Manipulationsmaßnahme Hirndoping i

Begonnen von scalpell, 00:11:10 So. 14.September 2008

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scalpell

Ein Wettrüsten, das unser Denken bedroht


11. September 2008
Ein gesundes Gehirn kann buchstäblich ,,geweckt" und zu ungeahnten Höchstleistungen getrieben werden – mit den richtigen Stoffen. Drogen zum Muskeldoping stammen häufig aus der Hormon- und Stoffwechselmedizin, Dopingsubstanzen für das Gehirn aus Neurologie und Psychiatrie. Mit dem Ziel der Leistungssteigerung wird das gesunde Gehirn mit Pharmaka gegen Alzheimer, Schlaf-, Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörungen behandelt. Nur, das Gehirn ist kein Muskel, sondern ein äußerst empfindliches und sich ständig veränderndes Organ.
Jede einzelne der etwa hundert Milliarden Nervenzellen unseres Gehirns ist mit etwa zehntausend anderen Nervenzellen über knopfähnliche Andockstellen, den Synapsen, in Kontakt. Die Synapsen nähern sich der Nachbarzelle bis auf einen kleinen synaptischen Spalt von wenigen Nanometern Breite. Signalübertragung im Nervengewebe ist einerseits Physik in Form elektrischer Impulse an der Zellmembran, und andererseits Chemie. Botenstoffe, Neurotransmitter genannt, überwinden den synaptischen Spalt, um wiederum auf der Nachbarzelle ein Signal auszulösen.

Biochemische Schalter

Diese Signalweiterleitung im komplexen Geflecht von Hirnzelle zu Hirnzelle ist ein Vorgang, der sich zu jeder Zeit, ob wach oder im Schlaf, ständig tausendfach wiederholt. Nun ist dieses Netzwerk im Gehirn aber nicht starr, wie etwa die verlöteten Verbindungen in elektrischen Schaltkreisen eines Transistors, sondern es ist ständig in Veränderung, es ist plastisch. Sowohl die Anzahl der Synapsen, als auch deren Stärke und Größe verändern sich zu jeder Zeit mit der Information. Bei einem Menschen im Säuglingsalter hat jede Gehirnzelle etwa 2500 synaptische Kontakte, mit drei Jahren etwa 15 000. Im Alter bleibt dieser synaptische Neu- und Umbildungsprozess größtenteils erhalten. Das Gehirn des Menschen ist lebenslang wandlungsfähig. Nach herrschender Meinung ist die zentrale Voraussetzung für Vorgänge wie Lernen und Gedächtnis genau diese Formbarkeit.

Wenn wir sehen, denken, erkennen, fühlen oder handeln, bilden sich neue Verknüpfungen, die dann länger oder eben etwas kürzer bestehen. So weiß man seit einigen Jahren, dass das Andocken des Neurotransmitter an seine Zielzelle dort vielfältige biochemische Prozesse auslöst und dabei auch Enzyme zur Synthese von Molekülen in den Zellen anschaltet. Signale hinterlassen somit ihre biochemische Spur in der Zielzelle. Beim Kurzzeitgedächtnis eines Menschen etwa wird durch einen ,,zweiten Boten" die Verbindung zwischen Ausgangs- und Zielzelle kurzzeitig gestärkt. Bei einer Intensivierung der Übertragung bleibt dieser Botenstoff länger erhalten und aktiviert über das Protein ,,Creb" bestimmte Genprogramme. Durch diese Prozesse wird ein flüchtiger Gedächtnisinhalt in unserem Langzeitgedächtnis fixiert, so die herrschende Meinung. Creb, das seinen Namen dem Nobelpreisträger Eric Kandel verdankt, gilt als der biochemische Hauptschalter des Langzeitgedächtnisses. Die elektrophysiologische Entsprechung des sich wiederholende Signalfluss an den Synapsen ist die so genannte Langzeit-Potenzierung (LTP) - die sich gegenseitige verstärkende Wechselwirkung zwischen dauerhaft ,,feuernden" Nervenzellen.
Neuropusher, Brainbooster

Trotz unseres heutigen Detailwissens gibt uns unser Gehirn noch viele Rätsel auf. Beispielsweise, was genau passiert, wenn das empfindliche Zusammenspiel dieser Moleküle bei der Neurotransmission gestört ist. Acetylcholin, Serotonin, Glutamat, Dopamin, Noradrenalin – das sind allesamt Namen natürlicher Neurotransmitter. Gibt es die richtige Menge davon, an der richtigen Stelle und vor allem zur rechten Zeit, funktioniert unser Gehirn perfekt. Gibt es auf Dauer zu wenig, kommt es im schlimmsten Fall zu Nervenkrankheiten. Zum Glück gibt es Medikamente, die einen Verlust an Neurotransmittern im Krankheitsfall zumindest teilweise ausgleichen können.

Mehr und mehr jedoch, finden genau diese Substanzen, entwickelt für das kranke Gehirn ihren Weg zum gesunden Menschen und in den Alltag unserer Leistungsgesellschaft. Bekannt unter verharmlosenden Namen wie ,,NeuroPusher", ,,Brainbooster"" oder ,,Gedächtnisverstärker" werden solche leistungssteigernden Mittel in bestimmten Gesellschaftskreisen mehr und mehr zur Normalität. In einer in diesem Jahr veröffentlichten, nichtrepräsentativen Umfrage des Wissenschaftsjournals ,,Nature" gab ein Fünftel der befragten Forscher an, bereits Pharmaka zur Leistungssteigerung des Gehirns eingesetzt zu haben. Zwölf Prozent aus dieser Gruppe berichteten gar von einer regelmäßigen Einnahme.

Chemische Substanzen wie Methylphenidat (,,Ritalin"), Modafinil (,,Vigil"), Fluoextin (,,Prozac", ,,Fluctin"), aber auch Kokain, kommen bei den so genannten geistigen Eliten und Führungskräften unserer Gesellschaft zusehends zum Einsatz. Man handelt nach dem Motto: ,,Allzeit zur Bestform bereit!" Schon Studierende erfreuen sich an konzentrations- und leistungssteigernden Drogen. In den Vereinigten Staaten ,,dopen" sich bereits heute 16 bis 25 Prozent der Prüflinge regelmäßig pharmakologisch. Die Verfügbarkeit der in der Regel verschreibungspflichtigen Substanzen durch weltweit aktive Apotheken im Internet werden diese Zahlen weiter steigen lassen. Aber welche Effekte haben eigentlich diese Substanzen an den Nervenzellen?

Leistung steigern und Gemüht aufhellen
Ritalin ist ein dem Amphetamin ähnliches Pharmakon und hemmt die Wiederaufnahme von Dopamin und Noradrenalin. Dadurch werden diese Signalboten nicht wie im gesunden Gehirn vorgesehen, nach getaner Arbeit durch Transportsysteme entfernt, sondern sie sind dort länger aktiv und senden wiederholte, lange anhaltende Signale. Klinisch hauptsächlich im Einsatz bei der Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörung oder der Narkolepsie –- einer anfallartigen Schlafattacke –, steigert es die Konzentrationsfähigkeit. Zahlreiche Nebenwirkungen dieses Medikaments, das dem Betäubungsmittelgesetz unterliegt, darunter Herzrasen, Schlaflosigkeit, Blutdruckerhöhung, sind bekannt.

Eine Hirnpille, die zusätzlich auch noch schlauer machen soll, ist das Modafinil. Ebenfalls ursprünglich gegen Narkolepsie entwickelt, unterscheidet sie sich als Psychostimulanz chemisch deutlich von Amphetaminen. Dieser Gedächtnisverstärker wird unter Kerngesunden immer beliebter, etwa, um bei Bedarf mehrere Tage und Nächte durcharbeiten zu können. Trotz vieler Nebenwirkungen und der Unkenntnis, wie dieses vermeindliche Wundermittel, das einer US-Firma jährlich hohe dreistellige Millionenumsätze beschert, im Detail wirkt, steigt die Nachfrage rasant.

Zusätzlich scheint heute ja nicht nur die ständige geistige Höchstleistung wichtig, sondern man sollte dabei natürlich auch stets ,,gut drauf" sein. Daher finden auch Medikamente gegen Depression mehr und mehr gesunde Anwender. Besonders verbreitet ist dabei der Wirkstoff Fluoxetin, in Deutschland unter dem Namen Fluctin, in Amerika als Prozac bekannt. Fluoxetin ist ein selektiver Serotonin-Wiederaufnahmehemmer und verhindert die Entfernung des Serotonins aus dem Synapsenspalt. Soll es bei Patienten stimmungsaufhellend wirken, wird Fluoxetin auch gerne von Gesunden zur Verbesserung der Laune unter Stressbedingungen eingesetzt und ist besonders in Managerkreisen beliebt. Bereits im Jahre 1975 patentiert, wird Fluoxetin nach wie vor intensiv beforscht. Teilweise ist man dabei auf der Suche nach neuen Wirkungen mit der legitimen Hoffnung auf neue Anwendungspatente.

Immer mehr Substanzen
Erst im April veröffentlichte das Wissenschaftsmagazin ,,Science" interessante Ergebnisse über eine solche neue Aktivität. Italienische Wissenschaftler fanden heraus, dass das Mittel bei Mäusen die neuronale Plastizität des für das Sehen verantwortlichen Bereichs des Gehirns fördern kann. Falls auf den Menschen übertragbar, könnte dies nicht nur für die Behandlung der Schwachsichtigkeit, sondern auch für die Therapie degenerativer Hirnerkrankungen wichtig sein. Bei all dem möglichen neuen Potential, als ,,Glücklichmacher" für Gesunde ist diese Substanz auf Dauer sicher nicht sinnvoll.

Und die Zahl der leistungssteigernden Substanzen wächst weiter. Neuere Entwicklungen erscheinen oft zunächst verkleidet als Medikamente gegen die unheilbare Alzheimer-Krankheit oder sind Nebenprodukte solcher Entwicklungslinien. Zynisch, aber wahr. Aus den Forschungslabors der kalifornischen Firma Cortex Pharmaceuticals stammen die Ampakaine, die an Rezeptoren für Glutamat binden. Der aktuell heißeste Kandidat mit dem Laborkürzel CX717 hat in ersten klinischen Untersuchungen Aufmerksamkeit, Kognition und Gedächtnis verbessert.

Sollten sich diese Befunde bestätigen, wäre ein solches Medikament natürlich von größter Bedeutung für Alzheimer-Patienten. Aber es wird sicher auch seinen Weg auf dem noch viel größeren Markt der Hirnleistungssteigerung von Gesunden finden. Eine weitere Neuheit sind Substanzen zur Erhöhung der intrazellulären Menge an Creb. Die von Kandel gegründete Firma mit dem Namen ,,Memory Pharmaceuticals" in New Jersey entwickelten Moleküle MEM1414 oder MEM1917 sind bereits in ersten klinischen Studien bei Alzheimer. Diese Stoffe wirken nicht mehr im synaptischen Spalt, sondern in den Nervenzellen selbst.

Unbekannte Langzeitwirkungen

Fernab von Fragen nach dem Sinn der künstlichen Hirnleistungssteigerung beim Gesunden und unabhängig von neuroethischen Aspekten, ist heute völlig offen, wie sich diese ,,Behandlung" denn auf Dauer auswirkt. Daten zur längerfristigen Anwendung solcher Gedächtnisverstärker liegen jedenfalls kaum vor. Denkt man an die komplexe Biochemie in unserem Gehirn, ist zu erwarten, dass das Überschwemmen des gesunden Gehirns mit Pharmaka Folgen haben wird. Denn: Biochemische Wechselwirkungen zwischen Nervenzellen sind keine Einbahnstraßen. Die Signalübertragung im Gehirn verläuft in alle Richtungen. Das Gehirn ist kein elektronischer Schaltkasten, dem man einfach eine Verstärkerplatine vorschalten kann. Im Laufe der Evolution hat sich mit der synaptischen Plastizität ein eigener potenter Mechanismus der physiologischen Signalverstärkung entwickelt, der sich langfristig sicher nicht überlisten lässt.

Zusätzlich können die Rezeptoren der Neurotransmitter bei einem Dauerbombardement im gesunden Gehirn weniger sensitiv werden, molekulare Toleranzen und Abhängigkeiten oder Resistenzen gegen den künstlichen Input können entstehen. Irgendwann wirkt ein Signal dann nicht mehr – auch dann nicht, wenn es für den gesunden Ablauf eigentlich benötigt wird. Selbst wenn der Anwender subjektiv sein Ziel einmalig erreicht, sind negative Auswirkungen, wie Gehirnschäden, Persönlichkeitsveränderungen sowie langfristige gesellschaftliche Folgen zu erwarten.
Hirndoping ist ähnlich wie Muskeldoping eine Ausgeburt des häufig rücksichtlosen Wettbewerbs auf allen gesellschaftlichen Ebenen, insbesondere in Ausbildung und Beruf. Es ist erstaunlich und bedauerlich, zu welchen Kompromissen gesunde Menschen heute in besonderen Drucksituationen ohne Rücksicht auf mögliche Kollateralschäden am eigenen Leib bereit sind. ,,Survial of the fittest", das Grundthema der Evolution, in dem es um das langfristige Überleben derer geht, die am besten dem Selektionsdruck von außen standhalten, bekommt durch Manipulationsmaßnahmen wie Hirndoping in unserer Hochleistungsgesellschaft einen neuen unangenehmen Beiklang.  QUELLE:

scalpell  8)


Gott hat den Menschen einen Verstand gegeben. Jedoch ist der Mensch damit nicht zufrieden und begibt sich lieber auf einen Irrweg mit vermutlich fatalen Spätfolgen
deshalb lieber  //www.mezis.de
Die Plutokraten haben das Ruder in die Hand genommen
Die "Politiker" sind ihre Stimme

flipper

ZitatOriginal von scalpell
Die Verfügbarkeit der in der Regel verschreibungspflichtigen Substanzen durch weltweit aktive Apotheken im Internet werden diese Zahlen weiter steigen lassen.

naja, das klingt jetz nach der angstmachkampagne vorm internet der deutschen monopolapothekerkrämerlobby.

seriöse und zugelassene internetapotheken sind schon für jeden erkennbar.
unseriöse und kriminelle kann man daran erkennen, dass sie wild spam mails versenden.

die jungs und mädels vom zoll sind aber auf zack und fangen den dreck ab. ein freund von mir hat sich letztens zu so einer bestellung hinreissen lassen und das wird jetzt für ihn teuer...  :wallbash>

wie auch immer, psychopharmaka immer nur auf ärztliche anweisung und unter wissenschaftlicher kontrolle einsetzen, das ist kein kaffee oder joint oder zigarette oder schnapps, obwohl die letzteren "genussmittel" noch viel schlimmer sind weil sie wissenschaftlich kaum erforschte und kontrollierte breitbandgifte und hundert andere stoffe enthalten die kaum erforscht sind. das gilt auch für die angeblich so harmlosen homöopathischen und pflanzlichen medikamente, die kava wurzel wurde z.b. wegen massiv aufgetretener leberschäden aus dem verkehr genommen und von haschisch ist bekannt, dass es bleibende schizophrenie auslösen kann. dagegen ist fluctin harmlos.

die wirkungen der produkte der pharmakonzerne kann man wenigstens an der rechentafel nachrechnen und je länger die nebenwirkungsliste desto besser ist es getestet, bei neuen medikamenten die noch patentiert sind wäre ich sehr vorsichtig, vor allem wenn die liste in derem beipackzettel verdächtig kurz ist. und mit denen machen die pharmakonzerne den hauptprofit weil generika durch patentierung untersagt ist,
z.b. escitalopram, der nachfolger von citalopram, krankenkassenruinös teuer obwohl der wirkungsunterschied dem von rechts- und linksdrehender milchsäure im joghurt entspricht. ärzte, die gerne die neuesten und teuersten produkte verschreiben würde
ich meiden, da kann man sich auch gleich als gutbezahlter medikamententester
beim hersteller melden.

ach und den thread würd ich ins fachunterforum verschieben.
"Voting did not bring us further, so we're done voting" (The "Caprica Six" Cylon Model, BSG)

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