"? Gegen wen oder was wird da "gekämpft", was sind die Mittel, wer gewinnt und wer verliert? Würde der Autor "ler", der "Reuters/dpa" zitiert haben will, seinen Job halbwegs tragbar erledigen, hätte er sich diese Fragen selbst gestellt. Dann wäre vielleicht ein Stück Journalismus dabei herausgekommen, über das man nicht (wie der Oeffinger) sagen müßte:
"Viel zu häufig werden nur die hohlen Phrasen wiedergekäut und wird bestraft, was nicht hohle Phrase ist".

OliR64

Da möchte ich mal bemerken, daß ich in dem Zusammenhang das Wort "neoliberal" sehr unpassend finde !  Neo=neu ist das alles nicht sondern nichts anderes als die seit Jahrhunderten und Jahrtausenden vollzogene Ausbeutung. Und liberal ?  Hatte das nicht irgendwas mit Freiheit zu tun ?

Postaldude

ZitatDa möchte ich mal bemerken, daß ich in dem Zusammenhang das Wort "neoliberal" sehr unpassend finde ! Neo=neu ist das alles nicht sondern nichts anderes als die seit Jahrhunderten und Jahrtausenden vollzogene Ausbeutung. Und liberal ? Hatte das nicht irgendwas mit Freiheit zu tun ?
 
neoliberal=
Die Freiheit des Kapitals, den Menschen mit föllig neuen und bisher ungeahnten Möglichkeiten zu unterdrücken und zu knechten!
live is a mountain railroad, crossing down the edge

Arwing

Ganz klar, den Regierenden und den derzeitigen neoliberalen Parteien (Spd, Grüne, Cdu/Csu, Fdp) muss die vom Volk verliehene Macht zum Regieren komplett entsagt werden.

So, soviel zum Wunschträumen.

Leider sieht die Realität eher danach aus, dass dieser "Reichsarbeitsdienst" in einer anderen sprachlich formulierten Verpackung, dem deutschen, obrigkeitshörigen und geistig abwesenden Michl als ein wichtiges arbeitsmarktpolitisches Instrument verkauft wird, um durch weitere sinkende Arbeitslosigkeitszahlen, den Wohlstand für alle sichern zu können... :schlafen>
Das aktuelle Geldsystem ist auf die Gewinnmaximierung einer kleinen Elite ausgerichtet, die von der Gemeinschaft der Bürger Europas erbracht werden soll und die politische Elite fungiert als Handlanger.

BakuRock

Irgendwo ham sich die Typen heute (gestern!) wohl vermacht? - Da wurde gemeldet, dass eine Software wiedermal versagt hat, wodurch eine gewisse Anzahl von ALGII-Beziehern die Leistung erst spaeter erhalten wuerden.

Das waere aber nur ein geringer Teil der etwa 7 Millionen (sieben Millionen!) ALGII- Bezieher, die man versorge.

Wieviele registrierte Arbeitslose haben die gemeldet? ..... richtig

Wer bezieht ALGII? ..... richtig

Komische Differenzen  :rolleyes:
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Wenn eine Idee am Anfang nicht absurd klingt, gibt es für sie keine Hoffnung. .... A. Einstein

Eigentumsfragen stellen!

Wer sind FAUistas

1984

@Baku

Zu den 7 Millionen ALG II Empfängern kommen ja noch die ALG I Empfänger, so dass wir bei rund 8 Millionen Leistungsempfängern liegen. In der Presse ist aber immer von etwas mehr als 3 Millionen Arbeitslosen zu lesen.

Für mich ist es ein Skandal, dass die Presse dieses Spiel mitmacht. Vorallem wundere ich mich über den Hochmut der politischen Klasse anscheinend zu glauben, dass die Menschen so dumm sind, um auf Dauer auf ihre Taschenspielertricks hereinzufallen.

Hochmut kommt vor ... was?

Regenwurm

@1984 jo so isses und ich denk so:

Arbeit ist eigentlich dank des technischen Fortschritts ein Auslaufmodell.

Aber die Mächtigen ob Kirchen und Politiker, Militärs und Konzerne wollen Sklaven und keine denkende liebende Masse Mensch.

Es geht weiter wie bisher, es kann nur schlimmer werden.


Der ganze Ärger fing damit an, das einer ein Grundstück einzäunte und meinte es wäre seins. Gemacht hat dagegen keiner was.

Einschüchterungen und Angstmache und letzendlich entziehen Sie uns die finanzielle Grundlage.
Das System macht keine Fehler, es ist der Fehler.

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