Elektronische AU-Bescheinigung und Jobcenter

Begonnen von dagobert, 13:59:54 Mo. 20.Februar 2023

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dagobert

ZitatZu AU-Bescheinigungen auf Papier seit 1.1.2023 für Bürgergeld-Beziehende und damit verbundene Probleme
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Die Leitfadenmitautorin Claudia Mehlhorn hat sich mit der Frage auseinandergesetzt, dass die Jobcenter eine papierne Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU) verlangen, diese durch die Ärzte aber regulär nicht mehr ausgestellt werden und für die Ausstellung Gebühren verlangt werden können.
In der Folge dann, wie mit diesen Gebühren umzugehen ist, weil es die Jobcenter erst im Jahr 2024 auf die Kette kriegen werden auf die AU's elektronisch zuzugreifen.  Ein Musterbeispiel zum Thema Digitalisierung in Deutschland.


https://harald-thome.de/files/pdf/2023/16.1.1.3%20eAU%20und%20Jobcenter.pdf

Dazu eine kurze Bewertung meinerseits:

1. § 56 Abs. 1 S. 1 SGB II bestimmt, dass erwerbsfähige Leistungsberechtigte eine ,,eine eingetretene Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer unverzüglich anzuzeigen und spätestens vor Ablauf des dritten Kalendertages nach Eintritt der Arbeitsunfähigkeit eine ärztliche Bescheinigung über die Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer vorzulegen" haben.
Die Vorlage einer AU ist keine Mitwirkungspflicht im Sinne  des § 62 SGB I, ein Kostenerstattungsanspruch nach § 65a SGB I ist daher nicht möglich. Bei 5,36 EUR mögliche Kosten zur Ausstellung einer AU bestehen auch Zweifel, ob ein Übernahmeanspruch nach § 21 Abs. 6 SGB II besteht. Unzweifelhaft sind Gebühren für AU's nicht im Regelsatz enthalten, da zum Zeitpunkt der Erstellung der derzeit gültigen EVS im Jahr 2013 die AU's kostenfrei waren. 5,36 EUR einmalig, ggf. auch regelmäßig wiederholt, sind für eine leistungsbeziehende Person ein erheblicher Betrag, daher sind diese nach diesseitiger Auffassung zu übernehmen. Das BSG hat in Bezug auf Fahrtkosten zu Meldeterminen von 1,76 EUR ähnlich argumentiert (BSG, 06.12.2007 - B 14/7b AS 50/06 R). Diese Entscheidung betrifft Meldeaufforderungen, ist aber richtungsweisend dafür, dass grundsätzlich auch kleinere Beträge zu übernehmen sind.

2. Auch wäre darüber nachzudenken, inwieweit diese Kosten, insofern sie anfallen, entsprechend des ,,Bestellerprinzips" nach § 670 BGB vom Jobcenter zu übernehmen sind (SG Braunschweig 13.1.2016 – S 17 AS 3211/12).

3. Auch könnte ein AU-Boykott interessant sein. Denn nach § 56 SGB II besteht zwar die Pflicht zur Vorlage einer AU und die BA weist in ihren Fachlichen Weisungen zu Eingliederungsvereinbarungen an, dass ,,bei Regelung in der EinV zum einen die unverzügliche Anzeige der Arbeitsunfähigkeit (z. B. telefonisch) und deren Dauer aufzunehmen ist. Zum anderen ist die Vorlageverpflichtung der ärztlichen Bescheinigung (Urkunde im Original) spätestens vor Ablauf des dritten Kalendertages nach Eintritt der Arbeitsunfähigkeit zu vereinbaren" sind (FW 15.24).

Andererseits bestimmt das Gesetz aber, dass die Nichtvorlage einer AU nicht zu Sanktionen führen darf (§ 56 Abs. 1 S. 2 SGB II). Daher wäre ein ,,AU-Boykott" ohne Probleme möglich.

4. Der einfachere Weg wäre aber, die BA käme mal auf die Idee, hier durch Weisung eine Lösung zu schaffen, die sinngemäß beinhaltet, dass, wenn ein Antrag auf Übernahme auf AU-Kosten gestellt wird, diese dem Leistungsberechtigten zu erstatten sind, da es die BA einfach nicht auf die Reihe bekommt, sich im 21. Jahrhundert entsprechend dem gesetzgeberischen Fortschritt zu digitalisieren und das nicht zum Nachteil der Leistungsberechtigten ausgelegt werden darf.
Quelle: Thome-Newsletter vom 20.02.2023
"Sie haben die unglaubwürdige Kühnheit, sich mit Deutschland zu verwechseln! Wo doch vielleicht der Augenblick nicht fern ist, da dem deutschen Volke das Letzte daran gelegen sein wird, nicht mit ihnen verwechselt zu werden."
Thomas Mann, 1936

counselor

ZitatKeine Gebühren für Krankmeldungen bei Arbeitsamt und Jobcentern
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Auf eine Schriftliche Frage zu Kosten von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen als Papierfassung fürs SGB II und SGB III hat sich die Bundesregierung geäußert: AUBs müssen kostenlos für SGB II/SGB III - Leistungsbeziehende ausgestellt werden.

Die Antwort auf die Schriftliche Frage findet sich hier: BT-Drucksache 20/7090, Frage 86, S. 61f, Download:
https://dserver.bundestag.de/btd/20/070/2007090.pdf
Auswertung der Anfrage von Jessica Tatti/DIE LINKE zu AUB und Jobcentern und Arbeitsagenturen: https://t1p.de/2svkh





Quelle: https://harald-thome.de/newsletter/archiv/thome-newsletter-19-2023-vom-11-06-2023.html
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