Der denunzierte Sozialstaat

Begonnen von Klassenkampf, 17:27:59 Mi. 09.November 2005

⏪ vorheriges - nächstes ⏩

Klassenkampf

Bewußt war es den Schmarotzern immer, gewußt haben es auch die Parasiten - der Sozialstaat ist nicht teuerer als früher, steht nicht kurz vor dem Kollaps.
Gleichwohl Ökonomen dem "Gesellschaftsabschaum" damit unter die Arme greifen, indem sie diese Thesen stichhaltig untermauern, geistern Koalitionsverhandlungen durch die Medienlande, die aller sozialer Verantwortung des Staates entbehren. Entfesselt und ohne Sachverstand wird jeder noch halbwegs gerade Grashalm geplättet, oftmals sogar abgeschnitten.

Man mag Platons Utopie als Ungerechtigkeit empfinden; betrachtet im Zeitgeist unserer Tage ist sie das allemal. Gleichheit ist seiner Vision nicht gegeben und Karl Popper sieht ihn gar, in polemischer Weise, in einer Linie mit den rassischen Obrigkeitsstaaten des 20.Jahrhunderts.
Platon ist keine Lösung; Kinder der Aufklärung, die wir als Europäer alle sind, erscheint uns Platon als wenig attraktive Alternative.
Und doch ist das Streben nach einem mildtätigen Herrscher, nach einer Autorität korrekt und nachsichtig, eines der ältesten Verlangen der Menschheit - die Philosophenkönige Platons sind Ausgeburten jeden denkenden Ichs; jedem bereits bekannt, bevor ihm Platon bekannt wurde.

Erkennbar ist: Die Demokratie sichert nicht der Weisheit die Macht, nicht der Güte und Milde, nicht der Humanität - sie ist das Zweckmittel leichenwandlerischer Machtgier. Sie birgt, mit absolut geführten Parteiapparaten und auf Führerprinzip basierenden Unternehmenskonstrukten, eine Paradoxum in sich.
Die Demokratie an sich, wirtschaftliche geführte Demokratie im Besonderen, ist explosiver Mischung - Intelligenz und ethischer Intellekt finden keinen Einzug, werden mal verachtet, mal vom Obrigkeitsapparat Wirtschaft aufgesogen; stattdessen findet das Mittelmaß ein Forum, gar dem Dummen ist der Weg geebnet.
Dennoch: Ziel der Aufklärung war und ist, die politische Willensbildung jedes einzelnen zu ermöglichen. Der Volksherrschaft steht keine Alternative gegenüber, und fast glaubt man, die menschliche Gesellschaft hat keinerlei Alternativen.

Die Diskussion um den Sozialstaat, die gewollte Diffamierung, aber auch die ungewollte Kompetenzlosigkeit der politischen Protagonisten spiegelt es erneut wider: Diese Demokratie, mit ihrem bloßem Wahlrecht, ist nicht die Herrschaft des Volkes durch das Volk, sondern die Herrschaft des Mittelmaßes über den Informationsfluß des Volkes.


ZitatBILD, SPIEGEL, Christiansen, alle ziehen über die ,,Schmarotzer" am Sozialstaat her. In den 1970er und 80er Jahren war es der ,,Asylmissbrauch", nach einer drastischen Einschränkung des Asylgrundrechtes wurden Anfang der 90er die Sozialhilfeempfänger zu ,,Sozialschmarotzern" und heute denunziert der scheidende Wirtschaftsminister Clement die Alg-II-,,Parasiten". Seit über 30 Jahren wird der Sozialstaat systematisch denunziert.
 
Einstmals, in der Zeit des ,,Kalten Krieges" als Modellfall für einen humanen Kapitalismus hochgelobt, gilt der Zeit Sozialstaat seit geraumer als ,,Auslaufmodell", ja sogar, wie der SPIEGEL-Ideologe Gabor Steingart verkündet, er ist der Anfang vom ,,Fall Deutschlands".

Der Sozialstaat wird als zu teuer, als nicht mehr finanzierbar dargestellt und er würde darüber hinaus wegen der dramatischen ,,demografischen Entwicklung" die nachwachsenden Generationen überfordern.

Wie schon in seinem Buch ,,Krise und Zukunft des Sozialstaates" – übrigens ein Muss für jeden, der sich über die Grundlagen und über die Politik des Sozialabbaus informieren möchte – stellt Christoph Butterwegge in der taz Fakten gegen die Denunzianten des Sozialstaats.
Hätten Sie angesichts der Medienkampagnen der letzten Wochen etwa gewusst, dass die Bundesrepublik hinsichtlich der Leistungsgewährung unter den alten 15 EU-Ländern im unteren Mittelfeld (auf Platz 8 oder 9) rangiert?
Hätten Sie angesichts der allgemeinen Polemik gegen die ,,soziale Hängematte" geglaubt, dass Deutschland im OECD-Vergleich seit zwanzig Jahren so weit zurück gefallen ist, dass es gerade noch das allgemeine Niveau erreicht.
Oder habe Sie in der politischen Debatte gehört, dass der Anteil der Sozialausgaben am Bruttoinlandsprodukt – trotz der Zusatzbelastung der deutschen Einheit, trotz Massenarbeitslosigkeit – heute nicht höher ist als Mitte der 1970er Jahre.

Butterwege schreibt: ,,Unsozial ist allerdings nicht der Sozialstaat, vielmehr eine Gesellschaft, die sich seiner mit der Begründung zu entledigen sucht, er sei nicht mehr finanzierbar, obwohl sie - ausweislich des Bruttoinlandsprodukts, das Rekordhöhe erreicht hat - so reich ist wie nie zuvor."

Keiner, der sich heute über den Sozialstaat auslässt, vergisst dabei auf die Dramatik der ,,Vergreisung" Deutschlands zu verweisen, um die zwingende Notwendigkeit für den Sozialabbau und vor allem für die Privatisierung der sozialen Vorsorge zu begründen. Oft sind es gar noch dieselben ,,Zeitgeistler", die noch vor kurzem mit dem gleichen Tremolo ,,das Boot ist voll" riefen, die jetzt das ,,Land ohne Volk" beschwören.
Viel entscheidender für die finanziellen Engpässe in den sozialen Sicherungssysteme als die ,,demografische Entwicklung" ist die Massenarbeitslosigkeit und die Fehlfinanzierung der deutschen Einheit über die Sozialversicherungen.

Dazu Butterwegge: ,,Rentensicherheit ist aber keine Frage der Biologie (Wie alt ist die Bevölkerung?), vielmehr der Ökonomie (Wie groß ist der erwirtschaftete Reichtum?) und der Politik (Wie wird dieser Reichtum auf Klassen, Schichten und Altersgruppen verteilt?). Es fehlen nicht etwa (deutsche) Babys, sondern Beitragszahler/innen, die - dem "Generationenvertrag" entsprechend - nach dem Umlageverfahren für eine wachsende Rentnerpopulation in die Versicherungskassen einzahlen."

Quelle
,,Diese Verhältnisse sind nicht die von Individuum zu Individuum, sondern die von Arbeiter zu Kapitalist... Streicht diese Verhältnisse, und ihr habt die ganze Gesellschaft aufgehoben."
--- Karl Marx, "Das Elend der Philosophie" ---

Rentner

Der denunzierte Sozialstaat

Am 17. Oktober 2005 erschien die Bild-Zeitung unter Berufung auf einen Report des Hauses von Wirtschafts- und Arbeitsminister Wolfgang Clement über Fälle des Leistungsmissbrauchs unter dem Aufmacher "Die üblen Tricks der Hartz-IV-Schmarotzer! ... und wir müssen zahlen". In dem Artikel des größten deutschen Boulevardblatts heißt es: "Bei Hartz IV wird gnadenlos abgezockt." Durch die Aufführung der "schlimmsten Fälle" erweckt man den Eindruck, als handle es sich nicht um zum Teil kuriose Ausnahmen, sondern um die Spitze eines Eisberges. Genau eine Woche später zog der Spiegel mit einer Titelgeschichte "Das Spiel mit den Armen. Wie der Sozialstaat zur Selbstbedienung einlädt" nach. Darin distanzierte man sich zwar von den "knalligen Berichten" der Boulevardpresse, führte das "Finanzdebakel" der mit dem Namen Peter Hartz verbundenen Arbeitsmarktreform aber gleichfalls auf die massenhafte, wenn auch nicht immer missbräuchliche Inanspruchnahme von Sozialleistungen zurück. Sabine Christiansen stieß ins selbe Horn, als sie die Teilnehmer/innen ihrer Talkshow am letzten Sonntag zum Thema ",Melkkuh' Sozialstaat - sind wir ein Volk von Abzockern?" diskutieren ließ und die sich ihrer Meinung nach nicht nur unter Erwerbslosen ausbreitende "Mitnahmementalität" geißelte.

Der deutsche Wohlfahrtsstaat, heißt es allenthalben, sei zu teuer. Als einer der Gründe, weshalb der Sozialstaat zumindest in seiner bisherigen Form nicht mehr zu halten sei, wird meist angeführt, dass er in seiner Leistungsgewährung zu freigiebig sei, was ihn finanziell überfordere. Die empirische Wohlfahrtsstaatsforschung zeigt, dass die Bundesrepublik - entgegen den dominanten Medienbildern - keineswegs den "großzügigsten" europäischen Sozialstaat besitzt, sondern hinsichtlich der Leistungsgewährung unter den 15 alten EU-Ländern im unteren Mittelfeld (Platz 8 oder 9) rangiert. Vernachlässigt man die Sonderentwicklung der Belastung durch Sozialtransfers von West- nach Ostdeutschland seit 1989/90, ergibt sich ein Bild, das mit der medialen Horrorvision eines "Gefälligkeitsstaates" sehr wenig zu tun hat.

Durch die "Sparpolitik" der von 1982 bis 1998 regierenden CDU/CSU/FDP-Koalition und den mit relativ wenigen Abstrichen fortgesetzten Ausbau anderer Wohlfahrtsstaaten fiel die Bundesrepublik seither so weit zurück, dass sie nunmehr gerade noch das allgemeine OECD-Niveau erreicht.

Betrachtet man die Entwicklung der deutschen Sozialleistungsquote (Anteil der Sozialausgaben am Bruttoinlandsprodukt) über längere Zeit hinweg, erkennt man ein hohes Maß an Kontinuität. Trotz erheblicher Zusatzbelastungen durch die deutsche Vereinigung, regionale Ungleichgewichte, die Massenarbeitslosigkeit und milliardenschwere Transferleistungen von West- nach Ostdeutschland ist die Sozialleistungsquote heute nicht höher als Mitte der 1970er-Jahre. Daraus lässt sich der Schluss ziehen, dass die Metapher vom Wohlfahrtsstaat, der sich wie ein Krake über die Gesellschaft legt und deren ökonomische Dynamik erstickt, pure Ideologie ist.

In den Mittelpunkt der Diskussion über Wohlfahrtsstaats- und Demokratieentwicklung rückten seit Ende der 1970er-, Anfang der 1980er-Jahre "Abzocker", "Sozialschmarotzer" und "Parasiten", die allmählich zu Hauptfeindbildern des neokonservativen beziehungsweise neoliberalen Zeitgeistes avancierten. Zuerst wurden Flüchtlinge im Rahmen einer jahrzehntelangen Kampagne zu "Asylmissbrauchern" und Verursachern der Überlastung des Sozialstaates gemacht, nach Abschaffung des Art. 16 Abs. 2 Satz 2 und Absenkung ihres Lebensniveaus unter die Sozialhilfe durch das Asylbewerberleistungsgesetz 1993 übernahmen Sozialhilfeempfänger/innen die Rolle des Sündenbocks.

Gleichzeitig fand in zahlreichen Massenmedien ein sozialpolitischer Paradigmawechsel statt: Hatten sie den deutschen Wohlfahrtsstaat früher meist als vorbildlich hingestellt und zum Modellfall für die ganze Welt hochstilisiert, galt er ihnen fortan als historisches Auslaufmodell. Exemplarisch sei aus einem Leitartikel der Zeit vom 20. Mai 1999 zitiert: "Der Sozialstaat, einst Stolz der Westdeutschen, ist bald nicht mehr zu bezahlen. (...) Der Sozialstaat ist unsozial geworden. Er versagt, weil er zuviel verspricht. Er belastet den Faktor Arbeit, schafft Arbeitslosigkeit." Unsozial ist allerdings nicht der Sozialstaat, vielmehr eine Gesellschaft, die sich seiner mit der Begründung zu entledigen sucht, er sei nicht mehr finanzierbar, obwohl sie - ausweislich des Bruttoinlandsprodukts, das Rekordhöhe erreicht hat - so reich ist wie nie zuvor.

Journalist(inn)en benutzten zum Teil manipulative Methoden, wenn es galt, "Sozialkriminalität" zu skandalisieren und in einer Art zu präsentieren, die den Wohlfahrtsstaat als "Selbstbedienungsladen für Arbeitsscheue" erscheinen lässt. Statt seine große soziale wie kulturelle Bedeutung zu würdigen und über viele (neue wie noch immer nicht geschlossene) Leistungslücken zu berichten, denunzierten ihn die meisten Publizisten zunehmend als Last, der man sich möglichst bald entledigen müsse, um die internationale Konkurrenzfähigkeit der Bundesrepublik zu erhalten oder wieder herzustellen. Zitiert sei aus einem Spiegel-Artikel vom 20. Juli 1998, welcher konstatiert, der "Sozialstaat deutscher Prägung" sei "kein Modell mit Zukunft" mehr: "Er ist zum Monstrum geworden, das an seiner eigenen Größe zu ersticken droht. Der deutsche Sozialstaat ist unbezahlbar. Er macht die Bürger unfrei, über ihr Einkommen selber zu befinden, und erzieht sie zum Anspruchsdenken. Vor allem aber: Er ist zutiefst ungerecht, weil er seine Leistungen oft willkürlich und nicht selten an den wirklich Bedürftigen vorbei verteilt, und spätestens dies wird ihn auf Dauer ruinieren, denn gerecht zu sein gilt von jeher als sein oberstes Gebot."

Der moderne Wohlfahrtsstaat wurde und wird dadurch diskreditiert, dass die Massenmedien einzelne, meist besonders spektakuläre Fälle des Missbrauchs von Sozialleistungen generalisieren, ohne sein normales, für Arbeitslose, Arme, Alte, Kranke, Behinderte, Pflegebedürftige und andere Benachteiligte unverzichtbares und überwiegend segensreiches Funktionieren zu thematisieren. In der Boulevard- und Lokalpresse werden Personen, die sie als "Sozialschmarotzer" entlarvt zu haben glaubt, häufig mit einprägsamen Spitznahmen wie "Florida-Rolf" oder "Viagra-Kalle" belegt, manchmal regelrecht vorgeführt und gleichzeitig zu "guten Bekannten" der Leser/innen. So berichtete die Bild-Zeitung im Sommer 2003 nicht weniger als 19-mal über einen 64-jährigen Deutschen, der als suizidgefährdeter Rentner und Ex-Banker in Miami (Florida) von Sozialhilfe lebte. Der mediale Druck veranlasste die rot-grüne Regierung, binnen kürzester Zeit schärfere Regeln für den Sozialhilfebezug im Ausland zu beschließen, obwohl 2002 bei Gesamtkosten von ca. 4,3 Millionen Euro nur 959 Personen betroffen waren, darunter viele Jüdinnen und Juden, denen man nach 1945 nicht zumuten wollte, wieder nach Deutschland zu ziehen.

Durch die sinkende Geburtenrate der Deutschen und die steigende Lebenserwartung aufgrund des medizinischen Fortschritts komme es, so wird oft suggeriert, allmählich zu einer "Vergreisung" der Bundesrepublik, die das ökonomische Leistungspotenzial des Landes schwäche und die sozialen Sicherungssysteme (Renten-, Pflege- und Krankenversicherung) strukturell überfordere. Dem könne man nur mittels einer (Teil-) Privatisierung auf der Beitrags- und/oder einer Leistungsreduzierung auf der Kostenseite begegnen.

Die demografischen Entwicklungsperspektiven werden in der Öffentlichkeit und den Medien zu einem wahren Schreckensszenario verdüstert. Welche Blüten das Bemühen um eine Dramatisierung des Themas treibt, zeigt ein Beitrag in der Börsen-Zeitung vom 20. Februar 2003, welcher "Die deutsche Wirtschaft unter dem demographischen Fallbeil" betitelt war. Damit führte man einen ultrarechten Diskurs fort, den die Sorge um das vom Aussterben bedrohte deutsche Volk leitet. Dabei hielt die Demografie einmal mehr als Mittel der sozialpolitischen Demagogie her: Hatte man zu Beginn der 1990er-Jahre im Rahmen einer kampagnenartig geführten Asyldiskussion noch die Angst vor einer "Überflutung" und "Überfremdung" geschürt, so wurde im Rahmen der Diskussion über die Krise des Sozialstaates die Angst vor einer "Vergreisung" und der Entvölkerung Deutschlands benutzt, um die Kürzung von Transferleistungen plausibel zu machen. Oft beschwören dieselben Personen, denen das Boot voll erschien, das Schreckbild eines menschenleeren Landes herauf, in dem niemand mehr die Renten der Alten aufbringt.

Der in allen hoch entwickelten Industriestaaten, aber auch schon in vielen Ländern der so genannten Dritten Welt beobachtbare Geburtenrückgang und die gleichzeitige Verlängerung der Lebenserwartung infolge des medizinischen Fortschritts werden als ein "natürlicher" Zwang zur Senkung des erreichten Niveaus der Altersversorgung hingestellt. Rentensicherheit ist aber keine Frage der Biologie (Wie alt ist die Bevölkerung?), vielmehr der Ökonomie (Wie groß ist der erwirtschaftete Reichtum?) und der Politik (Wie wird dieser Reichtum auf Klassen, Schichten und Altersgruppen verteilt?). Es fehlen nicht etwa (deutsche) Babys, sondern Beitragszahler/innen, die - dem "Generationenvertrag" entsprechend - nach dem Umlageverfahren für eine wachsende Rentnerpopulation in die Versicherungskassen einzahlen.

Ohne die demografischen Probleme der Bundesrepublik zu verharmlosen, kann man feststellen, dass sie im Hinblick auf die Rentenversicherung weniger als oft behauptet ins Gewicht fallen, weshalb kein Grund zur Panikmache besteht und Hysterie völlig unangebracht ist. Viel entscheidender waren die Massenarbeitslosigkeit und die Eingliederung der DDR samt der damit verbundenen Kosten für die Sozialversicherungen. Der Sozialstaat wird nicht zuletzt dadurch diskreditiert, dass man seit Mitte der 1970er-Jahre über eine "Kostenexplosion" vor allem im Gesundheitswesen debattiert, die es gar nicht gibt: Setzt man die Entwicklung der Ausgaben in Beziehung zum Bruttoinlandsprodukt, ist der Anstieg überhaupt nicht dramatisch.

Das (neo)liberale Standard- bzw. Standortargument gegen den Sozialstaat lautet, dieser gefährde die Wettbewerbsfähigkeit der eigenen Volkswirtschaft, etwa durch zu hohe Lohnnebenkosten. Infolge der sich verschärfenden Weltmarktkonkurrenz müsse der "Standort D" entschlackt und der Sozialstaat "verschlankt" werden, wolle man die internationale Konkurrenzfähigkeit und das erreichte Wohlstandsniveau halten. Es wird so getan, als beeinträchtige das Soziale die Leistungsfähigkeit. Dabei sind fast alle auf dem Weltmarkt führenden Volkswirtschaften mehr oder weniger entwickelte Wohlfahrtsstaaten.

Das gesellschaftspolitische Rollback, den die SPD-geführte Bundesregierung spätestens seit Gerhard Schröders Agenda-2010-Rede im März 2003 gemeinsam mit dem bürgerlichen Lager bewerkstelligte, war nur möglich, weil sich die neoliberale Hegemonie zu jener Zeit immer stärker auch in den Massenmedien niederschlug. Die öffentliche Meinung wurde massiv im Sinne eines Sozialstaat, Staatsinterventionismus und Wohlfahrt als Hauptstörfaktoren für den "Standort D" abqualifizierenden Marktradikalismus beeinflusst. Typisch dafür war die beliebte Talkshow mit Sabine Christiansen, in der man Sozialstaatlichkeit über Jahre hinweg durch das apokalyptische Bild eines vom Niedergang bedrohten Deutschland diskreditierte.

Für die Art und Weise, wie über den Sozialstaat gesprochen und geschrieben wird, kennzeichnend waren auch zahllose Medienberichte, die sich zum Jahreswechsel 2004/05 mit der Flutkatastrophe in Südostasien und deren Folgen befassten. Die ausufernde und oft geradezu voyeuristisch anmutende Tsunami-Berichterstattung verbreitete unterschwellig die entpolitisierend wirkende Botschaft, dass die Natur (also nicht die Gesellschaft) das Schicksal bestimmt. Außerdem ließ man häufig durchblicken, dass es "uns" ja hier noch sehr gut geht, in der so genannten Dritten Welt jedoch Not und Elend herrschen. Tatsächlich ist (relative) Armut in der Bundesrepublik etwas ganz anderes als (absolute) Armut in Bangladesch oder Burkina Faso. Armut kann in einer reichen Umgebung gleichwohl erniedrigender, bedrückender und bedrängender sein als in einer armen Gesellschaft, wo sie eher zur Solidarisierung als zur Stigmatisierung der Betroffenen führt. Bei der Überschwemmung von New Orleans im Gefolge der Hurrikane "Katrina" und "Rita" zeigte sich im August/September 2005, dass Naturkatastrophen nicht alle Menschen einer Region gleichermaßen treffen - die soziale Situation der einzelnen Bewohnern hat vielmehr entscheidenden Einfluss.

Quelle taz Nr. 7814 vom 8.11.2005


Das die Medien von den "Zuwendungen" der  Lobbyisten profitieren, war mir schon immer klar,

Als Lektüre empfehle ich

Die Strippenzieher
von Nicole Otte

GELUNGENE LOBBYARBEIT DER UNTERNEHMER

http://www.freitag.de/2005/34/05340401.php

Michael
Carpe Diem nutze den Tag

Klassenkampf

ZitatJournalist(inn)en benutzten zum Teil manipulative Methoden, wenn es galt, "Sozialkriminalität" zu skandalisieren und in einer Art zu präsentieren, die den Wohlfahrtsstaat als "Selbstbedienungsladen für Arbeitsscheue"...

Das die Medien von den "Zuwendungen" der Lobbyisten profitieren, war mir schon immer klar...

Passend dazu die Machenschaften der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM), welche mit Einschüchterung versucht, positives Medienecho zu erzielen.

Zitat...
Doch die INSM hat es zunehmend schwer, in Deckung zu bleiben. Immer wieder zerren die Medien die Initiative ins Rampenlicht. Kritische Beiträge häufen sich. Das gefällt den beiden Geschäftsführern Tasso Enzweiler und Dieter Rath nicht wirklich. Sie greifen an. In einer Form, die bislang im Umgang mit Journalisten unüblich war. "Die INSM sucht das Gespräch direkt bei der Redaktionsleitung", sagt Thomas Leif, Vorsitzender bei der Journalistenvereinigung Netzwerk Recherche und Chefreporter beim Südwest Rundfunk (SWR). Mit Beschwerdebriefen an Chefredakteure oder Intendanten wolle die Initiative die Redaktion einschüchtern und sie zur Vorsicht beim nächsten Beitrag ermahnen. Langfristiges Ziel dabei sei, der Kritik an der Initiative "die Spitze zu nehmen". Daran kann die INSM nichts Ungewöhnliches entdecken. Schließlich würde man nur die "zuständigen redaktionell Verantwortlichen" über unkorrekte Berichterstattungen informieren. Übrigens: Es kam bislang noch zu keiner Gegendarstellung. Obwohl die Initiative "natürlich" davon überzeugt sei, zu Recht Beiträge kritisiert zu haben.
...

Quelle

"Die Deutschen sterben aus", so titelte der Spiegel vor Jahren, in ähnlich grober Weise artikulierten sich auch andere Print- und Broadcastmedien.
Hervorragend dazu die Ausführungen im obigen Beitrag - bereits vor einiger Zeit bot ich einen ähnlichen Beitrag, basierend auf Daten und Fakten des Buches "Es geht anders" an. Folgend zitiere ich mich also selbst:

ZitatEs ist wohl die bekannteste und am häufigst benutzte These um Struktur- und Systemänderungen zu begründen – die Überalterung der Gesellschaft. Gleich zu Beginn dieser kurzen Abhandlung sei erwähnt, daß es sich hierbei um eine Legende aus dem Reich der Neoliberalen handelt, um eine Systemänderung glaubhaft zu rechtfertigen. Die verängstigte Masse, so die ,,Reformer", würde dann ein privatisiertes Rentensystem akzeptieren und gutheißen. So ließe sich dieser Non-Profit-Sektor der öffentlichen Hand zu einem gewinnträchtigen Geschäft entwickeln.

Die Prognose, welche optisch einem Pilz gleichkommt, kennen wir alle. Ältere Menschen würde immer mehr, weil sie immer älter würden, während kaum noch junge Menschen nachkommen, um den Generationenvertrag aufrecht zu erhalten. Fakt ist: Die Pilzprognose ist nur eine von mehreren Prognosen, zudem natürlich, um dem Reformauftrieb Fahrt zu verleihen, die schlechteste.
Neben dieser schlechtesten Variante, die uns alle mit Angst erfüllt, existieren ebensolche mittlerer und günstigerer Art. Die für uns nachteiligste Variante allerdings, kalkuliert mit einer ständig sinkenden Geburtenrate pro Frau, und einer gleichzeitig immer längeren Lebenserwartung. Da sämtliche dieser Prognosen bis ins Jahr 2050 reichen, ist eine ernstzunehmenden wissenschaftliche Auswertung nicht möglich; zuviele Entwicklungen, die heute noch nicht berücksichtigt werden können, liegen in diesem Zeitraum.

Entwicklungen die durchaus von der Politik beeinflusst werden könnten – so haben verbesserte Möglichkeiten für Familien, in Schweden und Frankreich, dazu geführt, daß die Geburtenrate pro Frau signifikant anstieg. In einem relativ kurzen Zeitraum von sieben Jahren, gelang es der französischen Regierung Ende der Neunzigerjahre, die Geburtenrate pro Frau um beinahe 0,3 zu erhöhen. Kostenlose Betreuung, flexiblere Arbeitszeiten, finanzielle Anreize eine Familie zu gründen und eine ideologische Aufwertung der Mutterarbeit könnten somit zu einer meßbaren Erhöhung der Geburtenrate führen. Es ist daher dreist, Zukunftsprognosen mit einer weiter absinkenden Geburtenrate zu versehen, wenn es politisch durchaus möglich wäre selbige zu erhöhen.

Noch dreister allerdings ist die Behauptung, die Lebenserwartung würde noch weiter voranschreiten. Tatsache ist, daß die heute schon absehbare Tendenz gegenläufig ist. So ist die Lebenzeit in der Arbeiterrentenversicherung für Männer in den letzten zehn Jahren um 2,5 Monate gesunken, leicht angestiegen ist sie gleichzeitig in der Angestellten-Rentenversicherung. Vor allem die Lebenserwartung der gutbetuchten Kreise hat weiter zulegen können.
Vollzieht die Politik weiterhin Kahlschlagmaßnahmen, mit Lohn- und Rentenkürzungen, mit Abbau der Pflege- und Krankenversorgung, so wird die Lebenserwartung nicht – wie prognostiziert – steigen, sondern gegenteilig abnehmen. ,,Weil du arm bist, mußt du früher sterben." – die Kampfparole der Arbeiterbewegung bekommt damit Wahrheitsgehalt.

Angeblich hätte sich die Überalterung bereits vor Jahrzehnten eingestellt, ohne das den früheren Politikern dies als ernstzunehmendes Problem aufgefallen sei. Selbst die beiden Volksparteien bemitleiden sich selbst, daß sie diese scheinbare Entwicklung der letzten Jahre nicht erkannt haben.
Da lohnt ein Blick in die Statistik: 1980 lebten in der BRD und DDR, 51,96 Millionen Menschen, die zwischen 15 und 65 Jahren alt waren, 12,16 Millionen waren über 65. Knapp zwanzig Jahre später, im Jahre 1998 gab es 55,99 Millionen Erwerbsfähige (zwischen 15 und 65 Jahre), die für 13,07 Millionen über 65-Jährige aufzukommen hatten. Anders formuliert: 1980 gab es 18,97% Alte im Verhältnis zu den Arbeitsfähigen; 1998 waren es 18,92%, ein leichter Abfall um 0,05% (Zahlen aus dem Statistischen Jahrbuch 2000).
Richtig ist, daß es mehr ältere Menschen wurden, allerdings wuchs auch die Anzahl der Erwerbsfähigen in diesem Zeitraum erstaunlich konstant an. Erst ab 2000 ist eine leichte jährliche Zunahme der Älteren zu erwarten, was sich auf die kinderreichen Nachkriegsjahrgänge begründet.

Deutschland ist ein Einwanderungsland, seit 25 Jahren kommen jährlich 250.000 Menschen in die BRD. Die Demographieprognosen allerdings, scheinen diesen Tatbestand auszuklammern. Einwanderer werden in den Prognosen nicht berücksichtigt, man geht scheinbar davon aus, daß Ausländer nicht zum Rentensystem gehören, obwohl auch sie bei Erwerbstätigkeit in die Rentenkasse einzahlen.

Um 1900 hatte die Gesellschaft achtmal weniger über 65-jährige wie 100 Jahre später. Und glaubt man der Propaganda so war es im Jahr 2000 durchaus noch nicht problematisch die Rentenbezieher mit zu ernähren. Demographieforscher sprechen davon, daß die Industrieländer ihre ,,demographische Herausforderung" längst hinter sich haben. Es war scheinbar für den modernen Industriestaat, sozialstaatlicher Prägung niemals ein Problem, seine Senioren zu ernähren. Für den Sozialstaat gibt es keine Schwierigkeiten die Verteilungsfrage zu lösen – aus den wachsenden Sozialprodukt konnten und können alle versorgt werden, da die Renten aus den Bruttoinlandsprodukt des jeweiligen Jahres aufgebracht werden.

Mit Demographie hat die Entwicklung der fehlenden Rentengelder nichts zu tun, wohl aber mit entarteten Kapitalismus. Fast eine Million Menschen unter 25 Jahren sind arbeitslos, zudem werden ältere Arbeitnehmer die von Kündigung bedroht sind vorzeitig in Rente abgeschoben. So heißt es doch einerseits, es wären zuwenig Junge da, die den Generationenvertrag aufrecht erhalten könnten, um andererseits an gleicher Stelle eine Million ,,überflüssige" Junge zu haben – es ist nicht weniger Geld in den Rentenkassen, weil weniger erwerbsfähige Menschen nachgewachsen sind, sondern weil massiver Stellenabbau, die Ausweitung des Niedriglohnsektors, die zum Teil dadurch zurückbleibende Entwicklung der Tarifentgelte und die Verschiebung der Entlassenen an die Rentenkassen, diese prekäre Situation herbeigeführt haben.

Da eine weitere Legende aus dem Reich des Neoliberalismus besagt, die Lohnnebenkosten wären zu hoch, bekommt so dieser Sektor nochmals Auftrieb. Diese vermeintlich zu hohen Lohnnebenkosten sollen beseitigt, dafür Privatversicherungen Platz gemacht werden. So ermöglicht sich die neoliberale Strömung die Öffnung der Bereiche der öffentlichen Hand, womit ein ehemaliger Non-Profit-Sektor zum gewinnträchtigen Unterfangen wird.
Die Riege der Privatversicherungsgläubigen, die sich dem Umlageverfahren entziehen wollen, weil sie daraus keine Versorgung mehr erwarten, ist groß.

Wenn tatsächlich zuwenig junge, arbeitsfähige Menschen in diesem Land sind, wie soll es dann möglich sein, von einer privaten Kapitalversicherung zu leben? Geld bezieht seinen Wert nur daraus, Waren und Dienstleistungen, also Arbeitskraft anderer Menschen, zu bezahlen. Wenn aber zuwenig arbeitsfähige Menschen anzutreffen sind, verliert das Geld an wert, weil die Löhne explodieren würden. Ein weiteres, zum Nachdenken anregendes, Szenario: Wenn die Wirtschaft erlahmt, die Massenarbeitslosigkeit sich weiterhin ausbreitet, kann es zu massenhaften Firmenpleiten und Bankenzusammenbrüchen führen – die Folgen dieser Entwicklung hätten die Versicherten zu tragen, da die Kapitalversicherer ihre Rentenversprechen rückgängig machen müßten, weil auch sie pleite sind. Ein Beispiel letzterer Art war bei der Enronpleite in den USA zu beobachten, Zehntausende Rentner haben alles verloren.
Transferleistungen, wie die Renten, rekrutieren sich aus dem jährlichen Bruttoinlandsprodukt. Private Kapitalversicherung unterliegen dem besonderen Risiko der Inflation, der Kurseinbrüche an den Börsen oder der Bankenzusammenbrüche; das Rentenumlageverfahren hingegen ist sogar einer Währungsreform resistent, und kann jederzeit den entsprechenden Anteil der Lohnsumme an die Angewiesenen überweisen.

Quelle
Buchtipp
,,Diese Verhältnisse sind nicht die von Individuum zu Individuum, sondern die von Arbeiter zu Kapitalist... Streicht diese Verhältnisse, und ihr habt die ganze Gesellschaft aufgehoben."
--- Karl Marx, "Das Elend der Philosophie" ---

Klassenkampf

ZitatEs ist wohl die bekannteste und am häufigst benutzte These um Struktur- und Systemänderungen zu begründen – die Überalterung der Gesellschaft...

Kaum ein Tag an dem man nicht einem Zeitgenossen begegnet, der glaubt, die staatliche Rente durch Umlagefinanzierung sei gescheitert. Hätte man sein eingezahltes Geld, so diese Herrschaften, nur privat sparen dürfen, so wäre heute eine angemessenes Altersgeld sicher.

So weit fruchtete also schon die Indoktrinierung der neoliberalen Kampagnen, daß Zeitgenossen verschiedenster Schichten nurmehr einen Ausweg in einer Strukturänderung sehen, das derzeitige System als gescheitert, ja sogar als ungerecht empfinden.

Über die Risiken und Gefahren des Kapitaldeckungsverfahrens wurde im obigen Beitrag berichtet, so daß eine erneute Abhandlung nicht nötig erscheint. Der Irrglaube allerdings ist weit verbreitet und findet kaum noch Gegenstimmen oder Befürworter der Umlagefinanzierung. So verwundert es auch nicht, daß Hiobsbotschaften aus einem Land mit breiter kapitalgedeckter Rentenversorgung, hierzulande kaum Beachtung finden.

Die NachDenkSeiten zum Kapitaldeckungsverfahren generell:

ZitatKommentar: Leider wird in den verschiedenen Artikeln zu den Rentenneuigkeiten aus England kaum mehr thematisiert, daß die Rentenfinanzierung aus dem Kapitaldeckungsverfahren besondere Risiken für die Anleger beinhaltet, in diesem Fall die Rentner/innen, und eigentlich nach den massiven Kurseinbrüchen an der Börse (New Economy) desavouiert ist. Hinsichtlich der deutschen Situation ist dies um so bedauerlicher, da es im Koalitionsvertrag heißt: ,,Die zusätzliche Altersvorsorge muss künftig einen noch höheren Stellenwert erhalten um den im Berufsleben erreichten Lebensstandard auch im Alter aufrechterhalten zu können." (Zeile 4063-66)
Nachdem in England der neoliberale Privatisierungswahn das staatliche Umlageverfahren auf ein erbärmlich niedriges Niveau abgesenkt hatte, sollten die meisten Rentner von kapitalgedeckten Betriebs- oder Privatrenten leben. Seit dem Absturz der Aktienmärkte  jedoch häufen sich die Fälle, in denen die betrieblichen Rentenfonds ihre Auszahlungen erheblich einschränken. Rentner, die während ihres gesamten Berufslebens Beiträge gezahlt haben, stehen auf einmal nur noch mit der Hälfte (oder weniger) ihrer erwarteten Altersbezüge da. Hinzukommt, daß im Konkursfall der Unternehmen betriebliche Pensionsansprüche im britischen Konkursrecht hinter denen von Gläubigern wie Banken oder auch den Inhabern von Anleihen rangieren.

Spricht also ein Funken Vernunft aus dem Ökonomen, so kann er der Kapitaldeckung nur den Abgesang bereiten. Dennoch, durch gezielte Propaganda und Fehlinformation, durch gezieltes Abschwächen der umlagefinanzierten Rentenauszahlungen, gelingt es, die Massenanschauung bezüglich Rentenvorsorge zu wenden.

Bereitwillig folgen Heerscharen von Bürgern den Rattenfängern. Es ist - wie immer bei neoliberaler Politik - die Angst, welche Menschen in die Fangarme dieser Herrschaften treibt. Das Geschäft mit der Angst und der womöglichen Not im Alter floriert. Erscheint dann ein Messias, der glaubt Altersversorgung mittels seiner fadenscheinigen Projekte sichern zu können, folgt man blind vor Angst nur allzu gerne.

Zur britischen Misere äußerte sich das Handelsblatt, der Mainstream allerdings - also jene Medien die stets bemüht werden -, hält sich hier vornehm zurück:

ZitatBriten müssen länger arbeiten und mehr sparen
 
Von Mathias Thibaut
 
Die Briten ahnen es längst, doch nun kommt es schwarz auf weiß: Sie werden bis 67 arbeiten müssen, bevor sie die Staatsrente erhalten. Das ist das Ergebnis eines Rentenberichts, den eine Kommission des früheren Unternehmerverbandspräsidenten Adair Turner heute vorlegt. Nach dem, was bekannt wurde, müssen die Briten zudem erheblich mehr für das Alter sparen – vermutlich mit neuen Zwangsabgaben.


LONDON. Der Bericht enthält so viel Zündstoff, dass Premier Tony Blair und Schatzkanzler Gordon Brown noch am Dienstagabend in der Downing Street eine Strategie berieten. Brown nannte die von Turner vorgeschlagene Erhöhung der staatlichen Grundrente bereits ,,unbezahlbar". Nichts sei ausgeschlossen, erklärte Blair dagegen am Dienstag vor dem Kongress des Unternehmerverbands CBI: ,,Wir bemühen uns hier um die Lösung der Rentenfrage für eine Generation." Rentenminister John Hutton warnte, die Briten müssten mehr Eigenverantwortung übernehmen. Die Experten sind sich einig, dass eine Rentenlücke klafft und der nächsten Generation Altersarmut droht.

Die Probleme sind die gleichen wie in Deutschland: Mit der Lebenserwartung steigen die Alterskosten, aber das Geld fehlt. Doch während die Renten in Deutschland immer noch im Wesentlichen per ,,Generationenvertrag" aus dem laufenden Wirtschaftsaufkommen bestritten werden, sind britische Renten in viel höherem Maße privat vorfinanziert – durch Betriebsrenten und private steuerbegünstigte Alterssparfonds. Diese waren das Vorbild für die deutschen Riesterrente.

Nur die Staatsrente wird aus Lohnabgaben finanziert. Brown hält sie geschickt niedrig: Sie steigt mit der Inflationsrate, nicht mit den Einkommen. Bei einem Höchstsatz von wöchentlich 82,05 Pfund (122 Euro) kostet sie Brown im laufenden Jahr 50 Mrd. Pfund. Ein Betrag, der den Etat nicht überlastet, aber auch niemandem den Lebensabend sichert. Hier wird Turner eine deutliche Anhebung fordern.

Ein wachsende Lücke tut sich bei der Finanzierung der Renten im öffentlichen Dienst auf. Labour sicherte den Gewerkschaften zu, dass Staatsangestellte weiterhin mit 60 in Ruhestand gehen dürfen. Die Kosten dafür explodieren gerade. Brown müsste neuesten Zahlen zufolge 817 Mrd. Pfund veranschlagen, würde er das Geld zurücklegen, wie es die privaten Betriebkassen tun. ,,Das kann sich die Nation nicht leisten", warnte CBI-Chef Digby Jones. Der CBI verweist entrüstet darauf, dass hier für die Rentner des Staates andere Spielregeln gelten als für die der Privatunternehmen. Jones spricht von einer wachsenden ,,Zweiklassengesellschaft".

Emotional besetzt ist das Thema, weil sich die einst hochgelobten Betriebsrenten unter dem Druck steigender Kosten der Rentensicherung radikal verändert haben. Die im FT350-Index notierten 350 Unternehmen haben laut Rentenaufsicht eine Deckungslücke von 75 Mrd. Pfund. Dabei haben sie fast alle längst auf die billigere ,,Kapitaldeckung" umgestellt: Anders als den Staatsdienern wird den Betriebsrentnern nicht mehr eine bestimmte Rentenhöhe als Prozentsatz ihres letzten Einkommens garantiert, sondern eben das, was der vorhandene Kapitaltopf an Rente kaufen kann. Das Risiko der Altersversorgung wurde so auf die Angestellten selbst verlagert.

Noch gefährlicher ist aber die eigentliche Rentenlücke. Die Briten sparen einfach nicht mehr fürs Alter. Wenn die Staatsrente nicht reicht, werden Sozialzuschüsse fällig, gegen die aber Sparvermögen aufgerechnet wird. Viele haben beschlossen, dass Rentensparen unter diesen Umständen ,,Selbstbesteuerung" wäre. Laut dem Verband der Versicherungsindustrie ABI liegt das Spardefizit bei jährlich 27 Mrd. Pfund. Bis 2040 wird es 40 Prozent mehr Rentner geben. Trotzdem setzt Brown in seinem Etat nur 13 Prozent Ausgabenwachstum für die Altersversorgung an. Das dürfte der Turnerbericht als Milchmädchenrechnung entlarven.

So sieht also die rosige Zukunft der Kapitaldeckung aus - hört sich heute noch anders an, wenn die Herrschaften der Regierung/Regierungen über Eigenverantwortung berichten; es hört sich wesentlich gerechter an, wenn die INSM von Privatrente spricht.

Privatisierung, an sich, ist eines der gefährlichsten Felder neoliberaler Gierpolitik - die Privatisierung der Sozialversicherungssysteme kommt allerdings einem gesellschaftlichen Fiasko gleich. Wer also Umstellung auf Kapitaldeckung fordert, bewußt oder unbewußt, der fordert damit Altersarmut, stetes Bangen um monatliche Rentenauszahlungen - ja man könnte sagen, man fordert damit den Zusammenbruch sozialer und gerechter Gesellschaft.

Quelle NachDenkSeiten (Punkt 3)
Quelle Handelsblattbericht
,,Diese Verhältnisse sind nicht die von Individuum zu Individuum, sondern die von Arbeiter zu Kapitalist... Streicht diese Verhältnisse, und ihr habt die ganze Gesellschaft aufgehoben."
--- Karl Marx, "Das Elend der Philosophie" ---

Carsten König

ZitatKaum ein Tag an dem man nicht einem Zeitgenossen begegnet, der glaubt, die staatliche Rente durch Umlagefinanzierung sei gescheitert. Hätte man sein eingezahltes Geld, so diese Herrschaften, nur privat sparen dürfen, so wäre heute eine angemessenes Altersgeld sicher.

Radikaler noch formuliert: Privat fürs Altervorsorgen sägt am eigen Arbeitsplatz.
Gelder werden investiert u.a. in Rationalisierung etc. Wer weiß ob nicht irgendeine zynisch-kausale Verbindung dann von seinen Fonds zum eigenen Arbeitsplatz führt.
Absurdes Wirtschaftssystem und blauäugig die Ratten von Hameln, die sich jauzend in den Zug der Deppen einreihen.

Der Philosoph beobachtet, analysiert und warnt.

Klassenkampf

Er ist der beste Gaul im Stall, zu dieser Erkenntnis muß man einfach kommen: Köhler hier, Köhler da - Neutralität sieht jedenfalls anders aus. Bleibt die Frage: Liegt es am Verstand oder an der Börse Köhlers?

Forum demographischer Wandel nennt sich das Projekt der Bertelsmann-Stiftung und des Bundespräsidenten. Um was es geht? - Das übliche, um Lug und Betrug - um ein Forum, privatisierte Rente zu installieren und ideologisch zu festigen.

Die Bedenken der Ökonomen und Demographen bleiben außerhalb des Forums, sie könnten Bedenken erzeugen.
Der oberste Herr dieses Landes? Mag sein, ich spotte seiner Beschränktheit...

ZitatDas Forum demographischer Wandel ist eine Initiative des Bundespräsidenten Köhler in Zusammenarbeit mit der Bertelsmann-Stiftung.

Ziel ist nach Darstellung des Forums die Schaffung eines Problembewusstseins für die Thematik und konkrete Handlungsvorschläge. Die Problematik der Überalterung zählt danach zu den größten Herausforderungen für Deutschland, laut Umfragen wird dies jedoch von der Bevölkerung nicht in ihren vollen Auswirkungen erkannt.

Es gibt aber auch Stimmen, die die Folgen des demographischen Wandels deutlich anders bewerten und auf die Interessengebundenheit der Schlussfolgerungen hinweisen. So soll der Eindruck erweckt werden, dass wir trotz hoher Arbeitslosigkeit bereits unter den demographischen Problemen leiden würden, wonach zu viele Rentner einer geringen Anzahl von Menschen im erwerbsfähigen Alter gegenüberstehen.

Am 6. Dezember 2005 findet die erste Konferenz in der Berliner Vertretung des Landes Baden-Württemberg statt, bei der Bundespräsident Horst Köhler die Eröffnungsrede halten wird. Es ist der Auftakt einer Serie von Konferenzen, an der führende Vertreter von Staat und Gesellschaft teilnehmen werden.

"Horst Wer?" titulierte einst die BILD-Zeitung. Er bleibt ein "Wer" für alle Zeit, kein großer Bundespräsident ist uns gegeben in diesen Zeiten...

Quelle
,,Diese Verhältnisse sind nicht die von Individuum zu Individuum, sondern die von Arbeiter zu Kapitalist... Streicht diese Verhältnisse, und ihr habt die ganze Gesellschaft aufgehoben."
--- Karl Marx, "Das Elend der Philosophie" ---

besorgter bürger

der stürmer hetzt mal wieder:

ZitatRund 2200 Single-Haushalte bekommen mehr als 2000 Euro im Monat. Der Grund: Viele nutzen einen Trick im Gesetz,

wie jetzt? ich bin auch ein singlehaushalt. was hab ich nur falsch gemacht das ich nur 345 + miete bekomme?

www.derStürmer.de
Viele Menschen würden eher sterben als denken. Und in der Tat: Sie tun es.

lu.gal

Uff, doch nur BILD (Brimitievste Idioten-Lektüre Deutschlands), jag´mir doch nicht so´n Schrecken ein...

Obwohl, Heutzutage ist Alles möglich.

}:-]
Auferstanden aus Ruinen...jetzt mit noch mehr FrogPower!

Klassenkampf

Die Berichterstattung über das Auslaufmodell "umlagefinanzierte Rente" nimmt kein Ende. Immer wieder wird dem Bürger dargelegt, das System an sich wäre marode. Das der vermeintliche Verfall aber ein Produkt der Massenarbeitslosigkeit ist, bleibt den allabendlichen Polit-Talkrunden schleierhaft.

So ist es belebend, wenn man Gegenargumentation erfährt, ein Ja zur Umlagefinanzierung. Albrecht Müller, Autor der "Reformlüge" mußte erneut kämpfend dafür einstehen:

ZitatVerrentet & verkauft    

ZERSTöRUNG DER SOLIDARISCHEN ALTERSVERSORGUNG

Wie die Politik der Versicherungswirtschaft die Hasen in die Küche treibt

Wir wollen die solidarische Altersversorgung erhalten", versicherte Kanzlerin Merkel in ihrer ersten Regierungserklärung. Die Koalition wolle das Vertrauen in die sozialen Sicherungssysteme wieder herstellen, ergänzte Matthias Platzeck. Sieht man sich die tatsächliche Politik an, wird eine andere Strategie offenbar: sie zielt auf eine Erosion des Vertrauens in die solidarische Rente. In den Koalitionsvereinbarungen ist die Rede von einer vierjährigen Nullrunde. Christian Wulff spricht gar von zehn Jahren. Die Drohung, das Renten-Eintrittsalter auf 67 zu erhöhen, verunsichert zusätzlich. Das Vertrauen in die gesetzliche Rente wird systematisch erschüttert. Ich glaube dabei nicht an Zufälle oder die Dummheit der Verantwortlichen.

Die Lebensversicherer haben die Riester-Rente und andere Formen der Privatvorsorge bisher schlecht verkauft, wittern hier aber das Geschäft der Zukunft. Wenn das Vertrauen in die gesetzliche Rente schwindet, verschafft ihnen das beste Verkaufsargumente. Von der traditionellen Rente kann man nicht mehr leben, wirbt die Versicherungswirtschaft unablässig, während die Berliner Koalitionäre das Terrain bereiten, um dieser zerstörerischen Botschaft die rechte Glaubwürdigkeit zu verleihen. Sie gebärden sich wie bezahlte Werbeagenten der Lebensversicherer. Ohne zu zögern, setzen sie - trotz knapper Kassen - die staatliche Subvention der so genannten Förderrente fort. Obwohl die Koalition angeblich überall sparen muss - hier kommt es ihr nicht in den Sinn.

2006 kostet diese Subvention nach neuesten Schätzungen 870 Millionen - 2008 schon über zwei Milliarden Euro. Damit subventionieren wir alle die Versicherungskonzerne. Sind wir im Wahlkampf gefragt worden?

Offenbar konnte sich die Branche auf die weitere Subventionsbereitschaft aller Fraktionen im früheren Bundestag verlassen. Anders ist nicht zu erklären, dass die Allianz AG noch vor der Wahl im Verbund mit der Bild-Zeitung eine große Kampagne für die Riester-Rente startete. Einen derart teuren Feldzug hätte auch ein großes Unternehmen wie die Allianz nicht begonnen, wäre sie nicht sicher gewesen, dass jede Regierung - gleich welcher Farbe - die Privatvorsorge auch nach dem 18. September fördern wird.

Dahinter steckt eine langfristig angelegte Strategie der Versicherungswirtschaft, die sich der Politik als ihres Werkzeugs sicher sein kann. Da ich in meiner früheren Tätigkeit als SPD-Wahlkampfplaner und als Leiter der Planungsabteilung im Kanzleramt des Öfteren daran beteiligt war, Strategien zu formulieren, um Meinungen zu beeinflussen, kann ich mich gut in das Denken derer versetzen, die für Lebensversicherer und Banken Planungen entwickeln, um die gesetzliche Rente zu diskreditieren.

Wäre ich in ihrer Rolle, hätte ich in etwa notiert: Die weitere Dynamik der Versicherungswirtschaft und des Bankensystems ist wesentlich darauf angewiesen, das Betätigungsfeld der privaten Lebensversicherer zu erweitern. Deshalb sollten wir uns daran erinnern, dass die gesetzliche Rente allein mit den Beitragseinnahmen - bezogen auf 2002 - ungefähr das Dreifache der privaten Lebensversicherer umsetzt. Wenn es uns gelingt, nur zehn Prozent dieser Beiträge auf private Vorsorge umzulenken, erzielen wir ein Umsatzplus von etwa 25 Prozent (gleich 15 Milliarden Euro). Wir müssen daher alles tun, um die gesetzliche Rente zu diskreditieren und können dabei von folgender Situation ausgehen: Weil die sozialen Kosten der deutschen Einheit den Sozialkassen aufgebürdet wurden, mussten die Beiträge zur Rentenversicherung um vier bis fünf Prozent erhöht werden, was die Beitragszahler belastet, aber zugleich half, die Beitragsstabilität als Ziel der Politik zu verankern. Insofern ist es gelungen, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass die Renten nicht mehr steigen können, folglich schwindet die Überzeugung der Menschen, dass diese Art der Altersvorsorge für ihren Lebensabend ausreicht. Außerdem sollte das demographische Problem mit den Argumenten dramatisiert werden: Es gibt zu wenige Kinder, wir leiden unter dem Wenigerwerden. Der Generationenvertrag trägt nicht mehr. Die Generation der Rentner lebt auf Kosten der jungen Generation. Die Arbeitslosigkeit und die schlechte Konjunktur müssen wir nutzen, um die mangelnde Solidität kollektiver Sicherungssysteme wie der gesetzlichen Rente immer wieder sichtbar zu machen. Deshalb haben wir kein sonderliches Interesse, die Rezession schnell zu überwinden.

Soweit Elemente einer Strategie, um die gesetzliche Rente zu diskreditieren und die Privatvorsorge zu befördern. Sie entspricht ungefähr dem, was wir seit Jahren erleben. Dass sich die Politik Einzelinteressen ausliefert, wäre notfalls hinzunehmen, gäbe es tatsächlich relevante Vorteile einer privaten Vorsorge, doch davon kann keine Rede sein. Die Privatvorsorge ist unsicherer als die gesetzliche Rente. Das zeigt der Zusammenbruch derartiger Systeme in den USA, in Großbritannien, in Osteuropa wie in Südamerika.

Zudem ist die Privatvorsorge das teurere Verfahren. Die Kosten für Betrieb und Vertrieb des Kapitaldeckungsverfahrens sind um vieles höher als für das Umlageverfahren. Der Betrieb für Letzteres kostet in Deutschland maximal vier Prozent der eingezahlten Beiträge, die Riester-Rente verbraucht rund zehn Prozent für Verwaltung und Vertrieb.

In Chile liegt der vergleichbare Wert sogar bei rund 18 Prozent. Dort wurden zu Zeiten der Pinochet-Diktatur die Arbeitnehmer gezwungen, in eine Privatvorsorge zu wechseln, die inzwischen auf breiter Front zusammengebrochen ist. Der Staat muss mit Steuergeldern die entsprechenden Systeme nachfinanzieren, will er extreme Altersarmut vermeiden. Deshalb hatte Präsident Ricardo Lagos bei einem Berlin-Besuch im Januar empfohlen, die Erfahrungen seines Landes bei der deutschen Altersvorsorge mit einzubeziehen. Der Rat verhallte ungehört.

Quelle
,,Diese Verhältnisse sind nicht die von Individuum zu Individuum, sondern die von Arbeiter zu Kapitalist... Streicht diese Verhältnisse, und ihr habt die ganze Gesellschaft aufgehoben."
--- Karl Marx, "Das Elend der Philosophie" ---

Carsten König

Zitat...während die Berliner Koalitionäre das Terrain bereiten, um dieser zerstörerischen Botschaft die rechte Glaubwürdigkeit zu verleihen. Sie gebärden sich wie bezahlte Werbeagenten der Lebensversicherer.

Das ist des Pudels Kern...

Klassenkampf

Minijobs, dies dümmliche Wortkonstrukt einer noch viel dümmeren Reformerbewegung, schaffen Arbeitslosigkeit, lassen die leeren Sozialkassen weiterhin im leeren Zustand. Das ist keine neue Erkenntnis, Ökonomen warnten bereits vor Jahren davor - für Rürup allerdings, regierungsnah stehend, scheint es der Weisheit letzter Schluß zu sein.

Lange hat er gebraucht, bis er es einsah und öffentlich ansprach. Weinhnachtszeit eben, Zeit der Wunder - und tatsächlich wundert man sich ob der Vorgänge in diesem Lande...

ZitatRürup fordert Reform der Minijobs

Wirtschaftsweiser: Regierung muss für mehr reguläre Beschäftigung sorgen


Berlin - Bert Rürup, der Vorsitzende des Wirtschafts-Sachverständigenrats, hat eine Einschränkung der Minijobs gefordert. Sie sollte es nur noch für hauptberufliche Tätigkeiten geben. ,,Ein Minijob als Nebentätigkeit muss nicht subventioniert werden, er stellt keine Brücke in den ersten Arbeitsmarkt dar", sagte er dem Tagesspiegel. Eine solche Reform könne den Abbau sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung bremsen. ,,Wenn die Entwicklung der letzten Jahre nicht bald gestoppt wird, können wir das Ziel, die Sozialabgaben spürbar zu senken, vergessen", warnte er.

Die Minijobs, für die Arbeitgeber pauschal 25 Prozent an Steuern und Abgaben zahlen, sind seit der Einführung im Jahr 2003 umstritten. Sie sollen für Arbeitslose eine Brücke in den Jobmarkt sein. Experten fürchten aber, dass Unternehmen Vollzeitstellen in Minijobs umwandeln, um Geld zu sparen.

Für die Sozialkassen bedeutet das Einnahmeausfälle. Die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung geht seit Jahren zurück. Hatten 2001 fast 28 Millionen Menschen einen regulären Job, werden es nach der Prognose des Sachverständigenrats 2006 noch 26 Millionen sein. ,,Wir stecken in einem Teufelskreis", befand Rürup. ,,Hohe Beiträge aufgrund des Rückgangs der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung belasten den Faktor Arbeit, mit der Folge, dass diese Beschäftigung weiter zurückgeht. Dies führt bei den Sozialkassen zu erneuten Ausfällen, der Druck auf die Beiträge steigt weiter – das Problem verschärft sich."

Zwar gebe es bislang keine eindeutigen Belege dafür, dass Minijobs reguläre Beschäftigung verdrängen. ,,Minijobs im Nebenerwerb führen aber zu Ungerechtigkeiten. Wer Überstunden macht, muss volle Beiträge und Steuern zahlen – wer die gleiche Arbeit in einem Minijob erledigt, genießt Vergünstigungen", bemängelte Rürup. Die Regierung solle den Arbeitsmarkt in der Breite und nicht nur an den Rändern flexibilisieren, sonst drohe dort ,,eine Zwei-Klassen-Gesellschaft".

Um die Erosion regulärer Beschäftigung zu stoppen, sind Rürup zufolge neben beschäftigungsfreundlichen Tarifabschlüssen positive Wachstumserwartungen nötig, ,,so dass die Unternehmen eine günstige Perspektive haben". Aufgrund der jüngsten Daten bestünden Chancen, dass die Prognose der Wirtschaftsweisen von 1,0 Prozent für 2006 übertroffen werden könne. Die vorläufigen Ergebnisse für das dritte Quartal 2005 und die jüngsten Zahlen zur Auftragsentwicklung seien ,,erfreulich". Im nächsten Jahr würden zudem die Abschreibungsbedingungen verbessert, und es sei wegen der 2007 steigenden Mehrwertsteuer mit Vorzieheffekten vor allem beim Kauf langlebiger Gebrauchsgüter zu rechnen.

Um auf einen höheren Wachstumspfad sowie zu mehr sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung zu kommen, müsse die sich abzeichnende Belebung durch eine Unternehmensteuer-Reform sowie eine Umfinanzierung bei der Sozialversicherung flankiert werden. Rürup: ,,Die Produzentenlöhne, sprich die Arbeitskosten, sind viel höher als die Konsumentenlöhne, also das, was die Arbeitnehmer zur Verfügung haben – das ist beschäftigungsfeindlich."

Quelle
,,Diese Verhältnisse sind nicht die von Individuum zu Individuum, sondern die von Arbeiter zu Kapitalist... Streicht diese Verhältnisse, und ihr habt die ganze Gesellschaft aufgehoben."
--- Karl Marx, "Das Elend der Philosophie" ---

Spätlese

Auch irgendwo gut passend zur Situation bzw. zum Thema ein Bericht aus einem Flugblatt - trifft irgendwo schon zu:

---

Mangelware: Typisch DDR
In der DDR mangelte es an vielem. An Wohnungen, Südfrüchten, PKW, Reisemöglichkeiten, freien Wahlen. Vieles haben die Menschen missen müssen.

Nach 15 Jahren Einheit fällen uns da aber noch etliche Dinge mehr ein.

Es mangelte auch an:
Krankenkassen, Versicherungen, Steuererklärungen, Behördenbürokratie, Arbeitslosen, Obdachlosen, Prostituierten, Rauschgift, Neonazis, Wucherpreisen, Wucherzinsen, Schikanen und Mobbing am Arbeitsplatz, nervlich Erkrankten, Pschiatern, Gewalt an Schulen, Unterrichtsausfällen, Gewalt- und Horrorfilmen, korrupten Firmenchefs und Gewerkschaftsfunktionären, blühende Straßenkriminalität, Überfremdung, Freigang für Mörder und Sexualstraftäter, überteuerten Medikamenten, überteuerten Mieten Werbeüberflutung von Bürgern, zu bezahlende Verdummung durch Wahrsager, Esoteriker, Sterndeuter und andere.

---

Tja, 2 Seiten hat jede Medaille ...
Alle von mir getätigten Aussagen/Antworten/Kommentare entsprechen lediglich meiner persönlichen Meinung und stellen keinerlei Rechtsberatung dar.

ManOfConstantSorrow

ZitatÜberfremdung, Freigang für Mörder und Sexualstraftäter

plappert hier der Flugblattverfasser nur (Bild)Zeit(ungs)geist wieder oder ist es   ganz bewußt rechtes Gedankengut?
Arbeitsscheu und chronisch schlecht gelaunt!

Spätlese

Auf der anderen Seite steht unten noch der Herausgeber des Flugblattes drauf:

PDS - Die Linkspartei, "Sternplatz"

***

Eig. Anm.:
Wobei die Beobachtungen gar nicht mal unbedingt unzutreffend sind. Bis in die jüngste Zeit war es gängigste Praxis vermeintlich "kurierten" Schwerkriminellen offenen Vollzug und Freigang zu gewähren, oder diese nach "Heilung" vorzeitig bzw. überhaupt wieder auf die Menschheit loszulassen. (S. diverse Wiederholungstäter Kindermorde.) "Überfremdung" sehe ich gar nicht mal auf einzelne Personenkreise bezogen, sondern auf die Gesellschaft bzw. Kultur und das "Miteinander" überhaupt ... und auch das kann man nicht gänzlich von der Hand weisen.
Alle von mir getätigten Aussagen/Antworten/Kommentare entsprechen lediglich meiner persönlichen Meinung und stellen keinerlei Rechtsberatung dar.

Klassenkampf

Auch ein Argument, um es den Reformer entgegenzuwerfen, bloß werden sie sich nicht daran stören: Das Kapitaldeckungsverfahren ist in diesem Lande nicht fremd, sondern bereits umgesetzt worden. Nicht funktionierend, freilich, doch was stört es die Reformer von heute, was den Menschen von morgen am Leben fehlt?

Zitat...
Horror vor der "Vergreisung der Republik"

Es ist also festzuhalten, dass das Kapitaldeckungsverfahren in Deutschland bereits zwei Mal eingeführt wurde und zwei Mal wieder durch das Umlageverfahren ersetzt werden musste, weil es nie richtig funktionierte: Nach der Hyperinflation war die Basis für eine Kapitaldeckung durch den Geldwertverfall vernichtet und nach dem Zweiten Weltkrieg war der Kapitalstock durch die Rüstungsfinanzierung buchstäblich verpulvert worden.

1957 wurde von der Adenauer-Regierung das von den "Rentenexperten" so ungeliebte reine Umlageverfahren mit dem "dynamisierenden Faktor" der Lohnentwicklung als Richtwert eingeführt. Dieses wurde im Großen und Ganzen in dieser Weise weitergeführt, bis mit der "Riesterrente" wieder massiv der Umstieg in die privatfinanzierte Rente propagiert wurde.

Begründet wurde dies mit einer Prognose der Bevölkerungsentwicklung für das Jahr 2050, anhand welcher das Horror-Szenario einer "Vergreisung der Republik" entworfen wurde. Dabei wurden aber recht zweifelhafte Annahmen und Prognosen als vermeintlich unumstößliche Tatsachen angenommen (vgl. Die Baby Boomer in Deutschland).

Allein der Zeitraum der Prognose bis 2050 ist ein großer Unsicherheitsfaktor in dieser Kalkulation. Das ist, als ob die Regierung Adenauer 1955 Prognosen über das Jahr 2005 angestellt (und dementsprechend den Pillenknick, die Wiedervereinigung und den Zuzug von Gastarbeitern und Aussiedlern übersehen) hätte! Außerdem propagiert ja die Bundesregierung Vollbeschäftigung (es wird ja öffentlich über Einwanderungsgesetze für die Zukunft spekuliert, um den künftigen Arbeitskräftemangel zu kompensieren!), eine komplette Integration der Frauen in den Arbeitsmarkt und ein Ansteigen der Konjunktur für die Zukunft, weswegen es aus der Warte der Bundesregierung eigentlich nicht einzusehen ist, warum das Umlageverfahren an die Grenze seiner Leistungsfähigkeit gelangt sein soll.
...

Demographen weisen seit Jahren darauf hin, die Prognose für 2050 ist lediglich eine Möglichkeit, keine Prophezeiung. Zudem sind Entwicklungen nicht abzusehen, außerdem gäbe es mehrere Varianten. Die präsentierte, welche ein Horrorszenario eines kopfstehenden Dreiecks präsentiert, ist die ungünstigste, er gibt aber andere günstigere, welche in den Schubladen der Auftraggeber solcher Prognosen verschwinden. Ob in Bellevue so eine Prognose zurückgehalten wird?

Die Hartnäckigkeit beim Belügen der Massen entrüstet nicht nur, sie jagt Furcht ein. Diese zynische Art und Weise, das stete Wieder- und Immer-wieder-Wiederholen macht schier hilflos. Mit einem allerdings haben die Reformer recht: Es steht schlecht um unser Land - solange diese Herrschaften am Steuer stehen.

Quelle
,,Diese Verhältnisse sind nicht die von Individuum zu Individuum, sondern die von Arbeiter zu Kapitalist... Streicht diese Verhältnisse, und ihr habt die ganze Gesellschaft aufgehoben."
--- Karl Marx, "Das Elend der Philosophie" ---

Klassenkampf

Einige Monate gab es Ruhe auf dem Sektor der Demographie, wohl auch, weil sich diese Republik nicht im Greisenalter darstellen wollte, als die Welt zu Gast war. Nun aber neue Jeremiaden:

Zitat...
Die Botschaft zwischen den Zeilen ist klar: Momentan erfüllen die deutschen Frauen den Sollwert an Geburten nicht. Die Bevölkerung schrumpft, und das darf wohl nicht sein.

Dabei verkennt das Statistischen Bundesamt allerdings seinen eigentlichen Auftrag. Und der lautet, für die öffentliche Diskussion die Fakten zu liefern, und zwar in neutraler Form. Ob die Tatsache, dass es einen demografischen Wandel gibt, nur negativ zu sehen ist oder auch große Chancen für Wirtschaft, Staat und Gesellschaft bietet, soll und kann das Bundesamt nicht beurteilen.

In der wissenschaftlichen Debatte nämlich mehren sich in letzter Zeit die positiven Stimmen. Das Bundesamt hingegen bedient weiter die Volksneurose des Alterns und kokettiert mit dem Schrecken des Schrumpfens. In den Redaktionsstuben, in denen nun die Hochglanzbroschüren des Bundesamtes auf die Schreibtische flattern, wird man die vorgegebene Tendenz dankbar aufnehmen. Schlechte Voraussetzungen für die dringend benötigte Sachlichkeit in der Demografiedebatte.

Nun kann natürlich kein Statistiker etwas dafür, wenn die Bevölkerung tatsächlich schrumpft und altert. Aber er muss die ganze Palette an möglicher Entwicklungen zeigen. Und nicht die optimistischsten so gut es geht verstecken. Doch genau das tut das Statistische Bundesamt: Nur noch 69 bis 74 Millionen Menschen werden 2050 in Deutschland leben, heißt es in der aktuellen Pressemitteilung. Nachsatz: Wenn das demografische Verhalten so bleibt wie heute. Für die nächsten 44 Jahre.

Und wenn nicht? Erstmals seit Jahren berechneten die Statistiker auch ein Szenario mit steigender Kinderzahl pro Frau. Bis 2025 erhöht sich die Geburtenrate dabei von jetzt etwa 1,4 auf 1,6. Für Radermacher ist das "optimistisch" und nur unter günstigen familienpolitischen Bedingungen zu erreichen. Eine typisch deutsche Sicht. Bei der UNO zum Beispiel sieht man es anders. In deren Bevölkerungsberechnungen steigt hierzulande die Geburtenrate bis 2050 auf 1,85 – im mittleren Szenario. Doch wer wissen will, was allein eine durchschnittliche Kinderzahl von 1,6 für Deutschland hieße, sucht die entsprechende Kurve in der schönen farbigen Präsentation der Wiesbadener vergeblich. Man muss sich schon die Mühe machen und die Zahlenkolonnen ganz hinten im Tabellenteil auseinanderdröseln, dann findet man schließlich doch eine Antwort: 77,5 Millionen Menschen würden nach dieser optimistischeren Prognose 2050 in Deutschland leben.

Wer noch mehr Energie investiert, entdeckt schließlich, dass das aufgearbeitete Pressematerial über ein Szenario gar keine Daten enthält: Die Variante, die eine steigende Geburtenrate bei einem gleichzeitigen hohen Anstieg der Lebenserwartung berücksichtigen würde, fehlt völlig.

Welche Bevölkerungsgröße das Land unter diesen Bedingungen zu erwarten hätte, erfährt nur, wer die richtige Excel-Tabelle aus dem Internet lädt, das richtige Datenblatt und dort die richtige Spalte erwischt: 2050 könnte es 79,5 Millionen Deutsche geben. Das sind fast so viele wie heute – falls sich nichts anderes ändert. Den jährlichen Einwanderungssaldo haben die Statistiker vorsichtshalber auf 200.000 pro Jahr begrenzt. Eine Variante mit 300.000 Zuwanderern, die es vor drei Jahren noch gab, existiert nicht mehr. Sonst hätten die fleißigen Rechner aus Wiesbaden womöglich noch über eine vielleicht wachsende Bevölkerung berichten müssen. Und das passt ja nun überhaupt nicht zum Zeitgeist.

Was hat man gerungen darum, die Glaubensgesellschaft zur Vernunftgesellschaft, basierend auf Wissenschaft, zu wandeln. Aber Vernunft, d.h. Wissenschaft läßt sich korrumpieren und deren Thesen und Märchen bekommen immer mehr den Geschmack des Nicht-besser-wissens oder Glaubens. Sektierertum zugunsten privater Rente!

Quelle
,,Diese Verhältnisse sind nicht die von Individuum zu Individuum, sondern die von Arbeiter zu Kapitalist... Streicht diese Verhältnisse, und ihr habt die ganze Gesellschaft aufgehoben."
--- Karl Marx, "Das Elend der Philosophie" ---

uwenutz

Auch hier geht es um "Nebentätigkeiten" nur aus konträrer
Sicht und... wie man es wieder "zurückholt"

http://foren.duisburg.de/sa_disk/viewtopic.php?t=3369

...that`s germany

  • Chefduzen Spendenbutton