Als „Zwangs- oder Pflichtarbeit" im Sinne dieses Übereinkommens...

Begonnen von Klassenkampf, 11:21:33 Di. 28.November 2006

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Klassenkampf

...gilt jede Art von Arbeit oder Dienstleistung, die von einer Person unter Androhung irgendeiner Strafe verlangt wird und für die sie sich nicht freiwillig zur Verfügung gestellt hat.
- Artikel 2, Übereinkommen 29 der ILO -

Selten wird es so drastisch formuliert, wie es verdient wäre:

ZitatIch unterschrieb nur aufgrund der Drohung

Ein-Euro-Jobber beklagt Zwangsarbeit und fordert Entschädigung von Hamburger Uni. Ein Gespräch mit Thomas Meese

Thomas Meese ist 36 Jahre alt und studierter Soziologe. Von August 2005 bis Juni 2006 führte er an der Hamburger Universität im Rahmen einer »Arbeitsgelegenheit« wissenschaftliche Hilfstätigkeiten aus

Sie haben bis Juni 2006 an der Uni Hamburg sogenannte »Arbeitsgelegenheiten« nach dem So zialgesetzbuch II ausgeübt, also Ein-Euro-Jobs. Jetzt fordern Sie eine Entschädigung wegen Zwangsarbeit. Wie begründen Sie das?


Ich berufe mich auf das Übereinkommen 29 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) über Zwangs- und Pflichtarbeit. Der Artikel 2 definiert die Zwangsarbeit als »jegliche Arbeit oder Tätigkeit, die aufgrund eines Drucks und einer Sanktionsandrohung ausgeübt wird«. Die Arbeitsgemeinschaften von Bund und Kommunen verknüpfen ihre Vermittlungsvorschläge bei den Ein-Euro-Jobs ja sofort mit einer Rechtsfolgebelehrung. Wenn man den Job ablehnt, werden die Leistungen gekürzt und können auch vollständig gestrichen werden, sowohl die Mietkosten als auch die Hilfe zum Lebensunterhalt. Auf dem »freien Arbeitsmarkt« einen Job zu finden, versucht man ja sowieso ständig, da ist aber nichts zu holen. Als ich also die Beschäftigungsvereinbarung über den Ein-Euro-Job bekam, unterschrieb ich nur aufgrund der Drohung mit Leistungsentzug. Ich mußte fürchten, Wohnung und Essen nicht mehr bezahlen zu können.

Sie berufen sich auch darauf, daß Sie qualifizierte Arbeit geleistet haben, für die andere mehr Geld erhalten.

Nach Artikel 9c des Übereinkommens 29 der ILO müssen Menschen, die nicht auf dem freien Arbeitsmarkt angeworben werden können und sozusagen in eine Tätigkeit hineingezogen werden, genauso bezahlt werden wie diejenigen, die vergleichbare Arbeiten ausführen. Ich habe nun von August 2005 bis Juni 2006 rund 8000 Euro erhalten, während wissenschaftliche Mitarbeiter, die vergleichbare Tätigkeiten ausüben, tariflich bezahlt werden. Sie hätten in diesem Zeitraum 19 650 Euro verdient. Die Differenz fordere ich nun ein.

Hat die Universität auf Ihre Forderung, die Sie Anfang November erhoben haben, reagiert?

Inzwischen habe ich Mitteilung, daß mein Anliegen der Rechtsabteilung der Uni zugegangen sei und bearbeitet werde. Es hieß, es müßten noch andere Stellen befragt werden, um den Fall zu entscheiden. Das war bisher die einzige offizielle Reaktion.

Was haben Sie noch unternommen, um Ihrer Forderung Geltung zu verschaffen?

Ich habe mich mehrere Tage mit einem Schild vor die Uni gestellt, auf dem stand, daß ich Zwangsarbeit geleistet habe und Entschädigung fordere. Dort habe ich jeden Tag ungefähr 500 Flugblätter verteilt.

Wie sind die Reaktionen, wie verhalten sich die Medien?

Das Echo ist schwach. Harald Thomé vom Tacheles e.V. hat meinen Fall veröffentlicht, und ein erfreulicher Anruf kam aus dem Büro von Katja Kipping aus der Linksfraktion. Der Chef des Dresdener Arbeitslosenrates Ronald Blaschke bemüht sich um eine Stellungnahme der ILO in Deutschland, die in Berlin sitzt. Mir allerdings wurde dort mehrfach die Auskunft verweigert. Deshalb habe ich mich jetzt direkt an den Hauptsitz der ILO in Genf gewandt, um eine Stellungnahme zu erhalten.

Planen Sie, davon abgesehen, weitere Schritte?

Ich bemühe mich um weitere Presseberichterstattung, aber gerade bei der bürgerlichen Presse ist es schwer, Resonanz zu erzielen. Sollte meine Forderung erfolgreich sein, haben wir den Präzedenzfall, auf den es ankommt – aber gerade deshalb werden sie wahrscheinlich nicht zahlen. In diesem Fall will ich den Rechtsweg beschreiten. Dazu werde ich Unterstützung brauchen. Ich versuche es zur Zeit bei der Linkspartei in Hamburg. Von den 345 Euro Arbeitslosengeld II kann ich mir natürlich keinen Rechtsanwalt leisten.

Welche Schritte planen Sie als nächstes?

Ich habe noch viele andere Ideen, zum Beispiel, auch Unternehmen in Hamburg zu outen, die Ein-Euro-Jobber ausbeuten – die Wohnungsgesellschaften, die Verkehrsbetriebe usw. Jetzt muß ich aber erst einmal abwarten, was von der Uni und der ILO kommt, und dann sehe ich weiter.

Rar ist das Aufbegehren in legalen Bahnen, nicht alleine weil Aufklärung fehlt, sondern auch, weil Zeitgenossen in dankbarster Demut ihre Ein-Euro-Arbeitsstelle antreten. Diese fröhlichen Gesichter suggerieren, es würde sich bei dieser Art Zwangsarbeit um ein edles Bestreben handeln, Menschen in den Arbeitsmarkt zurückzuführen. Diejenigen aber, die es dieses Konzept als das sehen was es ist - Zwangsmaßnahme, zugunsten der Ausbeutung von Arbeitskraft - werden als Madigmacher und Misanthropen wahrgenommen - Defäitisten, die der Sache entgegenstehen...

Quelle Interview
Quelle Übereinkommen 29 - ILO
,,Diese Verhältnisse sind nicht die von Individuum zu Individuum, sondern die von Arbeiter zu Kapitalist... Streicht diese Verhältnisse, und ihr habt die ganze Gesellschaft aufgehoben."
--- Karl Marx, "Das Elend der Philosophie" ---

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