Die Mittelschicht - Was kann man mit ihr anfangen?

Begonnen von Kuddel, 15:19:20 Mo. 08.Januar 2024

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Kuddel

Diese Frage verfolgt mich schon seit Jahren.

Sie einfach als doof abzuhaken, die dann irgendwann zu den Rechten laufen, ist mir zu billig. Es gab 2022 Protestveranstaltungen der Kreishandwerkerschaften in Dessa-Roslau und Harz-Bode, ziemlich große Proteste, die im Grundtenor recht ok waren.

Bei solchen Protesten sind die Rechten meist schnell dabei und springen auf und mischen mit. Die Linken haben dazu gar keinen Plan, kriegen es oftmals nichtmal mit, oder schreien gleich "Nazis", bevor sie geguckt haben, was da los ist.

Es ist tatsächlich eine riesige Gefahr, daß die sich irgendwann nach rechts orientieren. Gelungener Antifaschismus wäre es, wenn man sie vorher abfangen und ihnen eine Alternative anbieten kann.

Counselor hat dann immer so flotte Sprüche parat, daß man den Kleinbürgern nur erklären muß, daß... blabla.

Das kann ich ja unterschreiben, aber das hat keine praxistaugliche Form. Wie macht man es wirklich, wie erreicht man diese Leute und wie findet man die richtigen Worte und Themen, um sie zu bewegen, mitzureißen??

counselor

ZitatDas kann ich ja unterschreiben, aber das hat keine praxistaugliche Form.

Ich habe jahrelange Erfahrung in Agitation und Propaganda, weil ich seit Jahren in solchen Trupps im Umfeld der MLPD dabei bin. Was nicht praxisnah ist, ist Dein Geseier hier im Forum.
Alles ist in Bewegung. Nichts war schon immer da und nichts wird immer so bleiben!

Kuddel

Nana, meine Frage war ernstgemeint.

Ich habe darauf reagiert, weil du bei solchen Fragen oft einsilbig bleibst. Auch wenn inhaltlich alles richtig sein mag, finde ich keine nachvollziehbaren Beispiele.

counselor

Sorry für die scharfe Bemerkung.

Wenn ich hier im Forum schreibe, dann will ich kurz und bündig argumentieren. Ich habe Arbeit und ein Leben neben dem Forum und nicht die Zeit und Lust, immer alles auszudiskutieren.

Ich bin seit 2009 Mitveranstalter der Nürnberger Montagsdemo und habe Erfahrung in der Diskussion mit Menschen. Ich war auch schon vor Betrieben aktiv und führe Infotische durch und bei Demonstrationen aktiv in dem, was man so Agitprop nennt.

Ich denke, ich habe schon eine ganze Menge Erfahrung.
Alles ist in Bewegung. Nichts war schon immer da und nichts wird immer so bleiben!

Tiefrot

Um die Frage des Themas zu behandeln, sollten wir uns auf eine Definition von Mittelschicht einigen.

Und da mach ich mal den Anfang:
Unter Mittelschicht verstehe ich Leute mit fester und regulär bezahlter Arbeit.
Leider nur noch relativ selten anzutreffen...
Auch kleine und etwas höhere Beamte passen da noch rein.
Nehmen wir noch Inhaber von Betrieben bis 200 Arbeiter dürfte das halbwegs rund sein.
Denke dran: Arbeiten gehen ist ein Deal !
Seht in den Lohnspiegel, und geht nicht drunter !

Wie bekommt man Milllionen von Deutschen zum Protest auf die Straße ?
Verbietet die BILD und schaltet die asozialen Medien ab !

Kuddel

Guter Vorschlag.
Neben diversen Kleinunternehmern gibt es mehr und mehr Soloselbständige. Die arbeiten oft bis zum Umfallen zu prekären Bedingungen. Die wollen keinesfalls als Arbeiter oder Prolls gesehen werden, sie sehen sich in der "Mitte der Gesellschaft", selbst wenn sie schon längst abgehängt und arm sind. Sie sind ja schließlich "Selbstständige".

Tiefrot

Zitat von: Kuddel am 20:02:43 Mo. 08.Januar 2024Sie sind ja schließlich "Selbstständige"
Die nicht mal das Salz in der Suppe verdienen.
Diese Leute rechne ich locker zum Prekariat.  ::)

Aber gut, mit dieser Einkreisung können wir was anfangen, schätze ich.
Das Hauptproblem dieser Menschen ist, das die sich für was Besseres halten.
Zumindest die Mehrheit. Mit linken Gedanken brauchen wir denen kaum zu kommen.
Bei so neoliberal verstrahlten wäre das eine Riesenaufgabe.

Aber das ist nur mein Ausschnitt der Realität erstmal.
Denke dran: Arbeiten gehen ist ein Deal !
Seht in den Lohnspiegel, und geht nicht drunter !

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BGS

Die komplett unangebrachte Überheblichkeit bzw. (gespielte) Selbstzufriedenheit der "Mittelschicht" hält diese vermutlich davon ab, mal über den Tellerrand zu blicken oder ihre Situation realistisch zu betrachten.

Geistige Stagnation ist so quasi vorgegeben. Damit einher geht evtl. eine Blindheit hinsichtlich gerechterer, allen Menschen eher dienlicher Lebensentwürfe?

Muss zur Schicht.

MfG

BGS (Arbeiter aus eigener Entscheidung)

"Ceterum censeo, Berolinensis esse delendam"

https://forum.chefduzen.de/index.php/topic,21713.1020.html#lastPost
(:DAS SINKENDE SCHIFF DEUTSCHLAND ENDGÜLTIG VERLASSEN!)

Tiefrot

BGS meißelte:
ZitatDie komplett unangebrachte Überheblichkeit bzw. (gespielte) Selbstzufriedenheit der "Mittelschicht" hält diese vermutlich davon ab, mal über den Tellerrand zu blicken oder ihre Situation realistisch zu betrachten.
Was meinste, was es mit den Leuten macht, wenn die mal hinsehen würden ?
Sämtliche Klapsmühlen in D-land wären schlagartig randvoll.  ;D

ZitatGeistige Stagnation ist so quasi vorgegeben.
Da ist leider was dran.

ZitatDamit einher geht evtl. eine Blindheit hinsichtlich gerechterer, allen Menschen eher dienlicher Lebensentwürfe?
Sehr viele Leute sitzen dem Irrglauben auf, das Geld einen inneren Wert hat,
was bekanntlich nicht der Fall ist. Daraus folgt die Auffassung, man kann nie genug
oder gar zu viel Geld haben. Gerechtigkeit wird heute zumeist so definiert,
das man selbst das größte Stück vom Kuchen hat, was mit den anderen ist, ist egal.  >:(
Denke dran: Arbeiten gehen ist ein Deal !
Seht in den Lohnspiegel, und geht nicht drunter !

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Kuddel

Zitat von: Tiefrot am 22:25:40 Mo. 08.Januar 2024
Zitat von: Kuddel am 20:02:43 Mo. 08.Januar 2024Sie sind ja schließlich "Selbstständige"
Die nicht mal das Salz in der Suppe verdienen.
Diese Leute rechne ich locker zum Prekariat.  ::)

Aber gut, mit dieser Einkreisung können wir was anfangen, schätze ich.
Das Hauptproblem dieser Menschen ist, das die sich für was Besseres halten.

Diese Selbsteinordnung ist eine gefühlte. Man will auf keinen Fall Pöbel oder Proll sein, man hält sich für was besseres, als ein Arbeiter zu sein, das hat nichts mit dem Einkommen zu tun. Man ordnet sich kulturell in eine sogenannte Mittelschicht, die nie wirklich definiert wurde, aber in dieser Gesellschaft hoch bewertet wird.

Selbst Leute, die im Callcenter schuften, halten sich oftmals nicht für Arbeiter.

Dieses Bild vom Arbeiter im Blaumann hat sich gehalten und auch Linke haben diesen Unsinn verbreitet.

Ich glaube nicht, daß es ein einheitliches Bewußtsein gibt in dieser Mittelschicht. Aber je mehr sie sich in ihrem Status bedroht sehen, desto mehr positionieren sie sich und das geht meist nach rechts. Die Querdenker hatten einen großen Zulauf aus der Mittelschicht.

Wie gesagt, es gab diese Proteste von Handwerksmeistern. Ich erinnere, wie ich bei meiner Ausbildung meinen Meister gehaßt habe. Mit welchen Forderungen man mit solchen Leuten eine gemeinsame Grundlage finden kann, ist mir nicht klar.

Tiefrot

Danke dir, hatte es schon als Mischung aus Einkommen, Beruf und sozialem Status gesehen.  ;) 

ZitatMan ordnet sich kulturell in eine sogenannte Mittelschicht, die nie wirklich definiert wurde, aber in dieser Gesellschaft hoch bewertet wird.
Vielleicht hab ich auch deswegen gefragt, wer genau Gegenstand der Diskussion sein sollte.

ZitatDieses Bild vom Arbeiter im Blaumann hat sich gehalten und auch Linke haben diesen Unsinn verbreitet.
Hab diesem Bild auch recht lange angehangen.
Komme ich aber zum Teil des Einkommens, wäre diese Schicht doch recht dünn.

Zitatch glaube nicht, daß es ein einheitliches Bewußtsein gibt in dieser Mittelschicht. Aber je mehr sie sich in ihrem Status bedroht sehen, desto mehr positionieren sie sich und das geht meist nach rechts. Die Querdenker hatten einen großen Zulauf aus der Mittelschicht.
Das beobachte ich im Bereich vom Angestellten bis zum Arbeitslosen.
Mitunter habe ich das Gefühl, daß das Klassenbewusstsein mehr Theorie denn Praxis ist.
Bin mir auch bis heute ja nicht mal sicher, was von den Querdenkern zu halten ist.
Denke dran: Arbeiten gehen ist ein Deal !
Seht in den Lohnspiegel, und geht nicht drunter !

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counselor

Alles ist in Bewegung. Nichts war schon immer da und nichts wird immer so bleiben!

Tiefrot

Denke dran: Arbeiten gehen ist ein Deal !
Seht in den Lohnspiegel, und geht nicht drunter !

Wie bekommt man Milllionen von Deutschen zum Protest auf die Straße ?
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Kuddel

Die Frage bleibt: Was kann man mit der selbsternannten Mittelschicht anfangen?

Wenn es nicht gelingt, Forderungen und Aktionen zu entwickeln, von denen sich diese Menschen angesprochen fühlen, wird ein großer Teil von ihnen (auch die mit einem linken Hintergrund) nach rechts schwenken.

counselor

Gestern habe ich mich mit einem Aktivisten einer Betriebsgruppe der MLPD unterhalten. Es ging darum, wie man Arbeiter, die drei bis viertausend Euro im Monat verdienen, zum Kämpfen bekommt. Er meinte, dass der Betrieb, in dem er aktiv ist, deswegen zu den kampfstärksten in der Region zählt, weil es der MLPD gelungen ist, den Arbeitern zu vermitteln, dass sie trotz ihres hohen Lohns ausgebeutet werden. Dazu gehört auch, den Arbeitern zu vermitteln, welche Werte ein jeder von ihnen täglich produziert.
Alles ist in Bewegung. Nichts war schon immer da und nichts wird immer so bleiben!

Kuddel

Es wird ja immer so getan, als sei "die Mitte" der Gesellschaft das Rückgrat der Demokratie, resistent gegen jegliche Radikalisierung.

Das ist wohl komplett unwahr. Historisch hat sich die Mitte schnell radikalisiert und sich den Faschos an den Hals geworfen. Es sieht so aus, als würde sich das heute wiederholen.

Bei den bürgerlichen Parteien ist es ähnlich. Die machen einen auf solide und als Bewahrer des Status Quo, doch in diesen Parteien braucht sich ihr rechter Flügel nicht mehr zu verstecken.
ZitatCDU-Generalsekretär
Linnemann fordert das Ende der Brandmauer: ,,Das Nazi-Bashing gegen die AfD muss aufhören"
https://apollo-news.net/linnemann-fordert-das-ende-der-brandmauer-das-nazi-bashing-gegen-die-afd-muss-aufhren/

Kuddel

Ich komme immer wieder bei diesem Thema an.

Den Rechtsruck in der Gesellschaft bestreitet niemand mehr. Woher er kommt, bzw. wer ihn am meisten trägt, wird wenig hinterfragt. Man stellt irgendwelche Behauptungen auf. Gern wird der sozial Abgehängte als typischer AfD Anhänger genannt. Dabei gehen die Abgehängten kaum noch wählen. Der größte Zulauf für die AfD kommt aus "der Mitte der Gesellschaft".

Gerade die Kleingewerbetreibenden sind anfällig und viele, die aus der alternativen und esoterischen Szene stammen und sich früher als vage links definierten, sind immer weiter nach rechts gerückt.

Ich will sie nicht einfach nur mit "Ihr Faschoärsche!" anpöbeln. Ich frage mich, ob es irgendwelche gemeinsamen Ziele gibt, mit denen man diese Menschen wieder einfangen kann.

BGS

Schwierige Frage. Ein Teil der Kleingewerbetreibenden und Soloselbstständigen wäre vermutlich der Unterschicht zuzurechnen. Eine unsichere wirtschaftliche Situation belastet und bringt Frust mit sich.

Das Erleben oder die Furcht vor sozialem Abstieg werden dazu geführt haben, dass sich nunmehr etliche Menschen von den etablierten Parteien abgewandt haben, nach rechts.

Nicht zuletzt wird die Unzufriedenheit mit den heutigen Verhältnissen einen Teil der Mittelschicht dazu gebracht haben, die Faschos zu wählen.

Bessere, stabilere soziale Sicherung und Arbeitsverhältnisse wären ein Weg um die Anfälligkeit für rechtspopulistische Botschaften mindern verringern. Doch dies ist in weiter Ferne.

Die Bekämpfung der Prekarisierung und auskömmliche Entgelte und ein verbesserter Sozialstaat ohne 1-E Jobs, Massnahmemafia etc. würden helfen.

Stärkung und Unterstützung zivilgesellschaftlicher Initiativen, welche sich gegen Rechtsextremismus und für eine offene Gesellschaft einsetzen könnte ebenfalls was bringen, auf lange Sicht.

Da die Mittelschicht sich gerne als etwas "besseres" wähnt und Argumenten kaum zugänglich scheint, weiss ich auch nicht so recht.

MfG

BGS





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Hartzhetzer

Mir fiele jetzt spontan als gemeinsame Schnittstelle zur Mittelschicht die Gegnerschaft zur Aufrüstung und Kriegsvorbereitung ein, sowie die Gegnerschaft zum Ukraine Krieg im speziellen.
Die Nazis vollzogen auf ihre Weise, was die Sozialdemokratie sich immer erträumt hatte: eine »ordentliche Revolution«, in der alles ganz anders wird, damit alles so bleiben kann, wie es ist.

Zitat Schwarzbuch Kapitalismus Seite 278

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