Siegende Verlierer - Bundestagswahl 2005

Begonnen von Klassenkampf, 20:04:41 So. 18.September 2005

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Klassenkampf

Die üblichen Verdächtigen, welche eine Koalition traditioneller Art bilden könnten, erreichen keine absolute Mehrheit. Schwarz-Gelb und Rot-Grün sind in dieser Weise Minderheitsregierungen - der besorgte Wähler ist dazu geneigt, ein "Gott-sei-Dank" hinterherzuschieben.
Die Stümper von vorgestern, ersetzen damit nicht die Bourgeois von heute, zumindest nicht in einer Form des Absolutismus.

Die beiden Volksparteien geben ein Bild des Jammers ab: Beide verlieren Prozentpunkte und offenbaren damit, daß sie in der Gunst des Wählers weiter gesunken sind. "Die etablierten Parteien haben abgewirtschaftet", verkündete erst kürzlich die NPD...treffender ist es kaum zu formulieren.

Da läßt sich der - noch amtierende - Bundeskanzler feiern, weil er den schwarz-gelben Absolutismus verhindert hat. Er glaubt sich in seiner Politik, vorallem in seiner Sozialpolitik bestätigt. Die Neuwahl, so vernimmt man aus Reihen der SPD, war die richtige Entscheidung - geändert hat sich aber für Rot-Grün nichts, sollte man es weiter als Minderheitsregierung wagen wollen.

Da stellt sich eine selbsternannte, zudem gescheiterte, Volkskanzlerin hin, und verkündet - ohne Schamesröte die ins Gesicht steigt -, daß sie einen eindeutigen und klaren Regierungsauftrag erhalten hat.
Gleichgültig welchen Unionspolitiker man zu Rate zieht, der erste Satz lautet immer: "Rot-Grün ist abgewählt." Von der bitteren Niederlage, vom Sturz von 47% (Prognosen), auf tatsächliche 35%, hört man erst im zweiten, dritten, oft vierten Satz - wenn überhaupt.
Nur etwa ein Drittel der zu den Urnen strömenden Wähler, hat sich für die Union entschieden...ein Armutszeugnis für eine Volkspartei. Oder ist man vielleicht gar keine Volkspartei mehr, sondern ein politischer Zweckverband diverser Lobbies?

So bleiben nur zwei Sieger, die sich zwar ihrer eigenen Wahlkampfleistung erfreuen könnten, wäre da nicht der jeweilige Makel.
So reicht die überraschend starke FDP nicht aus, um eine schwarz-gelbe Absolutmehrheit zu erreichen. Da ist das ewige gelbe Sorgenkind einmal strebsam und erledigt seine Hausaufgaben, um dann vom großen Geistesbruder enttäuscht zu werden.
Die Linkspartei wiederum hatte nie den Anspruch in die Regierungsarbeit eingebunden zu werden. Tatsächlich sucht auch keine Fraktion den Weg, mit den "Dunkelroten" ins Gespräch zu kommen. Bleibt abzuwarten, was die knapp 50 Abgeordneten, inmitten eines neoliberalen Reichstages bewirken können.

Betrachtet man dieses Ergebnis, vergleicht die möglichen, nicht versperrten Koalitionen, so wird bewußt, daß dies eine Wahl der Verlierer war. Nun werden sich drei Fraktionen eine Koalition zusammenschustern, um regierungsfähig zu werden. Glaubt man den Ausführungen der Protagonisten, so bleibt Schröder Kanzler und Merkel wird gleichzeitig Kanzlerin...wir werden doch kein bundesdeutsches Schisma erleben...

Der Bürger hat gesprochen: Keine Partei hat uneingeschränktes, geschweige denn annähernd uneingeschränktes, Vertrauen...keiner Partei wird zugetraut, fähige Regierungsarbeit zu betreiben.
Dieser "kleine Splitter-Bundestag" ist das Spiegelbild bürgerlicher Ungewißheit.
Die Prozentzahlen der Volksparteien schreien danach: Der Sozialabbau hat Vertrauen gekostet und muß daher beendet werden; es muß ein Ende nehmen mit dem ewig zechezahlenden Arbeitnehmer, dem zum Schmarotzer stilisierten Arbeitslosen und die als Ballast bezeichneten Rentner und Kranke.

Das zynische Spiel der neoliberalen Verlierer geht in den folgenden Tagen munter weiter...man sieht sich als Sieger von Wählers Gnaden, auf beiden Seiten. Der menschliche Alltag ist geprägt von Antagonismen: Gut und böse, schwarz und weiß, Berg und Tal...die Wahl birgt keine Antagonismen, den Verlieren sind keine Gewinner entgegenzusetzen.
Ein neuer Zeitgeist wird eingeläutet...Zeit wurde es.
,,Diese Verhältnisse sind nicht die von Individuum zu Individuum, sondern die von Arbeiter zu Kapitalist... Streicht diese Verhältnisse, und ihr habt die ganze Gesellschaft aufgehoben."
--- Karl Marx, "Das Elend der Philosophie" ---

Spätlese

Was lese ich gerade auf den TV-Seiten??? Kein Scherz:
SPD + CDU je 222 Sitze im Bundestag???

Hat sich nun Angola nach Ede-manier zu früh gefreut - oder hat sich Gerhartz zu Recht gefreut...

Wenn das so bleibt ... da erlangt ja evtl. Ede Stoibers Spruch neue Bedeutung:
"Die Frustrierten in Ostdeutschland können nicht wieder die Wahl entscheiden" oder so sagte er doch ...

... jetzt werde ich gleich meine Verwandten und Bekannten im 220.000 Stimmen Wahlbezirk Dresden I anrufen und die briefen was sie dann tun sollten. Dresden I wählt ja bekanntlich in 2 Wochen und hat ein Stimmgewicht von rund 1,0%.

... das könnte Merkel und Stoiber blass aussehen lassen - wie schon mal gegessen und wieder ausgespuckt ...
Alle von mir getätigten Aussagen/Antworten/Kommentare entsprechen lediglich meiner persönlichen Meinung und stellen keinerlei Rechtsberatung dar.

flipper

ja, dresden wird uns schröder wiederbescheren... :D

da soll nochmal jemand von politikverdrossenheit reden, das is doch spannend.

eine frau wird in deutschland nich kanzler un schon gar nich von der cdu, das widerspricht doch deren selbstverständnis.

was hat meine seelige cdu oma noch gesagt? "ich wähl doch koi weib!", hihihi

gruss
"Voting did not bring us further, so we're done voting" (The "Caprica Six" Cylon Model, BSG)

Spätlese

Inklusive meiner eigenen Kommentare ist das sowieso alles "papperlapapp" bzw. gehört mit dem Scheuerhader aufgeditscht.

Irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, das demnächst womöglich solange Neuwahlen gemacht werden, bis endlich das Ergebnis allen einigermassen gefällt und man nach eifigem koonanieren endlich zusammen findet.

Oder ein Misstrauensvotum jagt das Nächste, oder alle Möglichkeiten bezüglich der Bildung einer Minderheitsregierung werden durchgecheckt...

Wenn sich Feuer und Wasser treffen, kommt außer dichtem Rauch sowieso nichts dabei heraus. Und so liebt man das ja in Deutschland.
Alle von mir getätigten Aussagen/Antworten/Kommentare entsprechen lediglich meiner persönlichen Meinung und stellen keinerlei Rechtsberatung dar.

Regenwurm

Der Poker um die Macht hat in Deutschland in Wahrheit in der Wahlnacht erst begonnen und könnte noch lange dauern.

Wenn es dem Parlament in einigen Wochen nicht gelingt, den alten Kanzler zu bestätigen oder einen neuen zu wählen, kommt es zu Neuwahlen.

Nach der Wahl ist vor der Wahl, nie könnte dieser Spruch aktueller sein als heute.

Telepolis
Das System macht keine Fehler, es ist der Fehler.

Spätlese

Also mich widert dieses ganze Wahltamtam komplett an - erst Recht das Wahlrecht bzw. die Wahlgesetze.

Zunächst haben wir einen Wahlkampf, alle Parteien proklamieren nur für die eigene Partei die zugkräftigsten Argumente und Konzepte zu haben. Mit Argumenten, Selbstlob im Rückblick auf die Vergangenheit usw. wird ja nicht gespart - bei Konzepten für die Zukunft sieht´s schon anders aus - nur 2 Parteien brachten meiner Meinung nach Zukuntfsaspekte bzw. beachtenswerte Teilkonzepte. Genau so schliesst man von vorneherein Koalitionen aus - um sich im Nachhinein doch wieder Gedanken um Koalitionspartner zu machen. Unter Umständen ist man nach der Wahl wieder bereit, sich mit den ärgsten Widersachern von vor der Wahl zu verbünden und zu arrangieren.

Dabei bedeutet das doch wieder nur halbgare Kost und Stillstand und endloses Palaver. Kommt irgendwas nicht zustande, so schieben sich die Koalitonspartner wieder gegenseitig die Schuld zu. Deutschland allgemein verliert dabei.

Ich fände ein vereinfachtes Wahlrecht/-gesetz gut - soll doch die Partei die die meisten Stimmen hat, einfach die neue Bundesregierung bilden - um so eher kann man Erfolg und Misserfolg bzw. Konsequenz und Inkonsequenz bzw. Lug und Trug zuordnen.
Alle von mir getätigten Aussagen/Antworten/Kommentare entsprechen lediglich meiner persönlichen Meinung und stellen keinerlei Rechtsberatung dar.

Carsten König

ZitatOriginal von Klassenkampf
Das zynische Spiel der neoliberalen Verlierer geht in den folgenden Tagen munter weiter...man sieht sich als Sieger von Wählers Gnaden, auf beiden Seiten. Der menschliche Alltag ist geprägt von Antagonismen: Gut und böse, schwarz und weiß, Berg und Tal...die Wahl birgt keine Antagonismen, den Verlieren sind keine Gewinner entgegenzusetzen.
Ein neuer Zeitgeist wird eingeläutet...Zeit wurde es.

Danke, dem ist in der klaren Analyse nichts hinzuzufügen. Was das Ergebnis der FDP angeht, so kann man mit einer berechtigten Hoffnung feststellen, dass es für ein Marktradikales Programm des Liberalismus zum Glück nur eine Minderheit gibt. Die haben mit 10 % ihr Potential ausgereizt.

Neben den ökonomischen Schwierigkeiten eröffnet sich gerade eine veritable Staatskrise, insbesondere wenn es erneut zu Neuwahlen kommt. Das ich das noch einmal erleben durfte. JETZT muß die Alternative her.

Klassenkampf

ZitatWas das Ergebnis der FDP angeht, so kann man mit einer berechtigten Hoffnung feststellen, dass es für ein Marktradikales Programm des Liberalismus zum Glück nur eine Minderheit gibt. Die haben mit 10 % ihr Potential ausgereizt.

Tatsächlich erfüllte mich das Ergebnis der FDP regelrecht mit Angstgefühlen. Da stöhnt eine breite Mehrheit von Arbeitslosen und Arbeitnehmern, Rentnern und Kranken unter dem Joch des neoliberalen Wahnsinns, um den Liberalradikalen um Westerwelle das Vertrauen auszusprechen.

Ausgereizt dürfte das Potential der FDP wahrhaft sein - 9,8% sind mir persönlich dennoch zuviel. Dem vielsagenden Nichtssager das Vertrauen auszusprechen, seinem "Konzept" Hand und Fuß zu attestieren und diese Partei als Jugendpartei mit Blick in die Zukunft darzustellen, sind wohl die irrsinnigsten Paradoxen dieses Wahlkampfes.

Regelrecht spürte man am gestrigen Abend, der erfüllt war mit einem Stück bundesdeutscher Geschichte, wie der Argwohn gegen die Linke.PDS aufkeimte...von zynisch bis aggressiv ging man vor, um diese Partei weiterhin - jetzt erst recht - zu diffamieren.
Womöglich macht man die Linke.PDS nun in der Folge dafür verantwortlich, daß keine Absolutmehrheiten zustande gekommen sind. Und während breite Teile der Wählerschaft kopfschüttelnd über den Wahlerfolg der Linken staunten und schlimmste Kommunismusträume hegten, feiert man die marktradikalen Westerwelle-Jünger um ihres Erfolges...

Was man heute als Linke bezeichnet, wurde bis in die frühen Siebzigerjahre, Sozialdemokratie mit Hang zur keynesianischen Interventionspolitik genannt - das Wirtschaftsdogma der "großen Koalition" von 1966-1969.
Es sind weniger Linke, als der letzte Rest Sozialdemokraten, der sich aufgemacht hat, diese Strömung des endenden 19. Jahrhunderts ins 21. Jahrhundert hinüberzuretten - ich befürchte, der Liberalismus hat sich schon hinübergerettet.
,,Diese Verhältnisse sind nicht die von Individuum zu Individuum, sondern die von Arbeiter zu Kapitalist... Streicht diese Verhältnisse, und ihr habt die ganze Gesellschaft aufgehoben."
--- Karl Marx, "Das Elend der Philosophie" ---

Labrador

Dresden wird wählen und es wird nicht Schröder sein der lachend aus dieser Wahl hervorgeht, soviel steht fest...Ob wir wollen oder nicht A.Murkel wird es wohl werden,da wird kein Weg daran vorbeiführen...Gerhard S. wird danach zum Psychologen müssen,über Joschka F. werden wir uns auch nicht mehr freuen dürfen...Was bleibt ??? Ein riesengroßes Irrenhaus...
Wenn ich daran denke wird mir schlecht...
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Die Demokratie ist ein Verfahren,das garantiert,daß wir nicht besser regiert werden, als wir es verdienen...

Carsten König

Platzeck, scheinbar gesundheitlich angeschlagen, geht als Lotse von Bord.

ZitatKurzfristig ist der Rückzug von Matthias Platzeck für die SPD ein beherrschbares Problem. Mit Kurt Beck steht ein respektabler Ersatzmann bereit. Doch mit Platzeck verliert die Sozialdemokratie ihren Hoffnungsträger - und hat plötzlich ein K-Problem.

Quelle: http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,410809,00.html

Wer wird wohl jetzt kommen? Andrea Nahles als Kanzlerinkandidatin?

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