"Ostdeutschland als Vorreiter beim Arbeitsmarktwandel"

Begonnen von Hochseefischer, 17:55:36 Mo. 18.Februar 2008

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Hochseefischer

ZitatOstdeutschland als Vorreiter beim Arbeitsmarktwandel
Soziologen analysieren die Transformation von Arbeitsmärkten

Die Vorreiter-Rolle gelte im Guten wie im Bösen, sagt Prof. Dr. Christoph Köhler von der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Die gute Nachricht: "Wir sind im demografischen Wandel gegenüber dem Westen um zehn Jahre voraus und daraus ergeben sich Chancen für Fachkräfte und Hochschulabsolventen." Die schlechte Nachricht: "Der Niedriglohnsektor und die Arbeitsplatzunsicherheit sind im Osten wesentlich größer als im Westen."

Diese Diagnosen und Prognosen des Jenaer Soziologie-Professors basieren auf dem Projekt "Betriebliche Beschäftigungssysteme im ost-westdeutschen Vergleich" im Sonderforschungsbereich 580, das von Köhler und seinem Oberassistenten Olaf Struck geleitet wird, und das in diesem Jahr neue, zusammenfassende Publikationen vorlegt.

Wieder bessere Chancen für junge Fachkräfte und Hochschulabsolventen

In Bezug auf den demografischen Wandel wird hervorgehoben, dass starke Altersjahrgänge das Beschäftigungssystem verlassen, während schwache Nachwuchsjahrgänge in den Arbeitsmarkt eintreten. Daraus ergeben sich heute und in Zukunft wieder bessere Chancen für junge Fachkräfte und Hochschulabsolventen. Dies betrifft jedoch nicht Geringqualifizierte. Hier gibt es weniger Jobs und zu viele Bewerber, teilweise wandern die Jobs auch in Billiglohnländer ab. In Westdeutschland läuft die demografische Entwicklung zeitverzögert ab: Gegenwärtig nimmt die Größe der Nachwuchsjahrgänge noch leicht zu und wird erst ab 2015 deutlich zurückgehen.

In Bezug auf den Anteil "schlechter" Jobs hat Ostdeutschland den Westen längst überholt. Der Niedriglohnsektor macht inzwischen fast ein Fünftel aller Jobs aus. Im Osten Deutschlands lässt sich eine Zunahme von Leiharbeit, Befristung und staatlich subventionierter Tätigkeiten feststellen, deren Anteil zudem deutlich höher als im Westen Deutschlands ist. Dies macht sich u. a. darin bemerkbar, dass der Anteil kurzfristiger Beschäftigungsverhältnisse stärker als im Westen zugenommen hat. Hintergrund für diese Entwicklungen sind die wirtschaftliche Lage, die hohe Arbeitslosigkeit und der schwächere institutionelle Schutz der Beschäftigten durch Arbeitnehmervertretungen.

Instabile Koexistenz interner und externer Arbeitsmärkte kennzeichnet den deutschen Arbeitsmarkt heute
 
Das Jenaer Projekt zeigt, dass in der Vergangenheit und im internationalen Vergleich das deutsche Beschäftigungsmodell durch eine hohe Beschäftigungssicherheit, einen begrenzten Niedriglohnsektor und starke Institutionen (z. B. Berufsbildung und Flächentarifverträge, soziale Sicherung) gekennzeichnet war. Dieses Modell zeigt nun durch Veränderungen in beiden Landesteilen starke Risse. Festgestellt wurde u. a. ein "Externalisierungsschub", ein schnellerer Wechsel von Job zu Job. Der deutsche Arbeitsmarkt insgesamt habe sich von einer Hegemonie interner Arbeitsmärkte zu einer spannungsgeladenen und instabilen Koexistenz interner und externer Arbeitsmärkte entwickelt, zeigen die Jenaer Ergebnisse. Als interne Arbeitsmärkte werden Arbeitsmärkte innerhalb von Unternehmen, Konzernen oder Verwaltungen bezeichnet, während extern den "freien Arbeitsmarkt" meint. Die Zukunft ist – so Köhler – von der wirtschaftlichen Entwicklung, aber auch von dem politischen Umbau der Institutionen abhängig (z. B. Mindestlohn oder Mindesteinkommen).

Im Rahmen des Projektes von Köhler und Struck bildet die Beschäftigungsdauer einen Schwerpunkt der intra- und international vergleichenden Analysen. Während in Deutschland (West) im Durchschnitt zehn bis elf Jahre zu Buche standen, mit leicht abnehmender Tendenz, beträgt sie in Ostdeutschland inzwischen neun Jahre. In den USA sind es aufgrund häufigen freiwilligen und unfreiwilligen Jobwechsels nur sechs bis sieben Jahre.

...
http://www.uni-jena.de/PM080213_Arbeitsmarktwandel.html

Paul Brömmel

"In Bezug auf den Anteil "schlechter" Jobs hat Ostdeutschland den Westen längst überholt. Der Niedriglohnsektor macht inzwischen fast ein Fünftel aller Jobs aus."

Paßt gut zur Überschrift !

Hochseefischer

ZitatOriginal von Paul Brömmel
"In Bezug auf den Anteil "schlechter" Jobs hat Ostdeutschland den Westen längst überholt. Der Niedriglohnsektor macht inzwischen fast ein Fünftel aller Jobs aus."

Paßt gut zur Überschrift !

Und die Überschrift geht ja so:

"Ostdeutschland als Vorreiter beim Arbeitsmarktwandel"

Die Verfasser dieser Studie wollen also damit sagen:

Dem Westen blüht das, was in Ostdeutschland schon existiert.

Hinzu kommt:

ZitatIm Osten Deutschlands lässt sich eine Zunahme von Leiharbeit, Befristung und staatlich subventionierter Tätigkeiten feststellen, deren Anteil zudem deutlich höher als im Westen Deutschlands ist.

Für West- wie Ostdeutschland gilt:

ZitatDas Jenaer Projekt zeigt, dass in der Vergangenheit und im internationalen Vergleich das deutsche Beschäftigungsmodell durch eine hohe Beschäftigungssicherheit, einen begrenzten Niedriglohnsektor und starke Institutionen (z. B. Berufsbildung und Flächentarifverträge, soziale Sicherung) gekennzeichnet war. Dieses Modell zeigt nun durch Veränderungen in beiden Landesteilen starke Risse.

Gruß

HSF

Hochseefischer

ZitatDiese Diagnosen und Prognosen des Jenaer Soziologie-Professors basieren auf dem Projekt ,,Betriebliche Beschäftigungssysteme im ost-westdeutschen Vergleich" im Sonderforschungsbereich 580, das von Köhler und seinem Oberassistenten Olaf Struck geleitet wird, und das in diesem Jahr neue, zusammenfassende Publikationen vorlegt.

...

Im Sonderforschungsbereich (SFB 580) ,,Gesellschaftliche Entwicklungen nach dem Systemumbruch" wollen Köhler und sein Team nun die Auswirkungen des veränderten Arbeitsmarktes auf die Familie untersuchen und haben dafür gerade die notwendigen Mittel beantragt.

Die Publikationen sind also noch nicht fertig.

Hier ein Link zum Sonderforschungsbereich 580:

http://www2.uni-jena.de/journal/sfb/sfb580.htm

Hochseefischer

Zitat... Die Idee zu diesem neu gegründeten Sonderforschungsbereich hat eine mehrjährige Vorgeschichte. In Halle, der Partneruniversität des SFB, hatte sich ebenso wie in Jena ein Zentrum der Erforschung des gesellschaftlichen und sozialen Wandels nach der Wende herausgebildet. Diese erste Phase der Transformationsforschung stand jedoch noch stark unter der Erwartung einer schnellen Angleichung der Verhältnisse und eines selbsttragenden Aufschwungs. Als diese Erwartungen nicht eintrafen, ebbte auch das öffentliche Interesse, insbesondere bei den politischen Entscheidungsträgern Westdeutschlands ab und man gab sich der Hoffnung hin, dass die Angleichung irgendwann von alleine kommen werde.

Aber seit ab 1997 das Wachstum in den neuen Bundesländern wieder deutlich hinter dem der Altbundesländer zurückbleibt, erscheint ein Zustand nicht mehr undenkbar, bei dem sich eine dauerhafte Abhängigkeit des Ostens von westlichen Zuwendungen mit starkem Ost-West-Gefälle und entsprechender permanenter Unzufriedenheit kombinieren. Trotz eindrucksvoller Erfolge beim Aufbau Ost bestehen gravierende Problemlagen, wie etwa eine hohe Arbeitslosigkeit, unverändert fort. In der zweiten Phase der Transformationsforschung wird nun nicht mehr davon ausgegangen, dass wir es in Ostdeutschland mit aufholbaren Modernisierungsrückständen zu tun haben, sondern dass sich mittelfristig eigenständige Entwicklungen herausbilden. Diese Langzeitfolgen des Systemumbruchs, die eigenen Logiken gesellschaftlicher Entwicklung und Krisenmanagements in Ostdeutschland bilden den zentralen Forschungsgegenstand des SFB.

Die Forschungsprojekte des SFB 580 stehen vor der Aufgabe, ergebnisoffene Entwicklungen zu analysieren. In wichtigen gesellschaftlichen Bereichen verlaufen die Wandlungsprozesse durchaus offen, sind kaum zielfixiert und auch keine reinen Anpassungsprozesse an westdeutsche Verhältnisse. Doch trotz der unverkennbar eigenständigen ostdeutschen Entwicklungen werden die gesamtgesellschaftlichen Rahmenbedingungen von ökonomisch und politisch nach wie vor dominanten westdeutschen Schrittmachern vorgegeben, die wiederum von der europäischen Integrationsdynamik und der Globalisierungsentwicklung beeinflusst bzw. überlagert werden.

Unter welchen Bedingungen und in welchen gesellschaftlichen Bereichen ist eine weitere Angleichung der Verhältnisse in Ost und West zu erwarten und wo wird es eher zu einer Verfestigung der Unterschiede kommen? Ebenso muss gefragt werden, ob die Prozesse sozialen Lernens und der stillschweigenden Transformation der gesellschaftlichen Institutionen in neue, dauerhafte Arrangements münden oder ob in Ostdeutschland starke Spannungen und Instabilitäten erhalten bleiben, die immer wieder zu mehr oder minder gravierenden Veränderungen führen können? Und schließlich, wie passen die in Ostdeutschland sich herausbildenden Strukturen mit den neuen Tendenzen in der gesamtdeutschen und gesamteuropäischen Gesellschaft zusammen? ...

http://www2.uni-jena.de/journal/sfb/sfb580.htm

Paul Brömmel

Hier gibts den Rest zu lesen:

http://www.dnn-online.de/aktuell/content/55013.html

Die selbsternannten "Experten" sehen nicht mehr durch und wissen nicht mehr,wem sie in den Hintern kriechen sollen...

Hochseefischer

Hi Paul,

interessanter Link;)

ZitatOriginal von Paul Brömmel
Hier gibts den Rest zu lesen:

http://www.dnn-online.de/aktuell/content/55013.html

Die selbsternannten "Experten" sehen nicht mehr durch und wissen nicht mehr,wem sie in den Hintern kriechen sollen...

Die "selbsternannten 'Experten'" bitte nicht verwechseln mit den Soziologen des Forschungsbereichs 580 an der Uni Jena.

Bei der Person, die auf dnn-online.de genannt ist, handelt es sich um jemanden, der für ein Wirtschaftsforschungsinstitut arbeitet.

Bei den Personen, die ich oben zitiert habe, handelt es sich um Soziologen, die an einer staatlichen Universität angestellt sind.

Ich vermute erst Mal ganz blauäugig, dass Soziologen an einer staatlichen Uni eher unabhängiger Zahlen interpretieren als jemand, der für ein Wirtschaftsinstitut arbeitet. Wirtschaftsforschungsinstitute berücksichtigen nicht selten eine politische Meinung bei der Interpretation von Zahlen.

Im konkreten Fall (der Artikel auf dnn-online) weist die dort genannte Person, die für ein Wirtschaftsforschungsinstitut arbeitet, allerdings auf einen Widerspruch zwischen dem hin, was die Regierung behauptet, und wie es tatsächlich zu sein scheint:

ZitatDas Wirtschaftswachstum ist in Ostdeutschland auch in den vergangenen Jahren deutlich niedriger als in den alten Ländern ausgefallen. Obwohl die Bundesregierung Zahlen vorgelegt habe, nach denen die neuen Länder den Abstand zum Westen inzwischen verringert hätten, zeige die neueste amtliche Statistik, dass der Osten immer weiter zurückfalle, sagte der Konjunkturexperte des Hallenser Instituts für Wirtschaftsforschung, Udo Ludwig, der ,,Leipziger Volkszeitung".

Noch im Sommer 2007 sei das vierte Mal in Folge offiziell verbreitet worden, dass Ostdeutschland eine höhere Wachstumsrate als Westdeutschland aufweise. Inzwischen müsse aber nach einer Datenkorrektur aber davon ausgegangen werden, ,,dass die ostdeutsche Wirtschaft wohl nicht wieder so schnell auf den Aufholpfad zurückkehren wird". Das stärkere ostdeutsche Wirtschaftswachstum habe sich als ,,Wunschtraum" erwiesen und dürfte zu einer erheblichen Ernüchterung in den neuen Ländern geführt haben. ...

Gruß

HSF

Paul Brömmel

"Ich vermute erst Mal ganz blauäugig, dass Soziologen an einer staatlichen Uni eher unabhängiger Zahlen interpretieren als jemand, der für ein Wirtschaftsinstitut arbeitet. Wirtschaftsforschungsinstitute berücksichtigen nicht selten eine politische Meinung bei der Interpretation von Zahlen."
Diese Leute leben letztendlich auch nur von Steuergeldern(wenn auch über Umwege) und sind somit auch nicht richtig "unabhängig".

flipper

sehr blauäugig. jeder dozent der was auf sich hält hat neben- oder gar hauptjobs in der wirtschaft ;)
"Voting did not bring us further, so we're done voting" (The "Caprica Six" Cylon Model, BSG)

Wilddieb Stuelpner

Die Neuen Bundesländer und die neuen EU-Mitgliedsländer sind die erklärten Kolonien, die man ausplündern und schinden kann. Sie werden zum arbeitsmarktpolitischen Testfeld erklärt, wo und wie und mit wem erprobt wird, was an sozialen Abstieg von der dort lebenden Bevölkerung noch toleriert wird.

Ziel ist es, den sozialen Notstand im gesamten EU-Gebiet ausdehnen zu können. Deshalb waren Kohl und Waigel so geil auf die Euroeinführung und nicht auf die Angleichung der Arbeits- und Lebensbedingungen der Völker der EU, der Wirtschafts-, Finanz-, Infrastruktur- und anderer Bedingungen.

Typische Beispiele:

60.000 Arbeitsplatzverluste jeweils im Osten im Werften-, Bergbau- oder im Textilbereich ohne jegliche sozialen Schutzprojekte. Im Westen jahrzehntelange Sozialsubventionierung in absterbenden Wirtschaftszweigen wie im Steinkohlenbergbau des Ruhrgebiets oder bei westdeutschen Werften.

Das erklärt sich auch einfach, weil dort noch haufenweise Politiker-, Beamten- und Unternehmerbonzen in Reichwerte der sozialen Brennpunkte der Arbeitslosen und AN wohnen. Die können diesen Leuteschindern schnell mal auf die Bude rücken.

Alle anderen die im Osten den sozialen Abstieg nicht ertragen wollen oder können, sind vor und nach dem Mauerfall in den Westen getürmt oder nehmen die Strapazen des Pendelns auf sich. Wenn die Arbeitsaufträge übertragen bekommen, dann werden sie im Vergleich zu ihren westdeutschen KollegInnen schlechter bezahlt und zusätzlich als Verursacher für Massenentlassungen westdeutscher KollegInnen von den westdeutschen Unternehmern benannt. Also hetzten diese Ost- und WestkollegInnen absichtlich aufeinander, um selbst an den Machtpositionen verbleiben zu können.

Der kollegiale Zusammenhalt zwischen Ost- und WestkollegInnen und -arbeitslosen fehlt weitestgehend oder kommt nicht zustande. In der Hinsicht wächst von den Herrschern dieses Landes oder der EU gewollt an der werktätigen oder arbeitslosen Basis nicht zusammen, was zusammengehört. Es wird von den Herrschern separiert, gespalten und polarisiert.

Eivisskat

ZitatOriginal von joachimkuehnel
Die Neuen Bundesländer und die neuen EU-Mitgliedsländer sind die erklärten Kolonien, die man ausplündern und schinden kann. Sie werden zum arbeitsmarktpolitischen Testfeld erklärt, wo und wie und mit wem erprobt wird, was an sozialen Abstieg von der dort lebenden Bevölkerung noch toleriert wird.
[...]
In der Hinsicht wächst von den Herrschern dieses Landes oder der EU gewollt an der werktätigen oder arbeitslosen Basis nicht zusammen, was zusammengehört. Es wird von den Herrschern separiert, gespalten und polarisiert.

Mir kommt es inzwischen sogar so vor, als ob der von den Staatsmächten zugelassene und nicht unterdrückte, vllt. sogar forcierte Mauerfall etc. einzig und allein dem Zweck des Aus-testens der Toleranzschwelle der Menschen diente.
 ;(

ManOfConstantSorrow

Ganz neu ist so etwas nicht. Als die "troubles" in Nordirland die Kosten für Groß Britannien so in die Höhe schießen ließ, daß sie die Profite aus der Unruheprovinz überflügelten, machte man die Region zu einem Testlabor für Aufstandsbekämpfung und Arbeitsmarktpolitik. Zwangsmaßnahmen für junge Arbeitslose wurden erstmals dort ausgetestet, dann in Britannien übernommen und inzwischen Normalität in ganz Europa.

Dann wurde Jugoslawien Spielwiese für militärische und soziale Experimente mitten in Europa.

Naja, jetzt haben wir blühende Landschaften der Sozialexperimente im Lande.
Arbeitsscheu und chronisch schlecht gelaunt!

Hochseefischer

ZitatOriginal von flipper
sehr blauäugig. jeder dozent der was auf sich hält hat neben- oder gar hauptjobs in der wirtschaft ;)

flipper, sei doch nicht immer so misstrauisch ;) - scherst du da nicht alle dozenten (forscher) über einen kamm?
es gibt auch dozenten, die NICHT einen neben- oder hauptjob in der wirtschaft haben (x-fach selbst erlebt).


Gruß

HSF

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