Prüfung ohne Prüfbericht - Rechnungshof hält Ergebnisse zur LVA-Affäre zurück

Begonnen von Wilddieb Stuelpner, 14:50:47 So. 18.November 2007

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Wilddieb Stuelpner

Leipziger Volkszeitung, vom 15. November 2007

Prüfung ohne Prüfbericht - Rechnungshof hält Ergebnisse zur LVA-Affäre zurück – obwohl das Papier längst vorliegt

Von JÜRGEN KOCHINKE

Dresden. Es ist gute Sitte in Deutschland, dass der Umgang mit Steuergeldern regelmäßig kontrolliert wird. In Sachsen macht dies unter anderem der Landesrechnungshof mit seinen Prüfberichten, alle Jahre wieder. Heute ist es erneut soweit, Präsident Franz Josef Heigl wird das opulente Werk präsentieren. Interessant ist diesmal allerdings weniger das, was darin steht – sondern das, was fehlt. Denn auf vielen hundert Seiten verlieren die Leipziger Finanzkontrolleure kein Wort zur Affäre um die Deutsche Rentenversicherung Mitteldeutschland (DRV-MD), der früheren Landesversicherungsanstalt (LVA) mit Sitz in Leipzig.

Das ist mehrfach erklärungsbedürftig. Schließlich machten vor über einem Jahr böse Meldungen über Ungereimtheiten im Klinik-Bereich der LVA die Runde. Dabei ging es immer wieder um dubiose Patientenströme, LVA-Kredite oder die mögliche Begünstigung einzelner Betreiber. Auf dem Höhepunkt der Affäre kündigte der Rechnungshof Kontrolle an, die entsprechende Prüfmitteilung aus der Feder der Finanzkontrolleure liegt seit Juli fertig auf dem Tisch – 100 Seiten stark, unterteilt in neun Schwerpunkte. Darin gehen die Prüfer zur Sache. Der interne Bericht zum Wirken der LVA listet Fehlverhalten im Dutzend auf – von Rechtsverstößen bis zu Vermögensschäden.

Konkret geht es zum Beispiel um fehlende Beiträge bei der LVA. Schon 1995 hat das Landesprüfungsamt für Sozialversicherung ein Beitragsloch in Höhe von über 20 Millionen Euro festgestellt, und der Bundesrechnungshof kam ein Jahr später gar auf rund 40 Millionen. Die Folgerungen der Rechnungsprüfer in der internen Prüfmitteilung sind wenig schmeichelhaft. Dem Versicherungsträger sei ,,ein Vermögensnachteil entstanden", notieren sie auf Seite 63, die Aufsicht im Sozialministerium habe versagt.

Ähnlich ist der Tenor an anderer Stelle, bei der Reha-Klinik in Ahlbeck. Für diese hatte die LVA ein Darlehen über rund 44 Millionen Euro ausgereicht, genehmigt vom Ministerium. Hier sind die Rechnungsprüfer knallhart: ,,Die Genehmigungen des Sozialministeriums", heißt es auf Seite 50, ,,waren rechtswidrig, die Voraussetzungen lagen nicht vor". Und mehr noch: ,,Die Klinik war nicht erforderlich." Auch eine Klinik im österreichischen Bad Gastein nehmen die Prüfer unter die Lupe. Grund: Bis Juni 2001 waren Reha-Maßnahmen im Ausland verboten, die LVA nutzte sie trotzdem. Die Bemerkung der Rechnungsprüfer auf Seite 35 ist eindeutig: Das Sozialministerium habe es ,,bewusst unterlassen", gegen den Rechtsbruch vorzugehen. Dabei sei klar, ,,dass sich der Entscheidungsspielraum bei schweren Verstößen gegen gesetzliche Regelungen in der Regel auf Null verringert".

Entsprechend kritische Anmerkungen füllen den gesamten Bericht. Die Themen reichen von unbegründeten Stellenhebungen bei der LVA über die fehlende Prüfung der Haushaltspläne bis zur Weitergabe von Geschäfts- und Dienstgeheimnissen. Hinzu kommen Unklarheiten bei der Auswahl von Reha-Kliniken, beim Klinikum Hohwald sowie beim Verkauf der Weinberg- und Forstfläche Coswig.

Auf all dies hat das Sozialministerium einigermaßen verschnupft reagiert. So hat Albert Hauser, Staatssekretär bei Ministerin Helma Orosz (CDU), den Prüfern mangelnde Objektivität vorgehalten. Diese hätten sich ,,nur diejenigen Fakten herausgepickt, die das gewollte Ergebnis tragen", schrieb er an den Rechnungshof. Offensichtlich hat dies in Leipzig Wirkung erzielt – zumindest vorerst.

Rechnungshof-Präsident Heigl begründete den fehlenden Beitrag zur LVA im Jahresbericht auf Anfrage damit, dass das ,,Verfahren noch nicht gänzlich abgeschlossen" sei. Der Schriftverkehr gehe ,,hin und her".

Wilddieb Stuelpner

Freie Presse, vom 23. Juli 2009

Sozialministerium lässt Prüfer nicht in Akten schauen - Rechnungshof vermutet Schäden in Millionenhöhe

Von Uwe Kuhr

Dresden. Um eine bisher vom Sozialministerium verhinderte Tiefenprüfung der gesetzlichen Sozialversicherungsträger ist in Sachsen ein heftiger Streit ausgebrochen. Im Clinch liegen sich der Landesrechnungshof als oberste Kontrollinstanz und das Sozialressort, das über diesen Bereich die Rechtsaufsicht hat und sich nicht in die Karten schauen lässt. Aktuell stehen beide staatlichen Behörden am Rand einer gerichtlichen Auseinandersetzung. "Das ist ein einmaliger Vorgang in Sachsen", unterstreicht Rechnungshofdirektor Peter-Per Krebs. Hinter den Sozialversicherern verbergen sich riesige Behörden mit Milliarden-Haushalten, zu denen auch Rentenversicherer und gesetzliche Krankenkassen gehören.

Ausgelöst hat den Streit eine Kontrolle bei den Rentenversicherungsträgern. Dazu hatte der Rechnungshof in seinem Jahresbericht 2008 schwer wiegende Aufsichtsmängel und Vermögensverluste in Millionenhöhe festgestellt, die auf die Kappe des Ministeriums gingen.
Aufgescheucht hatten die Prüfer Hinweise auf Rentenbeitragsrückstände, die bereits 1996 41 Millionen Euro betrugen, zweifelhafte Grundstückskäufe, Unternehmensbeteiligungen und Darlehensgeschäfte, die das CDU-geführte Sozialministerium nach Darstellung des Rechnungshofes hätte nicht genehmigen dürfen. Dadurch seien auch Risiken für den Freistaat entstanden. "Es könnten sich Haftungsansprüche in zweistelliger Millionenhöhe ergeben", warnte kürzlich ein Vertreter des Rechnungshofes im Haushalts- und Finanzausschuss des Landtages.

Das Sozialministerium räumte gestern ein, ohne konkret zu werden, dass nach wie vor Beitragsrückstände bei Renten bestünden, auch Vermögensschäden konnte es nicht ausschließen. Dennoch beharrt es darauf: Kein Prüfrecht des Rechnungshofes bei den Sozialversicherungsträgern. Dabei wollen und müssen die Kontrolleure nur prüfen, ob und wie das Ministerium seiner Aufsichtspflicht nachkommt. Die Prüfer sprechen davon, sie hätten in ein Wespennest mit Parallelen zum Debakel der Landesbank Sachsen gestochen, kommen aber keinen Fußbreit voran.

Es half auch nichts, dass der Haushalts- und Finanzausschuss mit den Stimmen aller Fraktionen beim Ministerium die Herausgabe der Unterlagen forderte. Antje Hermenau (Grüne) findet es empörend, dass das Ressort diesen Beschluss einfach ignoriere. Mit dieser Weigerung, so Monika Runge (Linke), "bremst Ministerin Christine Clauß das Parlament als Gesetzgeber aus".

Das Sozialministerium übt zum Beispiel die Rechtsaufsicht über die Deutsche Rentenversicherung Mitteldeutschland aus, die 2005 durch Fusion der Landesversicherungsanstalten Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt entstand. Allein sie hat einen Jahreshaushalt von 19 Milliarden Euro, der Jahreshaushalt des Freistaats liegt bei 16 Milliarden Euro.

Wilddieb Stuelpner

Die BRD läßt die Rentenversicherung ungestraft zur Verbrecherorganisation mutieren, die vorsätzlich im Interesse der Unternehmer und ihrer Vertreter in Politik, Verwaltung und Wirtschaft Renten falsch berechnen, kürzen und später durch Ausschluß- und Verjährungsregeln die Nachzahlung berechtigter Rentenansprüche unterbinden. Die BRD ist ein Verbrechersystem, das sozialen Notstand absichtlich im Volk organisiert.

Am Ende gibt die Rentenversicherung in Bescheiden ihre vorsätzliche Falschberechnung dem Versicherten gegenüber zu, aber grinst frech aus diesen Bescheiden - die Nachzahlungen wären verjährt. Der Staat schützt mit der rechtswidrigen Verjährung den vorsätzlichen Rentenbetrug der Rentenversicherung.

Der Bundesarbeitsminister Scholz unterstützt die verbeamteten Gaunerbüttel in der Rentenversicherung und die Unternehmerwirtschaft und -politik sorgt für eine personelle Umbesetzung oberster Gerichte, damit massiv unternehmensfreundliche Rechsprechung Anwendung findet.

Videopodcast: ARD/SWR, Sendung "Report Mainz" vom 05.10.2009, 21.45: Rentenlotterie - Warum es bei falschen Rentenbescheiden kaum Entschädigung gibt




ARD/SWR, Sendung "Report Mainz" vom 05.10.2009, 21.45: Rentenlotterie - Warum es bei falschen Rentenbescheiden kaum Entschädigung gibt

Guten Abend zu REPORT MAINZ. Fangen wir so an: Fehler können passieren, und wenn sie passiert sind, ist es das Wichtigste, dass sie schnell korrigiert werden. Das sollte in der Beziehung von Mensch zu Mensch genauso gelten wie im Verhältnis von Behörde zu Bürger. Tut es aber nicht, jedenfalls nicht immer.

Unser erster Beitrag dreht sich um falsche Rentenbescheide. Tausende Senioren haben zu wenig Rente bekommen. Schlimm, dachten wir, aber korrigierbar.

Doch Oliver Heinsch hat Menschen getroffen, die wegen falscher Rentenbescheide eine Menge Geld verloren haben. Doch obwohl das Amt den Fehler inzwischen eingestanden hat, ist ein Großteil des Geldes futsch.

Bericht:

Frank Usko kann seine eigene Geschichte immer noch nicht ganz fassen. Und die beginnt vor über 20 Jahren. Frank Usko wird nach einem Unfall schwer krank, muss seinen Beruf aufgeben. 1986 stellt er einen Antrag auf Erwerbsminderungsrente. Doch der wird abgelehnt.

O-Ton, Frank Usko:

»Es war bitter, für mein weiteres Leben hat das bedeutet, auf Sozialhilfeniveau leben zu müssen. Dementsprechend meine Eltern für mich haben mitbezahlen müssen. Es war ein sehr einfaches Leben, ein Leben, was ich mir nicht gewünscht habe.«

Frank Usko stellt vier weitere Anträge, legt zwei mal Widerspruch ein. Vergeblich. Ende der 90er Jahre gibt er auf.

Vor einem Jahr stellt er dann doch noch mal einen Antrag. Doch diesmal ist plötzlich alles anders. In dem Bescheid heißt es: Sie haben Anspruch auf Rente – und zwar seit 1986.

O-Ton, Frank Usko:

»Mir schoss das Wasser in die Augen, weil es war unvorstellbar, niemals hätte ich damit gerechnet, dass so etwas zu Stande kommt, nachdem all die Jahre ich bestätigt bekommen habe, ich habe keine Ansprüche, und man dann in diesem Schreiben auch noch zugab, Fehler gemacht zu haben und größtes Bedauern ausdrückte usw.
Da bin ich definitiv aus allen Wolken gefallen.«

Doch dann der Schock. Die Rentenversicherung entschuldigt sich zwar für den Fehler, teilt aber auch mit, dass nur vier Jahre nachgezahlt werden. Der Rest ist verjährt. So will es das Gesetz.

Auch ein Anwalt kann Frank Usko wohl jetzt nicht mehr helfen. Mehr als 100.000 Euro Rente sind so verloren. Geld was Frank Usko und seine Familie gut gebrauchen könnten.

O-Ton, Frank Usko:

»Haarsträubend. Es ist ja eigentlich wider besseres Wissen hat man mich beinahe, möchte ich sagen, betrogen um sehr viel Geld.«

Und falsche Rentenbescheide sind keine Seltenheit. Immerhin ein Drittel der Widersprüche gegen den Bescheid sind erfolgreich. Trotzdem werden nur die letzten vier Jahre Rente nachgezahlt.

Die Vorsitzende des Sozialverbandes VDK, Ulrike Mascher, fordert eine Gesetzesänderung. Immer wieder würden Rentner durch die Vier-Jahres-Frist Geld verlieren. Rentenansprüche dürften nicht verjähren, solange der Rentner vom Fehler der Rentenversicherung gar nichts weiß.

O-Ton, Ulrike Mascher, Präsidentin Sozialverband VDK:

»Der Ausgangspunkt ist ja, hier liegt ein Fehlverhalten der Rentenversicherung vor. Und dafür muss die Rentenversicherung gerade stehen. Und das kann sie nicht abwälzen auf den Rentner und sagen: Wenn du das nicht bemerkt hast, dann bist du halt der Dumme.«

Wir wollen vom Arbeitsministerium wissen, ob man hier die Vier-Jahres-Frist für gerecht hält. Schriftlich erklärt man uns:

Zitat:
»Generell galt die ,Vier-Jahres-Frist' für Nachzahlungen schon immer (...). Hintergrund sind die unabsehbaren Finanzrisiken für das System Rente.«

O-Ton, Ulrike Mascher, Präsidentin Sozialverband VDK:

»Wenn es tatsächlich ein zu großes Finanzrisiko ist, dann heißt es ja im Umkehrschluss, dass es sehr sehr viele Fälle sind. Und wenn das sehr sehr viel Fälle sind, dann finde ich das also völlig unakzeptabel, hier die Rentner und Rentnerinnen so abzuwehren.«

Tatsächlich wurden der Rentenversicherung erst vor kurzem massive Fehler nachgewiesen. Bei einer Kontrolle deckte das Bundesversicherungsamt auf, dass viele Tausend Bescheide falsch waren. Ein Desaster, das der noch amtierende Arbeitsminister zum Erfolg erklärt.

O-Ton, Olaf Scholz, SPD, Arbeitsminister:

»Viele der Fehler, die in der letzten Zeit diskutiert worden sind, sind rausgekommen, nicht weil jemand das selbst gemerkt hat, sondern weil die Nachkontrolle, die wir durch das Bundesversicherungsamt haben durchführen lassen, ergeben hat, dass was in Ordnung zu bringen ist. Und die Rentenversicherung ist nun dabei, von sich aus die Sachen richtig zu machen.«

Doch das ist nur ein Teil der Wahrheit. Ruth Deininger ist eine der Betroffenen, die nach der Kontrolle des Bundesversicherungsamtes eine Nachzahlung erhält. Die Rentenversicherung hatte zweimal vergessen, sie auf eine für sie günstigere Rentenform hinzuweisen. Doch auch bei ihr ist der größte Teil verjährt. Von 15.000 Euro sind so 13.000 verloren.

O-Ton, Ruth Deininger:

»Fair finde ich das nicht, und dann denke ich mir doch, wenn ein Fachmann das bearbeitet, muss das doch stimmen. Wenn die jetzt 2020 das gemerkt hätten, wie viele Jahre wären mir denn dann verloren gegangen, wenn ich dann überhaupt noch lebe.«

Professor Meyer ist Richter am Bundessozialgericht. Bis vor einigen Jahren war er für die Rentenrechtsprechung zuständig. Für Meyer ist es ein Unding, dass die Vier-Jahres-Frist seit einigen Jahren auch angewendet wird, wenn die Rentenversicherung den Rentner aktiv falsch beraten hat – der Rentner deshalb also zum Beispiel eine falsche oder gar keine Rente beantragt hat.


O-Ton, Wolfgang Meyer, Vorsitzender Richter am Bundessozialgericht:

»Hier wird aber der Rentenversicherungsträger tätig, hält den Bürger von der Verwirklichung seiner Rechte ab und gewährt ihm gleichwohl, wenn das offenkundig wird, nicht die Leistung für die Vergangenheit in vollem Umfang zurück. Und das scheint mir also sogar mit dem Sinn und Zweck des geltenden Rechts nicht vereinbar zu sein.«

Ruth Deiniger hat der Rentenversicherung vertraut und 13.000 Euro verloren. Frank Usko musste 20 Jahre gegen einen Fehler der Rentenversicherung kämpfen und hat am Ende mehr als 100.000 Euro Rente verloren. Geld was die Rentenversicherung spart, weil sie vor ihren eigenen Fehlern geschützt wird – auf Kosten der Rentner.

O-Ton, Professor Wolfgang Meyer, Vorsitzender Richter am Bundessozialgericht:

»Eine Schieflage zu Lasten der Rentner kann man auch darin sehen, dass er nur für vier Jahre Leistungen für die Vergangenheit erhält, wenn ihm anfangs zu wenig bewilligt wurde. Wenn er aber zu viel bekommen hat, dann muss er eigentlich unbeschränkt alles erstatten, was er zu viel bekommen hat.«

Abmoderation Fritz Frey:

Zu diesem Thema habe ich auch ein Gespräch mit unserem Autor geführt. Zu sehen im Internet unter www.reportmainz.de.

Videopodcast: Fritz Frey im Gespräch mit Oliver Heinsch - dem Redakteur der recherchiert hatte

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