Wie der bundesdeutsche Rechtsstaat versagt und Kriminelle fördert

Begonnen von Wilddieb Stuelpner, 14:22:41 Do. 01.März 2007

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Wilddieb Stuelpner

MDR, Sendung "exakt" vom 27.02.2007: Justizpanne: Diebesbande wurde laufen gelassen

Manuskript des Beitrages von Linus Wagner

Das Landgericht Halle soll Mitglieder einer mutmaßlichen Diebesband laufen gelassen haben. Offensichtlich ein Fehler, denn die Diebe schlugen wieder zu.

Kein leichter Gang für Sachsen-Anhalts Justizministerin Angela Kolb, als sie im Sommer 2006 zu einer Panne Stellung nehmen muss. Die Öffentlichkeit will Erklärungen und die Ministerin gibt sich betont zerknirscht.

O-Ton: Angela Kolb, Justizministerin Sachsen-Anhalt (SPD)
"Ich glaube die Außenwirkung ist für alle verheerend. Die Bürger machen sich Sorgen, dass sie ausreichend geschützt sind vor Straftätern. Die Polizei fragt sich, warum fangen wir eigentlich noch die Straftäter, wenn die dann bei den Gerichten doch wieder freigelassen werden. Insoweit ist das eine Außenwirkung, die für die Justiz sehr schädlich ist."

Was war geschehen? Anfang 2005 hält eine Einbruchsserie die Polizei in Mitteldeutschland in Atem. Am Ende zählen die Beamten rund 100 Straftaten, die auf das Konto einer organisierten Bande gehen sollen.

Genau vor einem Jahr schlägt die Polizei zu und verhaftet ein Trio, direkt nach einem dieser Einbrüche. Ein Teil des Diebesgutes wird beschlagnahmt. Die Beweismittel sind erdrückend. Ein großer Erfolg der Polizei. Doch dann passiert das Unbegreifliche: Die mutmaßlichen Täter kommen wieder auf freien Fuß. Das zuständige Gericht schafft es par tout nicht innerhalb der maximal zulässigen sechs Monate Untersuchungshaft einen Termin für eine Verhandlung anzusetzen.

Verantwortlich dafür ist das Landgericht Halle. Warum die Richter keinen rechtzeitigen Verhandlungstermin finden, begründen sie im Sommer 2006 mit organisatorischen Schwierigkeiten, wie Urlaub, Personalwechsel, genereller Überlastung. Bei Betroffenen damals blankes Unverständnis: Auch Gerlinde und Ewald Schlenker wurden Opfer der Einbruchsserie. Als sie von der Freilassung der Verdächtigen hören, ist das Vertrauen in die Justiz erschüttert:

O-Ton: Gerlinde Schlenker
"Und auf einmal lese ich - und da habe ich mich so aufgeregt, die haben sie wieder freigelassen. Das kann doch nicht wahr sein. Stell Dir vor, die kommen wieder! Ich meine, das denkt man doch unmittelbar gleich wieder. Man hat doch gleich wieder Angst."

O-Ton: Angela Kolb, Justizministerin Sachsen-Anhalt (SPD)
"Sie haben völlig recht für die Zukunft müssen wir gewährleisten, dass solche Leute nicht mehr freigelassen werden."

Seit diesem Interview ist mittlerweile gut ein halbes Jahr ins Land gegangen.

Mitte Januar: "exakt" will wissen, was aus dem Fall der freigelassenen Tatverdächtigen geworden ist. Hanno Schulz, der Landesvorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, hatte von Anfang an die Entscheidung der Richter kritisiert. Doch wenn es schon soweit gekommen ist, hätte man hier zumindest erwartet, die damalige Panne durch einen schnellen Gerichtstermin zu korrigieren.

O-Ton: Hanno Schulz, Bund Deutscher Kriminalbeamter
"Nach unserer Erkenntnis ruht die Akte selig nach wie vor auf irgendeinem Schreibtisch im Gericht in Halle."
"Wie finden Sie das?"
"Genauso skandalös wie vor fünf Monaten. Denn damals waren es behördeninterne Gründe, die zur Freilassung geführt haben, also die Gründe können ja nicht angehalten haben, wie Versetzung und Urlaub von Richtern. Nach meiner Kenntnis ist nach wie vor kein Termin für eine Hauptverhandlung anberaumt."

Würden die Beschuldigten überhaupt vor Gericht erscheinen?

Svetozar Z. hat in den neunziger Jahren bei einer Schiesserei in Halle einen Polizisten verletzt. Er ist den Ermittlern aus dem Rotlicht- und Drogenmilieu bekannt. Wohnhaft laut amtlichen Unterlagen hier in diesem Mietshaus. Doch weder an den Briefkästen noch bei den Klingelschildern finden wir seinen Namen. Eine Anwohnerin erinnert sich an Svetozar Z. - doch hier war er schon lange nicht mehr.

O-Ton: Anwohnerin
"Ja, ja, den haben sie verhaftet. Das ist aber jetzt ein Jahr her, seitdem steht die Wohnung auch leer."

Heisst: Svetozar Z. hat hier nicht einmal eine ladungsfähige Adresse. Eine Vorladung zum Gerichtstermin wäre folgenlos.

Jovca D. Er hat mehrere Jahre Haft hinter sich wegen Bandendiebstahls und anderer Delikte. Rund 10 Kilometer entfernt - in einem Vorort von Halle ist er gemeldet - so steht es in den Gerichtsunterlagen. Doch hier gibt es überhaupt keine Spuren. Die Frau, die uns öffnet, fällt aus allen Wolken.

O-Ton: Hausbewohnerin
"Ich kenne diese Leute überhaupt nicht. Wie kommen sie überhaupt auf die Adresse?"
"Die sind so gemeldet. Wir sind doch hier bei ... Sie haben nie jemand als Untermieter gehabt?"
"Um Gottes willen nein, das ist ein Einfamilienhaus, wie sollen wir hier Untermieter untergebracht haben."

Heißt, der einschlägig vorbestrafte Jovca D. wurde zumindest vom Gericht unter einer Adresse geführt, bei der er nicht zu finden ist.

O-Ton: Hanno Schulz, Bund Deutscher Kriminalbeamter
"Da die Täter sich ja offensichtlich nicht da aufhalten und da auch nicht zu finden sind, wo sie ladungsfähige Anschriften angegeben haben, führt das natürlich dazu, dass die Vorladung zur Hauptverhandlung, die ja zwingend notwendig ist, ins Leere läuft."

Doch das Gericht hatte sowieso keine Eile, den Dreien den Prozess zu machen. Auf Anfrage heißt es, vor Sommer wird kein Termin angesetzt. Zumindest solange wären sie dann auf freien Fuß gewesen, hätte der Fall nicht noch eine unerhörte Wendung bekommen.

Anfang Februar: Mehrere Männer dringen über ein Nachbargrundstück in den Garten dieses Einfamilienhauses in Halle ein. Sie hebeln das Fenster aus, steigen in das Haus ein, stellen alles auf den Kopf und ziehen dann mit ihrem Diebesgut ab. Kurze Zeit später kommt die Hausbesitzerin und bemerkt gleich dass etwas nicht stimmt. Claudia Knebel auf dem Weg nach oben, wie an dem Tag des Einbruchs.

O-Ton: Claudia Knebel
"Dann kam ich hier rein und war absolut erschrocken: Es standen sämtliche Schubfächer von diesen Kommoden offen. Meine Schmuckschatulle war auch geöffnet und ausgeleert, sodass alles weg war. Die Kleiderschränke waren alle offen, die Sachen lagen auf dem Boden verteilt, und es war ein absolutes Chaos."

Die Diebe stehlen Schmuck, Geld und einen Laptop. Die Machart, Spuren am Tatort rücken zwei Bekannte ins Visier der Ermittler: Svetozar Z. und Jovca D.. Tatsächlich werden sie kurz darauf bei einem erneuten Einruch auf frischer Tat gestellt. Jetzt sind beide wieder in Untersuchungshaft. Ihnen werden wieder mehrere Einbrüche vorgeworfen.

O-Ton: Claudia Knebel
"Das ist mir völlig unverständlich im nach hinein, dass ich erfahren habe, dass sie schon mal verhaftet gewesen waren. Und einfach wieder auf freien Fuß gesetzt wurden. Im Prinzip wäre der Einbruch bei uns ja nicht verübt worden, wenn sie die ordnungsgemäß festgehalten hätten."

Wie viele Einbrüche seit der Haftaufhebung auf das Konto der Bande gehen, das muss erst noch ermittelt werden. Klar ist, es gab wieder Opfer, die jetzt mit den Folgen eines Einbruchs leben müssen.

Neuer Termin mit der Justizministerin, Angela Kolb. Sie verweist darauf, man habe sich ja immerhin in den letzten Monaten bemüht, die personelle Situation an den Gerichten zu verbessern. Diesmal würde es anders laufen.

O-Ton: Angela Kolb, Justizministerin Sachsen-Anhalt (SPD)
"Im Prinzip ist das jetzt ein völlig neues Verfahren, weil das alte Verfahren läuft ja noch. Also gilt auch hier wieder das Beschleunigungsgebot, dass innerhalb von sechs Monaten die Hauptverhandlung eröffnet werden muss und diesbezüglich hat sich der neue Landgerichtspräsident geäußert, dass er hier für eine zügige Terminierung sorgen wird."
"Für diesen Fall ?"
"Für diesen Fall."

Doch das ist wohl auch das mindeste, was die Opfer erwarten können.

zuletzt aktualisiert: 27. Februar 2007 | 20:22

Wilddieb Stuelpner

Pressemitteilung der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag, vom 26. Februar 2007, Jörn Wunderlich

Nachträgliche Sicherungsverwahrung widerspricht Grundsätzen des Jungendstrafrechts

Als gefährlichen Populismus hat der familienpolitische Sprecher der Linksfraktion, Jörn Wunderlich, die Vorschläge der Justizministerin Zypries für eine Verschärfung des Jugendstrafrechts kritisiert.

Zypries will auch für Jugendliche die Anordnung einer nachträglichen Sicherungsverwahrung ermöglichen: "Der Vorschlag aus dem Justizministerium empört mich. Natürlich wäre es schön, wenn wir garantieren könnten, dass die Gesellschaft vor Tätern, die mit Sicherheit gefährlich sind und bleiben, geschützt wird. Aber die Frage ist, wer das aufgrund welcher Erkenntnisse entscheidet. Das Problem besteht ja darin, dass gerade bei jugendlichen Schwerststraftätern eine sichere Voraussage extrem schwierig ist, weil sie im Zweifelsfall einen wichtigen Teil ihrer persönlichen Entwicklung und Prägung im Strafvollzug erfahren. Die Prognose, dass ein Jugendlicher mit Sicherheit wieder straffällig wird, kann im Ernst niemand wagen. Im Extremfall sollen also ohne gesicherte Prognose bis zu 80 Jahren Freiheitsentzug möglich werden. Für eine Gesellschaft, die sich selbst als human versteht, ist so ein Weg nicht gangbar."

Wunderlich, der als ehemaliger Jugendrichter eng mit der Materie vertraut ist, hält der Ministerin vor, dass sie die Grundsätze des Jugendstrafrechts weder verstanden noch verinnerlicht habe. "Das Jugendstrafrecht ist als Instrumentarium für solche Prognosen denkbar ungeeignet. Im Vordergrund steht ja hier gerade der Gedanke der Erziehung und Resozialisierung. Ich kann vor der Verwirklichung der Zypries-Pläne nur warnen. Wegen des großen öffentlichen Interesses für die entsprechenden Fälle, könnten sie dazu führen, dass Richter aus Angst vor Fehlurteilen immer öfter fürs Wegsperren votieren. Das entscheidende Problem ist aber nicht das Strafrecht sondern der Jugendstrafvollzug. Hier besteht dringender Handlungsbedarf.

Stellenstreichungen, Einsparungen und permanente Überbelegung der Anstalten haben zu unhaltbaren Zuständen geführt. Ohne einen humanen Jugendstrafvollzug, der dem Anspruch der Resozialisierung und dem Erziehungsgedanken gerecht wird, lässt sich das Problem nicht lösen."

Weitere Informationen:

Fraktion DIE LINKE. im Bundestag,
Pressestelle Platz der Republik 1,
D-11011 Berlin
pressesprecher@linksfraktion.de, http://www.linksfraktion.de
Fax: +49.30.227.56801

Hendrik Thalheim, Pressesprecher, Tel. +49.30.227.52800

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