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Wat Noch => Praxisbereich => Thema gestartet von: Kuddel am 14:44:14 Fr. 22.Januar 2010

Titel: Kampfformen
Beitrag von: Kuddel am 14:44:14 Fr. 22.Januar 2010
Die Hauptstadt Belgiens hat schon einige denkwürdige Proteste erlebt: Erboste Bauern die Stroh und gammeliges Gemüse in die Straßen kippen, weil ihnen die EU-Agrarpolitik nicht passt, zum Beispiel.

Auch Wein ergoss sich schon einmal auf Brüssels Straßen. Und gern wird der Verkehr im Europaviertel lahm gelegt. Dieser Donnerstag war aber doch etwas Besonderes in der streikerprobten Metropole. Die belgische Feuerwehr demonstrierte vor dem Sitz des Ministerpräsidenten. Und schäumte eine Kreuzung ein, um den Verkehr ein bisschen durcheinanderzubringen. Die Feuerwehrleute verlangen klarere Regeln unter anderem bei Beförderungen. BM

http://www.morgenpost.de/printarchiv/wirtschaft/article1243275/Schaeumender-Protest-der-Feuerwehr.html (http://www.morgenpost.de/printarchiv/wirtschaft/article1243275/Schaeumender-Protest-der-Feuerwehr.html)
Titel: Langsamarbeiten als einfachste Sabotageform
Beitrag von: Kuddel am 11:56:24 Mo. 26.April 2010
ZitatDie Mehrheit der Deutschen bringt am Arbeitsplatz nicht die volle Leistung. Schuld daran ist aber in der Regel nicht der Arbeitnehmer selber, sondern der Arbeitgeber.
ZitatBezogen auf alle Arbeitnehmer in Deutschland bedeutet das nach Berechnungen des Hamburger Weltwirtschaftsinstituts eine Leistungsminderung von 15 Prozent gleich 262 Mrd. Euro pro Jahr.
http://www.ftd.de/karriere-management/:enable-die-meisten-arbeitnehmer-verweigern-die-100-prozent/50103761.html (http://www.ftd.de/karriere-management/:enable-die-meisten-arbeitnehmer-verweigern-die-100-prozent/50103761.html)
Titel: Re:Kampfformen
Beitrag von: Sir Vival am 18:41:57 Mo. 26.April 2010
Das muss aber nicht unbedingt an der "Leistungsverweigerung 100%" liegen.

Ich habe jetzt in 3 verschiedenen Firmen über die Jahre hinweg die stetige Veränderung der Arbeitsweisen mitbekommen. Mit Leib, aber ohne  Seele  :D.

1. Bürokratisierung:
Da will ein Betrieb nach DIN ISO 12647 und intercent iso 9001:2000 abschneiden, da dies Standard ist und man Gefahr läuft, von den Superduper-Konzernen keine Aufträge mehr zu bekommen, falls man nicht DIN ISO xyz ist. So zumindest im Druckgewerbe.
Das heisst, da werden Arbeitsschritte eingebaut, die die Produktion stark bremsen und bürokratisieren. Es werden elektronische Jobtickets generiert, die von Auftragseingang/erfassung bis zur Auslieferung nachvollziehbar sind usw.
Der gesamte Betrieb von A-Z wird umgekrempelt.
Denn mal so kurz einen Fresszettel mit einem Vermerk für die nächste Abteilung auf die Auftragstasche zu bappen, ging plötzlich unter Androhung von Abmahnung nicht mehr.
Also Klick hier, Klick da, alles zu 100% nachvollziehbar. Da kommen dann am Ende so genannte ISO Prüfer und wehe, da bappt so ein Fresszettel irgendwo in der Firma rum. Bissl zugespitzt, aber im Prizip war´s so. Und der Fresszettel war nur ein Pippifax.
Ergo: Produktion hinkt im Vergleich zu den Vorjahren. Wer pienst rum? Der Chef, der ja so von DIN ISO schwärmt.

2. Full Service für den Kunden:
Es werden teils keine Kosten berechnet für Satz, Layout oder Korrekturen, die normalerweise berechnet wurden. Gerade Satz/Layout. Der Kunde könnte ja beim nächsten mal zu einem anderen Dienstanbieter gehen. Und wer pienst wieder? Der Chef, der ja jeden Kunden mit Full Service halten will.

So habe ich in den letzten Jahren im Druckgewerbe mitbekommen, wie die Leistung von 100% auf 90 oder gar 80% gefallen ist, obwohl eigentlich 120% gearbeitet wird.
Man kann sich´s hinrechnen, wie man will, wenn man am längeren Hebel sitzt. Denn den Vorwurf der verminderten Leistung bekommt man nach einiger Zeit jedenfalls gemacht.

OK, das sind keine Kampfformen, aber wenn man dadurch immer mehr Druck bekommt, merkt man gar nicht, wie man unbewusst weniger leistet. Das ist dann eine unbewusste Kampfform.
Titel: Re:Kampfformen
Beitrag von: Kuddel am 17:21:40 Di. 20.Juli 2010
ZitatMassen-Krankmeldungen
Spaniens Lotsen lähmen Flug-Verkehr
Flughafenbehörde: Das ist ein ,,verkappter Streik"!

Sommergrippe oder versteckter Streik? Mitten in der Hochsaison melden sich massenhaft spanische Fluglotsen krank.
http://www.bild.de/BILD/politik/wirtschaft/2010/07/20/massen-krankmeldungen-bei-spaniens-flug-lotsen/verspaetungen-und-aerger.html (http://www.bild.de/BILD/politik/wirtschaft/2010/07/20/massen-krankmeldungen-bei-spaniens-flug-lotsen/verspaetungen-und-aerger.html)
Titel: Re:Kampfformen
Beitrag von: Kuddel am 20:45:48 Mo. 18.Oktober 2010
Trotz alledem: Es muß vom bloßen Protest zum Widerstand übergegangen werden.

Echter Widerstand heißt die Produktion und den Warenverkehr stoppen!

Neben der Arbeitsniederlegung gibt es schließlich auch Blockaden.
Werktore, Depots, Häfen, Flughäfen, Bahnhöfe und Kreuzungen blockieren!

Auch die gute alte Barrikade ist nicht aus der Mode gekommen. Frankreich geht mit gutem Beispiel voran.

(https://forum.chefduzen.de/proxy.php?request=http%3A%2F%2Fwww.spiegel.de%2Fimages%2Fimage-142042-galleryV9-ftdt.jpg&hash=be5e68c9cd9e5c594494d0a43c9737c776cfe414) (https://forum.chefduzen.de/proxy.php?request=http%3A%2F%2Fwww.spiegel.de%2Fimages%2Fimage-142073-galleryV9-syht.jpg&hash=0401e00d56e7d88fae21bf47c0719d141395433a) (https://forum.chefduzen.de/proxy.php?request=http%3A%2F%2Fwww.spiegel.de%2Fimages%2Fimage-141910-galleryV9-nlhs.jpg&hash=dd06d2757ad52eb0f054e737600ad818dc02153b) (https://forum.chefduzen.de/proxy.php?request=http%3A%2F%2Fwww.spiegel.de%2Fimages%2Fimage-142086-galleryV9-geec.jpg&hash=035352c0bc31f31d448df584cf4e13c306118802)

Titel: Re:Kampfformen
Beitrag von: Kuddel am 19:05:16 Do. 19.Mai 2011
ZitatSabotage im Alltag!
Plädoyer für antizyklische, aber alltägliche Blockade der Unternehmens- und Wirtschaftsziele


Französische IndustriearbeiterInnen warfen Holzschuhe (franz 'sabot') in die Maschinen, um sich die benötigten Ruhepausen zu holen. 'Sabot', der Holzschuh (für Sabotage) wurde neben der schwarzen Katze (für wilden Streik, engl. = wildcat und direkte Aktion) das Zeichen der Wobblies (IWW, Industrial Workers of the World).

Mag Wompel ist Redakteurin von www.labournet.de (http://www.labournet.de), dem Treffpunkt für Ungehorsame, mit und ohne Job, basisnah, gesellschaftskritisch. Für die LeserInnen der Graswurzelrevolution analysiert sie Sabotage als Arbeitskampfform und stellt eine Begriffserweiterung zur Diskussion. (GWR-Red.)

Jenseits der Tarifrituale der DGB-Gewerkschaften ("Warnstreik" als letztes Mittel) ist Arbeitskampf, ja Klassenkampf offenbar eine Spezialität des Gegners geworden. Selbst das WSI-Tarifhandbuch 2008 meldet: "Mehr Arbeitskämpfe - Deutschland trotzdem weiter relativ streikarm". Der Gegner hingegen schlägt, mittlerweile vollkommen unabhängig von der Konjunkturlage, munter zu. Erpresste Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen (laut Urteil der Pressekammer des Landgerichts Hamburg vom 13. Juni 2008 darf hier von Erpressung gesprochen werden!), Tarifabsenkungen und Entlassungen blieben bereits vor der aktuellen Krise und sogar in den Zeiten des Aufschwungs aus Angst unwidersprochen.

Dabei ist es offensichtlich, dass diese erfolgreichen Angriffe in der Wirtschaftskrise sich und damit für uns diese Krise verstärken werden - zumal die Lohnabhängigen doppelt betroffen sind: als "Arbeitnehmer" und als (Steuer)ZahlerInnen der Rettungsaktionen für "ihre Arbeitgeber". "Lieber prekär als Hartz IV" denken immer noch die meisten Lohnabhängigen und ihre gewerkschaftlichen StellvertreterInnen - und wie in der Wirtschaft hoffen alle, zu den Krisengewinnern zu zählen ("Wenn die Befristeten und Leiharbeiter gehen, ist mein Arbeitsplatz sicherer"). Streiks finden nur noch statt, weil das Kapital gar nicht mehr verhandeln will oder um die Mitgliedschaft symbolisch zu befriedigen, um das Elend gerechter zu verteilen sowie um Sozialpläne zu "erkämpfen". Und selbst diese Streiks greifen immer weniger, denn wie soll der Entzug der Arbeitskraft bei Kurzarbeit und Entlassungen als Drohung und Druckmittel wirken?

Bereits abnehmende Organisierung und Tarifbindung, begleitet durch den wettbewerbskorporatistischen Kurs der Gewerkschaftsapparate und das restriktive deutsche Streikrecht, machten die Suche nach alternativen Arbeitskampfformen notwendig. Gesucht werden schon länger Kampfmöglichkeiten jenseits organisierter Kollektive, jenseits von Betriebsrat und Tarifkommission. Durch verschiedene Formen "smarter", intelligenter Arbeitskämpfe sollten auch Minderheitengruppen, kampfunerfahrene Belegschaften und EinzelkämpferInnen in Kleinbetrieben befähigt werden, auf eine ihrer Situation angepasste Art und Weise Verschlechterungen zu widerstehen oder gar Verbesserungen durchzusetzen. (1)

Denn trotz stark verbreiteter subjektiver Ohnmacht, Erpressbarkeit und Individualisierung gibt es durchaus Wut und Widerstand am Arbeitsplatz, wenn auch oft versteckt. Und es gibt durchaus Macht der Lohnabhängigen an fast jedem Arbeitsplatz, wenn auch oft unbewusst (2). Beides gilt es mehr denn je zu stärken: den Widerstand und das noch selbstbewusster machende Wissen um die eigene Macht.

Ein großes Potential, diese beiden Aspekte miteinander zu verbinden, traue ich der Sabotage als Arbeitskampfform zu. Um diese Klammerfunktion erfüllen zu können, sollte dieser leider etwas angestaubte Begriff der Sabotage (3) allerdings "modernisiert" und erweitert werden. Wenn als Sabotage nicht nur der berühmte Schraubenschlüssel im Fließband gilt, sondern auch alltägliche Verweigerung und Blockade der Unternehmensziele, eröffnen sich ihr neue Perspektiven.

Denn je mehr die Unternehmen vom Menschen wollen, je umfassender die Ökonomisierung der Gesellschaft wird, umso umfassender werden die - expliziten wie ungeschriebenen - Arbeitsverträge. Emotionen, Ideen, Einstellungen werden gratis mit abverlangt - und können dementsprechend auch verweigert werden! Vor diesem Hintergrund können auch Konformitäts- und Wettbewerbsverweigerung, Verweigerung der Selbstaktivierung und Selbstvermarktung sowie unternehmerischer Selbstunterwerfung in Zeiten von "Zielvereinbarungen" und "Ich-AG" den Charakter aktiver Sabotage bekommen. Denn wenn Konkurrenz und Wettbewerb all umfassend werden, gerät bereits geübte Solidarität zu Sabotage der Unternehmens- und Wirtschaftsziele. Dies gilt übrigens auch für uns als Kunden, die immer mehr zu "unbezahlten Mitarbeitern" der Unternehmen werden (4) und immer häufiger nur noch als Träger der geheiligten Binnennachfrage zählen.

"Smarte" Sabotage - nicht nur Maschinen stürmen...

Sabotage - wenn auch meist nicht so genannt und oft auch nicht so verstanden - findet schon immer und täglich statt, denn die arbeitenden Menschen haben - ob organisiert oder nicht - längst vielfältige Formen der Gegenwehr und Rache für die alltäglichen Zumutungen und Entwürdigungen gefunden: als individuelle Sabotage des expliziten (schriftlichen) und impliziten (ungeschriebenen) Arbeitsvertrages. Sabotage beginnt also keinesfalls revolutionär, sondern durchaus unpolitisch aus Enttäuschung und Frust, Rache und individueller Nutzenoptimierung. Nachlassende Identifikation mit dem Job, nicht zuletzt durch all die Entlassungswellen und ständige Bedrohung des eigenen Arbeitsplatzes (beides natürlich trotz Verzicht!), führt zur ,inneren Kündigung', der horrende Kosten für die Wirtschaft nachgesagt werden.

Was ist individuelle Sabotage des impliziten und expliziten Arbeitsvertrages?


Der Chef bekommt nur noch exakt das, was er unseres Erachtens verdient, durch alle möglichen Formen der verlangsamten Arbeit, des Streichens von Eigeninitiative, von Ideen oder von leidenschaftlichem Einsatz, durch Unterlassen, Stehen lassen, Liegen lassen, Arbeit vortäuschen und Pseudoarbeiten oder Krankfeiern.

Zur Perfektion betrieben hat es "Das Dilbert-Prinzip" von Scott Adams mit seinen Gesetzen des Gehaltsgleichgewicht und des Gesamtarbeitsaufkommens (wirkliche Arbeit + Pseudoarbeit = Gesamtarbeitsaufkommen - bei möglicher Reduktion der wirklichen Arbeit). Es gilt, Arbeit vorzutäuschen und Stress zu minimieren, "damit Sie ein zufriedener Arbeitnehmer auf Kosten Ihres Arbeitgebers werden können, der ohnehin keinen so netten Menschen wie Sie verdient" (5). Ob mensch es nun "Besser leben durch Bürodiebstahl" oder "autonome Lohnerhöhung" nennt - auch diese aktive Herstellung der Gerechtigkeit bleibt zunächst ein individueller, unpolitischer Akt. Bereits ganz anders sieht es aus, wenn wir bei den genannten Formen des verringerten Einsatzes der Arbeitskraft bewusst unterscheiden, für wen wir voll da sind und wen wir auflaufen lassen, was nach sozialen und/oder politischen Gesichtspunkten möglich ist.

Zu den eher aktiven Formen der (meist individuellen) Rache am Arbeitsplatz mit Politisierungspotential gehören - neben "Guerillakrieg" durch Kunden-, Produkt- und Computersabotage - Badbossing bzw. Staffing als Mobbing von unten und bezeichnen in diesem Zusammenhang ,"unfaire" Attacken gegen einzelne Führungskräfte oder gegen die Führungsebene von Seiten der "Beschäftigten". Absicht kann der Ruin einzelner Vorgesetzter, des gesamten Stabes oder der gesamten Personal- und Unternehmenspolitik sein. Die öffentlichste Form ist das Whistleblowing. Wird dies nicht aus persönlicher Enttäuschung und Rache betrieben, kann dem durchaus ein politischer Charakter zukommen, den viele Unternehmen durch Maulkorberlasse zu vermeiden suchen und der übrigens zu vielen Unterlassungsklagen bei LabourNet oder chefduzen u.a. führt.

Doch auch Sabotage als kollektive Arbeitskampfmaßnahme kann Politisierungspotential beinhalten. Dann meint sie die strategische Vereitelung eines Ziels durch gewollte geheime Gegenwirkung, z. B. absichtliches Langsamarbeiten oder Verursachung von Fehlern, ferner die vorsätzliche Beschädigung, Zerstörung oder Unbrauchbarmachung z. B. von Arbeitsmitteln und Waren oder auch der Entzug von Energie. Damit soll planmäßig, entweder auf die Quantität oder die Qualität von Produktion und Dienstleistung gerichtet, die Effektivität einer Person oder einer Organisation lahm gelegt werden. Für solche kollektiven, strategischen Arbeitskampfmaßnahmen der Sabotage gibt es durchaus viele geschichtliche Beispiele. Die meisten Politisierungspotentiale entfaltet Sabotage allerdings als ausdrückliche Arbeitskampfform dann, wenn sie nicht nur betrieblich - aus unterschiedlichsten Gründen - Vorteile gegenüber einem Streik hat, sondern die Produkte des zu bekämpfenden Unternehmens und damit auch die eigene Rolle in diesem Wirtschaftsunternehmen zugleich als gesellschaftliche begreift. (6)

Auch hierfür gibt es viele internationale Beispiele, wie auch kollektiv und ausdrücklich als Arbeitskampfmaßnahme verstanden nach sozialen und/oder politischen Gesichtspunkten unterschieden werden kann, für wen die Arbeitsverweigerung gilt und für wen ausdrücklich nicht.

Während in Deutschland Streiks im Transportwesen immer noch nur als erfolgreich gelten, wenn niemand transportiert wird (egal, ob zur Maloche oder zur Liebe), gibt es in Frankreich eine Tradition sozialer Arbeitskämpfe statt strikter Arbeitsverweigerung, in der Gratis-Mobilität angeboten und dabei über sie diskutiert wird. Soziale Differenzierung der Leistungserfüllung ist auch z.B. bei der Briefzustellung (Erwerbslosenchecks ja, Unternehmenspost nein) oder bei der Stromversorgung (Strom für Arme an, für Reiche aus) erfolgreich durchgeführt worden und sicherte zudem den Aktionen die Akzeptanz und Solidarität der übrigen Teile der Lohnabhängigen, die sonst gerne und leicht durch die bürgerliche Presse als empörte Kunden gegen die Streiks gehetzt werden.
Kapitalismus und Repression leben vom Akzeptieren und Mitmachen

Ob solcher Widerstand der persönlichen Gesundheit gilt und/oder sich an der Grenze zur strategischen/politischen Sabotage bewegt, hängt von vielen Faktoren ab: politisches Bewusstsein, Grad der Individualisierung/Kollektivierung, strategische Zielsetzung. Es gibt verschwimmende Grenzen zwischen individueller Rache und kollektivem Arbeitskampf - politisch können nämlich auch durchaus individuelle Verhaltensweisen am Arbeitsplatz (und als Kunde) sein, zumal wenn sie NachahmerInnen finden.

Noch wird ohne Erfolg die deutsche Fabienne gesucht, also die ARGE-Sachbearbeiterin, die Repression verweigert und offen dazu aufruft. Doch wer genau hinschaut, trifft fast täglich auf ungehorsame Zugschaffner, ein Auge zudrückende Behördenangestellte oder mit der Kassiererin solidarische KundInnen. Sabotage fängt im Kleinen an und kann dennoch Großes bewirken.

Wie gesagt: Kapitalismus und Repression leben vom Akzeptieren und Mitmachen und jede noch so kleine Konformitäts- und Wettbewerbsverweigerung, jede geübte Solidarität mit den Schwachen und Unterdrückten - am liebsten kollektiv - kann zum ersten Schritt jenseits dieses inhumanen und ohne unser Akzeptieren und Mitmachen bankrotten Systems führen.

Allerdings setzt Sabotage Mut und Selbstbewusstsein und als Arbeitskampfmittel auch die Selbstermächtigung der ArbeiterInnen gegen die Macht der Gewerkschaftsbürokratie voraus - stärkt diese aber bereits im Prozess und lässt eine echte, alltägliche Demokratisierung durchscheinen.

Mag Wompel
            

Anmerkungen

(1) Siehe dazu die Rubrik im LabourNet Germany "neue Kampfformen" (Diskussion > Gewerkschaftsstrategien > (intern.) Erfahrungen > Kampfform): www.labournet.de/diskussion/gewerkschaft/erfahrung/kampform.html (http://www.labournet.de/diskussion/gewerkschaft/erfahrung/kampform.html)

(2) Siehe z.B. Reinker, Susanne: Rache am Chef - Die unterschätzte Macht der Mitarbeiter. Berlin 2008.

(3) Als Sabotage bezeichnet man lt. Wikipedia "die absichtliche Störung eines wirtschaftlichen oder militärischen Ablaufs zur Erreichung eines bestimmten (oft politischen) Zieles. Im alltäglichen Sprachgebrauch ist mit Sabotage oft auch die gewaltsame Beschädigung und Zerstörung von Geräten, Maschinen, Infrastruktur usw. zugunsten eines höheren Zweckes gemeint (Gewalt gegen Sachen). Sabotage kann auch Fertigungsprozesse, Dokumentation und andere, festgelegte Abläufe treffen. Menschen, die Sabotage betreiben, werden als Saboteure bezeichnet."

(4) G. Günter Voß und Kerstin Rieder: Der arbeitende Kunde. Wenn Konsumenten zu unbezahlten Mitarbeitern werden, Frankfurt a.M., New York : Campus 2005

(5) Adams, Scott: Das Dilbert-Prinzip. Die endgültige Wahrheit über Chefs, Konferenzen, Manager und andere Martyrien. Landsberg/Lech 1997

(6) Für weitere Beispiele siehe Wompel, M. (2008): Sabotage - Arbeitskampf mit Strategie und Spaß, in: Torsten Bewernitz (Hg.): Die neuen Streiks. Geschichte. Gegenwart. Zukunft. ISBN-13: 9783897714809, Unrast-Verlag Münster 2008, S. 140-150


http://graswurzel.net/338/sabotage.shtml (http://graswurzel.net/338/sabotage.shtml)
Titel: Re:Kampfformen
Beitrag von: Kuddel am 20:25:12 Sa. 21.Mai 2011
Zitat"Wir sagen Schluss, es reicht"

Streiks und Demonstrationen sind Vergangenheit, jetzt kämpfen viele Griechen mit Ungehorsam und handgreiflichen Aktionen gegen den Sparkurs der Regierung. Sie legen Ticketautomaten lahm, manipulieren private Mautstellen - denn für sie geht es um die Existenz.


Der Klein-Verleger sitzt im Café "Kastro" in einem Vorort im Nordosten von Athen und genießt die Zustimmung und stille Bewunderung einiger Freunde. Sarantopoulos ist einer der Sprecher einer neuen Bewegung in Griechenland, deren Name Programm ist: "Ich zahle nicht", nennt sie sich, und so ist es auch gemeint. Ihre Mitglieder weigern sich, den Preis für die Krise zu zahlen. Und sie gehen noch weiter: Sie manipulieren private Mautstellen und öffentliche Ticketautomaten und gehen auch gegen staatliche Abgabenbescheide vor.

Vier Stunden vor ihrem Treffen in dem Café waren sie mit 30.000 Teilnehmern eines Generalstreiks durch die Athener Innenstadt gezogen. "Ich schulde nichts", verkündeten sie auf Transparenten und in Sprechchören, und die europäischen Partner forderten sie auf, "nehmt das Memorandum und haut ab".

Jetzt diskutieren sie bei Espresso Frappé den Tag und die politische Lage. Hilfe von den europäischen Partnern im Kampf gegen den drohenden Staatsbankrott, von den deutschen gar? Deutschland solle erstmal seine Kriegschuld von 165 Milliarden Euro für Zwangsanleihen der Nazis und für Zerstörungen während der Besatzung durch Adolf Hitlers Truppen tilgen, sagt Sarantopoulos. "Dann sehen wir weiter."

Es ist eine neue Wut, die sich da Bahn bricht am Fuße der Akropolis. Der Aufstand der Wutbürger konzentriert sich nicht länger nur auf die Wahlzettel wie in Finnland oder den Niederlanden, wo rechtspopulistische Europagegner mit Karacho in die Parlamente einzogen. Sie überlassen den Protest auch nicht jungen Anarchos, die Steine werfen und Krawalle provozieren, bei denen vorige Woche in Athen ein Demonstrant lebensgefährlich verletzt wurde.

Sie kritisieren die eigene Regierung und wehren sich gegen zu drastische Sparmaßnahmen, die einseitig die Reichen und Privilegierten, ganz besonders die im Öffentlichen Dienst, schonen. Sie meinen aber auch die europäischen Nachbarn, die immer schamloser über Pleitestaaten wie Griechenland oder Portugal herfallen - wie jetzt Kanzlerin Angela Merkel, deren Gleichung zur Lösung der griechischen Krankheit etwas arg simpel ausfällt: Die Griechen sollten einfach mehr arbeiten und weniger Urlaub machen. "Das sind keine Schulden des griechischen Volkes", wehrt sich Sarantopoulos, "das sind Schulden, von denen auch Deutschland profitiert hat" - zum Beispiel durch Waffenexporte nach Athen.

Gut zehntausend Mitglieder hat die neue Bewegung schon, behaupten die Organisatoren, "jeden Tag kommt ein neues Komitee im Land dazu". Begonnen hat alles mit der Privatisierung der Autobahnen und Schnellstraßen.

Seit einigen Monaten schon stören die Wutbürger handgreiflich immer wieder den Betrieb von Zahlstellen, indem sie die Schranken manipulieren oder gewaltsam freie Fahrt für freie Bürger organisieren. Die Kassierer müssen machtlos zuschauen. "In den Verträgen zur Privatisierung stand nichts von Schranken und von Kameras zur Kontrolle", sagt Giorgios Bakagiannis, 46. Ihn ärgern besonders die 2,80 Euro, die zum Beispiel auf der Schnellstraße zwischen Stadtzentrum und Flughafen für jede Tour bezahlt werden müssen, egal wie lang sie ist und ob man zum Airport fährt oder zwischendurch abbiegt.

"Eine Bewegung, in der Bürger von unten für die unten entscheiden"


Dann waren die Fahrkartenautomaten für Bahnen und Busse dran. Sie verkleben die Münzschlitze und fahren schwarz. "Die Regierung legt Strecken still, entlässt Personal und trotzdem erhöht sie die Fahrpreise um 80 Prozent", schimpft Fani Stamouli, 35, Angestellte einer Steuerkanzlei: "Wir sagen Schluss, es reicht, jetzt wehren wir uns." Als nächstes soll ihr ziviler Ungehorsam die Griechen zum Widerstand gegen eine Art Praxisgebühr von fünf Euro für Krankenhausbesuche mobilisieren oder Sparmaßnahmen an den Schulen bekämpfen. In Athen etwa sollen 1800 Lehranstalten aus Kostengründen zu 900 zusammengelegt und zusammengestrichen werden, Personalabbau inklusive. Die Antwort der Bürger darauf soll "Steuerboykott" sein, verlangt die Initiative. "Wir machen das nicht mit, wir zahlen nicht für eure Krise", sagt Sarantopoulos.
gekürzt aus: http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,763587,00.html (http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,763587,00.html)
Titel: Re:Kampfformen
Beitrag von: Kuddel am 16:06:38 Do. 16.Juni 2011
ZitatDoch auch in anderen EU-Staaten formiert sich zunehmend Widerstand gegen die Zustände im eigenen Land. Im Mai etwa wurden in Spanien 120 Demonstranten bei Auseinandersetzungen mit den Sicherheitskräften verletzt. Ihre Protestbewegung richtet sich gegen die Arbeitslosigkeit und Vorherrschaft von großen Parteien. Die Polizisten benutzten Schlagstöcke und Gummigeschosse, um die Demonstranten von dem zentralen Plaza de Cataluña in Barcelona zu vetreiben, auf dem sie zwölf Tage gecampt hatten.

In Großbritannien randalierten im Herbst vergangenen Jahres Studenten in der Parteizentrale der Konservativen. Sie wollten ihrem Unmut über die massive Erhöhung der Studiengebühren Ausdruck geben. Sie zerschlugen die Windschutzscheiben von Polizeiautos, mehrere Demonstranten wurden festgenommen. Die liberalkonservative Regierung von David Cameron will mit einem rigiden Sparkurs das Haushaltsdefizit bekämpfen.

Die Isländer warfen mit Eiern und Schneebällen

Auch die friedlichen Isländer haben das Protestieren gelernt. Als das Land 2008 nach dem Zusammenbruch der drei größten Banken den Staatsbankrott erklärte, stürzte die Währung ab, Inflation und Arbeitslosigkeit stiegen. Tausende Isländer versammelten sich vor dem Parlament in Reykjavik und forderten eine "neue Republik". Sie warfen mit Eiern, Schneebällen und zündeten einen Weihnachtsbaum an. Sie wollten, dass Ministerpräsident Geir Haarde zurücktritt, wenig später tat er es. Die Polizei setzte erstmals seit 60 Jahren Tränengas ein.

Die Probleme waren neu für die Isländer. Jahrzehntelang hatten sie eine Arbeitslosenquote von nicht einmal zwei Prozent, die Wirtschaft wuchs kräftig. Und dann krachte plötzlich das System zusammen, das hatten die Isländer nicht erwartet.

Auch die Griechen lebten jahrelang gut, auch wenn sie es über ihre Verhältnisse taten. Mit dem Ergebnis, dass nun der Staatsbankrott droht. Dass die Proteste in Griechenland derzeit so heftige Ausmaße annehmen, ist laut Bengt-Arne Wickström, Finanzwissenschaftler an der Humboldt-Universität Berlin, der großen Aufmerksamkeit geschuldet, die das Land derzeit hat. "Wer protestiert, will auch gesehen werden. Die ganze Welt schaut im Moment nach Griechenland."

Fast täglich wurde ein Supermarkt geplündert


Die Entwicklungen in den europäischen Ländern mögen manchen Beobachter beunruhigen. Einen wirklichen Staatsbankrott mit allen Konsequenzen hat Europa jedoch noch nicht erlebt, denn stets eilte die EU mit Rettungspaketen zur Hilfe.

Welch dramatische Zustände der Bankrott eines Landes tatsächlich auslösen kann, zeigt die Argentinien-Krise. Bevor das Land Ende 2001 seine Zahlungsunfähigkeit erklärte, fror die Regierung die Konten der Bürger teilweise ein, um einen Run auf die Banken zu vermeiden. Zwischenzeitlich durften die Kunden nur noch einen begrenzten Betrag pro Monat abheben.

Daraufhin drangen die wütenden Bürger mit Stöcken und Steinen bewaffnet in Geldinstitute ein. Sie zertrümmerten Fensterscheiben, zerstörten Geldautomaten. Staatsangestellte, die über Monate kein Gehalt mehr bekommen hatten, machten ihrem Ärger mit Kochtopfkonzerten Luft. Die Menschen plünderten fast täglich irgendwo im Land einen Supermarkt. Schließlich begann die Regierung, kostenlos Lebensmittelpakete zu verteilen. So wollte sie die wütende Menge besänftigen. Dennoch kamen 28 Menschen kamen bei den gewalttätigen Protesten ums Leben.
http://www.stern.de/wirtschaft/news/proteste-gegen-sparpolitik-europa-kriegt-die-wut-1695861.html (http://www.stern.de/wirtschaft/news/proteste-gegen-sparpolitik-europa-kriegt-die-wut-1695861.html)
Titel: Re:Kampfformen
Beitrag von: Kuddel am 17:09:32 Fr. 29.Juli 2011
ZitatTomatenattacke auf Dobrindt

München (RPO). Die Haare voller Tomatensaft, der Anzug mit Ei bekleckert: CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt musste einiges aushalten, als er sich am Freitag den wütenden Gegnern einer dritten Start- und Landebahn für den Münchner Flughafen stellte. Mit Trillerpfeifen und immer wiederkehrenden "Lügenpack"-Rufen hatten ihn die gut 300 Demonstranten vor der CSU-Landeszentrale in München empfangen.

(https://forum.chefduzen.de/proxy.php?request=http%3A%2F%2Fstatic.rp-online.de%2Flayout%2Ffotos%2FDI10215-201107294e32b7ee2572.jpg&hash=234841a5dfd8597a3b70c38f254f6fe3bdb1fa20)

Ein Demonstrant zerdrückte eine Tomate auf seinem Kopf, ein anderer warf ein Ei auf ihn. Auch kopierte 200-Euro-Scheine, die ursprünglich zum symbolischen "Rausschmeißen" gedacht waren, landeten nun zu hunderten auf dem Politiker.
http://www.rp-online.de/politik/deutschland/Tomatenattacke-auf-Dobrindt_aid_1016323.html (http://www.rp-online.de/politik/deutschland/Tomatenattacke-auf-Dobrindt_aid_1016323.html)

;D
Titel: Re:Kampfformen
Beitrag von: Kuddel am 12:28:49 Mi. 05.Oktober 2011
ZitatArbeiter halten ihre Bosse fest: Beschäftigte eines belgischen Stahlwerks fürchten um ihre Jobs

Die Arbeiter in einem Stahlwerk im belgischen Lüttich haben in einem Arbeitskampf sechs Führungskräfte festgehalten. "Die Bedingungen sind sehr beschwerlich, wir haben direkt auf der Erde schlafen müssen", sagte der Sprecher der Niederlassung von ArcelorMittal in Lüttich, Etienne Botton. "Gestern haben wir Pizzas bestellt, aber alle Schachteln sind leer angekommen." Es habe aber "keine physische Gewalt" gegeben und sie hätten am Dienstag zu essen bekommen. Rund 150 Menschen hinderten die Führungskräfte laut Botton den zweiten Tag in Folge, ihre Büros im vierten Stock eines Werksgebäudes zu verlassen. Der Branchenriese ArcelorMittal beschäftigt in der wallonischen Stadt noch rund 3000 Menschen. Arbeitgeber und Arbeitnehmer streiten unter anderem darum, ob zumindest einer der beiden stillgelegten Hochöfen, wie früher geplant, wieder angefahren wird, oder ob er wegen einer Flaute in der Branche außer Dienst bleibt.
http://www.welt.de/print/welt_kompakt/print_politik/article13641940/Arbeiter-halten-ihre-Bosse-fest.html (http://www.welt.de/print/welt_kompakt/print_politik/article13641940/Arbeiter-halten-ihre-Bosse-fest.html)
Titel: Re:Kampfformen
Beitrag von: Troll am 17:52:43 Do. 26.Juni 2014
Neue Protestformen in der Türkei.

Türkei - Protestkultur (http://www.dailymotion.com/video/x20bewd)

Video mit 5000 Visits, irgend ein Müll bekommt auf Youtube hunderttausende, aktuell aus der Primark-Doku, Einkaufvideos kommen schon mal auf 50000 Visits! Wir verblöden zusehends.

https://www.chefduzen.de/index.php?topic=1932.msg295263#msg295263 (https://www.chefduzen.de/index.php?topic=1932.msg295263#msg295263)
Titel: Re:Kampfformen
Beitrag von: Kuddel am 13:02:24 Sa. 28.Juni 2014
Naja, so traurig bin ich nicht, daß dieses Video keine Rekordklickzahlen hat.
Ist vielleicht noch das interessanteste, was wir öffentlich-rechtlich geboten kriegen, doch bleibt es typischer ARTE-Schmodder. Als Beweis für die Effektivität dieses Protests wird angeführt, daß es bereits mehrere Kunstpreise dafür gab und ein Museum sich der Sache widmete. Mich wundert, daß nicht noch eine "Protestkultur" in Zusammenarbeit mit einem fränzösischen Tanztheater vorgestellt wurde...  :rolleyes:
Titel: Re:Kampfformen
Beitrag von: Troll am 18:51:24 Sa. 28.Juni 2014
Das Positive für mich, ich habe nicht das Gefühl die meisten protestierenden hätten den Anspruch das ihr Protest unbedingt künstlerisch sein muß, da wird viel neues/anderes aus der Not geboren. Arte macht da natürlich ein Faß auf wenn es sich in die Künstlerische Ecke schieben lässt.
Titel: Re:Kampfformen
Beitrag von: Kuddel am 13:25:17 So. 15.Juli 2018
Zitat von: Troll am 18:51:24 Sa. 28.Juni 2014
Künstlerische Ecke
Diesen aktuellen Trend zu Backe-Backe-Kuchen-Protesten kann ich jedenfalls nicht ertragen.
Es muß nicht aggressiv oder militant sein, aber "kreativ" bedeutet für mich nicht, daß man wieder eine "Clowns Army" aufstellt (bei Clowns krieg ich das Kotzen!), jede Aktion zur "Kunstaktion" erklärt und aus Angst, anders keine Teilnehmer zur Demo zu kriegen, sie als Rave gestaltet ("Nazis wegbassen"). Protest ganz handzahm und als leicht konsumierbare Eventkultur, soll machen wer will, für mich ist das neoliberaler Zeitgeist und zum Weglaufen!
Titel: Re:Kampfformen
Beitrag von: Onkel Tom am 15:24:48 So. 15.Juli 2018
Als Clowns verkleidete Demonstrannten kann ich nur die aktzeptieren, die sich
mit der Ablenkung der Cops vor Übergriffen beschäftigen.. In HH gab es das
auch, habe jedoch mal mit einem Clown derbe Erfahrungen gemacht..

Bei einer "Reclaim the Street Aktion" caschten die Cops mehere Demonstrannten
und während wir nach Namen der Umzingelten fragend riefen, spazierte ein Clown
auf der dazwischenliegenden Straße rum und störte massiv mit seiner Tröte, Daten
für den Ermittlungsausschuss (EA) zu erfassen.

Mehrfach schrie ich ihn an, er solle damit aufhöhren und später stellte es sich
heraus, das er ein Zivicop war..

Ich habe gegen "Protestkunst" nichts ein zu wenden, solange dies nicht den
Protestthema überwiegt und mit dem Kern des Protestgrund deutlich und
jederman verständlich verbunden ist.

Anbei ein Mittelweg zu finden, ohne das der Aktionsgrund verblasst, ist die Kunst  ;)
Titel: Re: Kampfformen
Beitrag von: Kuddel am 14:42:18 Mo. 31.Dezember 2018
In Zeiten in denen eine gewerkschaftliche Organisierung nicht existiert... oder nix taugt, werden alternative Kampfformen wichtiger.

Die Krankschreibung, insbesondere die kollektive Krankschreibung, hat eine wachsende Bedeutung. Das wird kaum wahrgenommen oder diskutiert.

Sobotage wird auch zu selten diskutiert, obwohl das zur Tradition rebellischer Arbeiter gehört.

ZitatHöganäs AB ist ein schwedischer Hersteller von Metallpulvern. Die Ursprünge des Unternehmens liegen im Kohle- und Tonbergbau. Die Unternehmensgruppe ist weltweit mit Tochtergesellschaften vertreten.
https://de.wikipedia.org/wiki/H%C3%B6gan%C3%A4s_AB

ZitatBei Höganäs in Goslar steht zwei Wochen lang die Produktion wegen Sabotage still
Zwei Wochen lang stand Mitte November bei H. C. Starck Surface Technology and Ceramic Powders (STC) in Goslar die Produktion still, weil Unbekannte Zuleitungen und Apparaturen manipuliert hatten. Die Sabotageakte hätten Personen und Sachwerte erheblich gefährdet, erklärt die Polizei Goslar, die die Ermittlungen aufgenommen hat. Für Hinweise, die zur Ergreifung eines Täters führen, hat die schwedische Firma Höganäs, zu der STC gehört, am Montag 25.000 Euro Belohnung ausgesetzt.

Nur Sabotage kann die Ursache sein

Interne Untersuchungen hätten gezeigt, dass die Unregelmäßigkeiten nur als Sabotage erklärt werden könnten, so Höganäs. Sofort seien polizeiliche Untersuchungen eingeleitet worden. Am 23. November sei die Produktion nach Einführung eines umfangreichen neuen Sicherheitskonzepts wieder aufgenommen worden.
https://www.suedkurier.de/region/hochrhein/laufenburg/Bei-Hoeganaes-in-Goslar-steht-zwei-Wochen-lang-die-Produktion-wegen-Sabotage-still;art372611,9980415

ZitatWirtschaft
Deutsche Unternehmen Ziel massiver Sabotage und Spionage


Insgesamt sei der Industrie durch Sabotage, Datendiebstahl oder Spionage in den beiden Jahren ein Gesamtschaden von 43,4 Milliarden Euro entstanden
https://www.finanznachrichten.de/nachrichten-2018-12/45418179-deutsche-unternehmen-ziel-massiver-sabotage-und-spionage-259.htm

Titel: Re: Kampfformen
Beitrag von: ManOfConstantSorrow am 14:03:19 Fr. 26.April 2019
Den Fluß der Waren, des Geldes und die Produktion aufhalten...

ZitatLondon
Aktivisten blockieren Eingang zur Börse


(https://www.deutschlandfunk.de/media/thumbs/2/24eb837328091be5d419de704b93b3efv1_max_720x405_b3535db83dc50e27c1bb1392364c95a2.jpg?key=ce45aa)

Die Klimaschutz-Bewegung ,,Extinction Rebellion" hat in London weitere Protestaktionen gestartet, dieses Mal im Finanzviertel.

Aktivisten blockierten den Eingang zur Börse. Sie trugen elektronische Laufbänder, die an Handelsräume erinnerten. Darauf standen Warnungen vor einer ,,Klima-Katastrophe" und Aussagen wie ,,Ihr könnt Geld nicht essen". Weitere Mitglieder von ,,Extinction Rebellion" kletterten auf einen Zug.

Die Umweltaktivisten haben vor über einer Woche damit begonnen, zentrale Orte in London zu besetzen. Heute ist der letzte Tag der Proteste. In den vergangenen Tagen nahm die Polizei mehr als 1.000 Menschen fest.
https://www.deutschlandfunk.de/london-aktivisten-blockieren-eingang-zur-boerse.1939.de.html?drn:news_id=1000525

ZitatExtinction Rebellion blockiert britisches Finanzministerium

Die Aktivitäten der Klimaaktivist*innen von Extinction Rebellion reißen nicht ab. Nach Aktionen im Finanzdistrikt wurde gestern auch das britische Finanzministerium blockiert.


(https://anfdeutsch.com/uploads/de/articles/2019/04/20190426-b8f2adc7-a43e-4521-9371-53b6af54652c-625x417-jpegd3f0ce-image.jpg)

Klimaaktivist*innen von Extinction Rebellion setzen ihre Aktionen gegen Zerstörung des Weltklimas fort. Nachdem Aktivist*innen von Extinction Rebellion gestern einen Zug im Finanzdistrikt stoppten und die Börse blockierten, haben sie auch den Eingang des Finanzministeriums versperrt. Unter der Parole ,,Weiter so = Tod" protestierten sie gegen die Rolle des Finanzministeriums in der ökologischen Katastrophe und blockierten den Eingang des Finanzministeriums. Sie kritisierten die Subventionierung von fossilen Brennstoffen mit Steuergeldern und forderten das Finanzministerium auf, den Menschen die Wahrheit über die umweltzerstörerische Politik zu sagen.
https://anfdeutsch.com/Oekologie/extinction-rebellion-blockiert-britisches-finanzministerium-11010

ZitatAuch heute blockieren viele Franzosen den Straßenverkehr.

Sie nehmen sich Urlaub oder melden sich krank - und stehen auch heute mit ihren gelben Warnwesten auf der Autobahn, an Mautstellen oder Kreisverkehren im ganzen Land: Die "Gilets Jaunes" wollen nicht weichen.
https://www.tagesschau.de/ausland/proteste-frankreich-129.html

Wir müssen da aktiv werden, wo es der Wirtschaft weh tut.
Titel: Re: Kampfformen
Beitrag von: Kuddel am 19:48:45 Mo. 27.Januar 2020
Nicht vergessen:

Betriebsbesetzungen!!!



Zitat Die Fritten der Freiheit
Frankreich. In Marseille ist eine McDonald's-Filiale besetzt. Die Mitarbeiter verteidigen damit nicht nur ihre Arbeitsplätze


(https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/die-fritten-der-freiheit/@@images/dbb11fef-8427-43c9-8826-81e3f8e20aeb.jpeg)
https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/die-fritten-der-freiheit
Titel: Re: Kampfformen
Beitrag von: Kuddel am 11:50:52 Fr. 28.Mai 2021
https://pbs.twimg.com/profile_images/1225457064023031810/YMj0gFF7_400x400.jpg
Titel: Re: Kampfformen
Beitrag von: Kuddel am 18:28:28 So. 02.Januar 2022
In den Zeiten, in denen Gewerkschaften schwach sind oder in den Augen der Beschäftigten nicht ihre Interessen vertreten, entwickeln sich neue Formen des Kampfes.

Man sollte sich damit beschäftigen. Das US Wirtschaftsmagazin FORBES tut es:

Zitat"Flachliegen", "Antiarbeit" und die "Kündigungswelle" verbreiten sich weltweit, da junge Menschen gegen das System protestieren


Weltweit gibt es eine wachsende Bewegung, die von jungen Menschen angeführt wird. Da sie mit erdrückenden College-Schulden belastet sind, keine anständig bezahlten Jobs finden (was dazu führt, dass sie kein Haus kaufen können), in schlecht bezahlten Jobs ohne Zukunft festsitzen und in die Gig-Economy gezwungen werden, fühlen sich die Generation Z und die Millennials von den Älteren getäuscht und verraten.

Ihnen wurde gesagt, wenn sie zur Schule gingen und alle Regeln befolgten, würden sie den amerikanischen Traum leben - ein schönes großes Haus in der Vorstadt mit einem weißen Lattenzaun oder eine coole Wohnung in New York City, ein paar Kinder, Haustiere, ausgefallene Urlaube und Luxusautos. Für viele ist dieser Traum nie in Erfüllung gegangen.

Auf Reddit gibt es ein Antiwork-Subreddit mit über 1,5 Millionen selbsternannten "Müßiggängern". Die Gruppe, die Mitglieder aus der ganzen Welt hat, ist ein Zuhause für "diejenigen, die mit der Arbeit aufhören wollen, die neugierig darauf sind, mit der Arbeit aufzuhören, die das meiste aus einem arbeitsfreien Leben herausholen wollen, die mehr Informationen über Antiwork-Ideen wünschen und die persönliche Hilfe bei ihren eigenen arbeitsbezogenen Kämpfen suchen."

Diese Bewegung bedeutet für die Menschen auf der Website etwas anderes. Wenn man sie für bare Münze nimmt, haben einige dieser Mitglieder die Nase voll von der Arbeit und haben kein Interesse daran, in nächster Zeit einen neuen Job zu finden. Andere wollen ihren Frustrationen Luft machen. Ein gemeinsames, verbindendes Thema ist, dass sich die Arbeitnehmer ausgenutzt fühlen, gezwungen sind, lange für niedrige Löhne zu arbeiten und von ihren unsympathischen Managern unverschämt behandelt werden.

Diese Bewegung bedeutet für die verschiedenen Menschen auf der Website etwas anderes. Wenn man sie für bare Münze nimmt, haben einige dieser Mitglieder die Nase voll von der Arbeit und haben kein Interesse daran, in nächster Zeit einen neuen Job zu finden. Andere wollen ihren Frustrationen Luft machen. Ein gemeinsames, verbindendes Thema ist, dass sich die Arbeitnehmer ausgenutzt fühlen, gezwungen sind, lange für niedrige Löhne zu arbeiten und von ihren unsympathischen Managern unverschämt behandelt werden.

Im Rahmen des großen Kündigungstrends waren etwa 40 % der Arbeitsplätze, die gekündigt wurden, im Restaurant-, Hotel-, Reise-, Bar-, Lager-, Produktions- und Gesundheitssektor angesiedelt. Diese Menschen haben mit langen, ständig wechselnden Arbeitszeiten, unhöflichem Verhalten der Kunden, niedrigen Löhnen und hohem Stress zu kämpfen. 

Diese Arbeitnehmer wehren sich gegen schlechte Bezahlung, unangenehme Arbeitsbedingungen und mangelnden Respekt seitens des Managements. Wenn sie erst einmal weg sind, nehmen sich viele Zeit, um nach neuen Möglichkeiten zu suchen, die eine sinnvolle Arbeit und Aufstiegschancen bieten.

Die junge Generation ist möglicherweise die erste Gruppe in der modernen Geschichte, der es finanziell nicht besser geht als ihren Eltern. Mit Zehn- oder Hunderttausenden von Schulden aus Studienkrediten ist es für junge Erwachsene fast unmöglich, ein Haus zu kaufen, zu heiraten und eine Familie zu gründen. Die Schuldenlast sowie die steigenden Immobilienpreise und die Inflation lassen ihnen nicht genügend Mittel, um sich den Lebensstil zu leisten, der für die Babyboomer selbstverständlich war.

Dies ist auch in China der Fall. Der Multimilliardär Jack Ma, Gründer von Alibaba, setzte sich für eine Arbeitskultur ein, die als "996" bekannt ist. Diese Zahl bezieht sich auf Ma's Überzeugung, dass jeder in seinem Unternehmen an sechs Tagen in der Woche von 9 bis 21 Uhr arbeiten sollte. Es ist das Äquivalent zur amerikanischen "Hustle-Porn"- und "Rise-and-Grind"-Kultur, die in der Zeit vor der Pandemie verbreitet war.

Die jüngere Generation chinesischer Arbeiter ist von Ma's Arbeitsregeln nicht begeistert. Wie die South China Morning Post berichtet, sind die Beschäftigten der Generation Z dafür bekannt, dass sie "nachlässig sind, indem sie sich weigern, Überstunden zu machen, nur mittelmäßige Arbeit abliefern, häufig auf die Toilette gehen und sich dort lange aufhalten, mit ihren Handys spielen oder während der Arbeit Romane lesen".

Auf diese Weise wehren sie sich gegen die Anforderungen der langen Arbeitszeiten ohne eine angemessene Bezahlung. Langsamer zu arbeiten ist eine Form des Protests. Es ist ihre Art zu sagen: "Wir sind der Meinung, dass wir nicht fair behandelt werden".

Ähnlich wie die Millennials und die Gen-Zs in Amerika beklagen sich die jungen Chinesen darüber, dass sie sich mit ihrem mageren Verdienst weder ein Haus noch ein finanziell komfortables Leben leisten können. Im Gegensatz zu früheren Generationen glauben einige der chinesischen Jugendlichen nicht an die Kultur der Hektik und legen Wert auf einen vielseitigen Lebensstil. 
(...)
https://www.forbes.com/sites/jackkelly/2021/12/30/lying-flat-antiwork-and-the-great-resignation-spreads-worldwide-as-young-people-protest-against-system/?sh=61e9d2df53b7

Ich finde verschiedenes beachtenswert. Individuelle Verweigerungshaltungen sind sehr verbreitet. Langsamarbeiten, Kündigung und Jobhopping sind Kampfformen. Arbeitsethos und Karrieregeilheit sínd erodiert, bzw. den Bach runter. Sehr schön. Es wird hier von eine "globalen Bewegung" gesprochen. Das läßt hoffen, daß weitere globale Bewegungen möglich sind, die es dem Kapitalismus schwerer machen.
Titel: Re: Kampfformen
Beitrag von: Troll am 11:16:14 So. 17.April 2022
https://youtu.be/mX6iskVgLnw
Die neuen Klassenkämpfe und die Macht der Konzerne: Nina Scholz im Gespräch – Spezial #25

In Berlin hat 2021 eine Mehrheit für die Enteignung von Wohnungskonzernen gestimmt. In New York hat sich kürzlich die erste Amazon-Gewerkschaft an einem US-Standort gebildet. Arbeiter bei Lieferdiensten gehen immer häufiger zu wilden Streiks über und auch ausländisches Pflegepersonal weiß sich zu organisieren. Die Journalistin Nina Scholz geht in ihrem gerade erschienenen Buch ,,Die wunden Punkte" diesen Arbeitskämpfen nach, sie spricht mit Aktivisten und Engagierten. Fest steht: Das Kapital strukturiert sich neu, aber es entstehen auch neue Klassenkämpfe. Die Macht der Konzerne kann effektiv bekämpft werden.
Mehr dazu in der neuen Ausgabe von ,,Wohlstand für Alle"-Spezial mit Nina Scholz und Wolfgang M. Schmitt.
Titel: Re: Kampfformen
Beitrag von: Nao am 22:26:45 So. 19.Juni 2022
Zitat5 chinesische Arbeiter wegen Entführung der Frau eines Arbeitgebers aus Tel Aviv im Lohnstreit angeklagt
Die Angeklagten werden verdächtigt, die Frau angegriffen und bedroht zu haben, um von ihrem Ehemann unbezahlte Löhne zu erzwingen
https://www.timesofisrael.com/5-chinese-workers-indicted-for-allegedly-kidnapping-employers-wife-in-wage-dispute/
Titel: Re: Kampfformen
Beitrag von: Kuddel am 11:45:42 Sa. 13.August 2022
Es wurde bisher wenig diskutiert, daß die Beratung eine recht widersprüchliche Geschichte ist. Natürlich ist es gut, wenn man jemanden stärkt, indem man sie/ihn aufklärt, wie man sich besser gegen Ämter, Vermieter und Bosse durchsetzt.

Die andere Seite daran ist, daß das Rechtssystem nicht für uns gemacht wurde, sondern zum Erhalt der herrschenden Ordnung. Und wenn man diese "Rechte" zu sehr verinnerlicht, kommt dabei heraus, daß man sich nur noch etwas traut, wenn man das Gesetz, Gerichte und Anwälte hinter sich glaubt. Von allem anderen läßt man die Finger, weil "das darf man nicht".

Ich halte Wilde Streiks für eine enorm wichtige Kampfform. Man verläßt sich auf die eigene Kraft und ignoriert Stellvertreter und herrschende Regeln.

Die Wilden Streiks in Deutschland, von denen man in letzter Zeit hörte, gingen von migrantischen Arbeiter:innen aus. Sie kennen die Deutschen Regeln und Gesetze in Bezug darauf nicht, aber die wissen, daß Unternehmen von der Arbeitskraft ihrer Beschäftigten leben und das ein zentrales Druckmittel ist.

Der deutsche Revolutionär stürmt den Bahnhof nicht, wenn er keine Bahnsteigkarte hat.

Titel: Aw: Kampfformen
Beitrag von: ManOfConstantSorrow am 15:32:51 Mi. 14.September 2022
Ein längeres englischsprachiges Video über den militanten Kampf in den USA gegen die Zerstörung eines Waldes:

https://youtu.be/lV7f8ZUmsQA

Titel: Aw: Kampfformen
Beitrag von: Kuddel am 16:23:14 Fr. 14.Oktober 2022
Nachdem die Arbeiter von Ansaldo gestern die Innenstadt von Genua mit brennenden Barrikaden lahmgelegt hatten, wurde heute der Flughafen besetzt.

https://twitter.com/localteamtv/status/1580501229398286336
Titel: Aw: Kampfformen
Beitrag von: Kuddel am 10:42:28 Do. 20.April 2023
Die Haltung vieler Deutscher ist schon deprimierend. Alles ist überschattet von der Frage "darf man das?". Die Medien sind voll von dem Scheiß. Dürfen Klimaaktivisten zivilen Widerstand praktizieren? Darf man Klimaaktivisten in Selbstjustiz von der Straße schleifen oder prügeln?

Oder: "Darf man streiken?"

Überall auf der Welt weiß man, daß Arbeiter:innen zuguterletzt auf sich selbst gestellt sind und ihre wirkungvollste Waffe die Arbeitsniederlegung ist. Man fragt nicht danach, ob man das darf, man tut es.

Osteuropäische Trucker machen es uns vor. Sie sperchen kein Deutsch und sie kennen sich im deutschen Paragraphendschungel nicht aus. Sie fragten nicht, ob sie streiken "dürfen", sie verweigern kollektiv ihre Arbeit und sie verteidigen die LKW, die sie sich als Faustpfand genommen haben.

Und jetzt kommen sie angeschissen, all die Gewerkschaften, die es selbst nicht gebacken kriegen, einen so mutigen Arbeitskampf auf die Beine zu stellen. Und dann folgten die Politiker, erst lokal, dann Bundespolitiker und inzwischen reisen auch EU-Politiker an.

Ich glaube, sie haben Muffensausen. Sie fürchten, daß sich andere Arbeiter:innen ein Beispiel nehmen an den kämpferischen Truckern.

Wenn die Menschen aufhören zu fragen, ob man etwas darf und wenn sie aufhören, auf Gewerkschaften zu warten, die nicht bereit sind die notwendigen Kämpfe zu organisieren, dann ist Schluß mit der Friedhofsruhe im Land.

Man sollte nicht darauf warten, daß einem ein Streikrecht gegeben wird, man muß es sich nehmen. Ganz praktisch. Man hört kollektiv auf zu arbeiten.

Das halte ich für eine der wichtigsten politischen Fragen dieser Zeit.
Titel: Aw: Kampfformen
Beitrag von: Kuddel am 08:46:25 Fr. 05.Januar 2024
ZitatAufgebrachte Bauern hindern Habeck an Verlassen von Fähre

In Schlüttsiel in Schleswig-Holstein haben protestierende Bauern Bundeswirtschaftsminister Habeck am Verlassen einer Fähre gehindert.
https://www.deutschlandfunk.de/aufgebrachte-bauern-hindern-habeck-an-verlassen-von-faehre-108.html

Haha. In Frankreich sind solche Protestformen normal. "Diese Aktion verstoße gegen die Regeln des demokratischen Miteinanders und sei beschämend, erklärte Kanzler Scholz auf der Online-Plattform X." https://www.deutschlandfunk.de/aufgebrachte-bauern-hindern-habeck-an-verlassen-von-faehre-108.html
Titel: Aw: Kampfformen
Beitrag von: dagobert am 09:11:28 Fr. 05.Januar 2024
Was weiß Scholz denn von einem "demokratischen Miteinander"?
Solche Fremdwörter benutzt der doch sonst auch nicht ...
Titel: Aw: Kampfformen
Beitrag von: BGS am 11:07:13 Fr. 05.Januar 2024
Mehr als beschämend sind der Schwerverbrecher Scholz & Konsorten.

Auch aus der Ferne betrachtet.

MfG

BGS
Titel: Aw: Kampfformen
Beitrag von: BGS am 11:08:56 Fr. 05.Januar 2024
[OT]

Mehr als beschämend sind Schwerverbrecher Scholz & Konsorten.

Auch aus der Ferne betrachtet.

MfG

BGS
Titel: Aw: Kampfformen
Beitrag von: ManOfConstantSorrow am 19:21:39 Fr. 05.Januar 2024
Es ist doch zum Mäusemelken!

Es passieren immer wieder aufregende Dinge. Im Rahmen der Querdenker gab es inspirierende Protestformen, als Demos in Berlin verboten wurden, fanden sich dutzende, die neue Demos anmeldeten. Als die Behörden nichts erlaubten, gingen die Leute in Form von "Spaziergängen" auf die Straße.

So eine Haltung würde ich mir bei Linken wünschen. Da ist man jedoch staatstragend und gesetzestreu.

Jetzt bei den Bauernprotesten ist es nicht besser. Wieder regen sich Linke über Gesetzesbrüche und über Respektlosigkeit gegen Politiker und Polizei auf. Ja, es ist noch immer so, die deutschen Linken würden erst eine Bahnsteigkarte lösen, bevor sie den Bahnhof stürmen.
Titel: Aw: Kampfformen
Beitrag von: counselor am 21:42:12 Fr. 05.Januar 2024
Während der Coronazeit gab es hier in Nürnberg auch halblegale Aktionen autonomer Kräfte, zB einen "Spaziergang" zum revolutionären. Mai. Aber auch der Nürnberger Ableger der Seebrücke war sehr kreativ im Umgehen von Veranstaltungsverboten.

Die Nürnberger Montagsdemo hat sich ihren Kundgebungsplatz vor Lorenzkirche gegen ein Veranstaltungsverbot vor der Kirche durch Verhandlungen mit dem Ordnungsamt erkämpft.
Titel: Aw: Kampfformen
Beitrag von: Onkel Tom am 10:47:49 Sa. 06.Januar 2024
Zitat von: counselor am 21:42:12 Fr. 05.Januar 2024Die Nürnberger Montagsdemo hat sich ihren Kundgebungsplatz vor Lorenzkirche gegen ein Veranstaltungsverbot vor der Kirche durch Verhandlungen mit dem Ordnungsamt erkämpft.

Interessant. Und wie (auf welchen Rechtsgrundlagen) habt ihr das geschafft ?
In Corona-Hysterie-Zeiten war ein "versammeln erlaubt" ja wie ein "Lottogewinn".
Titel: Aw: Kampfformen
Beitrag von: Kuddel am 20:16:25 Sa. 06.Januar 2024
Gibt es keine Linken mehr?

Was sich angesichts der Bauernproteste zeigt, ist ein Offenbarungseid.

Klimakids wünschen sich, daß der Staat gegen die Bauern genauso zuschlägt, wie gegen die Klimabewegung.

Massenhaft ehemaliger Linker solidarisieren sich mit der bürgerlichen parlamentarischen Demokratie und diesem Staat und speziell mit Robert Habeck.

Anonymous Germany lobt BKA und Verfassungsschutz.

Es wird sogar das beschissene Streikrecht verteidigt und Bauern und Truckern gesagt, sie dürften nicht politisch streiken.

Wenn Menschen jenseits der bestehenden Regeln und Gesetze kämpfen, werden Linke noch panischer als die Vertreter des Staates.
Titel: Aw: Kampfformen
Beitrag von: krapotke am 22:39:53 Sa. 06.Januar 2024
Zitat von: Kuddel am 20:16:25 Sa. 06.Januar 2024Gibt es keine Linken mehr?

Was sich angesichts der Bauernproteste zeigt, ist ein Offenbarungseid.

Klimakids wünschen sich, daß der Staat gegen die Bauern genauso zuschlägt, wie gegen die Klimabewegung.

Massenhaft ehemaliger Linker solidarisieren sich mit der bürgerlichen parlamentarischen Demokratie und diesem Staat und speziell mit Robert Habeck.

Anonymous Germany lobt BKA und Verfassungsschutz.

Es wird sogar das beschissene Streikrecht verteidigt und Bauern und Truckern gesagt, sie dürften nicht politisch streiken.

Wenn Menschen jenseits der bestehenden Regeln und Gesetze kämpfen, werden Linke noch panischer als die Vertreter des Staates.

Kann es sein, dass hier auch ein Stückweit einfach Neid im Spiel ist?

Ohne Frage wäre ein schwarzer Block in der Situation um Habeck's Fähre anders angegangen worden, als hier die Landwirte. Die Diskrepanz zwischen der behördlichen Einschätzung, hier könne möglicherweise Landfriedensbruch vorliegen und z.B. dem Rondenbargverfahren anlässlich G20, ist ja ziemlich offensichtlich.

Unabhängig von der inhaltlichen Positionierung der Linken zu den Bauernprotesten denke ich, dass die reine Feststellung, dass hier Menschen mit Arsch in der Hose ganz gewaltig auf die Kacke hauen und damit bei Polizei, Presse und Bevölkerung durchkommen, so manche Linke, die Polizeikessel und Wasserwerfer kennen, furchtbar wütend macht. Die Wut richtet sich nun aber gegen die Bauern, die das vorleben, was man selbst gerne täte - es aber nicht hinkriegt.

Hilfreicher wäre es zu reflektieren, warum die einen solche Aktionen offen durchführen können. Ohne Vermummung aber mit Kennzeichen und dabei noch konkrete Erfolge erzielen. Während man selbst beständig vor Mauern rennt und gefühlt nichts erreicht.

Nur so ein Gedanke von der Seitenlinie.
Titel: Aw: Kampfformen
Beitrag von: counselor am 00:21:11 So. 07.Januar 2024
ZitatHilfreicher wäre es zu reflektieren, warum die einen solche Aktionen offen durchführen können

Die Bauern sind Eigentümer von Produktionsmitteln und daher eine Macht. Großagrarier gehören zur herrschenden Klasse und der Bauernverband, unter dessen Führung die Proteste stehen, ist die Standesvertretung der Großagrarier. Die Proteste wenden sich nicht gegen das kapitalistische System, sondern bewegen sich innerhalb diesen Systems.

Das sind aus meiner Sicht die Gründe dafür, warum die Bauern solche Aktionen offen durchführen dürfen.

Anders sähe es aus, wenn die Klein- und Mittelbauern selbstständige gesellschaftsverändernde Kämpfe gemeinsam mit der Arbeiterklasse führen würden. Dann würden sich die CSU-Granden und der Freie Wähler Sumpf sicher nicht solidarisch mit den Bauern erklären.
Titel: Aw: Kampfformen
Beitrag von: Kuddel am 10:53:50 So. 07.Januar 2024
Natürlich bin ich neidisch.
Proteste, bei denen die Herrschenden Muffensausen kriegen. Chapeau!

Jetzt sieht man, daß die antikapitalistischen Sprüche vieler Linker einfach nur heiße Luft sind. Wären sie ernstgemeint, würde es darum gehen, die Normalität samt ihrer wirtschaftlichen Abläufe zum Stillstand zu bringen. Die herrschende Ordnung ist zum Einsturz zu bringen und mitsamt seinem Staat zu überwinden, um eine neue Gesellschaft aufzubauen zu können. Eine Gesellschaft, die den Bedürfnissen der Menschen folgt unter Respekt vor der Natur und nicht auf Profitmaximierung ausgerichtet ist.

Sorry, es ist doch doch eine Lachnummer, wie jetzt "Linke" nach der Einhaltung von Gesetzen krähen und die herrschende Ordnung, deren Politiker und Ordnungshüter verteidigen.

Es war ja schon zu Coronazeiten so, als zehntausende, ja hunderttausende, auf der Straße waren, weil sie mit ihren Lebensbedingungen im Lockdown, mit der Informationspolitik des Staates und dessen Anti-Pandemiemaßnahmen nicht klarkamen und sie in Frage stellten, standen "Linke" und "Antifa" am Rand und brüllten die Unzufriedenen Menschen in die Arme der Faschisten.

Der Film "Der Laute Frühling" setzt sich mit der Frage auseinander, wie man eine Revolution macht, wie man eine Gesellschaft organisiert, wenn man alles selber machen muß und sich nicht auf die alten Strukturen verlassen kann oder will. Die erste Grundlage, um nicht bei einer Rebellion stehenzubleiben, wäre es, die Bevölkerung mit Lebensmitteln zu versorgen. Dazu ist es notwendig, Bauern und Trucker auf seine Seite zu bekommen.

Bauern und Trucker haben ein besonderes Gewicht, eine besondere Macht, nicht (nur) weil sie über Produktionsmittel verfügen, sondern über LKW und Traktoren. Wenn die im Weg stehen, sind sie nicht so schnell abzuräumen wie Klimakleber.

Wir können uns nicht die Trucker und Bauern backen, wie wir sie uns wünschen, sondern wir müssen mit denen umgehen, die wir haben. Und wenn es dort am politischen Bewußtsein "hapert", es Rechtstendenzen gibt, dann sollten wir es nicht als naturgegeben hinnehmen, sondern als veränderbar. Eine Linke, die nicht in der Lage ist, ihre eigene Blase zu verlassen, wird keinen Beitrag zur Bewußtseinsänderung dieser Berufsgruppen leisten.

2016 gab es in Argentinien eine Welle wilder Truckerstreiks. Sie waren chaotisch. Sie hatten klare soziale oder ökonomische Forderungen, es gab aber auch Streikcamps, die forderten, das Militär möge die "unfähige" Regierung stürzen. Eine fiese rechte Forderung.

Linke fürchteten sich vor den ruppigen, schmuddeligen Truckern, die so weit entfernt von ihrer linken Lebenswelt sind. Es haben sich aber einige Linke getraut, sich zu den Streikcamps zu begeben. Sie hatten Trinkwasser und Lebensmittel mitgebracht und bekamen nicht auf die Fresse. Sie wurden willkommen geheißen. Die Linken berichteten begeistert, wie gut und produktiv die Diskussionen verliefen.

Eine solche Haltung wünsche ich mir.
Titel: Aw: Kampfformen
Beitrag von: counselor am 11:42:07 So. 07.Januar 2024
ZitatDie Linken berichteten begeistert, wie gut und produktiv die Diskussionen verliefen.

Eine solche Haltung wünsche ich mir.

Ich bin dafür, mit den Bauern über einen gemeinsamen Kampf für höhere Erzeugerpreise auf Kosten der Handelskonzerne zu reden. Ich bin aber generell gegen Subventionen (egal ob es Subventionen an die Fabrikanten oder an die Bauern sind). Ich halte die Agrarsubventionen sogar für einen Hauptgrund, dass Klein- und Mittelbauern in Bedrängnis sind und ihre Höfe aufgeben müssen. Ich bin gegen rechte Umsturzphantasien zugunsten einer noch reaktionäreren Regierung aus AfD und CDU/CSU.

Kurz: Ich bin für einen gemeinsamen Kampf mit den Klein- und Mittelbauern, wenn die Ziele des Kampfs fortschrittlich sind.
Titel: Aw: Kampfformen
Beitrag von: Kuddel am 13:36:23 So. 07.Januar 2024
Wo bleibt deine Fähigkeit zur Dialektik?

Gesellschaftliche Entwicklungen und Kämpfe sind stets voller Widersprüche. Wir dürfen nicht darauf warten, eine Situation aus dem Lehrbuch vorzufinden. Wir müssen reagieren, wenn gesellschaftlich Bruchstellen und Bewegung entstehen, wir müssen improvisieren und sollten nicht dogmatisch und verbohrt herangehen.

Die Dieselsubventionen sind nicht Ziel der Bauernproteste, sie waren nur der Auslöser, der Tropfen, der das Faß zum Überlaufen brachte.

Die Gelbwestenproteste begannen mit der Forderung, die Spritpreiserhöhung zurückzunehmen. Ich würde ja nicht gerade mit der Forderung nach niedrigeren Spritkosten auf die Straße gehen, aber man muß verstehen, daß es in ihrem Alltag ein Problem wurde, wenn sie sich die Fahrt zur Arbeit, zum Arzt, zu Kita kaum noch leisten können.

Traditionelle Linke, Gewerkschafter und Grüne in Frankreich reagierten auf die Gelbwesten mit ähnlicher Ablehnung, wie es jetzt die Bauern erfahren. Man nannte die Gelbwesten autogeile Spinner aus der Provinz. Die Kämpfe und Forderungen der Gelbwesten änderten sich im Laufe der Zeit.

Das erhoffe ich mir von den Bauernprotesten. Sie können eine andere Richtung annehmen. Sie können nach rechts umschlagen, sie können aber auch vernünftig und fortschrittlich sein, sich gegen Höfesterben und Landgrabbing, gegen Preisdiktate der Discounter und gegen die Chemische- und Gen-Industrie wenden.

Bauern sind auch in ihrer Blase und haben oftmals keine Ahnung, wie andere soziale Kämpfe in der Gesellschaft funktionieren. Sie kennen fast nur ihresgleichen. Ich finde, man kann zähneknirschend Forderungen hinnehmen, wie die Spritpreise der Gelbwesten oder die Dieselsubventionen, um erstmal einen Fuß in die Tür zu bekommen, um sich an den Protesten beteiligen zu können. Erst dadurch entstehen Kontakte und Vertrauen, die notwendig sind, um eine weitergehende Diskussion um andere Inhalte zu beginnen.

Wenn man sich durch die beiden Threads "Agrar - Sicheln statt hämmern!" und "Bauernproteste in Deutschland" durchscrollt, stellt man fest, daß Blockaden gegen Molkereien, Verteilzentren der Discouter und Misthaufen vor Aldi bereits praktiziert wurden, auch schon vor 20 Jahren. Diese Form des Kampfes ist also keine linke Spinnerei, sondern immer wieder Realität in der Welt der Bauern.

Deshalb finde ich die Versuche sich einzumischen von "Betriebskampf"...
(https://pbs.twimg.com/media/GDPJHVhW0AAHsBJ?format=jpg&name=900x900)

oder der FAU...

(https://pbs.twimg.com/media/GDJv0mmW4AECpvI?format=jpg&name=900x900)

...gut.
Titel: Aw: Kampfformen
Beitrag von: counselor am 15:56:01 So. 07.Januar 2024
ZitatWir müssen reagieren, wenn gesellschaftlich Bruchstellen und Bewegung entstehen, wir müssen improvisieren und sollten nicht dogmatisch und verbohrt herangehen.

Wir sollten selbstverständlich zu den Protesten hingehen und mit den Bauern über einen gemeinsamen Kampf reden.

Der Agrardiesel ist eine Kompensation für geringe Erzeugerpreise bei steigenden Produktionskosten.

Einer solchen Kompensation bedarf es nicht, wenn die Erzeugerpreise die Produktionskosten inklusive den Lebenshaltungskosten des Landwirts decken. Es müssen also die Erzeugerpreise soweit steigen, dass ein kleiner Landwirt von seiner Hände Arbeit leben kann. Die entsprechenden Erhöhungen der Erzeugerpreise müssen zu Lasten der Gewinne der Handelskonzerne erkämpft werden, die die Erzeugerpreise diktieren. Außerdem ist mein Anliegen, dass die Verbraucherpreise sinken.

Mein Ansatz ist, mit den Bauern über einen solchen Kampf, der dann selbstständig geführt werden muss, zu diskutieren.

Einen Kampf zum Festhalten am Status Quo zu führen ist falsch.

Ein Festhalten am Status Quo, wie ihn die FAU und Du offensichtlich fordern, ist nicht vorwärts treibend, weil dadurch das politische Bewusstsein der Bauern nicht dialektisch höher entwickelt wird. Es kommt mir eher so vor, als ob ihr dem Bauernverband schwanzwedelnd hinterherlauft.
Titel: Aw: Kampfformen
Beitrag von: Kuddel am 16:07:59 So. 07.Januar 2024
Zitat von: counselor am 15:56:01 So. 07.Januar 2024Ein Festhalten am Status Quo, wie ihn die FAU und Du offensichtlich fordern...

Das ist schon eine Unterstellung. Ich sehe es eher als strategischen Trick, um sich erstmal an den Protesten zu beteiligen und von den Bauern angenommen zu werden. Erst von da kann eine Debatte entstehen und dann muß es dringend weggehen von den Dieselpreisen und erst recht vom Status Quo.

Titel: Aw: Kampfformen
Beitrag von: Onkel Tom am 10:52:48 Mo. 08.Januar 2024
Zitat von: counselor am 15:56:01 So. 07.Januar 2024weil dadurch das politische Bewusstsein der Bauern nicht dialektisch höher entwickelt wird.
Wiso sollte das ? Die Bauern wissen was sie wollen und kämpfen um Lösung,
nicht nach "Vorlesungen".
Da sehe ich in dem Satz, den Du von Kuddel zitiert hast, als die bessere Option.
Als Unterstützer_in kann man am besten zur Geburtshilfe dienlich sein..  ;)
Titel: Aw: Kampfformen
Beitrag von: Kuddel am 13:03:42 Mo. 08.Januar 2024
Zu der Diskussion der Kampfformen in dieser tollen Demomkratie gibt es einen guten Beitrag in der taz:

ZitatDeutschland, deine Protestkultur

Konfrontieren Bürger*innen ihre Vertreter*innen, gilt das schon als ,,Verrohung". Dabei ist Abschottung der politischen Klasse undemokratisch.


Einmal tief Luft holen. Was ist in der Nacht vom 4. Januar in Schlüttsiel passiert? Ein Pulk von rund 300 Menschen ist zu einer Fähre gegangen und hat Lärm gemacht. Laut Angaben der Polizei wollten etwa 25 Personen auf die Fähre gelangen, auf der sich Wirtschaftsminister Robert Habeck befand. So weit die Fakten.

Ob es zu Gewalt gekommen wäre, wenn die Demonstrierenden auf das Schiff gekommen wären, ist reine Vermutung, ja Unterstellung. Dass die Fähre vorsichtshalber wieder abgelegt hat – verständlich. Dass die deutsche Öffentlichkeit über diesen Fast-Vorfall in Schnappatmung gerät – bedenklich.

Die Aufregung über die ,,Gewalt", die gar nicht passiert ist und nur vermutlich passiert wäre, sagt viel über Deutschlands erbärmliche Protestkultur und ein defizitäres Verständnis von Demokratie aus. In anderen Ländern gehört es zum Standardrepertoire, Politiker*innen aufzusuchen, zu stören und gegebenenfalls deren Fortbewegung zu blockieren. Warum auch nicht?

Die meisten deutschen Regierungspolitiker*innen lassen sich diskret von ihren Chauffeur*innen in die Tiefgaragen des Bundestags bringen und fahren von da mit dem Fahrstuhl in den Plenarsaal. Will man im Regierungsviertel von einem Gebäude ins andere, gibt es praktischerweise unterirdische Gänge. Bloß kein Kontakt nach draußen! Ein feudaler König hätte es sich nicht besser erträumen können.

Abgeordnete und Minister*innen bekommen normale Menschen quasi nie zu Gesicht. Sie müssen sich buchstäblich nie mit der Lebensrealität der Bevölkerung konfrontieren. Das ist nicht nur symbolisch ein Problem: Leider zeugt ihre Politik oftmals von eben dieser Entfremdung. Natürlich sucht man da als Bürger*in die Konfrontation. Wer das allein schon als ,,Verrohung" oder ,,antidemokratisch" bezeichnet, sollte sich mal mit der Französischen Revolution beschäftigen, der Wiege der europäischen Demokratie. Der deutsche Hang zu Anstand und Gehorsam steht diesen Werten allzu oft entgegen.

Auf einem anderen Blatt steht, dass die Bauernproteste von Rechtsextremen unterwandert werden und dass eine sehr kritische, inhaltliche Auseinandersetzung damit geboten ist. Es gibt unter den Demonstrant*innen rechtsextreme Chatgruppen, die den Sturz der Regierung fordern.

Fairerweise muss man dazu sagen, dass die politische Zugehörigkeit der 25 Fähren-Blockierer*innen noch nicht sicher festgestellt wurde. Wenn sie sich als rechtsextrem erweisen, dann ist es aber egal, ob sie eine Fähre blockieren oder nur danebenstehen: Dann ist ihre Ideologie das zu bekämpfende Problem.

Der bayrische Ministerpräsident Markus Söder sagte über die jüngsten Vorfälle, er habe Verständnis für die Anliegen der Bauern, weise aber deren radikale Protestform zurück. Im Gegenteil, Herr Söder! Die Form als solche ist – bisher zumindest – völlig harmlos und Teil eines Standardrepertoires von zivilen Protesten. Die inhaltliche Ausrichtung hingegen sollte man streng unter die Lupe nehmen.

Aber auch im Herausstellen der rechtsextremen Strömungen der ,,Bauernproteste" wären zwei Dinge angebracht: Erstens, die verschiedenen Akteur*innen der Landwirtschaft auseinanderzuhalten und zwischen den unterschiedlichen Forderungen zu differenzieren. Nicht alle Landwirt*innen sind Teil der subventionierten Großindustrie, die eine mächtige Lobby auf Bundes- und EU-Ebene hat. Nicht alle protestierenden Landwirt*innen sind rechts und antiökologisch.

Zweitens reicht es nicht, sich über die rechte Vereinnahmung zu empören, sondern es muss auch gegengesteuert werden. Dazu gehört in erster Linie, die realen Probleme der Bäuer*innen ernst zu nehmen. Und da geht es nicht nur um die Kfz-Steuer. Viele Landwirt*innen leiden unter massivem Höfesterben und Landgrabbing. In Frankreich und in der Schweiz gehört die Landwirtschaft zu einer Berufssparte mit besonders hoher Suizidrate – in Deutschland werden diese Zahlen zwar nicht erfasst, doch ist die Problemlage sehr ähnlich. Auch über diese Form der Gewalt muss gesprochen werden.

Die frühere Aktivistin und Linkenpolitikerin Carola Rackete macht es deshalb richtig: In einem Video benennt sie die Probleme von Bäuer*innen, nimmt sie ernst, kritisiert die tatsächlichen Fehler der Bundesregierung, ohne zu pauschalisieren – und ruft gleichzeitig zu einer klaren Distanzierung von den rechten und rechtsextremen Kräften innerhalb der Proteste auf. So viel Komplexität muss sein.
https://taz.de/Demonstrationen/!5982136/
Titel: Aw: Kampfformen
Beitrag von: Kuddel am 14:17:04 Mo. 08.Januar 2024
ZitatProduktion im VW-Werk in Emden steht still

Wegen versperrter Zufahrtswege ist die Produktion am Volkswagen-Werk im ostfriesischen Emden zum Erliegen gekommen. Die Beschäftigten könnten nicht zur Arbeit kommen, sagte eine VW-Sprecherin. Wie viele Beschäftigte genau von dem Ausfall betroffen waren, wurde zunächst nicht bekannt.

Von der außerplanmäßigen Stilllegung betroffen ist demnach die Produktion von Verbrennerfahrzeugen. Sie soll am Dienstag wieder aufgenommen werden. Die Wiederaufnahme der E-Auto-Produktion sei nach den Weihnachtsferien ohnehin erst wieder für kommende Woche geplant gewesen.
https://www.zeit.de/gesellschaft/2024-01/bauernproteste-landwirte-verkehr-blockaden-liveblog

Cooool!
Titel: Aw: Kampfformen
Beitrag von: Kuddel am 19:51:26 Fr. 02.Februar 2024
Es bewahrheitet sich wieder Lenins Bemerkung, daß die deutschen Revolutionäre erst ein Bahnsteigticket lösen würden, bevor sie einen Bahnhof stürmen.

Dieses Herumwedeln einiger Linker mit Paragraphen und dem Grundgesetz geht mir mordsmäßig auf den Sack.

Wenn die Herrschaftsverhältnisse ins Wanken geraten, kann man sich mit all diesen Rechten und Paragraphen den Arsch abwischen. Das einzige, was letztendlich zählt, ist die Macht auf der Straße, die Macht an den Arbeitsplätzen und... darüber hat hier kaum einer gesprochen, die Macht der Waffen.

Es ist schon traurig, daß sich unpolitische, unerfahrene und rechte Kreise viel weiter vorgewagt haben, und mit ihren Protesten nicht (nur) in den Medien sein wollten, sondern ihre Macht beweisen.

Linke kriegen dann das Heulen und meinen, das dürften die nicht. Ja, sie würden all den überraschend schlagkräftig Protestierenden am liebsten die Bullen auf den Hals jagen. Als die Querdenkerdemos verboten wurden, gingen sei einfach ohne Erlaubnis auf die Straße, nannte es bestenfalls "Spaziergang". Und die Bauern fragen nun auch nicht nach Genehmigung, sie machen einfach den Laden dicht, den Hamburger Hafen, Warenlager von Amazon, Aldi und Lidl. Dürfen die das? Nö. Machen sie trotzdem.

Die Letzte Generation ist fassungslos. Sie wünschen sich, man würde mit den Bauern so umgehen, wie mit ihnen umgegangen worden ist. Sie sollten sich bedanken für diesen Politikworkshop, den sie von der wirklichen Welt bekommen haben. Sie konnten eine Menge lernen über die Rolle von Politikern und des Staates. Die Klimakleber hofften auf Politiker, die zuhören und ihre Forderungen umsetzen. Geht den Politikern am Arsch vorbei und der Staat hat kein Interesse daran, den Willen von Umweltschützern umzusetzen, der Staat kümmert sich um die Umsetzung der Interessen der Wirtschaft. Für den Umgang mit den Klimaklebern gibt es die Polizei, die Justiz und die BILD.

Die Bauern haben nun ihre Macht gezeigt. Die haben sich nicht nur mit dem Staat angelegt, sondern auch mit der Wirtschaft. Aber man kann sie mitsamt ihrer Traktoren nicht mal einfach wegtragen. Und wenn man ihnen jetzt blöd und mit Repression kommt, werden sie vielleicht noch viel wütender. Da überlegt sich die Bundesregierung schon zweimal, wie sie darauf reagiert...

Und viele der Letzen Generation haben nicht verstanden, daß Proteste in ihrer Form etwas aussagen sollten.

Wenn klassische Gemälde mit Kartoffelbrei eingeschmiert werden, kommt das ins Fernsehen, doch die Zuschauer fragen sich, was das soll. Wenn die Bauern Mist vor Aldi abkippen oder den Lokalregierungen (in Frankreich) eine Gülledusche verpassen, versteht es jeder.

Wenn Klimaaktivisten den Feierabendverkehr aufhalten, ärgern sich die Menschen, die auf dem Weg nach Haus sind und sind wütend auf die Blockierer. Wenn sie eine Autofabrik blockieren würden, bis die Bänder stoppen, würde sich die Arbeiter über die Pause freuen.

Klimaaktivisten sollten sich bemühen, Malocher auf ihre Seite zu bringen, statt sie wütend auf Umweltschützer und Umweltschutz zu machen. FFF haben gerade mit der Kampagne #WirFahrenZusammen Unterstützung für die Streiks im Nahverkehr organisert. Ein Schritt in die richtige Richtung!